Volksfeste sind schön -- aber nicht verpflichtend

VGH München, Beschluss vom 21.12.2012, 4 ZB 11.2496

von Life and Law am 01.11.2013

+++ Öffentliche Einrichtung +++ Entwidmung +++ Anspruch auf Erhalt +++

Sachverhalt: Die Gemeinde Neu-Ulm (G) betreibt seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2010 auf dem „Volksfestplatz" das Neu-Ulmer Volksfest, das 1903 als private Initiative entstanden und zunächst über Jahrzehnte privat organisiert worden war. Aufgrund des am 11. November 2009 beschlossenen Bebauungsplans M 35.1 „Multifunktionshalle" erteilte die Beklagte am 21. Juli 2010 die Baugenehmigung für die Errichtung einer Multifunktionshalle auf dem ehemaligen „Volksfestplatz" und veräußerte die dafür erforderlichen Bauflächen. Nachdem zunächst von der Stadtverwaltung noch angekündigt war, man werde einen Alternativplatz für das Volksfest finden, wurde im Oktober 2010 das Entfallen des Fests für 2011 verkündet.

K, Einwohnerin Neu-Ulms und mit einem Süßwarenstand 43 Jahre lang Marktbeschickerin des Neu-Ulmer Volksfests, erhob am 15. Dezember 2010 Klage beim zuständigen VG Augsburg. Sie beantragte vor dem Verwaltungsgericht, die Beklagte zur Fortführung des Volksfests auf einem geeigneten, mit dem bisherigen Austragungsort vergleichbaren Platz auf Neu-Ulmer Stadtgebiet zumindest so lange zu verpflichten, bis der Wille der Gemeindeeinwohner eindeutig und ausdrücklich feststellbar belegt werde, dass die Fortführung des Volksfestes nicht mehr gewünscht werde.

K beruft sich auf einen Anspruch aus Art. 21 I, 57 I GO1 und eine Verletzung der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG. Durch die Nichtdurchführung des Volksfestes würde ihr eine bedeutende Verdienstmöglichkeit genommen. Wegen der kurzfristigen Nichtdurchführung habe sie sich nicht frühzeitig für diese Ausfallzeit auf andere Volksfestveranstaltungen bewerben können. Mit dem kurzfristigen Wegfall des Termins sei eine Lücke von zwei Wochen im Terminkalender entstanden, die gegebenenfalls erst nach langjährigen Bewerbungsverfahren geschlossen werden könne.

Ist die Klage zulässig?

A) Sound1

Auch ein langjähriger Betreiber eines Standes auf einem gemeindlichen Volksfest hat gegenüber der Gemeinde keinen Rechtsanspruch auf Fortführung des Fests.

B) Problemaufriss

München ohne Oktoberfest? Undenkbar ist wohl noch untertrieben. Insoweit lässt sich die Empörung der Klägerin im vorliegenden Fall nachvollziehen -- auch wenn das Neu-Ulmer Volksfest vielleicht nicht ganz mit dem Oktoberfest verglichen werden kann.

Eine berechtigte Empörung ist aber noch nicht gleich ein begründeter Anspruch. Insoweit weist der vorliegende Fall die Besonderheit auf, dass es nicht -- wie regelmäßig -- um einen Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung geht, sondern darum, ob die Gemeinde verpflichtet ist, eine solche öffentliche Einrichtung (weiter) zu betreiben.

C) Lösung

Die Klage ist zulässig im weiteren Sinn, wenn die Sachentscheidungskompetenz des Gerichts gegeben ist und die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.

I. Sachentscheidungskompetenz des Gerichts

Da das VG Augsburg laut Sachverhalt sachlich und örtlich zuständig ist, kommt es hier alleine auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO an.

Dafür müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit gegeben sein. Hierzu müssten die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein.

K begehrt hier, die Gemeinde zu verurteilen, weiterhin ein Volksfest abzuhalten. Streitentscheidende Normen hierfür sind Art. 21, 57 GO sowie Art. 11 II BV, Art. 28 II GG.

Diese Normen sind nach der modifizierten Subjekttheorie sämtlich dem öffentlichen Recht zuzuordnen, da die Gemeinde gerade in ihrer Funktion als Hoheitsträger berechtigt und verpflichtet wird.

Zwei-Stufen-Theorie

Dass bei Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung i.S.d. Art. 21, 57 GO auch zivilrechtliche Streitigkeiten entstehen können, ist nach der Zwei-Stufen-Theorie irrelevant.

Danach ist zwischen dem „Ob" und dem „Wie" der Benutzung zu differenzieren. Hintergrund dieser Zwei-Stufen-Theorie ist, dass der im öffentlichen Recht begründete Zulassungsanspruch aus Art. 21 GO nicht dadurch entwertet werden darf, dass der Bürger ihn vor den Zivilgerichten geltend machen muss. Um eine solche Entwertung würde es sich aber handeln, wenn der Bürger seinen Zulassungsanspruch vor den Zivilgerichten erstreiten müsste, da dort ein Kontrahierungszwang anders als im öffentlichen Recht grundsätzlich nicht anerkannt ist. Zudem gilt in der ZPO anders als in der VwGO, vgl. § 86 VwGO, nicht der Amtsermittlungsgrundsatz, sondern im Rahmen der Parteimaxime der sog. Beibringungsgrundsatz. Die Zwei-Stufen-Theorie will eine solche „Flucht ins Privatrecht" verhindern.

Soweit über den Zulassungsanspruch gestritten wird („Ob" der Benutzung), könnte sich der Streit nach Art. 21 GO richten und somit öffentlich-rechtlicher Art sein, wenn es sich bei dem Volksfest tatsächlich um eine öffentliche Einrichtung handelt.

Dagegen können Streitigkeiten über das „Wie" der Nutzung sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Recht zugeordnet sein.

Da die Streitigkeit im vorliegenden Fall der Streitigkeit über das „Ob" der Zulassung noch vorgelagert ist -- ohne öffentliche Einrichtung kann es auch keine Streitigkeit über das „Ob" der Zulassung geben --, muss diese Streitigkeit erst recht als öffentlich-rechtliche Streitigkeit gewertet werden.

Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit

Voraussetzung für die Heranziehung der Art. 21, 57 GO als streitentscheidende Normen und damit für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist aber, dass das Volksfest tatsächlich eine öffentliche Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift ist.

Anmerkung: Die h.M. prüft das tatsächliche Vorliegen einer öffentlichen Einrichtung bereits im Rahmen der Rechtswegeröffnung. Die Gegenansicht begnügt sich hier mit der bloßen Behauptung, es gehe um eine Streitigkeit aus Art. 21, 57 GO. Ob tatsächlich eine öffentliche Einrichtung vorliegt oder nicht, wird nach dieser Ansicht erst in der Begründetheit geprüft. Dieser Ansatz ist aber vor allen Dingen praxisuntauglich. Liegt keine öffentliche Einrichtung vor, gelangt die h.M. zu dem Ergebnis, dass eine zivilrechtliche Streitigkeit gegeben ist und verweist den Streit von Amts wegen, § 17a II GVG. Die Gegenansicht würde zu einer Abweisung der Klage als unbegründet gelangen. Damit ist weder dem Kläger noch dem Verwaltungsgericht gedient, da es nun ein vollständiges Urteil statt eines bloßen Verweisungsbeschlusses schreiben muss.

Eine öffentliche Einrichtung erfordert2

  • einen öffentlicher Zweck,
  • eine Widmung für diesen öffentlichen Zweck,
  • die faktische Indienststellung und
  • die Verfügungsgewalt eines Trägers öffentlicher Gewalt.

Nachdem an das Merkmal des öffentlichen Zwecks keine sehr hohen Anforderungen gestellt werden, ist als öffentlicher Zweck auch die Volksbelustigung als Bestandteil der örtlichen Kulturpflege (vgl. Art. 7 I, 57 I GO und Art. 83 I BV) anzuerkennen.

Zu diesem Zweck war das Volksfest bislang auch gewidmet und indienstgestellt. Eine Widmung ist grds. eine Allgemeinverfügung, durch die eine Sache der Benutzung im Rahmen ihres öffentlichen Zwecks übergeben wird. Dieser Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 S. 2 Var. 2 BayVwVfG bedarf keiner Form und kann auch konkludent erfolgen, vgl. Art. 37 II BayVwVfG.

Die Stadt ist bzw. war auch Eigentümerin des Volksfestplatzes und organisierte dessen Ablauf, sodass ihre Verfügungsbefugnis vorliegt.

Damit handelt(e) es sich bei dem Volksfest um eine öffentliche Einrichtung.

Streitentscheidend für die Frage, ob die Gemeinde zur Fortführung dieses Volksfestes verpflichtet ist, sind demnach Art. 21, 57 GO, sodass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Mangels abdrängender Rechtswegzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO eröffnet.

II. Zulässigkeitsvoraussetzungen

Problematisch erscheinen hier insbesondere Klageart und Klagebefugnis.

I. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart bestimmt sich nach dem Klagebegehren, § 88 VwGO.

K begehrt im vorliegenden Fall, die beklagte Gemeinde zu verpflichten, das Volksfest auch in Zukunft abzuhalten.

Die Abhaltung eines Volksfestes ist eine Leistung, die nicht im Erlass eines Verwaltungsaktes besteht.

Statthaft ist damit die allgemeine Leistungsklage, die in der VwGO zwar nicht explizit geregelt ist, aber bspw. in §§ 43 II, 111, 113 IV VwGO vorausgesetzt wird.

II. Klagebefugnis

Zur Vermeidung einer Popularklage muss K auch im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage analog § 42 II VwGO klagebefugt sein.

Dies ist der Fall, wenn K zumindest möglicherweise ein Anspruch auf die begehrte Leistung zusteht.

1. Anspruch aus Art. 12 I GG?

Ein Anspruch auf die Abhaltung des Volksfestes könnte sich aus Art. 12 I GG ergeben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt das Grundrecht der Berufsfreiheit den selbstständigen Unternehmer aber grundsätzlich nicht vor Veränderungen der Marktdaten und Rahmenbedingungen der unternehmerischen Entscheidungen. In der bestehenden Wirtschaftsordnung gibt Art. 12 I GG dem Einzelnen ein Recht auf Teilnahme am Wettbewerb. Marktteilnehmer haben aber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet das Grundrecht keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder künftige Erwerbsmöglichkeiten. Vielmehr unterliegen die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge dem Risiko laufender Veränderung.3

Anmerkung: Aufbautechnisch überzeugt die Entscheidung des VGH in diesem Punkt nicht. Solange ein einfachgesetzlicher Anspruch denkbar ist, sollten Sie Ihre Prüfung auch mit diesem und nicht unmittelbar mit einem Anspruch aus den Grundrechten beginnen -- zumal die Grundrechte in erster Linie gerade Abwehrrechte gegen den Staat sind und keine Leistungsansprüche begründen!

2. Anspruch aus Art. 21 I GO

Der geltend gemachte Anspruch könnte sich aus Art. 21 I GO ergeben.

Diese Vorschrift gibt ihrem Wortlaut nach aber nur einen Anspruch auf Benutzung der öffentlichen Einrichtung.

Grundsätzlich kann ein Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung nur im Rahmen ihrer Kapazität bestehen; ein Recht auf Erweiterung, Schaffung oder Fortbestand einer öffentlichen Einrichtung ergibt sich aus der Gemeindeordnung nicht.

Die beklagte Gemeinde hat sich dafür entschieden, das Volksfest einstweilig nicht abzuhalten; die Entwidmung der öffentlichen Einrichtung Volksfest ist ebenso wie die Widmung selbst grundsätzlich formfrei. Damit gibt es künftig genau keine Kapazität im Rahmen derer ein Zulassungsanspruch bestehen könnte.

Unwirksamkeit der Entwidmung wegen Verstoßes gegen Art. 57 I GO?

Etwas anderes würde aber möglicherweise dann gelten, wenn die Entwidmung wegen einer Verletzung des Art. 57 I GO unwirksam ist.

Nach Auffassung des BVerwG kann sich aus Art. 28 II GG, Art. 57 I GO nicht nur ein Selbstverwaltungsrecht, sondern auch eine Selbstverwaltungspflicht ergeben. Der Leitsatz der Entscheidung lautet dabei wie folgt: „Aus der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung folgt, dass sich eine Gemeinde im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume begeben darf. Eine materielle Privatisierung eines kulturell, sozial und traditionsmäßig bedeutsamen Weihnachtsmarktes, der bisher in alleiniger kommunaler Verantwortung betrieben wurde, widerspricht dem. Eine Gemeinde kann sich nicht ihrer hierfür bestehenden Aufgabenverantwortung entziehen. Ihr obliegt vielmehr auch die Sicherung und Wahrung ihres Aufgabenbereichs, um eine wirkungsvolle Selbstverwaltung und Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu gewährleisten."4

Dieser Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem eine Gemeinde einen althergebrachten Weihnachtsmarkt „materiell privatisierte". Hierunter versteht man eine Konstellation, in der die Einrichtung nicht nur in den Formen des Zivilrechts betrieben wird, sondern die Gemeinde dabei auch ihre Verfügungsbefugnis aufgibt. Im konkreten Fall hatte die Gemeinde mit einem Privaten einen Vertrag geschlossen, in dem diesem gegen ein Entgelt von jährlich 15.000,- € das Recht übertragen wurde, den Weihnachtsmarkt in eigener Verantwortung zu organisieren und durchzuführen.

Anmerkung: Von einer nur formellen Privatisierung spricht man, wenn die öffentliche Einrichtung zwar in einer privatrechtlichen Form betrieben wird, die Gemeinde aber die Entscheidungsbefugnis darüber behält, entweder weil sie selbst Betreiber ist oder Betreiber eine GmbH ist, an der die Gemeinde aber mehrheitlich beteiligt ist. Im Fall der nur formellen Privatisierung liegt weiter eine öffentliche Einrichtung vor, sodass Art. 21 GO weiter anwendbar ist.

Aufgabe der öffentlichen Einrichtung nicht mit materieller Privatisierung vergleichbar!

Diese Konstellation ist nach Auffassung des VGH mit dem vorliegenden Fall aber nicht vergleichbar. Hier wird die öffentliche Einrichtung vollständig aufgegeben, während sie im vom BVerwG entschiedenen Fall grundsätzlich weiterbetrieben wird, nur nicht von der Gemeinde.

Aus Art. 28 IIGG lässt sich aber keine Aufgabenwahrnehmungspflicht ableiten. Die Gemeinde darf frei entscheiden, ob sie eine wahrgenommene freiwillige Aufgabe wieder aufgibt oder aussetzt.

Aus diesem Grund verstößt die Aufgabe der öffentlichen Einrichtung nicht gegen Art. 57 GO, ein Anspruch aus Art. 21 GO besteht nicht.

Anmerkung: Im Originalfall beruft sich die Klägerin zudem noch darauf, dass die Gemeinde bei einer derart schwerwiegenden Entscheidung zwingend die Bevölkerung konsultieren müsse. Diese Konsultationspflicht resultiere aus Art. 28 II GG. Der VGH stellt insoweit zu Recht in Frage, woraus sich die Verpflichtung der Gemeinde zur Abhaltung eines solchen „Konsultationsverfahrens" ergeben soll.

Im Ergebnis kann dies offenbleiben. Das von K als verletzt gerügte kommunale Selbstverwaltungsrecht kann ihr als natürlicher Person nicht zustehen. Bei Art. 28 II GG handelt es sich um keine Rechtsnorm, die ausschließlich oder zumindest neben dem öffentlichen Interesse auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und die Rechtsmacht verleiht, das Individualinteresse durchzusetzen. Die bloße Behauptung, objektiv-rechtliche Bestimmungen seien verletzt worden, begründet eine Klagebefugnis auch nicht unter Rückgriff auf Art. 2 I GG.

Der Ansatz, aus Art. 28 II GG eine Pflicht zur Konsultation der Öffentlichkeit abzuleiten und dies dann auch noch als subjektives Recht des Einzelnen einzuklagen, kann wohl ohne Übertreibung als absurd bezeichnet werden und wird von Ihnen deshalb kaum erwartet werden!

Ergebnis

Im Ergebnis kann damit festgehalten werden, dass ein möglicher Anspruch der K auf die begehrte Leistung nicht ersichtlich ist. Die Klage ist mithin mangels Klagebefugnis unzulässig.

D) Kommentar

(mg). Die Argumentation des VGH ist in einem entscheidenden Punkt eher „dünn". Was genau ist der Unterschied zwischen einer materiellen Privatisierung -- die Gemeinde überlässt aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags die Durchführung des Volksfestes vollständig einem Privaten -- und der vollständigen Aufgabe des Volksfestes? Eigentlich sollte man doch meinen, wenn eine Gemeinde ohne Verletzung des Art. 28 II GG, 57 I GO eine öffentliche Einrichtung vollständig aufgeben darf, dann kann sie diese doch erst Recht materiell privatisieren. Das Ergebnis schaut aber anders aus: Eine materielle Privatisierung soll nach BVerwG im Einzelfall gegen eine Selbstverwaltungspflicht nach Art. 28 II GG verstoßen, die komplette Aufgabe nach Ansicht des VGH hingegen nicht. Ob dies das BVerwG tatsächlich auch so sehen wird, darf bezweifelt werden - zumal der Wortlaut des Art. 57 I GO „Die Gemeinden ... sollen" durchaus offen ist für eine Selbstverwaltungspflicht, die durch die Aufgabe einer öffentlichen Einrichtung verletzt werden kann. Voraussetzung ist eine Ermessensreduktion auf Null, die im Einzelfall je nach Bedeutung bspw. des Volksfestes für die Gemeinde durchaus bejaht werden kann.

Bejaht man die Klagebefugnis, würde sich noch ein weiteres Problem ergeben: Aus welchem Grund klagt die Klägerin allgemein auf die Fortführung des Volksfestes und nicht direkt auf Zulassung zu dem aus ihrer Sicht zwingend gebotenen Volksfest? Insoweit könnte man ihrer Klage auch das Rechtsschutzbedürfnis absprechen. Andererseits setzt eine Verpflichtungsklage auf Zulassung zu einem Volksfest voraus, dass feststehen muss, dass und in welchem Zeitraum dieses abgehalten wird. Außerdem geht dieser Zulassung in der Regel ein Ausschreibungsverfahren voraus, sodass ein unmittelbarer Zulassungsanspruch nicht besteht, insbesondere nicht, wenn sich typischerweise mehr Schausteller bewerben, als Plätze zur Verfügung stehen.

E) Background

Auch das OVG Niedersachen musste sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Zulassung zu einem Volksfest als öffentlicher Einrichtung beschäftigen.

In OVG Niedersachsen, 13.06.2012 - 7 LA 77/10

muss sich das OVG mit der richtigen Klageart eines abgewiesenen Bewerbers befassen, dessen Ablehnung damit begründet wurde, dass sich mehr Antragsteller beworben hatten, als Kapazität an Volksfestplätzen zur Verfügung stand.

Anmerkung: In einer solchen Situation reduziert sich der Anspruch auf Zulassung aus bspw. Art. 21 GO in einen Anspruch auf fehlerfreie Auswahlermessensentscheidung der Gemeinde! Fraglich ist der richtige Rechtsschutz des abgelehnten Bewerbers. Allein eine Verpflichtungsklage auf Zulassung kann keinen Erfolg haben, da im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Kapazität hierfür mehr zur Verfügung steht. Denkbar ist hier zum einen eine Kombination aus Anfechtungsklage gegen die Zulassung eines Konkurrenten und Verpflichtungsklage auf eigene Zulassung. Die Alternative hierzu besteht in einer bloßen Verbescheidungsklage. Das Gericht kann die Gemeinde mangels vorhandener Kapazität zwar nicht zu einer Zulassung verpflichten, wohl aber zu einer erneuten Entscheidung über den Antrag des Klägers. Mit einer entsprechenden Verurteilung wird die Gemeinde schon aufgrund Art. 20 III GG angehalten, auch über die Aufhebung einer Zulassung eines Konkurrenten nachzudenken. Wenn die Ablehnung des Klägers rechtswidrig war, muss auch die Zulassung eines der Konkurrenten rechtswidrig gewesen sein, da beide Verwaltungsakte nur das Ergebnis ein und derselben Auswahlentscheidung sind.

Der Leitsatz der Entscheidung lautet (in diesem Punkt) wie folgt:

„Bei `Konkurrentenverdrängungsklagen` in Marktsachen ist bei erschöpfter Standplatzfläche regelmäßig neben einer Verpflichtungsklage auch Anfechtungsklage gegen die Zulassung des erfolgreichen Mitbewerbers zu erheben. Dem abgelehnten Mitbewerber ist es aber nicht verwehrt, isoliert eine Neubescheidung anzustreben, wenn bereits damit seinem Rechtsschutzziel genügt wird."

Der Rechtsschutz des abgelehnten Bewerbers ist am effektivsten, wenn er zunächst die Zulassung eines Konkurrenten erfolgreich anficht. Nur dann kann er mit einer Verpflichtungsklage auch auf Zulassung und nicht nur auf erneute Verbescheidung klagen.

regelmäßig kein Rechtsschutzbedürfnis für bloße Neuverbescheidung

Deshalb dürfte dies bei erschöpfter Standplatzfläche schon aus Gründen des Rechtsschutzbedürfnisses regelmäßig erforderlich sein, um die dem begünstigten Konkurrenten erteilte Zulassung für eine erneute Auswahlentscheidung wieder verfügbar zu machen.

Es ist dem abgelehnten Bewerber aber nicht schlechthin verwehrt, zulässigerweise eine bloße „Neubescheidungsklage" zu erheben, wenn bereits damit seinem Rechtsschutzinteresse genügt wird. Das ist etwa dann der Fall, wenn über die Klage geraume Zeit vor Marktbeginn entschieden wird und der Kläger darauf vertrauen kann, dass es bei Stattgabe zu einer rechtzeitigen Rücknahme einer Standplatzvergabe von Amts wegen kommen wird.

Gleichfalls ist denkbar, dass es dem Kläger zunächst allein um eine sachgerechte Neubewertung seines Bewerbungsgesuchs geht, ohne dass er damit rechnet, auch tatsächlich beim aktuell bevorstehenden Markt noch zum Zuge zu kommen, etwa weil er längerfristig disponieren muss und selbst bei einer Entscheidung zu seinen Gunsten vor Beginn des Marktes anderweitige Dispositionen nicht mehr rückgängig machen kann oder will.

Die prozessuale Ausgestaltung ist mithin von der jeweiligen Situation sowie vom jeweiligen Rechtsschutzziel eines Klägers abhängig und entzieht sich damit einer grundsätzlichen, also fallübergreifenden, Bedeutung.

F) Zur Vertiefung

  • Zur öffentlichen Einrichtung

Hemmer/Wüst, Kommunalrecht Bayern, Rn. 130 ff.

G) Wiederholungsfrage

  1. Was versteht man unter einer materiellen Privatisierung und was sind deren Folgen?

  1. Art. 21 GO: Benutzung öffentlicher Einrichtungen; Tragung der Gemeindelasten

    (1) Alle Gemeindeangehörigen sind nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Sie sind verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen. ....

    Art. 57 GO- Aufgaben des eigenen Wirkungskreises

    (1) Im eigenen Wirkungskreis sollen die Gemeinden in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die öffentlichen Einrichtungen schaffen und erhalten, die nach den örtlichen Verhältnissen für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl und die Förderung des Gemeinschaftslebens ihrer Einwohner erforderlich sind, insbesondere Einrichtungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Feuersicherheit, der öffentlichen Reinlichkeit, des öffentlichen Verkehrs, der Gesundheit, der öffentlichen Wohlfahrtspflege einschließlich der Jugendhilfe, des öffentlichen Unterrichts und der Erwachsenenbildung, der Jugendertüchtigung, des Breitensports und der Kultur- und Archivpflege; hierbei sind die Belange des Natur- und Umweltschutzes zu berücksichtigen. Die Verpflichtung, diese Aufgaben zu erfüllen, bestimmt sich nach den besonderen gesetzlichen Vorschriften. ....

  2. Vgl. auch BayVGH, NVwZ-RR 1999, 574 = Life & Law 2000, 58

  3. M.w.N. BVerfGE 116, 135

  4. BVerwG, Urteil vom 27.05.2009, 8 C 10.08 = Life & Law 2010, 44