Rechtsprechungsübersicht Öffentliches Recht (2)

BayVGH, Urteil vom 13.01.2014 -- 7 BV 13.1397

von Life and Law am 01.08.2014

+++ Rundfunkfreiheit +++ Mittelbare Beeinträchtigung der Berufsfreiheit +++ Schutznormtheorie, Klagebefugnis, § 42 II VwGO +++

Sachverhalt (vereinfacht):

K ist eine juristische Person mit Sitz in Großbritannien, die nach dortigem Recht als solche anerkannt ist. Ihr sind von D, ihrer amerikanischen Muttergesellschaft, die Rechte der Veranstaltung, Produktion und medialen Verwertung von Wettkämpfen des „Ultimate Fighting Championship" (UFC), einer international verbreiteten Kampfsportliga, in Europa eingeräumt. D ist im Gegensatz zu K eine in Deutschland zugelassene Rundfunkveranstalterin. B ist die bayerische Landesmedienanstalt in der Form der Anstalt des Öffentlichen Rechts, welche die Medienaufsicht über die Rundfunkbetreiber in Bayern ausübt. B genehmigte 2009 auf Antrag der D die Ausstrahlung bestimmter Sendungen des „UFC" in Deutschland, wobei über diese von K produzierten Formate zwischen K und D ein Lizenzvertrag besteht. Ein Jahr später, nachdem das „UFC" bereits mehrfach ausgestrahlt worden war, forderte B die D auf, das Programm durch genehmigungsfähige andere Inhalte zu ersetzen. Ansonsten werde die ursprüngliche Genehmigung widerrufen. Grund dafür sei das hohe Gewaltpotential der gezeigten Sendung, das dem Leitbild des in Bayern gem. Art. 111a II S. 1 BV öffentlich verantworteten und in öffentlicher Trägerschaft betriebenen Rundfunks widerspreche. D als Rundfunkbetreiberin focht den Bescheid nicht an. Allerdings wehrt sich K gegen diesen und beruft sich auf ihre Grundrechte der Rundfunkfreiheit und der Berufsfreiheit. Dagegen wendet die B ein, als bloße Lizenznehmerin falle K nicht in den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit, zumal sie nicht zugelassene Rundfunkbetreiberin sei. Die Anwendung der Berufsfreiheit daneben führe zu einer Umgehung der Rundfunkfreiheit. Außerdem sei die Verkürzung der Berufsfreiheit ein bloßer Rechtsreflex und reiche als mittelbare Beeinträchtigung nicht für einen Grundrechtseingriff aus. K erhebt form- und fristgerecht Klage gegen den Bescheid beim Verwaltungsgericht München.

Ist die Klage der K am örtlich und sachlich zuständigen Verwaltungsgericht zulässig?

Lösung: Die Klage ist zulässig, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.

I. Verwaltungsrechtsweg

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 I VwGO eröffnet. Sonderzuweisungen bestehen nicht. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlicher Natur. Die streitentscheidenden Normen sind solche des Medienrechts, die ausschließlich B als Hoheitsträgerin berechtigen und verpflichten sowie grundrechtliche Positionen der K. Der Streit hat mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit auch keinen verfassungsrechtlichen Charakter.

II. Statthafte Klageart

Statthafte Klageart für die Klage der K ist die Anfechtungsklage gem. § 42 I Fall 1 VwGO. K begehrt (§ 88 VwGO) die Aufhebung des Bescheides der B, indem diese D auffordert, das Programm des „UFC" durch genehmigungsfähige Inhalte zu ersetzen. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 S. 1 BayVwVfG, da der K ein Verhalten imperativ, im Einzelfall und mit Außenwirkung aufgegeben wird. B ist als Landesmedienanstalt eine Anstalt des Öffentlichen Rechts gem. Art. 10 I S. 1 BayMedienG und somit Behörde im Sinne des Art. 1 II BayVwVfG. Als solche nimmt sie durch die Anordnung der Maßnahme Hoheitsrechte wahr.

III. Klagebefugnis

K müsste zudem im Sinne des § 42 II VwGO klagebefugt sein. Hierzu müsste sie die Möglichkeit der Verletzung eines eigenen subjektiv-öffentlichen Rechts substantiiert darlegen. Auf ihre Adressatenstellung, die zumindest die Möglichkeit der Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG impliziert (sog. „Adressatentheorie"), kann sich K vorliegend nicht berufen. Nicht sie, sondern ihre Muttergesellschaft D, die im Besitz einer Zulassung als Rundfunkbetreiberin ist, ist Adressatin des Bescheides der B. Folglich muss K konkrete Schutznormen geltend machen können, die gerade im Interesse des Schutzes ihrer subjektiven Rechte als Nichtadressatin der Maßnahme bestehen („Schutznormtheorie"). In Betracht kommen nur die grundrechtlichen Positionen der Rundfunk- und Berufsfreiheit.

1. Rundfundfreiheit

Fraglich ist, ob sich K auf die Möglichkeit der Verletzung der Rundfunkfreiheit berufen kann. Dazu müsste zunächst der Schutzbereich des Art. 5 I S. 2 GG dergestalt eröffnet sein, dass K überhaupt Trägerin des Grundrechts sein kann. Dies ist problematisch, weil K lediglich das betreffende Material des „UFC" produziert und vermarktet, es aber nicht selbst ausstrahlt.

Art. 5 I S. 2 GG schützt vor externer Einflussnahme auf die Programmgestaltung. Deshalb steht die Rundfunkfreiheit in erster Linie den Veranstaltern von Rundfunkprogrammen („Programmfreiheit") zu. Veranstalter ist dabei nur, wer das Programm zusammenstellt, strukturiert und unter einer einheitlichen Bezeichnung dem Publikum anbietet. Die Tätigkeit muss also auf das gesamte Programm bezogen sein und darf nicht lediglich im Zuliefern einzelner Sendungen und Programmteile bestehen. Zwar hat das BVerfG bestimmte Hilfspersonen in den Schutzbereich einbezogen. Hierzu gehören aber die bloßen Produzenten einer Sendung nicht. Sie befinden sich nicht in einer grundrechtstypischen Gefährdungslage. Die inhaltliche Verantwortung trägt allein der Rundfunkveranstalter. Nur dieser bietet die Sendung einem Publikum an und ist deshalb hinsichtlich meinungsgestaltender externer Einflussnahme auf das Programm schutzwürdig. Der Produzent wird durch das Zuliefern des Materials nicht zum Träger des Grundrechts, weil ihm gerade nicht die Letztentscheidung über die Ausstrahlung obliegt. Produzenten und Vermarkter einer Sendung, die diese nicht selbst ausstrahlen, sind somit nicht Träger der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 I S. 2 GG. Ihre Interessen sind nicht durch den der Meinungsfreiheit nahestehenden Schutz der Rundfunkfreiheit erfasst, weil sie nur wirtschaftlicher Natur sind.

Zwischenergebnis: Der Schutzbereich des Art. 5 I S. 2 GG ist nicht eröffnet.

2. Berufsfreiheit

Eventuell könnte sich K aber auf die Möglichkeit der Verletzung der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG stützen. Der Schutzbereich ist eröffnet. Bei der Produktion und Vermarktung einer Kampfsportveranstaltung handelt es sich um einen Beruf, also um eine Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient. Soweit das Negativmerkmal der fehlenden Sittenwidrigkeit für erforderlich gehalten wird, ist festzustellen, dass die Produktion und Vermarktung des „UFC" -- zumal es bereits mehrfach im Fernsehen gezeigt wurde -- nicht evident sittenwidrig ist. Auch in personeller Hinsicht ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit als Deutschengrundrecht eröffnet. Die Voraussetzungen des Art. 19 III GG liegen bei der K als juristische Person mit Sitz in Großbritannien vor. Die Berufsfreiheit findet aufgrund der regelmäßig mit natürlichen Personen äquivalenten grundrechtstypischen Gefährdungslagelage bzw. des personalen Substrats auf juristische Personen Anwendung. Dass K ihren Sitz nicht in Deutschland hat, ist hierfür unschädlich. Im Wege einer durch das europäische Primärrecht bedingten Anwendungserweiterung der Grundrechte gelten juristische Personen mit Sitz in der EU als inländisch i.S.d. Art. 19 III GG.

Art. 12 GG wird vorliegend auch nicht durch die Rundfunkfreiheit der D verdrängt und auch die Gefahr der Umgehung des Art. 5 I S. 2 GG besteht nicht. K geht es um die wirtschaftliche Verwertung der Produktion als beruflich erbrachte Leistung. Dadurch maßt sie sich keine nur einem Rundfunkveranstalter zustehenden Rechte an, vielmehr ist K auf die Abnahme ihrer Produktion durch einen zugelassenen Rundfunkveranstalter, hier D, angewiesen. Nur diesem steht die Rundfunkfreiheit zu. Die grundrechtliche Position des Art. 12 GG eines Produzenten wird hierdurch nicht berührt. Durch die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 12 GG zugunsten des Produzenten wird auch die Aufsicht durch B nicht unzumutbar erschwert. Die Zulassungspflicht für Rundfunkveranstalter -- mit der folgenden laufenden Aufsicht über das Programm -- gewährleistet eine ausreichende Aufsichtsintensität.

Es müsste ein Eingriff vorliegen. In Betracht kommt von vornherein wegen der fehlenden Adressatenstellung der K nur eine faktisch mittelbare Beeinträchtigung des Art. 12 GG durch den Bescheid der B. Eine solche ist nur dann als Eingriff relevant, wenn sie in Zielsetzung und Wirkungen einem klassischen Eingriff gleichkommt. Nur reflexhafte Fernwirkungen reichen dafür nicht aus. Eine mittelbare Beeinträchtigung könnte hier mit dem Argument abgelehnt werden, dass K weder Rundfunkveranstalterin ist (s.o.), noch über eine rundfunkrechtliche Zulassung verfügt, sodass sie von der Anordnung nicht berührt wird. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass B ihren Bescheid gegenüber D explizit auf den Inhalt der Sendung stützt. Die Beurteilung des „UFC" als gewaltverherrlichend wirkt sich faktisch auch auf die Position der K -- auch ohne Rundfunkveranstalterin zu sein -- aus, da die anderweitige Verbreitung und Vermarktung des Fernsehprogramms in Deutschland erheblich erschwert sein kann. Art. 19 IV GG gebietet es daher, dass auch K die Maßnahme der B als mittelbare Beeinträchtigung einer gerichtlichen Überprüfung zuführen kann. Zudem müsste der Eingriff gem. der anerkannten Sonderdoktrin zu Art. 12 GG eine berufsregelnde Tendenz aufweisen. Diese kann mit der gleichen Argumentation wegen der Schwere des nicht intendierten Eingriffs als objektiv berufsregelnde Tendenz begründet werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Rundfunk in Bayern gem. Art. 111a II S. 1 BV in öffentlicher Verantwortung und in öffentlicher Trägerschaft durch B betrieben wird. Ebenso wie B die Rundfunkfreiheit der Rundfunkveranstalter zu achten hat, ändert die öffentlich-rechtliche Trägerschaft nichts daran, dass sich Produzenten gegenüber Aufsichtsmaßnahmen der B auf Art. 12 GG berufen können.

Die Rechtfertigung dieses Eingriffs erscheint immerhin fraglich, sodass K daher jedenfalls die Möglichkeit der Verletzung ihrer Berufsfreiheit aufgrund einer mittelbaren Beeinträchtigung substantiiert darlegen kann.

Zwischenergebnis: K ist im Sinne des § 42 II VwGO klagebefugt.

IV. Vorverfahren und Frist

Ein Vorverfahren ist gem. Art. 15 II, I BayAGVwGO entbehrlich. Die gem. § 74 I S. 2 VwGO grundsätzlich einmonatige Klagefrist ist gewahrt.

V. Allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen

K, gem. § 63 Nr. 1 VwGO als Klägerin Beteiligte, ist als juristische Person -- eine Beschränkung auf inländische juristische Personen besteht nicht, sofern wie hier eine Anerkennung nach nationalem Recht besteht (sog. Gründungstheorie) -- gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig. Sie wird durch ihr Leitungsorgan gem. § 62 III VwGO im Prozess vertreten. Die gem. § 63 Nr. 2 VwGO als Beklagte beteiligte B ist als Anstalt des Öffentlichen Rechts eine juristische Person des Öffentlichen Rechts und damit gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO klagebefugt. Sie wird gem. § 62 III VwGO i.V.m. Art. 15 I S. 1 BayMedienG durch ihren Präsidenten vertreten.

Die Klage wurde gem. § 81 f. VwGO formgerecht eingereicht. Das Verwaltungsgericht ist laut Sachverhalt örtlich und sachlich zuständig. K ist überdies rechtsschutzbedürftig.

VI. Ergebnis

Alle Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Die Klage ist zulässig.

hemmer-Methode: In seinem Urteil hat der BayVGH tatsächlich noch nicht über die Begründetheit der Klage entschieden. Bei der vorliegenden Entscheidung handelt es sich um ein Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Anfechtungsklage der Produzentin der Inhalte. Dieses war gem. § 109 VwGO aus Gründen der Prozessökonomie auch möglich.