Verkehrssicherungspflichten im Straßenverkehr

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Zivilrecht

von Life and Law am 01.06.2014

+++ Deliktische Haftung +++ Staatshaftung +++ § 839 BGB; Art. 34 GG +++

Sachverhalt (vgl. Life & Law 1999, 680 ff.; NVwZ-RR 1999, 361 f.): Der nicht ortskundige Pkw-Fahrer P fährt auf einer Gemeindestraße in der bayerischen Gemeinde X. In einer schwer einsehbaren Kurve fährt er mit einer (zulässigen) Geschwindigkeit von ca. 40 km/h über einen Kanaldeckel, der 10 cm aus dem Boden ragt. Bei einem schweren Unwetter zwei Monate zuvor war der ohnehin schon rissige Straßenbelag um den Kanaldeckel teilweise abgetragen und so der Kanaldeckel „freigelegt" worden. Dieser Missstand war seitens der Gemeinde bekannt; die Gemeinde hat jedoch mangels finanzieller Mittel bislang nichts unternommen.

Das Überfahren des Kanaldeckels führt zu einem Schaden am Pkw des P, die Reparaturkosten betragen 1.500,- €, die Wertminderung des Pkw beträgt 1.000,- €. P möchte von der Gemeinde X die 1.500,- € ersetzt haben.

Frage: Besteht ein entsprechender Anspruch des P?

A) Sound

Ein eigenständiges Gesetz über die Staatshaftung existiert nicht. Zwar wurde vom Bund um 1980 ein solches erlassen; dieses war jedoch mangels Gesetzgebungskompetenz verfassungswidrig und wurde 1981 vom BVerfG für nichtig erklärt. Die darauf folgende Einfügung des Art. 74 I Nr. 25 GG würde heute zwar die Einführung eines Bundesstaats-haftungsgesetzes zulassen; hiervon hat der Gesetzgeber aber bislang keinen Gebrauch gemacht.

§ 839 BGB gibt zunächst bei einer Amtspflichtverletzung eines Beamten gegen diesen einen Schadensersatzanspruch. Art. 34 GG leitet diese Haftung jedoch vom Beamten auf den Staat über, aus der Amtshaftung wird eine Staatshaftung.

Nach h.M. hat die Haftung bei Amtspflichtverletzungen des Beamten in § 839 BGB eine erschöpfende Regelung gefunden, sodass daneben auf die §§ 823, 826 BGB nicht zurückgegriffen werden darf.

Nach Art. 34 S. 3 GG gehören Streitigkeiten über den Staatshaftungsanspruch vor die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sachlich zuständig ist gem. § 1 ZPO i.V.m. § 71 II Nr. 2 GVG das Landgericht.

Damit kann Ihnen der Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Zivilrechtsklausuren begegnen; häufig ist er aber auch in öffentlich-rechtlichen Klausuren (v.a. Polizeirecht) als Zusatzfrage zu erörtern.

B) Problemaufriss

1. Anspruch aus § 823 I BGB

§ 839 BGB vorrangig, wenn an hoheitliche Tätigkeit angeknüpft wird; Straßenverkehrssicherungspflicht ist hoheitlich,
Art. 72 BayStrWG

2. Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

a) Handeln eines AmtswaltersBeamtenbegriff im haftungsrechtlichen Sinne (+); in Ausübung eines öfftl. Amtes (+)

b) AmtspflichtverletzungVerkehrssicherungspflicht verletzt

c) Drittbezogenheit der Amtspflicht (+)

d) Rechtswidrigkeit, Verschulden (+)

e) ersatzfähiger Schadenzwar grds. keine Naturalrestitution; diese vorliegend aber auf Geldzahlung gem. § 249 II S. 1 BGB gerichtet; aber Kürzung wg. Betriebsgefahr um 20 %, daher 1.200,- € ersatzfähig.

f) kein Haftungsausschluss§ 839 I S. 2 BGB bei Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht anwendbar; für § 839 III BGB fehlt zumindest Fahrlässigkeit

g) AnspruchsgegnerAnstellungskörperschaft = Gemeinde

C) Lösung

Fraglich ist, ob P von der Gemeinde X Schadensersatz in Höhe von 1.500,- € verlangen kann.

1. Anspruch aus § 823 I BGB

Da mit dem Pkw das Eigentum des P beschädigt wurde, kommt zunächst ein Anspruch des P aus § 823 I BGB in Betracht.

Allerdings ist zu beachten, dass im Anwendungsbereich des § 839 BGB daneben ein Anspruch aus den §§ 823 ff. BGB ausscheidet. Für die Anwendbarkeit des § 823 I BGB bedeutet das: Knüpft die Haftung an ein Verhalten eines Beamten i.S.d. § 839 BGB in Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit an, ist § 823 I BGB diesbezüglich unanwendbar.

Der Schaden des P resultiert vorliegend daraus, dass die Gemeinde die Straße nicht in verkehrssicherem Zustand gehalten hat. Fraglich ist, ob es sich hierbei um eine hoheitliche Tätigkeit handelt, da nur bei einer solchen § 839 BGB anwendbar ist. Im Zusammenhang mit der Benutzung öffentlicher Straßen gibt es für den Staat verschiedene Pflichten: Die Verkehrsregelungspflicht trifft die zuständige Straßenverkehrsbehörde und umfasst insbesondere das Aufstellen von Verkehrszeichen; diese Pflicht ist stets öffentlich-rechtlich. Hierum geht es im vorliegenden Fall aber nicht.

Des Weiteren existiert die sog. Straßenbaulast, welche alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Straße zusammenhängenden Aufgaben umfasst.

Auch hierbei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche, also hoheitliche Pflicht.

Anmerkung: Vgl. hierzu in Bayern etwa Art. 9 I S. 1 BayStrWG. Pflichten bzgl. der Straßenbaulast sind zwar immer hoheitlich; ein Anspruch aus § 839 BGB scheitert allerdings daran, dass diese Pflichten stets nur im Allgemeininteresse, niemals auch im Individualinteresse wahrgenommen werden.

§ 839 BGB setzt aber eine „einem Dritten gegenüber" obliegende Amtspflicht voraus, dazu noch im Folgenden.

Vorliegend betroffen ist allerdings die Straßenverkehrssicherungspflicht. Diese ergibt sich aus dem allgemeinen Gedanken, dass derjenige, der an einer Sache einen öffentlichen Verkehr eröffnet, die aus der Nutzung der Sache resultierenden Gefahren zu vermeiden hat. Diese Pflicht trifft auch den Staat bei öffentlichen Verkehrswegen, vorliegend die Gemeinde X.

Anmerkung: Diese Verkehrssicherungspflicht könnte man auch als Unterfall der Straßenbaulast ansehen; Art. 9 I S. 2 BayStrWG stellt etwa die Pflicht zum Erhalten der Straßen im verkehrssicheren Zustand auf. Allerdings wird die Verkehrssicherungspflicht klassischerweise als eigenständige Pflicht „ausgelagert".

Ob die Wahrnehmung von Verkehrssicherungs­pflichten durch den Staat öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist, ist umstritten. Der BGH tendiert zu einer Einordnung ins Privatrecht und begründet dies mit einer haftungsrechtlichen Gleichbehandlung von öffentlicher Hand und Privaten.

Allerdings hat der bayerische Gesetzgeber in Art. 72 BayStrWG angeordnet, dass die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht bzgl. öffentlicher Straßen als hoheitliche Amtsausübung anzusehen ist.

Daher geht es vorliegend um eine hoheitliche Tätigkeit, sodass allein § 839 BGB zur Anwendung kommt und § 823 I BGB unanwendbar ist.

Anmerkung: Vergleichbare Regelungen: § 9a I StrWG NW (Nordrhein-Westfalen), § 10 II NStrG (Niedersachsen), § 48 II LStrG RPf (Rheinland-Pfalz), § 59 StrG BW (Baden-Württemberg), § 10 I ThürStrG (Thüringen), § 5 HambWG (Hamburg), § 9 BremStrG (Bremen), § 9 IIIa SaarlStrG (Saarland), § 10 IW StrWG SH (Schleswig-Holstein), § 10 I BbgStrG (Brandenburg), § 10 II StrWG MV (Mecklenburg-Vorpommern), § 10 I StrG LSA (Sachsen-Anhalt) und § 10 I SächsStrG (Sachsen).

2. Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

In Betracht kommt ein Anspruch des P nach den Grundsätzen der Staatshaftung, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

Aufbauschema zu
§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG

1. Handeln eines Amtswalters

  • Amtsträger
  • öffentliches Amt
  • in Ausübung

2. Verletzung einer Amtspflicht

3. Drittbezogenheit der Amtspflicht

4. Rechtswidrigkeit und Verschulden

5. Ersatzfähiger Schaden

6. Kein Haftungsausschluss

  • § 839 I S. 2 BGB
  • § 839 II S. 1 BGB
  • § 839 III BGB

a) Handeln eines Amtswalters

Erforderlich ist zunächst das Handeln eines Amtswalters.

aa) Amtsträgereigenschaft

§ 839 I BGB setzt das Handeln eines „Beamten" voraus. Bei hoheitlichen Tätigkeiten ist allerdings Art. 34 GG zu beachten, der die Person des Haftenden („jemand") nicht weiter einschränkt.

Daher ist von einem erweiterten haftungs­rechtlichen Beamtenbegriff auszugehen, der mit dem engeren Begriff des Beamtenrechts nicht deckungsgleich ist.

Entscheidend ist nur, dass die Person mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut ist. Die vom BGH früher vertretene Werk­zeugtheorie, wonach außerhalb der Staatsverwaltung stehende Personen nur dann „Beamte" i.S.v. § 839 BGB sind, wenn sie als „verlängerter Arm" ohne eigenständige Entscheidungsmöglichkeit auftreten, wird heute als zu eng befunden. Maßgeblich ist das Betrauen mit öffentlichen Aufgaben.

Hierzu zählt die Wahrnehmung der hoheitlichen (s.o.) Verkehrssicherungspflicht durch Angestellte der Stadtverwaltung oder durch die Gemeinderatsmitglieder. Diese sind unproblematisch als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen.

Anmerkung: Auch Private, die kraft Gesetzes eigenständig Aufgaben der Staatsverwaltung wahrnehmen (sog. beliehene Unternehmer), sind nach h.M. Beamte im haftungsrechtlichen Sinne. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG findet hingegen auf Notare keine Anwendung, da für diese Spezialregelungen existieren.

bb) Öffentliches Amt

Die Wahrnehmung der Straßenverkehrssicherungspflicht ist die Ausübung eines öffentlichen Amtes, s.o.

Anmerkung: Nicht als Ausübung eines öffentlichen Amtes wird der gesamte Bereich des Verwaltungsprivatrechts angesehen, z.B. der Kauf von 200 Bleistiftspitzern durch die Stadtverwaltung bei einem privaten Verkäufer.

cc) In Ausübung

Eine etwaige Amtspflichtverletzung geschah in Ausübung dieser Tätigkeit und nicht nur bei Gelegenheit.

Anmerkung: Dies ist dasselbe Kriterium, das Sie schon von § 278 BGB und § 831 BGB kennen. Ausgeschieden werden soll eine Konstellation wie: Der Gerichtsvollzieher findet keine vollstreckungstauglichen Gegenstände und ärgert sich hierüber so sehr, dass er einen vorbeikommenden Passanten niederschlägt.

b) Verletzung einer Amtspflicht

Der Gemeinde oblag hinsichtlich der Gemeindestraße eine Verkehrssicherungspflicht. Hinsichtlich des gefährlichen Hervorstehens des fraglichen Gullydeckels ist sie dieser nicht nachgekommen. Innerhalb von zwei Monaten hätte dieser Mangel aufgrund seiner besonderen Gefährlichkeit für den Straßenverkehr behoben werden müssen.

Welcher Beamte nun im einzelnen zuständig war und ob eventuell der Gemeinderat anstelle der Gemeindeverwaltung eine Entscheidung hätte treffen müssen, muss i.R.d. § 839 BGB nicht entschieden werden. Es genügt der Nachweis, dass die jeweils zuständige Stelle die ihr obliegende Pflicht verletzt hat.

c) Drittbezogenheit der Amtspflicht

Voraussetzung eines Anspruchs nach § 839 BGB ist, dass die verletzte Amtspflicht „einem Dritten gegenüber" besteht.

Dazu muss die fragliche Amtspflicht abstrakt zumindest auch dem Individualschutz zu dienen bestimmt sein; aber es muss auch der konkrete Anspruchsteller im konkreten Fall in den Schutzbereich der Amtspflicht fallen.

Anmerkung: Dies kennen Sie bereits von der Qualifikation eines Gesetzes als „Schutzgesetz" i.S.v. § 823 II BGB. Das Gesetz muss nicht nur abstrakt dem Individualschutz dienen, sondern auch konkret dem Schutz des Anspruchstellers im konkreten Fall.

Die Verkehrssicherungspflicht dient dem Schutz der Verkehrsteilnehmer.

Da P im konkreten Fall Verkehrsteilnehmer war, war er in den Schutzbereich der Amtspflicht auch konkret einbezogen.

d) Rechtswidrigkeit, Verschulden

Das Verhalten des bzw. der zuständigen Beamten war rechtswidrig.

Da der Gemeinde der Straßenmangel bekannt war und sie dennoch zwei Monate nicht tätig wurde, ist zumindest der Verschuldensgrad der Fahrlässigkeit anzunehmen. Die von der Gemeinde vorgetragene Geldknappheit kann diesen Vorwurf nicht beseitigen. Üblicherweise haben Gemeinden die Möglichkeit, an anderer Stelle einzusparen, Kredite aufzunehmen oder durch staatliche Finanzzuweisungen Mittel zu erhalten. Die Gemeinde X hätte näher substantiieren müssen, dass sie derartige Möglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hat. Der bloße Hinweis „wir haben kein Geld" kann dazu niemals ausreichen.

e) Ersatzfähiger Schaden

Die Beschädigung des Pkw des P beruht kausal und zurechenbar auf der verletzten Amtspflicht. Die Reparaturkosten sind nach § 249 II S. 1 BGB grundsätzlich ersatzfähig.

Allerdings ist zu beachten: § 839 BGB war zunächst vor Schaffung des Art. 34 GG eine eigene Haftung des Beamten. Eine Naturalrestitution i.S.v. § 249 I BGB war dem Beamten aber oftmals nicht möglich, da ihm hierfür die rechtlichen Voraussetzungen fehlten. Anderenfalls hätte von einem Beamten z.B. auch die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts verlangt werden können ohne Rücksicht auf die öffentlich-rechtliche Rechtslage.

Dies führte dazu, dass nach h.M. der Anspruch aus § 839 BGB niemals auf Naturalrestitution gerichtet sein konnte. Mit der Schaffung des Art. 34 GG änderte sich hieran nichts, da diese Norm nur eine Haftungsüberleitung vom Beamten auf den Staat darstellt, ohne den Anspruch dem Grunde nach anzutasten, sozusagen ein Fall einer gesetzlichen befreienden („privativen") Schuldübernahme.

Naturalrestitution ist also beim Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG nicht möglich.

Zwar ist der Geldersatz nach § 249 II S. 1 BGB auch ein Fall der Naturalrestitution. Dieser kann jedoch nicht ausgeschlossen sein. Die Einschränkung betrifft nur die „echte" Naturalrestitution nach § 249 I BGB, die aus der fehlenden Möglichkeit des Beamten zur Rücknahme seines Verhaltens herrührt. Geld kann aber auch ein Beamter immer zahlen und § 249 II S. 1 BGB ist auf reinen Geldersatz gerichtet.

Daher ist der Betrag von 1.500,- € grundsätzlich ersatzfähig. Für ein anspruchskürzendes Mitverschulden nach § 254 BGB fehlen jegliche Anhaltspunkte.

Allerdings muss sich P als Halter und Führer eines Kraftfahrzeugs die eigene Betriebsgefahr seines Pkw über § 254 BGB anrechnen lassen, da auch keine Anhaltspunkte für eine höhere Gewalt i.S.v. § 7 II StVG bestehen. Dies führt zu einem Abzug von 20 %, so dass ein Betrag von 1.200,- € verbleibt.

Anmerkung: Bei genereller Ablehnung der Naturalrestitution wäre über § 251 I BGB nur die Wertminderung des Wagens im Wege der Schadenskompensation zu ersetzen, also nur 1.000,- €.

f) Kein Haftungsausschluss

aa) Die Haftung nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist nach § 839 I S. 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Verletzte in anderer Weise Ersatz erlangen kann. Damit wird die Staatshaftung insbesondere subsidiär zu Schadensersatzansprüchen gegenüber Dritten.

Solche Ansprüche gegen Dritte sind aber nicht ersichtlich.

Zudem vertritt die h.M., dass § 839 I S. 2 BGB bei Verkehrssicherungspflichten wegen des Gebots haftungsrechtlicher Gleichbehandlung überhaupt nicht anwendbar ist.

Anmerkung: § 839 I S. 2 BGB ist nicht anwendbar:

Bei Schädigungen durch einen Beamten als Verkehrsteilnehmer. Argument: Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer.

Bei anderen Ansprüchen gegen den Staat. Argument: Einheit der öffentlichen Hand.

  • Bei Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Wieder das Argument: Haftungsrechtliche Gleichbehandlung von Staat/privat.

bb) Auch ein Haftungsausschluss nach § 839 III BGB kommt nicht in Betracht.

Zwar hätte P möglicherweise durch eine allgemeine verwaltungsgerichtliche Leistungsklage die Reparatur der Straße erstreiten können. Da er von dem Mangel jedoch nichts wusste und auch nichts wissen konnte, kann ihm diesbezüglich jedenfalls aber kein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden.

Anmerkung: Im Staatshaftungsrecht gilt allgemein: Kein „Dulden und Liquidieren"! Wer einen Schaden hinnimmt, den er durch Einlegung von Rechtsbehelfen abwenden könnte, kann nicht Ersatz dieses Schadens verlangen. Dies rührt aus dem zivilrechtlichen Verbot des widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium") her und hat in § 839 III BGB eine spezialgesetzliche Ausgestaltung gefunden.

g) Anspruchsgegner

Gegner des Anspruchs aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist die Körperschaft, bei der der pflichtwidrig handelnde Beamte angestellt ist, sog. Anstellungstheorie. Damit haftet vorliegend die Gemeinde X.

Anmerkung: Besteht ein solches Anstellungsverhältnis nicht, greift die Anvertrauenstheorie: Diejenige Körperschaft haftet, die dem Beamten die konkrete Amtsausübung anvertraut hat.

Hat eine Behörde eine Doppelstellung wie z.B. das Landratsamt in Bayern, so kommt es darauf an, für welche Körperschaft die Behörde im konkreten Fall tätig geworden ist (beim Landratsamt: für den Landkreis oder für den Freistaat Bayern). Danach richtet sich dann auch die Haftung bei Amtspflichtverletzungen.

Ergebnis: P kann von der Gemeinde X Schadensersatz in Höhe von 1.200,- € verlangen. Bei Nichtzahlung müsste er diesen Anspruch auf dem ordentlichen Rechtsweg vor dem örtlich zuständigen Landgericht geltend machen.

D) Zusammenfassung

Sound: Verkehrssicherungspflichten des Staates bzgl. öffentlicher Straßen sind nur bei gesetzlicher Anordnung öffentlich-rechtlich, sodass Pflichtverletzungen in den Anwendungsbereich des § 839 BGB fallen. § 839 I S. 2 BGB ist bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht anwendbar.

E) Zur Vertiefung

Hemmer/Wüst, Deliktsrecht II, Rn. 261 ff.

Hemmer/Wüst, Deliktsrecht Karteikarte Nr. 83 ff.