Das Abschleppen von Falschparkern im Auftrag der Stadt und dessen Auswirkung auf das Zivilrecht

BGH, Urteil vom 18.02.2014, VI ZR 383/12, VersR 2014, 502 f.

von Life and Law am 01.06.2014

+++ Haftung für Abschleppschäden +++ Abschleppen eines Falschparkers durch privaten Unternehmer im Auftrag der Stadt +++ Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte +++ Öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis +++ Amtshaftung bei Einschaltung von Verwaltungshelfern +++ §§ 280, 241 II, 328 BGB +++

Sachverhalt: Abschleppunternehmer U betreibt in der Stadt Mannheim ein Abschleppunternehmen.

Am 12.02.2011 schleppte er im Auftrag der Stadt Mannheim das vom Kläger verbotswidrig geparkte Fahrzeug des E ab und stellte es auf dem Parkplatz des Ordnungsamtes ab.

Infolge leichter Fahrlässigkeit des U wurde das Fahrzeug des E beim Abschleppvorgang durch U beschädigt, wodurch dem E ein Schaden in Höhe von 3.400,- € entstand.

Kann E von U Schadensersatz verlangen?

A) Sounds

1. Beauftragt die Straßenverkehrsbehörde zur Vollstreckung des in einem Verkehrszeichen enthaltenen Wegfahrgebots im Wege der Ersatzvornahme einen privaten Unternehmer mit dem Abschleppen eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs, so wird der Unternehmer bei der Durchführung des Abschleppauftrages hoheitlich tätig.

2. Durch das Abschleppen eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme wird ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis begründet, auf das die §§ 276, 278, 280 ff. BGB entsprechend anzuwenden sind.

3. Der Eigentümer des verbotswidrig geparkten Fahrzeugs ist in einer solchen Fallkonstellation nicht in den Schutzbereich des zwischen dem Verwaltungsträger und dem privaten Unternehmer geschlossenen Vertrags über das Abschleppen seines Fahrzeugs einbezogen.

B) Problemaufriss

Das „Falschparken" in der Innenstadt ist aufgrund begrenzter Parkmöglichkeiten ein Dauerbrenner, der seit mehr als zwei Jahrzehnten sowohl die ordentlichen Gerichte als auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Atem hält.

Stellt der Falschparker seinen Pkw auf einem fremden Privatgrundstück ab, so stellt sich die Frage, wie sich der Grundstückseigentümer dagegen wehren kann. Diese Problematik wird im hemmer-background zu dieser Entscheidung erläutert.

Ausgangspunkt des vorliegenden Falles ist das Abschleppen im Öffentlichen Recht. Die zuständige Sicherheitsbehörde beauftragt zur Vollstreckung des in einem Verkehrszeichen enthaltenen Wegfahrgebots im Wege der Ersatzvornahme einen privaten Unternehmer mit dem Abschleppen.

Die zivilrechtliche Seite des Falles betrifft die Frage, ob auch das Abschleppunternehmen für Beschädigungen des abgeschleppten Pkw dem Eigentümer gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet ist -- oder ob nur staatshaftungsrechtliche Ansprüche gegen die öffentliche Hand bestehen.

Ein Anspruch kommt dabei sowohl unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als auch des Deliktsrechts in Betracht.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob E vom Abschleppunternehmer U Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Pkw verlangen kann.

I. Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, 631 BGB i.V.m. Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung

Da zwischen E und U kein Vertragsverhältnis zustande gekommen ist, könnten E allenfalls dann Ansprüche auf Schadensersatz gem. §§ 631, 280 I, 241 II BGB zustehen, wenn U seine Pflichten aus dem Abschleppvertrag in zu vertretender Weise verletzt hätte und der Vertrag zwischen E und der Stadt M Schutzwirkung für E entfalten würde.

1. Voraussetzungen der §§ 631, 280 I, 241 II BGB

a) Fraglich ist, welcher Vertrag durch den „Abschleppauftrag" der Stadt M mit dem Abschleppunternehmer U zustande kam.

Es ist offensichtlich, dass U den „Abschleppauftrag" nur gegen ein Entgelt angenommen hat, sodass kein Auftrag im Rechtssinne (§ 662 BGB) zustande gekommen ist. Nach der allgemeinen Auslegungsregel „falsa demonstratio non nocet" ist daher der übereinstimmende Parteiwille zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB.

Vertragszweck war der Erfolg des Abschleppens des Pkw des Falschparkers E. Daher lag kein Dienst-, sondern ein Werkvertrag vor. Da die Störungsbeseitigung eine Aufgabe der jeweiligen Sicherheitsbehörde ist, kam zwischen der Stadt M und U ein Werkvertrag in Form der Geschäftsbesorgung zustande, §§ 631, 675 I BGB.

b) U hat seine Schutzpflichten aus § 241 II BGB in fahrlässiger Weise verletzt und dadurch einen Schaden in Höhe von 3.400,- € verursacht.

Die Haftungsvoraussetzungen liegen grds. vor.

2. Einbeziehung des E in den Schutzbereich des Abschleppvertrags

Fraglich ist, ob auch E in den „Abschleppvertrag" zwischen der Stadt M und U nach den Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung (im Folgenden: VSD) einbezogen wurde.

hemmer-Methode: Grundsätzlich besteht ein Vertrag nur zwischen Schuldner und Gläubiger („Relativität der Schuldverhältnisse"). Ausnahmsweise hat ein Vertrag „Drittwirkung":

1. Beim „Vertrag zugunsten Dritter" erhält der Dritte einen Primäranspruch auf Erfüllung, § 328 I BGB.

2. Der „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte" begründet für den Dritten bei einer Pflichtverletzung aus dem Vertragsverhältnis lediglich einen Sekundäranspruch auf Schadensersatz.

3. Beim „unechten Vertrag zugunsten Dritter" steht dem Dritten kein Anspruch auf Erfüllung zu. Der Schuldner kann aber seine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger (nur) dadurch erfüllen, dass er an den Dritten leistet.

a) Rechtsgrundlage des VSD

Strittig ist, ob als Rechtsgrundlage für den VSD § 311 III BGB heranzuziehen ist. Dies wird von einigen Stimmen in der Lehre wegen des Wörtchens „zu" in § 311 III S. 1 BGB vertreten, weil sich daraus ergebe, dass Dritten Ansprüche zustehen können.1

Diese Norm spricht aber lediglich eine Rechtsfolge aus, namentlich dass ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB auch zu Personen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen, entstehen kann, lässt den Rechtsanwender hinsichtlich der Voraussetzungen aber im Unklaren. Nach vorzugswürdiger Ansicht regelt diese Norm wegen § 311 III S. 2 BGB und der Sachnähe zur c.i.c. nur die Eigenhaftung des Vertreters aus c.i.c.2

Nach wie vor besteht daher Streit, ob es sich beim Vertrag mit Schutzwirkung um eine ergänzende Vertragsauslegung (so BGH3) oder um eine an § 242 BGB i.V.m. § 328 I BGB orientierte richterliche Rechtsfortbildung handelt.4

Da es sich um einen rein dogmatischen Streit ohne Auswirkung auf das Ergebnis handelt, kann die Rechtsgrundlage des VSD letztlich im Ergebnis dahinstehen.

Anmerkung: Im Examen sollten Sie die Frage der dogmatischen Herleitung des VSD dennoch kurz ansprechen.

b) Voraussetzungen des VSD

Damit die Haftung des Schuldners nicht unkalkulierbar ausgedehnt wird, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen.

Die Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkungen eines Vertrags setzt voraus, dass Sinn und Zweck des Vertrags und die erkennbaren Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung auf den Dritten seine Einbeziehung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erfordern und eine Vertragspartei, für den Vertragsgegner erkennbar, redlicherweise damit rechnen kann, dass die ihr geschuldete Obhut und Fürsorge in gleichem Maß auch dem Dritten entgegengebracht wird.

Danach wird ein Dritter nur dann in die aus einem Vertrag folgenden Sorgfalts- und Schutzpflichten einbezogen, wenn er mit der Hauptleistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen soll (Leistungsnähe), ein besonderes Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten besteht (Gläubigernähe), den Interessen des Schuldners durch Erkennbarkeit und Zumutbarkeit der Haftungserweiterung Rechnung getragen wird (Erkennbarkeit) und der Dritte schutzbedürftig ist (Schutzbedürftigkeit).5

aa) Leistungsnähe des Dritten (hier U)

Damit die vertragliche Beziehung zwischen der Stadt M und U Schutzwirkung zugunsten des E entfaltet, ist zunächst Leistungsnähe des Dritten (hier U) erforderlich. Voraussetzung hierfür ist, dass der Dritte mit der aus dem betreffenden Rechtsverhältnis geschuldeten Leistung bestimmungsgemäß in Berührung kommt und folglich den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst.

Bei gegenseitigen Verträgen muss der Dritte nach Ansicht des BGH - zumindest auch - mit der synallagmatischen Hauptpflicht in Berührung kommen.6

Gegen die Ansicht des BGH, der die Leistungsnähe zumindest auch zur Hauptpflicht des Schuldners verlangt, wird eingewendet, dass die der Schutzbereich einer Rücksichtspflicht aus § 241 II BGB nicht davon abhängig sei, in welcher Beziehung der Geschädigte zur Hauptleistungspflicht nach § 241 I BGB stehe.

Außerdem sei mit dieser Rechtsprechung die Figur des vorvertraglichen Schuldverhältnisses mit Schutzwirkung kaum erklärbar, da im vorvertraglichen Bereich noch keine Hauptleistungspflicht besteht, zu der ein Näheverhältnis bestehen könnte.7

Auch diese Streitfrage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da auch nach der strengeren Ansicht des BGH die Leistungsnähe zu bejahen ist. Die Hauptleistungspflicht des U war das ordnungsgemäße Abschleppen des Pkw des Falschparkers E. Mit dieser Pflicht kommt E bestimmungsgemäß in Berührung, da es sich um seinen Pkw handelt.

Die Leistungsnähe des E zum Pflichtenprogramm des U ist daher zu bejahen.

bb) Gläubigernähe

Weiterhin müsste die sog. „Gläubigernähe" gegeben sein. Fraglich ist aber, wie diese Gläubigernähe zu definieren ist.

(1) Zunächst hatte der BGH ein berechtigtes Interesse des Gläubigers am Schutz des Dritten nur dann angenommen, wenn der Gläubiger auf Grund eines Rechtsverhältnisses mit personenrechtlichem Einschlag für das „Wohl und Wehe" des Dritten mitverantwortlich war.8

(2) Davon ist die Rechtsprechung aber abgewichen. Unter Berücksichtigung der Herleitung der Schutzwirkung aus einer ergänzenden Vertragsauslegung stellt der BGH heute nicht nur auf das formale Kriterium der „Wohl und Wehe-Verantwortlichkeit" ab, sondern auch auf den Parteiwillen.

Daraus folgt, dass bereits unter den Schutzbereich eines Vertrags fällt, wem die Leistung aus diesem Vertrag zumindest nach dem hypothetischen Parteiwillen bestimmungsgemäß zugute kommen soll.9

Im vorliegenden Fall wurde der Falschparker von der Verpflichtung, seinen Pkw zu entfernen, befreit. Diese Verpflichtung folgt aus §§ 1004, 862 BGB, wenn es sich beim Falschparken um eine zivilrechtliche Störung gehandelt hat. Sind durch den Parkverstoß nur öffentlich-rechtliche Interessen tangiert, so folgt die Wegfahrpflicht aus dem Parkverbot selbst, da jedes Parkverbotszeichen gleichzeitig ein Wegfahrgebot enthält.10

Auch die Gläubigernähe lässt sich daher im vorliegenden Fall bejahen.

Anmerkung: In der Originalentscheidung finden sich zur Leistungsnähe überhaupt keine Ausführungen. Die Frage der Gläubigernähe hat der BGH offengelassen, da die Einbeziehung des E mangels Schutzbedürftigkeit des E abgelehnt hat.

Im Ersten Examen müssen Sie aber ein Gutachten schreiben und dabei auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingehen.

cc) Erkennbarkeit

Werden neben dem Gläubiger noch weitere Personen in die vertragliche Haftung einbezogen, so bedeutet das für den Schuldner eine nicht unwesentliche Haftungserweiterung. Eine solche Risikosteigerung ist nur dann gerechtfertigt, wenn für ihn die Leistungsnähe des Dritten sowie die Gläubigernähe zumindest erkennbar waren.

Die Erkennbarkeit ist im vorliegenden Fall zu bejahen. Insbesondere war die Gefahr einer Schädigung des E für U erkennbar, da U bewusst war, ein (fremdes) Fahrzeug abzuschleppen, welches nicht seinem Vertragspartner gehörte.

dd) Schutzbedürftigkeit des E

An der Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen, weil der Dritte andernfalls nicht ausreichend geschützt wäre.

Eine Einbeziehung des Dritten ist deshalb regelmäßig zu verneinen, wenn dem Dritten eigene gleichwertige, sprich vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die er auf dem Weg über die Einbeziehung in den Schutzbereich eines zwischen anderen geschlossenen Vertrags durchsetzen will.11 In diesem Fall besteht das für die Rechtfertigung einer Haftungsausweitung des Schuldners maßgebliche Haftungsdefizit auf Seiten des Dritten nicht.

E wäre daher nicht schutzwürdig, wenn ihm wegen der Beschädigung seines Pkw ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz gegen die Stadt M zustehen würde.

Anmerkung: An dieser Stelle ist nun eine inzidente Prüfung vertraglicher Ansprüche des E gegen die Stadt M auf Schadensersatz durchzuführen.

Das Bestehen eines deliktischen Amtshaftungsanspruches aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ließe die Schutzbedürftigkeit des E nicht entfallen, da dieser Anspruch einem vertraglichen Anspruch aus VSD nicht gleichwertig ist. Die Schwäche des deliktischen Amtshaftungsanspruches gegenüber einem Anspruch aus § 280 I BGB besteht darin, dass für den deliktischen Anspruch das Verschulden vom Geschädigten zu beweisen ist, während bei § 280 I S. 2 BGB das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung vermutet wird.

(1) Schadensersatzanspruch des E gegen die Stadt M aus §§ 280 I, 241 II BGB i.V.m. öffentlich-rechtl. Verwahrungsverhältnis

E könnte gegen die Stadt M ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung aus einem durch den Abschleppvorgang begründeten öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis zustehen, §§ 280 I, 241 II BGB.

(a) Ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis entsteht u.a. dadurch, dass ein Verwaltungsträger bei Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe eine fremde bewegliche Sache in Besitz nimmt und den Berechtigten von Einwirkungen ausschließt, insbesondere an eigenen Sicherungs- und Obhutsmaßnahmen hindert.

Anders als im Vertragsrecht entsteht das Rechtsverhältnis bei Eintritt dieses Tatbestandes automatisch; einer vertraglichen Einigung bedarf es nicht.

An die Stelle der Willenseinigung Privater treten öffentlich-rechtliche Maßnahmen.12

Anmerkung: Allgemein lässt sich ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis umschreiben als eine besonders enge öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung zwischen einem Bürger und der Verwaltung bzw. zwischen zwei Verwaltungsträgern. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es die Beteiligten dazu berechtigt, bestimmte Leistungen voneinander zu fordern und dass es diverse Schutzpflichten beinhaltet (vgl. § 241 II BGB).

Ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis wird insbesondere durch das Abschleppen eines verbotswidrig geparkten oder verunfallten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme begründet.13

Dies gilt auch dann, wenn sich die Behörde zur Durchführung des Abschleppvorgangs der Hilfe eines Privaten bedient.14

hemmer-Methode: Das Institut der öffentlich-rechtlichen Verwahrung hat seinen inneren Grund in der in Folge der Inbesitznahme von Gütern begründeten besonders engen Beziehung der betreffenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu diesen Gütern im Sinne einer besonderen Fürsorge- und Obhutspflicht für die in Besitz genommenen Güter.

(b) Auf das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis sind die bürgerlich-rechtlichen Verwahrungsvorschriften der §§ 688 ff. BGB sowie die für Leistungsstörungen bestehenden Bestimmungen entsprechend anzuwenden.

Bei einer Beschädigung der Sache gelten insbesondere §§ 276, 278 BGB sowie §§ 280 ff. BGB analog.15

Der Verwaltungsträger hat daher für schuldhafte Pflichtverletzungen - auch seines Erfüllungsgehilfen - einzustehen und Schadensersatz zu leisten, wobei ihm im Gegensatz zur Amtshaftung die Beweislast für fehlendes Verschulden obliegt, § 280 I S. 2 BGB analog.

Da es bei der Sicherstellung des abgeschleppten Pkw gerade darauf ankommt, den Eigentümer vor Schäden zu bewahren und dies der einzige gesetzliche Sinn der Sicherstellung ist, kann eine solche Obhutspflicht bejaht werden.

Diese wurde von U leicht fahrlässig verletzt. Das Verschulden des U wird der Stadt M analog § 278 S. 1 Alt. 2 BGB zugerechnet, da U Erfüllungsgehilfe der Stadt M war.

Ergebnis: Damit besteht ein inhaltsgleicher Anspruch des E gegen die Stadt M aus §§ 280 I, 241 II BGB. Die Schutzbedürftigkeit des E und folglich auch eine Schutzwirkung des Abschleppvertrags zugunsten des E sind daher abzulehnen.

II. Anspruch gegen U auf Schadensersatz aus § 823 I BGB

In Betracht kommt allerdings ein deliktischer Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB.

1. Voraussetzungen des § 823 I BGB (+)

Die Voraussetzungen des Anspruchs aus § 823 I BGB wegen rechtswidriger und schuldhafter Eigentumsverletzung gem. § 823 I BGB liegen grds. vor.

2. Vorrang der Amtshaftung gem. § 839 I BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG

Eine deliktische Haftung des U würde aber ausscheiden, wenn U als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne nach § 839 BGB gehandelt hätte.

In diesem Fall würde die Haftung des Beamten gem. Art. 34 S. 1 GG auf den Hoheitsträger (hier die Stadt M) übergeleitet werden.

hemmer-Methode: Ein Beamter würde ohne die Regelung des § 839 BGB für jede fahrlässige Rechtsgutverletzung nach § 823 I BGB haften. Um dies zu verhindern, ist die Haftung des Beamten bei Amtspflichtverletzung für schuldhaftes Verhalten in § 839 BGB abschließend geregelt. § 839 BGB geht dabei einerseits weiter als § 823 I BGB, da er auf die Verletzung eines absoluten Rechtsguts verzichtet, ist andererseits aber deutlich enger, da er bspw. in § 839 I S. 2, II, III BGB Haftungsprivilegierungen enthält.

Die allgemeinen deliktischen Regelungen der §§ 823, 826, 831, 832 BGB finden neben § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG keine Anwendung.16

Anspruchsgrundlage für den gegen den Staat gerichteten Amtshaftungsanspruch sind § 839 BGB und Art. 34 GG, die zusammengelesen werden müssen: § 839 BGB statuiert danach als Ausgangspunkt eine Haftung des Beamten, die nach Art. 34 GG auf den Staat übergeht.

Art. 34 S. 1 GG stellt demnach eine befreiende Schuldübernahme und keine eigene Anspruchsgrundlage dar.

a) Erforderlich ist dafür zunächst ein Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes.

§ 839 BGB geht für die Eigenhaftung des Beamten zunächst vom statusrechtlichen Beamtenbegriff aus. Danach ist Beamter, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht, in das er unter Aushändigung der vorgeschriebenen Ernennungsurkunde berufen worden ist (vgl. Art. 33 IV GG, §§ 2 I, 6 II BBG).17

Dies ist hier nicht der Fall, da der Schaden durch U, einen privaten Abschleppunternehmer, verursacht wurde.

b) Bei der Amtshaftung findet aber eine Modifizierung hinsichtlich des „Beamtenbegriffes" statt.

Beamter im haftungsrechtlichen Sinn nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist demnach jeder, dem die zuständige Stelle die Ausübung eines öffentlichen Amtes anvertraut hat. Öffentliches Amt ist insoweit jede dienstliche Betätigung, die nicht rein fiskalischer Natur ist.

hemmer-Methode: Dabei kann es sich also auch um einen Angestellten, Arbeiter, Verwaltungshelfer oder einen Beliehenen18 handeln.19

Fraglich ist, ob U als privater Unternehmer als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne angesehen werden kann. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob U beim Abschleppen eine hoheitliche Handlung durchführte.

Da der Unternehmer selbst keine Hoheitsbefugnisse hat, seine Tätigkeit aufgrund einer Absprache mit der Stadt M erfolgt und er mangels entsprechender Übertragungs-Rechtsgrundlage auch nicht als beliehener Unternehmer angesehen werden kann, kommt es darauf an, ob der Unternehmer als „Werkzeug" der Polizei öffentliche Aufgaben wahrnimmt (sog. „Verwaltungshelfer"). Der Verwaltungshelfer erfüllt Hilfsfunktionen, nimmt aber keine Kompetenzen in eigenem Namen wahr, da ein förmlicher Beleihungsakt fehlt (z.B. privater Unternehmer, der städtische Müllabfuhr übernimmt).

Zieht der Staat private Unternehmer zur Erfüllung ihm obliegender Aufgaben auf privatrechtlicher Grundlage heran, so hängt die Qualifikation der Tätigkeit des Unternehmers als hoheitlich oder nicht hoheitlich von dem Charakter der wahrgenommenen Aufgabe, der Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zu dieser Aufgabe und dem Grad der Einbindung des Unternehmers in den behördlichen Pflichtenkreis ab.

Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen.

Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung kann sich der Staat der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten seiner Bediensteten nicht dadurch entziehen, dass er die Durchführung einer von ihm angeordneten Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt.20

Nach diesen Grundsätzen handelte der Beklagte bei der Durchführung des Abschleppauftrages hoheitlich. Er war für die Stadt M im Rahmen der Eingriffsverwaltung als deren „Erfüllungsgehilfe" tätig. Seine Beauftragung mit dem Abschleppen des unerlaubt geparkten Fahrzeugs des E diente der Vollstreckung des in dem - vom Kläger missachteten - Verkehrszeichen enthaltenen Wegfahrgebots im Wege der Ersatzvornahme.21

Hätte die Stadt M das Abschleppen mit eigenen Mitteln durchgeführt, stünde der hoheitliche Charakter der Maßnahme außer Zweifel. Deren rechtliche Beurteilung als Vollstreckungshandlung kann aber nicht davon abhängen, ob der Hoheitsträger selbst oder ein Dritter die Maßnahme durchführt. In solchen Fällen wird der Dritte gleichsam als „Erfüllungsgehilfe" des Hoheitsträgers tätig.22

Sound: „Keine Flucht ins Privatrecht!"

3. Ergebnis

Gemessen an diesen Grundsätzen wurde U im vorliegenden Fall als Verwaltungshelfer der Stadt M und damit als „Beamter" im haftungsrechtlichen Sinne tätig.

Eine eigene deliktische Haftung des U scheidet damit aus, da sich der deliktische Anspruch allein gegen die Stadt M richtet, § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 BGB.

III. Endergebnis

E steht daher gegen U unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Ersatz seines Schadens zu.

D) Kommentar

(mty). Die Entscheidung des BGH ist ganz offensichtlich richtig. Umso erstaunlicher ist es, dass der Rechtsbeistand des U dies im Laufe des Prozesses trotz der gem. § 139 ZPO seitens des Gerichts sicher erfolgten Hinweise nicht bemerkt hat.

U hat daher nicht nur falsch geparkt, sondern -- hier war U zumindest konsequent - auch falsch geklagt. Hätte U seinen Schadensersatzanspruch gegen die Stadt M geltend gemacht, hätte er den Prozess nämlich gewonnen.

Anmerkung: Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn der Abschleppunternehmer „im Auftrag" eines privaten Grundstückseigentümers den Pkw abgeschleppt und beschädigt hätte. In diesem Fall entsteht zwischen dem Grundstückseigentümer und dem Falschparker ein vertragliches Schuldverhältnis. Der Abschleppvertrag zwischen dem Abschleppunternehmer und dem Grundstückseigentümer entfaltet daher Schutzwirkung für den Falschparker, da diesem ansonsten weder gegen das Abschleppunternehmen noch gegen den Grundstückseigentümer vertragliche Ansprüche zustehen. Die Schutzbedürftigkeit ist in dieser Konstellation also zu bejahen.

Lernen Sie daher nicht einfach Fälle auswendig, sondern versuchen Sie je nach Konstellation die feinen, aber oftmals fallentscheidenden Unterschiede zu erkennen.

E) hemmer-background

Passend zu dieser Entscheidung sollen im hemmer-background die zivilrechtlichen Folgen des Falschparkens kurz zusammengefasst werden.

Falschparken als Besitzstörung
und Eigentumsverletzung

Zivilrechtlich handelt es sich beim Zuparken von privaten Grundstücksflächen um eine gesetzlich nicht gestattete Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht, § 858 I BGB.

Ferner liegt eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I BGB vor. Eine Eigentumsverletzung kann nämlich nicht nur durch eine Verletzung der Sachsubstanz, sondern auch dadurch erfolgen, dass der Eigentümer in der Ausübung des ihm nach § 903 BGB zustehenden Rechts, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, gestört wird (Entzug oder Störung der Gebrauchsmöglichkeit).

Da der Falschparker dem Grundstückseigentümer das Recht nimmt, darüber zu entscheiden, ob sich auf seinem Grund und Boden ein Pkw befinden soll oder nicht, liegt eine Eigentumsbeeinträchtigung vor.

hemmer-Methode: Wird eine Grundstücksausfahrt zugeparkt, so liegt auch hinsichtlich des eingeparkten Fahrzeugs eine Eigentumsverletzung vor, da der Eigentümer mit seinem Pkw das Grundstück nicht verlassen kann.

Wird hingegen die Grundstückszufahrt versperrt, so liegt keine Eigentumsbeeinträchtigung vor, da es nicht mehr zum Inhalt des Eigentumsrechts am Pkw gehört, diesen an bestimmten Stellen abstellen zu können.

Rechte des „gestörten"
Eigentümers bzw. Besitzers

Dem insoweit „gestörten" Grundstückseigentümer stehen in diesem Fall folgende Rechte zu:

1. Zunächst kann der Eigentümer vom Falschparker die Beseitigung der Eigentumsstörung verlangen, § 1004 I S. 1 BGB.

Störer ist in den Falschparkfällen zum einen der Falschparker selbst als Handlungsstörer. Zum anderen kommt eine Haftung des Fahrzeughalters als Zustandsstörer in Betracht. Zustandsstörer ist nach h.M. derjenige, der eine Störungsquelle beherrscht und der störende Zustand damit mittelbar auf dessen Willen zurückzuführen ist. Danach ist der Fahrzeughalter eindeutig Zustandsstörer, da er einer anderen Person das Fahrzeug freiwillig überlassen hat.23

Der Anspruch gegen den Fahrer und den Halter ist gerichtet auf Beseitigung der Störung, also auf Entfernung des Fahrzeugs.

2. Daneben besteht ein Anspruch auf Störungsbeseitigung wegen verbotener Eigenmacht, § 862 I S. 1 BGB.

Anmerkung: § 862 BGB ist neben § 1004 BGB v.a. dann von Bedeutung, wenn der Anspruchsteller nicht Eigentümer des Grundstücks ist (z.B. für den Supermarktpächter).

3. Außerdem besteht wegen schuldhafter Eigentumsverletzung (bzw. Verletzung des berechtigten Besitzes) ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 823 I, 249 I BGB.

Der Anspruch auf Naturalrestitution ist darauf gerichtet, dass der Falschparker seinen Wagen entfernt.

4. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist § 858 BGB außerdem ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II BGB,24 sodass wegen der verbotenen Eigenmacht ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 823 II, 858 BGB besteht.

Beim Zuparken von Grundstückszufahrten ist zudem das Schutzgesetz des § 12 III Nr. 3 StVO verletzt, da diese Vorschrift nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs schützen will, sondern gerade den Verkehrsteilnehmer, der mit seinem Fahrzeug auf ein Grundstück einbiegen oder es verlassen will.

F) Zur Vertiefung

  • Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte

Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht Band 1, Rn. 371 ff.

  • Öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis

Hemmer/Wüst, Staatshaftungsrecht, Rn. 299 ff.

  • Anspruch des Grundstückseigentümers auf Ersatz der Abschleppkosten

BGH, Life & Law 08/2009, 511 ff.

G) Wiederholungsfragen

  1. Was sind die Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung?
  2. Warum hat der Abschleppvertrag zwischen der Stadt/Polizei und einem privaten Abschleppdienst keine Schutzwirkung für den Eigentümer des abgeschleppten Pkw?

  1. Schwab, JuS 2002, 872, 873.

  2. Vgl. Jauernig, 15. Auflage 2014, § 328 BGB, Rn. 21.

  3. BGH, NJW 2012, 3165 ff.

  4. MüKo, § 328 BGB, Rn. 167.

  5. BGHZ 70, 327, 329 f. Palandt, § 328 BGB, Rn. 17 ff.

  6. BGHZ 133, 168 ff. = NJW 1996, 2927 ff. (sog. „Nitrierofenfall")

  7. Saar, JuS 2000, 220, 224.

  8. BGHZ 66, 51, 57 f. BGH, NJW 1971, 1931 f.

  9. BGH, NJW 1985, 489; Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 845.

  10. Allgemeine Meinung, vgl. bspw. VGH Kassel, Urteil vom 31.01.2013, 8 A 1677/12 zur damit zusammenhängenden Problematik der Bekanntgabe von Verkehrszeichen vgl. BVerwG, NJW 2008, 2867 = Life & Law 04/2009 sowie BVerwG, Urteil vom 23.09.2010, 3 C 37/09 = Life & Law 03/2011

  11. BGHZ 70, 327, 330 BGH, NJW 1996, 2927 BGH, VersR 2005, 517, 519 Palandt, § 328 BGB, Rn. 18.

  12. BGH, VersR 1990, 207, 208 MüKo, § 688 BGB, Rn. 59

  13. Hessischer VGH, NVwZ 1988, 655, 656 Medicus, JZ 1967, 63, 64; Kopp/Schenke, § 40 VwGO, Rn. 65.

  14. BGH, NJW 1987, 2573, 2574

  15. Vgl. bereits BGHZ 1, 369, 383; VGH Kassel, NVwZ 1988, 655, 656; Hessischer VGH, NVwZ 1988, 655, 656 MüKo, § 688 BGB, Rn. 63 f.; Medicus, JZ 1967, 63, 64.

  16. BGHZ 34, 99 BGHZ 13, 25 Palandt, § 839 BGB, Rn. 1.

  17. Vgl. Palandt, § 839 BGB, Rn. 14.

  18. Der Beliehene ist eine Privatperson, die mit Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen betraut ist. Die Beleihung muss durch oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen (z.B. TÜV).

  19. Vgl. auch Palandt, § 839 BGB, Rn. 17.

  20. BGHZ 121, 161, 165 f. OLG Düsseldorf, VersR 1997, 239 OLG Saarbrücken, NJW-RR 2007, 681, 682 LG Frankfurt, DAR 2000, 268, 269

  21. BVerwGE 102, 316, 318 f. VGH Baden-Württemberg, NJW 2010, 1898, 1899 f. in Bayern würde das Abschleppen eines Fahrzeugs im Regelfall nicht als Ersatzvornahme im Sinne des Art. 55 PAG, sondern als unmittelbare Ausführung nach Art. 9 I PAG gewertet werden, vgl. ausführlich Hemmer/Wüst, Polizeirecht Bayern, Rn. 300 ff.

  22. BGHZ 121, 161, 166 LG Frankfurt, DAR 2000, 268, 269

  23. Lorenz, „Privates Abschleppen -- Besitzschutz oder „Abzocke?", NJW 2009, 1025 (1026).

  24. BGHZ 79, 232; BGHZ 114, 305 (313 f.).