Bösgläubigkeit (§ 990 BGB) und Anwendbarkeit des § 278 BGB auf das EBV

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Zivilrecht

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Einordnung von Hilfspersonen im EBV +++ Beurteilung der Bösgläubigkeit beim Minderjährigen +++ §§ 989, 990, 992, 823 BGB +++

Sachverhalt: D bricht das Auto des E auf und schenkt es seinem Bruder M, der beim Autoknacken Schmiere stand. Der sechzehnjährige „Crash-Fahrer" M fährt das Auto zu Schrott. Vorher hatte der -- nach dem Tod der Mutter des M alleinerziehende -- Vater V von D und M im Einverständnis mit M noch das Autoradio ausgebaut und veräußert.

E möchte von M Schadensersatz für das Auto und das Autoradio.

Frage: Hat E einen entsprechenden Anspruch?

A) Sound

Die §§ 987 ff. BGB wollen den gutgläubigen, unverklagten Besitzer privilegieren, den bös-gläubigen oder verklagten Besitzer dagegen gerade nicht. Die Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses nach §§ 987 ff. BGB differenzieren deshalb insbesondere danach, ob der Besitzer gutgläubig oder bösgläubig hin-sichtlich seines Rechts zum Besitz ist.

Verklagt ist der Besitzer, sobald Rechts-hängigkeit eingetreten ist (§§ 987, 989 BGB, §§ 261 I, 253 I ZPO: Zustellung der Klageschrift an den Beklagten). Sobald dem Besitzer eine Klageschrift zugestellt ist, weiß dieser, dass er die Sache evtl. herausgeben muss und wird daher vom Gesetz nicht mehr geschützt.

Bösgläubig ist der Besitzer, wenn er bei Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben ist oder später positive Kenntnis davon erlangt, dass er nicht zum Besitz berechtigt ist (§ 990 I BGB). Dabei wird § 932 II BGB analog angewendet.

Wenn dem Besitzer bei Besitzerwerb bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass er zum Besitz nicht berechtigt ist, haftet er analog § 932 II BGB nach §§ 990, 987, 989 BGB. Obwohl § 932 II BGB eigentlich eine Vorschrift für bewegliche Sachen ist, gilt dessen Maßstab nach h.M. übrigens auch für ein EBV an Grundstücken (und nicht § 892 BGB, der für die Bösgläubigkeit positive Kenntnis verlangt).

Im Übrigen gilt noch: Durch die schuldrechtliche Natur der Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB findet auch § 278 BGB seit Bestehen der Vindikationslage Anwendung. Die Vindikationslage begründet ein Schuldverhältnis nach § 278 BGB.

B) Gliederung

Anspruch des E gg. M auf Schadensersatz

I. Schadensersatz für das Auto

1. §§ 990 I S. 1, 989 BGB

a) E war Eigentümer

b) M war Besitzer

c) Kein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB

d) M bösgläubig, § 990 I S. 1 BGB?

aa) § 932 II BGB analog

bb) Bei Minderjährigen
Auf gesetzlichen Vertreter gem. § 166 BGB analog oder auf Minderjährigen abstellen, § 828 BGB analog?

(1) Bei Schadensersatz überwiegt Deliktsnatur, deshalb eher § 828 BGB analog

(2) Vater aber ebenfalls bösgläubig, daher hier im Ergebnis kein Unterschied

e) Verschulden des M, §§ 989, 276 I S. 1 u. 2 BGB i.V.m. § 828 III BGB (+)

2. §§ 992, 823 I BGB

a) Anwendbarkeit des Deliktsrechts trotz § 993 I HS 2 BGB wegen § 992 BGB; § 992 BGB (+), da Besitz durch Straftat erlangt (Hehlerei gem. § 259 StGB).

b) Voraussetzungen des § 823 I BGB

3. §§ 992, 823 II BGB i.V.m. § 259 StGB

II. Schadensersatz für das Autoradio

(P) Verschulden des M

1. §§ 989, 990 I S. 1 BGBZurechnung des schuldhaften Handelns des Vaters über §§ 278 S. 1, 1629 I S. 1 BGB; EBV ist schuldrechtliche Sonderverbindung, somit Anwendbarkeit des § 278 S. 1 BGB i.R.v. §§ 990 I S. 1, 989 BGB

2. §§ 823 ff. BGB§ 823 I BGB (+), Verletzungshandlung des M liegt in der Gestattung des Ausbaus durch V

3. Ergebnis
E kann auch für das Autoradio Schadensersatz von M verlangen.

C) Lösung

Kann E von M Schadensersatz für das Auto und das Autoradio verlangen?

Zu klären ist, ob E von M Schadensersatz für das Auto und das Autoradio verlangen kann.

I. Schadensersatz für das Auto

1. §§ 990 I S. 1, 989 BGB

a) Vindikationslage

E könnte von M Schadensersatz für das zerstörte Auto gem. §§ 989, 990 I S. 1 BGB verlangen.

Dafür ist eine Vindikationslage im Zeitpunkt der schädigenden Handlung erforderlich.

Die Vindikationslage setzt voraus, dass E Eigentümer des Autos und M sein unberechtigter Besitzer im Zeitpunkt der Schädigungshandlung war.

Die Schädigungshandlung ist hier das „zu-Schrott-Fahren" des Pkw. Zu diesem Zeitpunkt war E trotz Diebstahls des D Eigentümer des Wagens. Die zwischen D und M vorgenommene Übereignung (§ 929 S. 1 BGB) ist mangels Berechtigung des D und Kenntnis des M von dem Einbruch des D unwirksam, § 932 II BGB. Darüber hinaus liegt ein Abhandenkommen vor, § 935 I S. 1 BGB.

Ein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB bestand unter keinen Gesichtspunkten.

Folglich ist die Vindikationslage gegeben.

b) Bösgläubigkeit des M, § 990 I S. 1 BGB?

§ 990 I S. 1 BGB erfordert weiterhin, dass M bei dem Erwerb des Besitzes am Auto nicht in gutem Glauben an sein Besitzrecht war.

aa) § 932 II BGB analog

§ 990 I S. 1 BGB setzt keinen Maßstab für die Gutgläubigkeit. Jedoch wird § 932 II BGB analog angewendet. Der Bezugspunkt der Bösgläubigkeit ist dabei allerdings nicht das Eigentum, sondern das Recht zum Besitz.

Nach § 932 II BGB analog ist nicht in gutem Glauben, wem bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass sein Besitzrecht nicht besteht.

bb) Bei Minderjährigen § 166 BGB  analog oder § 828 BGB analog

Bei Minderjährigen ist des Weiteren fraglich, auf wessen Kenntnis oder Kennenmüssen abzustellen sind. Diese Frage drängt sich angesichts des weitreichenden Minderjährigenschutzes im BGB auf (§§ 106 ff., 828 BGB). In Betracht kommen insoweit zwei Möglichkeiten: Zum einen könnte auf den Minderjährigen selbst abzustellen sein, § 828 III BGB analog, zum anderen aber auf seine Eltern als gesetzliche Vertreter, § 166 I BGB analog.

(1) Bei Schadensersatzansprüchen ist aufgrund der Deliktsnatur auf § 828 BGB analog abzustellen.

Nur bei rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen oder Ansprüchen, im EBV z.B. beim Nutzungs-herausgabeanspruch gem. §§ 987 ff. BGB oder beim Verwendungsersatzanspruch nach §§ 994 ff. BGB, ist aus Gründen des Minderjährigenschutzes nach § 166 BGB analog auf den gesetzlichen Vertreter abzustellen.

Die Voraussetzungen des § 828 III BGB analog liegen vor: Dafür, dass M die Einsicht fehlte, ist im Sachverhalt nichts ersichtlich.

(2) Würde man hier aber gem. § 166 BGB analog auf den bösgläubigen Vater als gesetzlichen Vertreter gem. §§ 1629 I, 1680 I BGB abstellen, würde sich im Ergebnis nichts ändern.

Der Streit ist deshalb nicht entscheidungs-erheblich; M war in jedem Fall beim Besitzerwerb bösgläubig nach § 990 I S. 1 BGB.

c) Verschulden des M, §§ 989, 276 I S. 1 u. 2 BGB i.V.m. § 828 III BGB (+)

§ 990 I S. 1 BGB ist insoweit eine Rechts-grundverweisung auf § 989 BGB, als noch das Verschulden in § 989 BGB zu prüfen ist.

M handelte vorsätzlich und somit schuldhaft nach § 276 I S. 1 BGB. In dem Fahren des Pkw ohne die erforderliche Fahrerlaubnis kann jedenfalls eine Fahrlässigkeit gesehen werden.

hemmer-Methode: Es geht also immer um zwei Ebenen: zunächst die Bösgläubigkeit des Besitzers bzgl. des Nichtbestehens eines Besitzrechtes, die in den Anwendungsbereich der §§ 989, 990 BGB führt. Auf zweiter Stufe ist dann aber noch unbedingt das Verschulden des Besitzers hinsichtlich der Zerstörung bzw. Beschädigung der Sache zu prüfen! Allerdings gilt: Wer vorsätzlich seine Nichtberechtigung kennt und die Sache dennoch nicht herausgibt, dem wird leicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch bei leichtester Unachtsamkeit gemacht werden können!

Daher: Der Schadensersatzanspruch des E gegen M aus §§ 990 I S. 1, 989 BGB hinsichtlich des Pkw ist zu bejahen.

2. §§ 992, 823 I BGB

Weiterhin könnte E seinen Schadensersatzan-spruch gegen M auf Delikt stützen, § 823 I BGB.

a) Anwendbarkeit des Deliktsrechts trotz § 993 I HS 2 BGB wegen § 992 BGB

Fraglich ist jedoch, ob das Deliktsrecht Anwendung findet. Bei Bestehen einer Vindikationslage besteht für den redlichen, unverklagten Besitzer unstreitig eine Sperrwirkung durch § 993 I HS 2 BGB, sodass das Deliktsrecht nach §§ 823 ff. BGB nicht angewendet werden darf.

Ein Besitzer, der sich seinen Besitz durch verbotene Eigenmacht oder eine Straftat ver-schafft, haftet gem. § 992 BGB doch wieder nach Deliktsrecht. Es besteht kein Bedürfnis, einen solchen Besitzer zu privilegieren.

Verbotene Eigenmacht hat M nicht verübt; § 992 BGB stellt allein auf die selbst verübte ver-botene Eigenmacht ab; eine bloße Zurechnung der Fehlerhaftigkeit des Besitzes nach § 858 II BGB eröffnet den Anwendungsbereich des § 992 BGB nicht. Allerdings erfüllt das Verhalten des M den Tatbestand der Hehlerei, § 259 StGB. Damit hat er den Besitz durch eine Straftat erlangt, § 992 BGB ist einschlägig.

b) Voraussetzungen des § 823 I BGB

M hat das Eigentum des E rechtswidrig und schuldhaft beschädigt. Daher hat E auch einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB.

3. §§ 992, 823 II BGB i.V.m. § 259 StGB

Die Voraussetzungen des § 823 II BGB i.V.m. § 259 StGB sind ebenfalls erfüllt.

II. Schadensersatz für das Autoradio

Zu prüfen ist noch, ob E von M Schadensersatz für das ausgebaute Autoradio verlangen kann.

Fraglich ist hier das Verschulden des M, der nicht selbst gehandelt hat. Die Handlungen seines Vaters V müssten M zugerechnet werden können.

1. §§ 989, 990 I S. 1 BGB

§ 989 BGB erfordert ein Verschulden des M. Eine Zurechnung des schuldhaften Handelns des Vaters könnte über § 278 S. 1 Alt. 1 BGB erfolgen.

Der Vater ist gesetzlicher Vertreter des M gem. §§ 1629 I, 1680 I BGB.

Weiterhin erfordert § 278 S. 1 BGB ein bereits bestehendes Schuldverhältnis zwischen M und E, sei es vertraglicher, sei es gesetzlicher Natur.

Das EBV ist eine solche schuldrechtliche Sonderverbindung. Ab Vorliegen der Vindikations-lage gem. §§ 985 f. BGB besteht ein Schuld-verhältnis zwischen M und V. Somit ist § 278 S. 1 BGB i.R.d. §§ 990 I S. 1, 989 BGB anwendbar.

Entgegen seinem Wortlaut wird über § 278 S. 1 BGB nicht nur das Verschulden im technischen Sinn (Vorsatz und Fahrlässigkeit, § 276 BGB), sondern die gesamte schuldhafte Verletzungshandlung zugerechnet. Damit findet eine Verschuldenszurechnung statt.

Ebenfalls könnte man bereits in der Weggabe des M an V die maßgebliche Verletzungshand-lung i.S.d. §§ 989, 990 I BGB sehen. Durch das Verhalten des M wurde nämlich die Unmöglich-keit der Herausgabe kausal verursacht, zumal M auch mit einer Weiterveräußerung durch seinen Vater rechnen durfte. Insoweit hat M sogar vorsätzlich gehandelt.

hemmer-Methode: Damit bedarf es des Weges über § 278 BGB eigentlich nicht, da M die Un-möglichkeit der Herausgabe selbst verursacht hat. Das Verhalten des Vaters ist dann nur noch eine Frage der schadensersatzrechtlichen Zur-echnung, nicht mehr der bei § 278 BGB er-folgenden anspruchsbegründenden Zurechnung, und ist unter Äquivalenz- sowie Adäquanz-gesichtspunkten zu bejahen.

2. §§ 823 ff. BGB

Das Gestatten des Radio-Ausbaus seitens M durch seinen Vater ist als Verletzungshandlung des M anzusehen, die das Verlorengehen des Radios für den Eigentümer E kausal und zurechenbar verursacht hat. Insoweit handelte M jedenfalls fahrlässig, sodass der Anspruch aus § 823 I BGB zu bejahen ist.

§ 278 BGB darf insoweit nicht angewendet werden.

Zwar besteht zwischen E und M die nach § 278 BGB erforderliche Sonderverbindung; eine Anwendung von § 278 BGB muss bei § 823 BGB jedoch nach ganz h.M. bei der Anspruchs-begründung generell ausscheiden, da anderen-falls eine Umgehung von § 831 BGB zu befürchten wäre (§ 831 BGB scheidet vorliegend übrigens aus, da V nicht Verrichtungsgehilfe des M ist!).

E kann auch für das Autoradio Schadens-ersatz von M verlangen.

D) Zusammenfassung

Sound: Der Besitzer ist bösgläubig im Sinne des § 990 I S. 1 BGB, wenn ihm bei Besitzer-werb analog § 932 II BGB bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass er kein Recht zum Besitz hat oder wenn er später Kenntnis von der Nichtberechtigung erlangt. § 990 I S. 1 BGB ist insoweit Rechtsgrundver-weisung auf § 989 BGB, als dort das Verschulden des Besitzers vorliegen muss.

Dabei ist nicht nur § 276 BGB anzuwenden: Die Vindikationslage gem. §§ 985 f. BGB ist ein bestehendes Schuldverhältnis, sodass dem Besitzer bei einem Schadensersatzanspruch aus § 989 BGB auch das Verschulden Dritter über § 278 BGB zugerechnet werden kann.

Bei Schadensersatzansprüchen gegen Minder-jährige ist i.R.d. Verschuldens wegen des Delikts-charakters auf die Einsichtsfähigkeit des Minder-jährigen analog § 828 BGB, nicht auf den ge-setzlichen Vertreter analog § 166 BGB, abzustellen.

hemmer-Methode: Die hier getroffenen Wer-tungen zu Minderjährigen und §§ 166, 828 BGB analog spielen selbstverständlich nicht nur für das EBV der §§ 987 ff. BGB eine Rolle, sondern müssen auch bei Verschulden i.R.v. Schadensersatzansprüchen aus vertraglichen Sekundäransprüchen (z.B. § 280 I BGB) oder Delikt (§§ 823 ff. BGB) Berücksichtigung finden. Lernen Sie rechtsübergreifend, statt in isoliertem „Schubladendenken" zu verharren! Das EBV ist ein Paradebeispiel. Es hat immer auch Bezug zu vertraglichen, deliktischen, bereicherungs- und anderen sachenrechtlichen Problemen.

E) Zur Vertiefung

Hemmer/Wüst, SachenR I, Rn. 365 ff.

Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Band 2, Rn. 330 ff.

Hemmer/Wüst, SachenR I, Karte 63