Rechtsprechungsübersicht Zivilrecht (5)

BGH, Urteil vom 08.05.2014, VII ZR 199/13

von Life and Law am 01.08.2014

Steht dem Besteller während des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung eines Hauses kein dem herzustellenden Wohnraum in etwa gleichwertiger Wohnraum zur Verfügung, kann ihm eine Nutzungsausfallentschädigung zustehen.

Sachverhalt (verkürzt und abgewandelt): A beauftragt B mit der Errichtung eines Einfamilienhauses. B gerät mit der Fertigstellung in Verzug. A, der zuvor zur Miete wohnte und die alte Wohnung bereits gekündigt hatte, sieht sich daher gezwungen, vorübergehend bei seiner Mutter unterzukommen, die dem A sein altes 10 qm großes Kinderzimmer zur Verfügung stellt. Seine Möbel stellt er in der elterlichen Garage unter. Nach drei Monaten ist das Haus fertig, sodass A einziehen kann.

Kann A von B eine Nutzungsausfallentschädigung für die drei Monate verlangen?

Lösung: Anerkannt ist in der Rechtsprechung des BGH, dass für entzogenen Wohnraum eine Nutzungsausfallentschädigung geschuldet sein kann, wenn der Geschädigte keinen materiellen Schaden erlitten hat, weil er auf die Anmietung vergleichbaren Wohnraums verzichtet. Der BGH stellt in dieser Entscheidung erneut klar, dass diese Grundsätze auch auf vorenthaltenen Wohnraum übertragbar sind. Es wird nicht nur das Interesse am Bestand geschützt, sondern auch das Interesse, eine geschuldete Sache zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt zu erhalten und sie ab diesem Zeitpunkt auch nutzen zu können. Dies hatte der BGH bereits zuvor entschieden (Urteil vom 20.02.2014, AZ VII ZR 172/13).

I. Ein Anspruch ergibt sich vorliegend aus §§ 280 I, II, 286 BGB.

Anmerkung: Der BGH nennt als Anspruchsgrundlage nur § 286 BGB. Das würde Ihnen in der Klausur als schwerer Fehler angekreidet. § 286 BGB ist keine Anspruchsgrundlage, sondern benennt nur die Voraussetzungen, unter denen gem. § 280 I, II BGB wegen Verzögerung der Leistung Schadensersatz verlangt werden kann!

Laut Sachverhalt ist B in Verzug geraten.

II. Problematisch ist jedoch, dass A bei Anwendung der Differenzhypothese kein Schaden entstanden ist, weil er zwischenzeitlich (kostenlos) bei seiner Mutter untergekommen ist.

Bei normativer Betrachtung ist jedoch gleichwohl von einem Vermögensschaden dann auszugehen, wenn sich der Umstand, dass die Nutzung eines herzustellenden Hauses vorenthalten wird, signifikant auf die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung des Bestellers auswirkt, wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist.

Hiernach kann eine Nutzungsausfallentschädigung nicht versagt werden, wenn dem Besteller während des Verzugs lediglich Wohnraum zur Verfügung stand, der mit dem herzustellenden Wohnraum nicht vergleichbar ist, sondern eine deutlich geringere Qualität besitzt. Der Geschädigte ist in seiner zentralen Lebensführung fühlbar beeinträchtigt, wenn er nur deutlich minderwertigen Wohnraum zur Verfügung hat, z.B. eine deutlich kleinere Wohnung.

Es kommt nach Ansicht des BGH -- entgegen der Vorinstanz -- (OLG Stuttgart vom 08.07.2013, AZ: 5 U 7/13) nicht darauf an, ob dem Besteller ein noch angemessener Wohnraum zur Verfügung steht.

Daher muss die Frage, ob das „alte" Kinderzimmer angemessen, d.h. für die Wohnbedürfnisse des A objektiv (!) ausreichend ist (was wohl eher zu verneinen wäre), nicht geklärt werden. Maßgeblich ist für die Beurteilung des normativen Schadens der Standard, der vertraglich geschuldet war. Dieser vertragliche Standard ist das Spiegelbild der entgangenen Nutzung, also auch maßgeblich für die Frage, ob Nutzungsersatz verlangt werden kann.

Nur wenn dem Geschädigten selbst (!) gleichwertiger Wohnraum zur Verfügung stünde, hätte er keine messbare Beeinträchtigung zu beklagen.

Anmerkung: Das ist vergleichbar mit der Thematik des Nutzungsausfalls beim Pkw. Auch hier kommt ein Anspruch nicht in Betracht, wenn der Geschädigte über einen vergleichbaren Pkw verfügt.

Allenfalls dann, wenn dem Besteller eine besonders luxuriöse Wohnung vorenthalten wird, die nach der Verkehrsauffassung nicht mehr allein dazu dient, die jeweiligen individuellen Wohnbedürfnisse zu befriedigen, sondern Ausdruck einer Liebhaberei oder eines besonderen Luxus ist, kann eine andere Betrachtungsweise gerechtfertigt sein.

Bei der Beurteilung, ob eine vorhandene Wohnung in etwa gleichwertig ist, ist eine objektivierende, typisierende Betrachtungsweise geboten. Im vorliegenden Fall kann von einer Gleichwertigkeit des 10 qm großen Kinderzimmers und eines Einfamilienhauses nicht ausgegangen werden.

Ergebnis: A kann von B eine Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum von drei Monaten verlangen. Bei der Höhe hat man sich an der Miete für vergleichbaren Wohnraum zu orientieren. Davon ist allerdings der Gewinn in Abzug zu bringen, den ein Vermieter typischerweise mit vergleichbarem Wohnraum erzielt.

hemmer-Methode: Wenn es um die Frage geht, ob dem Geschädigten ein materieller Schaden entstanden ist, muss stets zunächst nach der Differenzhypothese vorgegangen werden. Liegt danach ein Schaden nicht vor, muss weiter geprüft werden, ob aus normativen Erwägungen von einem materiellen Schaden auszugehen ist. Dies ist häufig -- so auch hier -- der Fall, wenn die Ablehnung eines materiellen Schadens den Schädiger unbillig entlasten würde. Als dogmatische Basis für diese Betrachtung bietet sich auch die Vorteilsanrechnung an: Der Schädiger soll nicht von dem Vorteil profitieren, dass es der Geschädigte unterlässt, vergleichbaren Wohnraum anzumieten (dann wäre schon rein rechnerisch ein materieller Schaden gegeben). Früher hat der BGH seine Betrachtung noch auf den sog. Kommerzialisierungsgedanken gestützt. Diesen erwähnt der BGH im vorliegenden Fall überhaupt nicht. Dies wohl deshalb, weil man aus dem „Stadium der Legitimation" der Nutzungsausfallentschädigung ausgetreten ist. Die Grundsätze haben sich in der Praxis verfestigt. In der Klausur sollten Sie aber in der Lage sein, den normativen Ansatz auch begründen zu können.