Rechtsprechungsübersicht Strafrecht (1)

BGH, Beschluss vom 04.07.2013 -- 2 StR 4/13

von Life and Law am 01.01.2014

+++ Beihilfe durch Unterlassen, § 27 StGB +++ Garantenstellung aus Ingerenz, § 13 StGB +++

Sachverhalt (vereinfacht): A ließ sich von einer ihm nicht näher bekannten Gruppe Osteuropäer ein Gelddarlehen gewähren. Da er das Geld nicht zurückbezahlen kann, entschließt er sich, seine ehemalige Hausbank, deren örtliche Begebenheit er genau kennt, zu überfallen. Ein Pkw samt Fahrer B sowie eine geladene Schreckschusswaffe werden ihm dazu von der Gruppe zur Verfügung gestellt. Sodann lässt sich A von B in die Nähe des Tatorts bringen. A fühlt sich nun aber „wie gelähmt" und teilt B mit, dass er die Bank nicht überfallen werde, verlässt trotz dessen Drohungen fluchtartig den Pkw und entfernt sich. Handschuhe und Sturmhaube lässt A jedoch zurück, wobei er „damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Überfall nun statt seiner von B unter Nutzung seiner Handschuhe und Sturmhaube begangen würde". B überfällt die Bank mithilfe der Waffe, Handschuhe und Sturmhaube selbst, flüchtet mit dem Pkw und nimmt den mittlerweile zum Fluchtfahrzeug zurückgekehrten A mit. Während der Fahrt erzählt B den Tathergang im Einzelnen, behält 12.000,- € der Beute selbst ein, übergibt A den Rest der Beute wie auch die Schusswaffe.

Strafbarkeit des A wegen Beihilfe? Eine Strafbarkeit des B gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1 StGB ist hierbei zu unterstellen.

Lösung: Zu untersuchen ist, ob A sich wegen Beihilfe gem. § 27 StGB zur von B gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1 StGB begangenen Tat strafbar gemacht hat.

A) Tatbestand

Zunächst müsste der Tatbestand verwirklicht sein. Eine vorsätzlich begangene, rechtswidrige Haupttat seitens des B liegt mit der schweren räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1 StGB vor. Hierzu müsste A Hilfe geleistet haben i.S.v. § 27 I StGB. Dabei versteht man nach h.M. unter Hilfeleisten jede Handlung, die geeignet ist, die Haupttat in psychischer oder physischer Weise zu fördern.

I. Abgrenzung zwischen Beihilfe und Mittäterschaft, § 25 II StGB

In Betracht kommt vorliegend auch eine mittäterschaftliche Beteiligung seitens des A gem. § 25 II StGB. Schließlich fuhren A und B gemeinsam zum Tatort. Anhand der im Sachverhalt festgestellten Umstände lässt sich indessen weder nach der Tatherrschaftslehre der h.L. noch nach dem subjektiven Ansatz der „animus-Theorie" eine Täterschaft bejahen: A ist zum einen keine „Zentralfigur", die den konkreten Geschehensablauf in den Händen hält und mit dem unmittelbaren Täter B durch gemeinsamen Tatentschluss verbunden ist. Zum anderen weist er keinen unmittelbaren Täterwillen (sog. animus auctoris) zum Zeitpunkt der konkreten Tatbegehung seitens des B auf. Eine mittäterschaftliche Beteiligung des A scheidet somit aus.

hemmer-Methode: Der BGH grenzt die Mittäterschaft von der Beihilfe durch Unterlassen (hierzu sogleich) zur Tat eines aktiv Handelnden anhand der inneren Haltung des Unterlassenden zur Tat ab. Ist die innere Haltung des Unterlassenden so aufzufassen, dass er den Täterwillen zum eigenen Willen macht, wobei insbesondere das Interesse am Eintritt des Taterfolgs maßgeblich ist, so sei Mittäterschaft naheliegend. Ordnet er sich dagegen dem Einfluss und Willen des Täters unter und zeigt keine innere Beteiligung oder kein Interesse am Taterfolg, so spreche dies für eine Beteiligung als Gehilfe (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 14.02.2012 -- 3 StR 446/11).

II. Beihilfe durch Tun oder Unterlassen?

Vorliegend kommt sowohl eine Beihilfe durch aktives Tun, nämlich einer Zurverfügungstellung von Handschuhen, Sturmhaube und Waffe, als auch durch ein Unterlassen, nämlich hinsichtlich der Mitnahme der Tatmittel beim fluchtartigen Verlassen des Pkw, in Betracht. Bei letzterem könnte eine Strafbarkeit nur unter den Voraussetzungen des § 13 I StGB bejaht werden (sog. „Beihilfe durch Unterlassen").

1. Abgrenzung Tun / Unterlassen

Die Abgrenzung zwischen positivem Tun und Unterlassen erfolgt nach h.M. durch normative Betrachtung und unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinnes, sodass der „Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens" festzustellen ist. Vorliegend verlässt A den Wagen trotz Drohungen des B. Dieser Geschehensablauf stellt mangels einer hierbei feststellbaren aktiven Zurverfügungstellung der Tatmittel normativ kein Tun dar. Vielmehr hat A es schwerpunktmäßig unterlassen, -- trotz möglicher Gefahr der Tatverwirklichung seitens B -- die zur Haupttat förderlichen Mittel aus dem Gefahrenbereich zu schaffen. Mithin kommt allein eine Beihilfe durch Unterlassen in Betracht.

2. Vorliegen einer Garantenstellung, § 13 I StGB

Um eine Beihilfe durch Unterlassen bejahen zu können, müsste eine Garantenstellung des A bestanden haben, § 13 I StGB. Voraussetzung wäre mithin eine spezifische Handlungspflicht, die Tatmittel beim Verlassen des Pkw mitzunehmen. Im vorliegenden Fall kommt allein eine Garantenstellung aus Ingerenz in Betracht. Ein solche setzt ein vorangegangenes pflichtwidriges Tun des A voraus. Wann ein solches angenommen werden kann, ist anhand einer umfassenden normativen Bewertung im Einzelfall zu ermitteln. Vorliegend spricht gegen eine spezifische Handlungspflicht zunächst, dass die Tatmittel gar nicht A gehörten, sondern ihm lediglich von der ihm nicht näher bekannten Gruppe zur Verfügung gestellt wurden, zu welcher B gehörte. Zwar hielt A eine Tatbegehung durch B möglich und nahm diese billigend in Kauf. Allerdings musste sich dies A nach den Gesamtumständen nicht aufdrängen. Mangels einer zudem nicht bestehenden irgendwie gearteten Nähebeziehung zur Person des B ergibt sich somit keine spezifische Handlungspflicht des A, beim fluchtartigen Verlassen des Pkw auch noch Handschuhe, Sturmhaube sowie die Waffe mitzunehmen. Es bestand folglich mangels eines pflichtwidrigen vorangegangenen Tuns keine Garantenstellung des A aus Ingerenz. Darum scheidet auch eine Beihilfe durch Unterlassen vorliegend aus.

B) Ergebnis

Der Tatbestand der §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 27 I, 13 StGB ist nicht erfüllt. A hat sich nicht wegen Beihilfe durch Unterlassen zur schweren räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1 StGB strafbar gemacht.

hemmer-Methode: Angesprochen werden könnte noch eine sog. sukzessive Beihilfe, welche insbesondere die Rechtsprechung für möglich hält. Demnach ist eine Beihilfe zwischen Vollendung und Beendigung der (Haupt-)Tat grds. denkbar. Dies kommt vorliegend deshalb in Betracht, weil A später zum Pkw zurückkehrte, von B mitgenommen wurde und ihm ein Teil der Beute sowie die Schusswaffe übergeben wurden. Jedoch erschließt sich nach der Sachverhaltsdarstellung nicht, dass diese Faktoren in irgendeiner Weise die begangene besonders schwere räuberische Erpressung gefördert hätten (anders etwa, wenn A als besonders geschickter Fahrer das Fluchtfahrzeug gesteuert hätte). Folglich scheidet auch eine sukzessive Beihilfe seitens des A aus. Gedacht werden könnte in diesem Kontext noch an eine Strafbarkeit gem. § 257 StGB. Aber auch insoweit ist keine taugliche Hilfeleistung seitens des A ersichtlich. Zudem wäre nach der Rechtsprechung § 257 StGB in Abgrenzung zur sukzessiven Beihilfe nur dann einschlägig, wenn nach dem Vorstellungsbild des Handelnden der Vortäter bereits eine hinreichend gesicherte Position erlangt hätte und es ihm allein darum ging, den Vortäter davor zu bewahren, diesen „Vorteil" wieder zu verlieren. Auch dieses Kriterium dürfte in der vorliegenden Fallkonstellation zu verneinen sein.

Beachten Sie in diesem Kontext auch folgende Streitfrage i.R.d. Beihilfehandlung: Muss der Gehilfenbeitrag für den Erfolg der Haupttat ursächlich i.S.e. conditio-sine-qua-non gewesen sein? Die Rspr. fordert lediglich, dass die Gehilfenhandlung irgendwie die Haupttat gefördert hat, während einige Stimmen in der Literatur die allgemeinen Kausalitätsregeln anwenden wollen. Beide Auffassungen kommen allerdings regelmäßig zum selben Ergebnis. Schließlich wird noch vertreten, dass es bereits ausreiche, dass der Gehilfenbeitrag das Risiko des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs erhöht hat (näher hierzu Hemmer/Wüst, Strafrecht AT II, Rn. 303 ff.).