Tatentschluss und Versuchsbeginn bei räuberischer Erpressung

BGH, Beschluss vom 18.06.2013 -- 2 StR 75/13

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Vorbehaltloser Tatentschluss +++ Versuchsbeginn, § 22 StGB +++ Abgrenzung Raub und räuberische Erpressung, §§ 249 ff. StGB +++ Verbrechensverabredung, § 30 II StGB +++ Rücktritt gem. § 31 StGB +++

Sachverhalt (vereinfacht): A und B verständigen sich darauf, O in seinem Haus zu überfallen. Ihr Ziel ist es, einen Laptop zu erbeuten, um O mit den von ihnen darauf vermuteten kompromittierenden Inhalten zu erpressen. Sie gehen zutreffend davon aus, dass O den Laptop so sorgfältig versteckt hält, dass nur er in der Lage ist, ihn aufzufinden. Deshalb wollen sie O so lange mit einer Pistole bedrohen, bis er das Versteck preisgibt. A soll nach dem gemeinsamen Plan mit einer Sturmhaube maskiert an der Haustür klingeln, O sofort beim Öffnen der Tür überwältigen und anschließend unter Einsatz der Pistole -- ohne aber zu schießen -- zur Preisgabe des Verstecks auffordern. Währenddessen soll B absprachegemäß hinter einer Hecke vor dem Haus warten und das Haus zunächst von außen beobachten. Erst wenn sich keine Auffälligkeiten vor dem Haus zeigen, soll er nachkommen und A unterstützen. Von ihrem Plan wollten beide aber sofort Abstand nehmen, falls sich Kinder im Haus zeigen, weil sie nicht wollen, dass diese die Situation mit ansehen müssen. Tags darauf machen sie sich daran, den gemeinsamen Plan zu realisieren. B positioniert sich vor dem Haus und A geht maskiert zur Haustür. Er trägt eine geladene Pistole in der Jacke, mit der er O später bedrohen will, um die Übergabe des Laptops zu erreichen. Doch in dem Moment, in dem A die Klingel betätigt, meint er, durch die Türverglasung ein Kind gesehen zu haben und entfernt sich schnellstens von der Tür. Auf dem Weg unterrichtet er B von dieser Entwicklung und beide stimmen darin überein, den Plan nicht mehr umzusetzen. So verlassen sie das Hausgrundstück des O, ohne weitere Handlungen vorzunehmen, in dem Wissen, dass sie den Plan später noch in die Tat umsetzen können. Dazu kommt es aber nicht mehr.

Strafbarkeit von A und B nach dem StGB? Auf eine Prüfung von § 123 StGB ist abzusehen.

A) Sounds

1. Ein Tatentschluss ist dann vorbehaltlos, wenn der Täter einen unbedingten Handlungswillen gefasst hat. Äußere Bedingungen sind dabei unbeachtlich.

2. Klingelt ein Täter an der Tür des Opfers und rechnet er mit einem Öffnen durch das Opfer, setzt er schon in diesem Zeitpunkt zum Versuch i.S.d. § 22 StGB an, wenn er unmittelbar an der Tür Gewalt gegen das Opfer ausüben will.

3. Vorbehalte bezüglich der Tatausführung können das unmittelbare Ansetzen aber ausschließen, auch wenn der Täter die Tat sofort nach dem Öffnen der Tür durchführen will.

B) Problemaufriss

Regelmäßig sind solche Entscheidungen besonders prüfungsrelevant, die sich im Grunde mit klassischen Problemfeldern beschäftigen, sie aber um neue spezielle Komponenten anreichern. Solche Fälle bieten Raum zur Differenzierung in der Notengebung und eignen sich hervorragend, eigenständige Argumentationsfähigkeit ausgehend von bekannten Streitständen zu prüfen. Einen solchen Fall hatte der BGH im vorliegenden Revisionsverfahren zu entscheiden. Seine zentralen Problemfelder liegen im Allgemeinen Teil. Insbesondere ist eine intensive Erörterung der Frage des Versuchsbeginns geboten. Dabei kommt unmittelbar die Fallgruppe der sog. „Klingelfälle" in den Sinn. Diese wartet hier freilich mit der Besonderheit auf, dass der Täter die Klingel an der Haustür mit einem Vorbehalt betätigte und von der Tat absah, als die Vorbehaltssituation seiner Ansicht nach eintrat.

Dieser Vorbehalt spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Tatentschlusses, wobei sich die schwierige Frage stellt, ob der rein tatsächliche Vorbehalt als solcher im Rechtssinne hinreicht, um den unbedingten Tatentschluss auszuschließen. Weiterhin darf in diesem Komplex nicht vergessen werden, dass mehrere Täter handeln, also auch Fragen von Täterschaft und Teilnahme zu behandeln sind. Im Besonderen Teil stellt sich das klassische Problem der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung.

Führt die Lösung zu dem Ergebnis, dass A und B nicht in das Versuchsstadium eingetreten sind, ist schließlich eine Strafbarkeit gem. § 30 II Var. 2 StGB in Betracht zu ziehen und letztlich wohl wegen eines Rücktritts gem. § 31 StGB zu verneinen.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit von A und B nach dem StGB.

I. Strafbarkeit des A gem. §§ 249, 22, 23 I Alt. 1 StGB

A könnte sich wegen versuchten Raubes gem. §§ 249, 22, 23 I Alt. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er an der Haustür des O klingelt und geht, bevor dieser die Haustür öffnet.

1. Vorprüfung

Der Versuch des Raubes ist gem. §§ 23 I Alt. 1, 12 I, 249 I StGB strafbar. Da keine Wegnahme stattfand, ist der Taterfolg nicht eingetreten. Es besteht ein die Nichtvollendung begründendes Defizit im objektiven Tatbestand.

2. Vorbehaltloser Tatentschluss

Der subjektive Tatbestand müsste erfüllt sein. Hierzu müsste A einen vorbehaltlosen Tatentschluss gefasst haben.

a) Tatentschluss

A müsste alle objektiven Tatumstände sowie deliktsspezifische subjektive Merkmale in seine Vorstellung aufgenommen haben; sein Vorsatz müsste sich auf diese Merkmale richten.

A weiß, dass der Laptop für ihn eine fremde, bewegliche Sache und somit ein taugliches Diebstahlsobjekt ist. Nach dem gefassten Plan wollte er die Herausgabe des Laptops durch Drohung mit der Pistole gegen O erwirken. Er hat also den zielgerichteten Willen, dem O ein Übel in Aussicht zu stellen, das allein er beeinflussen kann.1 Somit handelt A in der Absicht, mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben zu drohen. Er handelt in dieser Hinsicht mit dolus directus ersten Grades.

Fraglich ist dagegen, ob A auch eine final aus der Drohung resultierende Wegnahme in seine Vorstellung aufgenommen hat. Wegnahme meint den Bruch bestehenden Gewahrsams und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Bruch wiederum wird definiert als Aufhebung des Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des bisherigen Gewahrsamsinhabers.2

Das Vorliegen des Vorsatzes hinsichtlich der Wegnahme ist problematisch, da dem A bewusst war, dass er den Laptop nicht allein finden wird und er deshalb die Herausgabe durch O verlangen wollte. Die Bestimmung des Gewahrsamsbruches bereitet in derartigen Fällen Schwierigkeiten. Elemente der bewussten Verfügung und solche der erzwungenen Wegnahme können fließend ineinander übergehen, sodass fraglich ist, ob die Gewahrsamsverschiebung unter Zustimmung des Opfers erfolgt. Hieran knüpft auch die ihrerseits umstrittene Abgrenzung zwischen Raub und räuberischer Erpressung an. Dafür bedarf es eines eindeutigen Abgrenzungskriteriums zwischen Wegnahme und Verfügung im Rahmen der Frage des Gewahrsamsbruches. Dieses ist umstritten.3

Die herrschende Literatur vertritt überwiegend einen subjektivierenden Ansatz. Sie grenzt selbstschädigende Verfügung und fremdschädigende Wegnahme anhand der Vorstellung des Opfers ab. Ist nach dessen Sicht eine Mitwirkungshandlung zwingend erforderlich, um den Gewahrsamsübergang zu bewirken, schädigt sich das Opfer selbst. Eine Wegnahme scheidet somit aus. Anders liegt der Fall nach dieser Auffassung, wenn der Täter sich auch ohne Mitwirkung des Opfers der Sache bemächtigen kann. Grundsätzlich anderer Ansicht ist die Rechtsprechung. Nach dieser ist objektiv anhand des Übergangsakts des Gewahrsams abzugrenzen. Stellt sich die Situation rein äußerlich als Nehmen dar, soll eine Wegnahme gegeben sein. Gibt das Opfer die Sache dem Täter heraus, nimmt die Rechtsprechung eine Verfügung an.

Dieser Streit bedarf vorliegend keiner Entscheidung, wenn die Ansichten zum gleichen Ergebnis kommen. Nach der Literaturansicht liegt eine Verfügung vor. O ist sich bewusst, dass A und B den Laptop nicht ohne sein Zutun finden werden, sodass eine Herausgabe seinerseits eine bewusste Selbstschädigung i.R.e. Verfügung wäre. A hat dies auch in seinen Vorsatz aufgenommen. Dasselbe Ergebnis erreicht die Rechtsprechung: A geht davon aus, dass O ihm den Computer nach der Drohung mit der Pistole herausgeben wird. Der Vorsatz des A ist damit auf einen äußerlich als Hingabe des Gegenstandes erscheinenden Vorgang gerichtet. Auch nach dieser Ansicht stellt sich A also keine Wegnahme, sondern eine Verfügung vor. Nach beiden Ansichten geht es ihm nicht um einen eigenmächtigen Gewahrsamsbruch, sondern um eine Veranlassung der Herausgabe durch vis compulsiva. Es fehlt demnach am Tatentschluss hinsichtlich der Wegnahme i.S.d. § 249 StGB. Der subjektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

b) Vorbehaltlosigkeit

Die Frage, ob der Tatentschluss vorbehaltlos gefasst wurde, weil A von der Tat bei Anwesenheit eines Kindes Abstand nehmen wollte, kann deshalb an dieser Stelle dahinstehen.

3. Ergebnis

A ist nicht strafbar wegen eines versuchten Raubes gem. §§ 249, 22, 23 I Alt. 1 StGB.

II. Strafbarkeit des A gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1 StGB

In Frage kommt aber eine Strafbarkeit wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1 StGB, indem A an der Tür klingelt.

1. Vorprüfung

Der Versuch der räuberischen Erpressung ist gem. §§ 23 I Alt. 1, 12 I, 255, 249 I StGB strafbar und die Tat ist mangels Erfüllung des objektiven Tatbestandes nicht vollendet.

2. Vorbehaltloser Tatentschluss

A müsste zur Begehung der Tat vorbehaltlos entschlossen gewesen sein.

a) Tatentschluss

A plante, gegen O ein i.S.d. § 255 StGB qualifiziertes Nötigungsmittel, die Drohung mit einer Gefahr für Leib und Leben, einzusetzen. Er hat insofern Vorsatz in Form der Absicht (vgl. oben). Umstritten ist, ob der Tatbestand der räuberischen Erpressung zudem eine Vermögensverfügung voraussetzt.4 Die Rechtsprechung sieht dieses Merkmal nicht als notwendige Voraussetzung des Erpressungstatbestandes an. Der Tatbestand könne auch durch eine Wegnahme erfüllt werden. Anderer Ansicht ist auch an dieser Stelle die herrschende Literatur. Sie sieht das Merkmal der Vermögensverfügung als unverzichtbaren Tatbestandsbestandteil der Erpressung an. Der Streit kann freilich dahinstehen, wenn eine Verfügung gegeben ist, da diese nach beiden Ansichten jedenfalls hinreicht.

hemmer-Methode: In diesem Streit verweist die herrschende Literatur insbesondere auf systematische Unstimmigkeiten, da der BGH den Raub als Qualifikation der räuberischen Erpressung einordnet und dies der gesetzlichen Regelungstechnik widerspricht. Auch seien §§ 253, 255 StGB nicht als Delikt umfassenden Vermögensschutzes konzipiert. Der BGH stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass eine Bestrafung willensausschließender Gewalt gem. § 249 StGB nicht engeren Voraussetzungen unterliegen darf als diejenige nur willensbeugender Gewalt in §§ 253, 255 StGB.5

Dies ist der Fall, da sich der Wille des A auf eine Vermögensverfügung als Nötigungserfolg richtet. Diese wird bestimmt als jedes willentliche Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.6 Wobei das Merkmal der Willentlichkeit entsprechend dem oben zur Wegnahme Gesagten von herrschender Literatur und Rechtsprechung abweichend bestimmt wird. Nach beiden Ansichten ist der Wille des A -- wie bereits ausgeführt -- auf die Nötigung zu einer Vermögensverfügung gerichtet. Der angesprochene Streit um die Erforderlichkeit des Merkmals kann dahinstehen. Der zielgerichtete Erfolgswille des A war auf eine Schädigung des O durch Erlangung der Sachherrschaft über den Laptop als Vermögensbestandteil gerichtet.

A handelte überdies in der Absicht, sich selbst auf Kosten des O zu bereichern. Er ist sich der Stoffgleichheit der erstrebten Bereicherung und dem Nachteil des O bewusst und erstrebt die Bereicherung bewusst rechtswidrig.7

Der Vorsatz des A ist darauf gerichtet, eine Waffe i.S.d. § 250 II Nr. 1 Alt. 1 StGB zu verwenden. Die Benutzung zur Drohung, so wie A sie plante, genügt zur Erfüllung dieser Qualifikation.

Zwischenergebnis: A hat alle Tatbestandmerkmale in seine Vorstellung aufgenommen und einen entsprechenden Tatentschluss gefasst.

b) Vorbehaltlosigkeit

Da der Versuch seinen Strafgrund nach der herrschenden objektiv-subjektiven Konzeption neben dem Ansatz zur Rechtsgutbeeinträchtigung auch in der Betätigung eines Rechtsfeindlichen Willens findet, muss dieser Wille vorbehaltlos gefasst sein.8 Erforderlich ist der subjektiv unbedingte Handlungswille des Täters. Vorliegend ist dies bei A zweifelhaft, weil er von der Tat bei Anwesenheit eines Kindes Abstand nehmen will.

hemmer-Methode: Eine Mindermeinung verortet dieses Problem dagegen erst und nur auf der Ebene des unmittelbaren Ansetzens.9 Der Korrektorenerwartung dürfte eine Diskussion erstmalig an dieser Stelle aber eher entsprechen.

An dieser Voraussetzung soll es dann fehlen, wenn noch ein weiterer Willensimpuls -- ein letzter „Willensruck" -- notwendig ist.10 Der Tatentschluss ist insbesondere dann nicht vorbehaltlos, wenn der Täter sich über das „Ob" der Tat noch nicht klar ist. Von dieser subjektiven Bedingtheit der Tatausführung ist die objektive Bedingtheit der Tatausführung zu unterscheiden. Solche lassen die grundsätzliche Entscheidung für die Tat unberührt und betreffen nur die Modalitäten der Ausführung. Die Tat, zu der der Täter unbedingt entschlossen ist, soll im Falle einer nur objektiven Bedingung unter bestimmten Umständen unterbleiben. Mit anderen Worten ist der Tatentschluss auf bewusst unsicherer Tatsachengrundlage nicht per se für die Vorbehaltlosigkeit des Tatenschlusses schädlich. Entsprechend führt die „auflösende" Bedingung eines gefassten Entschlusses, die von äußeren Umständen abhängt, nicht zum Entfallen der Vorbehaltlosigkeit des Tatentschlusses.11

So liegt der Fall hier. A ist abschließend entschlossen, die Tat durchzuführen. Dass er hiervon bei Anwesenheit eines Kindes absehen will, ist eine nur objektive Bedingung. Diese betrifft die Frage der Tatmodalität zum konkreten Zeitpunkt, ändert aber am endgültigen Willen zur Tatausführung nichts. Die unsichere Tatsachengrundlage hinsichtlich der Anwesenheit von Kindern im Haus des O ist also i.R.d. Vorbehaltlosigkeit des Tatentschlusses unbeachtlich. Der Tatentschluss des A ist vorbehaltlos.

Zwischenergebnis: A handelt mit vorbehaltlosem Tatentschluss und erfüllt den subjektiven Tatbestand.

3. Unmittelbares Ansetzen

I.R.d. objektiven Tatbestandes müsste A zum Versuch i.S.d. § 22 StGB unmittelbar angesetzt haben. Hierzu wurden und werden verschiedene Ansätze vertreten, die in ihren Nuancen kaum mehr überschaubar ausfasern. Die Grundaussagen der wesentlichen zu dieser Frage vertretenen Theorien kombiniert die Rechtsprechung pragmatisch zu ihrer Vereinigungsformel. Als Synthese verschiedener Typusmerkmale ist diese Ansicht der isolierten Anwendung der Theorien vorzuziehen. Dabei rekurriert sie auf subjektive Elemente, wenn die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschritten sein muss. Zudem soll objektivierend ausschlaggebend sein, dass der Täter nach seiner Vorstellung alles seinerseits zur Tatbestandserfüllung Erforderliche getan hat, sodass das Rechtsgut aus seiner Sicht in eine konkrete Gefahr gebracht ist.12 Auch dürfen aus Tätersicht auf dem Weg zur Rechtsgutverletzung keine notwendigen Zwischenschritte erforderlich sein und er muss nach seiner Vorstellung die Opfersphäre in räumlicher und zeitlicher Hinsicht bereits berühren.13

Die Formulierung „objektiver" Abgrenzungsmerkmale darf aber nicht missverstanden werden. Zwar wählen diese Theorien eine objektive Anknüpfung. Wie jedes Merkmal der Versuchsprüfung ist aber auch das unmittelbare Ansetzen anhand der Tätervorstellung zu beurteilen. Nur diese ist der Anwendung aller Abgrenzungskriterien zu Grunde zu legen.14 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

Beim Klingeln an der Haustür dringt der Täter räumlich und zeitlich in die Opfersphäre ein, wenn das Öffnen unmittelbar in die Tatausführung münden soll. In diesem Fall ist das Öffnen nach der Tätervorstellung kein wesentlicher Zwischenakt mehr. Bereit zum Losschlagen, hat der Täter die „Feuerprobe der kritischen Situation" bereits bestanden und die Rechtsgüter des Opfers sind nach dem Plan des Täters bereits unmittelbar gefährdet. Komplementär stellt sich die Situation dar, wenn der Täter durch das Klingeln zunächst nur den Einlass erwirken möchte und erst nach dem Eintreten und gegebenenfalls weiteren Zwischenschritten zur Tatausführung schreitet. In diesem Fall hält der Täter weitere Zwischenschritte für nötig, durch die er erst in die Opfersphäre eindringen will. Auch die weiteren Abgrenzungskriterien sind anhand seiner Vorstellung noch nicht erfüllt.

An sich könnte hier vom Vorliegen des ersten Falles ausgegangen werden, da A den O unmittelbar nach dem Öffnen überwältigen möchte. Dies ließe aber die besonderen Umstände des Falles außer Betracht. A klingelt mit einem Vorbehalt an der Tür, den Tatplan nicht unmittelbar umzusetzen, sofern sich im Haus Kinder zeigen sollten. Dieser Vorbehalt schließt zwar den Tatentschluss nicht aus, beeinflusst aber die Grundlagen der Einschätzung des unmittelbaren Ansetzens.15 Da A offenbar noch an der Haustür dabei war, das Haus wegen der Anwesenheit von Kindern zu beobachten, musste er davon ausgehen, dass jederzeit die Negativbedingung für seine Tat eintreten würde. Weil diese Bedingung nach seiner Vorstellung auch hinreichend wahrscheinlich war, waren nach seiner Auffassung die Rechtsgüter des O nicht unmittelbar gefährdet. Gleiches gilt für die Zwischenaktstheorie. Der latente Vorbehalt, der sich jederzeit realisieren konnte, macht aus dem Öffnen der Tür einen für die Tatausführung wesentlichen Akt. Es wäre möglich gewesen, dass A erst nach dem Öffnen ein Kind im Haus entdeckt. Weil es dies nach dem Plan des A zu verifizieren galt, sind das räumlich-zeitliche Eindringen in die Opfersphäre ebenso wie das Bestehen der „Feuerprobe der kritischen Situation" für ihn subjektiv an der Tür noch ausgeschlossen.

Zwischenergebnis: A hat nicht unmittelbar zum Versuch der räuberischen Erpressung angesetzt. Der Versuchstatbestand ist nicht erfüllt.

4. Ergebnis

A ist nicht strafbar wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1 StGB.

III. Strafbarkeit des A gem. §§ 240 I, III, 22, 23 I Alt. 2 StGB und § 239a I StGB

A hat sich zudem nicht wegen versuchter Nötigung gem. §§ 240 I, III, 22, 23 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht. Zwar ist -- neben der Strafbarkeit des Nötigungsversuchs gem. §§ 240 III, 23 I Alt. 2 StGB -- der Tatentschluss hinreichend gefasst. Allerdings fehlt es mit gleicher Argumentation wie im Rahmen der räuberischen Erpressung am unmittelbaren Ansetzen zum Nötigungsversuch. Gleiches gilt i.R.d. § 239a I Alt. 1 StGB für ein Ansetzen zur Bemächtigung.

IV. Strafbarkeit des B gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1, 25 II StGB

Indem er sich vor dem Haus versteckte, während A an der Haustür klingelte, könnte sich B wegen einer versuchten schweren räuberischen Erpressung in Mittäterschaft gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

1. Vorprüfung

Der Versuch der räuberischen Erpressung ist strafbar und die Tat ist nicht vollendet (s.o.).

2. Vorbehaltloser Tatentschluss

Wie auch A, hatte -- ob der konsensualen gemeinsamen Planung -- B einen vorbehaltlosen Tatentschluss hinsichtlich der Begehung einer schweren räuberischen Erpressung. Dabei hatte B auch die Verwendung der Pistole in seine Vorstellung aufgenommen. Fraglich ist aber, ob sein Wille auch auf eine täterschaftliche Beteiligung an der Tat gerichtet ist, wobei eine Mittäterschaft gem. § 25 II StGB in Betracht kommt.

A und B fassten einen gemeinsamen Tatplan. Nach diesem Plan sollten beide jeweils einen Tatbeitrag erbringen, B seinerseits vor dem Haus wachen und den A dann unterstützen. Dieser Tatbeitrag begründet nach allen Abgrenzungstheorien -- beurteilt anhand des Willens des B -- Täterschaft. B hat wie auch A den Willen zur Täterschaft, da soweit ersichtlich auch er am Taterfolg partizipiert und er den Taterfolg in gleicher Weise als eigenen erstrebt. Er weist den nach der subjektiven Theorie erforderlichen animus auctoris auf. Auch begründet sein Beitrag nach seiner Vorstellung Tatherrschaft. Er ist sich des funktionellen Gewichts des Wachestehens bewusst und soll zeitlich verzögert auch an der Tathandlung teilnehmen. Hierdurch wird die Drohkulisse für O verstärkt und der Taterfolg wesentlich gefördert. Nach seiner Vorstellung kann B die Tat somit willkürlich hemmen oder doch durchführen. Schließlich weicht angesichts dieser eindeutigen Feststellungen auch die normative Kombinationstheorie des BGH als Vereinigung objektiver und subjektiver Elemente nicht ab. Dieser Streit muss somit nicht entschieden werden.16 Der Vorsatz des B ist auf eine mittäterschaftliche Beteiligung gerichtet. Der subjektive Tatbestand ist erfüllt.

3. Unmittelbares Ansetzen

Fraglich ist, ob B zum Versuch der räuberischen Erpressung angesetzt hat. Er führte bis zum Abbruch der Tatausführung nur Hilfstätigkeiten aus. Diese reichen nach allen Abgrenzungstheorien nicht aus, um von einem Versuchsbeginn auszugehen. B tangiert nicht die Opfersphäre. Er müsste sich im Haus noch mit A, als wesentlichem Zwischenakt, abstimmen und ist in seiner Beobachtungsposition keine Gefahr für O.

Umstritten ist, ob der Eintritt des A in das Versuchsstadium das Ansetzen auch des B begründet.17 Es konkurrieren die Einzellösung, die jeden Mittäter einzeln betrachtet und die Gesamtlösung, die mit Versuchsbeginn eines Mittäters das Versuchsstadium für alle postuliert. Tatsächlich ist letzterer Theorie der Vorzug zu geben, da nur sie der umfassenden Zurechnung gem. § 25 II StGB hinreichend Rechnung trägt. Der Streit bedarf hier aber keiner abschließenden Erörterung, da schon A nach den bisherigen Feststellungen nicht zur Erpressung angesetzt hat. Auch B setzt somit nicht unmittelbar zum Versuch der räuberischen Erpressung an.

Anmerkung: Die Prüfung des B hätte vorliegend auch kürzer ausfallen können. Allerdings sollte kurz die Art der Beteiligung des B diskutiert werden.

4. Ergebnis

B ist nicht gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 Alt. 1, 22, 23 I Alt. 1, 25 II StGB strafbar.

V. Strafbarkeit von A und B gem. § 30 II Var. 3 StGB

Schließlich könnten A und B wegen einer Verbrechensverabredung gem. § 30 II Var. 3 StGB strafbar sein.

1. Tatbestand

Zunächst musste eine Verabredung vorliegen. Hierzu bedarf es einer ernstlichen und konkretisierten Vereinbarung. Notwendig ist ein endgültiger Tatentschluss, welcher -- entsprechend der Versuchsdoktrin -- durch äußere Bedingungen nicht ausgeschlossen wird.18 Die Planung von A und B erfüllt diese Voraussetzung. Insbesondere demonstriert die spätere fortgeschrittene Ausführung den hinreichenden Konkretisierungsgrad. Der Vorbehalt von A und B schließt wie oben auch hier die Ernstlichkeit der Vereinbarung nicht aus.

Die Vereinbarung muss mit einem anderen geschlossen werden. Dies setzt eine gemeinschaftliche und gleichrangige Tätigkeit aller Beteiligten voraus.19 Angesicht der anvisierten Mittäterschaft von A und B ist das Merkmal erfüllt.

A und B wollen schließlich mit der schweren räuberischen Erpressung (s.o. zur Qualität gem. § 12 I StGB) ein Verbrechen begehen.

§ 30 II Var. 3 StGB ist tatbestandlich erfüllt.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.

3. Strafaufhebungsgrund -- Rücktritt

A und B könnten durch Verlassen des Hauses strafbefreiend gem. § 31 StGB zurückgetreten sein. Hierzu müssten sie die Tat gem. § 31 I Nr. 3 StGB nach der Verabredung freiwillig verhindert haben. Dies trifft für A zu. Da er die Tat anfangs steuern sollte, reicht sein Untätigbleiben als Verhinderung aus, wenn der Beteiligte weiß, dass die Tat ohne seinen Beitrag nicht begangen wird. Darum wusste A aufgrund der gemeinsamen Planung, dass er die Tat im Moment des Weggehens von der Tür verhindert. § 31 I Nr. 3 StGB ist erfüllt, zumal A aus autonomen Motiven und damit freiwillig handelt.20

Indem auch B mit A darüber übereinstimmt, den Plan nicht mehr umzusetzen, verhinderte auch B freiwillig die Tatumsetzung i.S.d. § 31 I Nr. 3 StGB.

Folglich sind beide Beteiligten gem. § 31 StGB strafbefreiend von ihrer Verbrechensverabredung zurückgetreten.

4. Ergebnis

A und B sind nicht strafbar gem. § 30 II StGB.

VI. Ergebnis

A und B sind straflos.

D) Kommentar

(bb). Die dem Fall zugrunde liegende Entscheidung des BGH vermag zu überzeugen. Teilweise wird in solchen Fällen kritisiert, dass die Anforderungen für ein unmittelbares Ansetzen i.S.d. § 22 StGB zu hoch angesetzt würden. Trotz der unmittelbaren räumlichen Nähe des vermeintlichen Täters würde eine Versuchsstrafbarkeit allein aus Gründen verneint, die in der Person des Täters liegen. Dies könne kriminalpolitisch nicht überzeugen.

Überdies könnte das Verneinen eines unmittelbaren Ansetzens aufgrund eines inneren Vorbehalts dazu verleiten, solche nur „vorzuschieben", um einer entsprechenden Versuchsstrafbarkeit in bestimmten Fällen zu entgehen. Allerdings ist es in solchen Fällen die Aufgabe des Tatrichters, entsprechende Einlassungen auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen. Gibt es keine sonstigen Anhaltspunkte, welche einen entsprechenden Vortrag stützen, kann der Tatrichter einen solchen Vortrag als bloße Schutzbehauptung qualifizieren. Der Grundsatz „in dubio pro reo" greift nur, wenn entlastende Umstände nach umfassender Beweiswürdigung jedenfalls hinreichend nahe liegen.

E) Zur Vertiefung

  • Zur Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung 
    Hemmer/Wüst, Strafrecht BT I, Rn. 198 ff.
  • Zum Tatentschluss 
    Hemmer/Wüst, Strafrecht AT II, Rn. 46 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Wie lautet die Formel des BGH zur Abgrenzung von Vorbereitungsstadium und Versuch?
  2. Wie wird das Merkmal der Vorbehaltlosigkeit des Tatentschlusses bestimmt?

  1. Zur Definition Joecks, § 249 StGB, Rn. 12.

  2. Vgl. Fischer, § 249 StGB, Rn. 3; § 242 StGB, Rn. 10 ff.

  3. Prägnant zum Streit Joecks, § 249 StGB, Rn. 9 f.

  4. Vgl. hierzu Fischer, § 253 StGB, Rn. 10 f.

  5. Vgl. Jäger, Strafrecht BT, Rn. 276.

  6. Vgl. Schönke/Schröder, § 253 StGB, Rn. 8.

  7. Zum subjektiven Merkmal vgl. Fischer, § 253 StGB, Rn. 18.

  8. Vgl. Joecks, Vor § 22 StGB, Rn. 7 ff., insb. Rn. 15.

  9. Vgl. MK-StGB, § 22 StGB, Rn. 103 ff.

  10. Vgl. Schönke/Schröder, § 22 StGB, Rn. 18.

  11. Vgl. Schönke/Schröder, § 22 StGB, Rn. 18.

  12. Vgl. Fischer, § 22 StGB, Rn. 11.

  13. Vgl. Joecks, § 22 StGB, Rn. 24.

  14. Implizit Fischer, § 22 StGB, Rn. 9: „nach Maßgabe seines Tatplans".

  15. Vgl. schon BGH, NStZ 1999, 395, 396 **.

  16. Zum Streit Hemmer/Wüst, Strafrecht AT II, Rn. 230.

  17. Vgl. Fischer, § 22 StGB, Rn. 21.

  18. Vgl. Joecks, § 30 StGB, Rn. 12 f.

  19. Vgl. Joecks, § 30 StGB, Rn. 12.

  20. Die Definition des § 31 StGB stimmt mit § 24 StGB insofern überein, vgl. Fischer, § 31 StGB, Rn. 2.