Nemo tenetur-Grundsatz -- Reichweite und Grenzen?

BGH, Urteil vom 27.06.2013 -- 3 StR 435/12

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Beweiserhebungs-, Beweisverwertungsverbot +++ Belehrungspflicht gem. § 136 I S. 2 StPO +++ Bedeutung der Selbstbelastungsfreiheit +++

Sachverhalt (leicht abgeändert): Am 16. Mai 2013 urinierte S auf einen Fußweg. Hierüber beschwerte sich der vorbeikommende O und geriet daraufhin in eine Auseinandersetzung mit S. Als der Streit eskalierte, kam ein zunächst unbekannter Mann hinzu, der O zu Boden schlug und gegen dessen Kopf und Leib trat. O erlitt hierdurch erhebliche Verletzungen, wurde jedoch rechtzeitig gerettet und überlebte.

Etwa drei Wochen nach der Tat wurde A -- als zweiter Tatverdächtiger neben S -- wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen und am nächsten Tag um ca. 13:30 Uhr der Ermittlungsrichterin des zuständigen Amtsgerichts vorgeführt, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß, unter anderem nach § 136 I S. 2 StPO, belehrte. A erklärte, dass er seinen Verteidiger, Rechtsanwalt R, beigeordnet bekommen wolle. Die Ermittlungsrichterin unterbrach daraufhin die Vernehmung und versuchte um 13:35 Uhr, den Verteidiger telefonisch zu erreichen. Dort meldete sich ein Anrufbeantworter mit der Ansage, dass das Büro während der Mittagspause von 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr nicht besetzt sei. Die Ermittlungsrichterin kehrte in das Vernehmungszimmer zurück und teilte A mit, dass sie seinen Verteidiger nicht habe erreichen können. A erklärte daraufhin, er wolle sich zur Sache nicht äußern, und fügte unaufgefordert hinzu, er kenne den -- im Haftbefehl genannten -- S, habe mit diesem aber nichts zu tun. Die Ermittlungsrichterin fragte daraufhin, ob er gesehen habe, wie S auf den Fußweg uriniert habe. A verneinte dies. Sodann fragte die Ermittlungsrichterin weiter, wie O verletzt worden sei. A ließ sich im Folgenden umfassend zur Sache ein und räumte auf weitere Nachfragen ein, den O zweimal gegen den Kopf getreten zu haben.

Im Haftprüfungstermin revidierte A -- nunmehr anwaltlich beraten -- sein Geständnis und gab an, er könne sich nicht erinnern, ob er den O getreten habe.

In der Hauptverhandlung machte A schließlich von seinem Schweigerecht Gebrauch. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren vernahm das zuständige Landgericht daher -- trotz Widerspruchs des Verteidigers von A -- die Ermittlungsrichterin und stützte auf deren belastende Aussage die Verurteilung des A.

Geschah die Beweisverwertung zu Recht?

A) Sound

Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen -- zumal zum Randgeschehen -- nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 I S. 2 StPO die Konsultation eines benannten Verteidigers begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

B) Problemaufriss

Fragestellungen im Kontext mit der Zulässigkeit einer Beweisverwertung sind für beide Examina absolut klassisch. Wichtig ist insoweit vor allem eine klare (gedankliche) Gliederung. Zunächst sollte geklärt werden, ob die Beweiserhebung als solche fehlerhaft war, also hierbei gegen gesetzliche Vorgaben verstoßen wurde (sog. Beweiserhebungsverbot). Wenn dies zu bejahen ist, gilt es auf zweiter Stufe zu klären, ob hieraus ein Beweisverwertungsverbot (aufgrund gesetzlicher Regelung bzw. aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung) resultiert. Daneben gilt es weiter zu klären, ob möglicherweise -- ganz unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung -- aus besonderen Umständen ein selbstständiges Beweisverwertungsverbot anzunehmen ist. Dies kann ebenfalls unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen sein oder sich ausnahmsweise aus der verfassungsrechtlichen Bewertung, insbesondere im Hinblick auf Art. 1, 2 GG, ergeben.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob die Verurteilung des A auf die Aussage der Ermittlungsrichterin über die Angaben des A im Ermittlungsverfahren gestützt werden durfte.

Dies wäre abzulehnen, wenn diese Angaben einem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Vorliegend könnte ein unselbstständiges Beweisverwertungsverbot gegeben sein.

Übersicht über die Beweisverbote

I. Beweiserhebungsverbote

1. Beweisthemenverbote, nach denen bestimmte Tatsachen vom Gericht nicht aufgeklärt werden dürfen (z.B. § 43 DRiG, § 174 III GVG, § 51 I BZRG)

3. Beweismittelverbote, nach denen die Benutzung bestimmter Beweismittel unzulässig ist (z.B. §§ 250, 252 StPO)

2. Beweismethodenverbote, nach denen eine bestimmte Art und Weise der i.Ü. zulässigen Beweisgewinnung untersagt ist (z.B. § 136a I, II StPO)

II. Beweisverwertungsverbote

1. Gesetzliche BVVe (z.B. § 136a III S. 2 StPO)

2. Ungeregelte BVVe

a) Selbstständige BVVe (trotz rechtmäßiger Beweiserhebung)

b) Unselbstständige BVVe (infolge eines Verfahrensverstoßes)

I. Verfahrensfehler / Verstoß gegen Beweiserhebungsverbot

Hierzu müsste zunächst der Beweis verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot erlangt worden sein. Ein solches Beweiserhebungsverbot könnte sich hier aus § 136 I S. 2 StPO ergeben.

1. Belehrungspflicht-Verstoß

Ein Verfahrensverstoß könnte darin liegen, dass keine ausreichende Belehrung des A über seine Rechte als Beschuldigter erfolgt ist.

Nach § 136 I S. 2 StPO ist der Beschuldigte zu Beginn seiner ersten richterlichen Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung -- als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens -- in ihren Grundlagen. Die Verteidigerkonsultation hat dabei insbesondere auch den Zweck, dass sich der Beschuldigte beraten lassen kann, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will oder nicht.1

Die Belehrungspflichten des § 136 I S. 2 StPO schützen mithin die Selbstbelastungsfreiheit, die im Strafverfahren von überragender Bedeutung ist: Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Er ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art. 1, 2 I GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und gehört zum Kernbereich des von Art. 6 I MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren.2 Aus diesem Grund wiegt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht schwer.

Vorliegend hat die Ermittlungsrichterin den A jedoch zu Beginn seiner Vernehmung ordnungsgemäß nach § 136 I S. 2 StPO belehrt. Insofern ergibt sich unmittelbar hieraus kein Verfahrensverstoß.

2. Nichtgewährung der Rechte

Ein Verfahrensfehler könnte aber darin liegen, dass A die Rechte, über die er belehrt worden ist, gegebenenfalls faktisch nicht gewährt worden sind.

a) Beachtlichkeit der Rechtsausübung

Entscheidet sich der Beschuldigte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, so ist dies von den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu respektieren; stetige Nachfragen ohne zureichenden Grund können das Schweigerecht entwerten. Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger zu konsultieren wünscht. Insoweit ist anerkannt, dass die Vernehmung sogleich zu unterbrechen ist, um eine Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu ermöglichen. Der Beschuldigte darf nicht gedrängt werden, weitere Angaben zu machen.3

Diese Vorgaben hat die Ermittlungsrichterin vorliegend nicht genügend beachtet. Zwar hat sie zunächst prozessordnungsgemäß die Vernehmung unterbrochen, um den von A gewünschten Verteidiger zu erreichen und so eine Konsultation durch diesen zu ermöglichen. Angesichts des kurzen Zeitraums, in dem der Verteidiger wegen der Mittagspause seiner Kanzlei unerreichbar war, bestand indes kein nachvollziehbarer Grund, mit der Vernehmung nicht bis nach der Mittagspause zuzuwarten. An dieser Bewertung ändert auch die Berücksichtigung eines etwaigen Interesses der Ermittlungsbehörden, möglichst frühzeitig Angaben des Beschuldigten zu erhalten, nichts; diesem kommt hier angesichts der etwa drei Wochen zurückliegenden Tat und des Umstands, dass bereits ein Haftbefehl ergangen war, allerdings ohnehin keine weitere Bedeutung zu. Zudem war auch keine neue prozessuale Situation aufgetreten, auf Grund derer zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte.

Daher bestand für die Ermittlungsrichterin zu diesem Zeitpunkt keinerlei Veranlassung, die Vernehmung des A fortzuführen, ohne dass dieser zuvor seinen Verteidiger konsultiert hätte.

hemmer-Methode: Achten Sie bei der Subsumtion stets darauf, die Besonderheiten des Sachverhalts mit einzubeziehen. Nicht schablonenartiges Abspulen von Wissen ist entscheidend, sondern eine sachgerechte Lösung des konkreten Einzelfalls auf der Basis der gesetzlichen Wertung.

b) Keine Zustimmung des Beschuldigten

Allerdings könnte die Fortsetzung der Vernehmung infolge der Zustimmung des A hierzu rechtmäßig gewesen sein.

aa) Zustimmungsmöglichkeit

In der beschriebenen Fallkonstellation kann eine Vernehmung ausnahmsweise auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zustimmt, wobei eine solche Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden kann. Dieses kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine Verteidigerkonsultation noch nicht möglich war.4 Indem A unmittelbar nach seiner Berufung auf sein Schweigerecht von sich aus angab, dass er den S zwar kenne, aber nichts mit diesem zu tun habe, tätigte er eine eben solche spontane Äußerung.

Anmerkung: Die Problematik der „Spontanäußerung" ist in erster Linie in einer etwas anderen Konstellation bekannt: So sind die Angaben eines Zeugen oder Beschuldigten, der entgegen §§ 52 III S. 1, 55 II, 136 I S. 2 StPO vor seiner Vernehmung nicht über sein Zeugnis-, Auskunftsverweigerungs- oder Schweigerecht belehrt worden ist, grundsätzlich unverwertbar. Das Verwertungsverbot entfällt jedoch, wenn der Zeuge oder Beschuldigte ohne Zutun der Verhörsperson vor der beabsichtigten Belehrung spontan eine Äußerung abgegeben hat.

bb) Anforderungen an konkludente Zustimmung

Jedoch muss bei der Prüfung, ob in Spontanäußerungen des Beschuldigten zugleich die eigenverantwortliche und von einem freien Willensentschluss getragene Zustimmung zu einer Fortsetzung der Vernehmung zu sehen ist, der enge Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und dem Recht auf Verteidigerkonsultation in den Blick genommen werden. Dient die Ermöglichung der Beratung durch einen Verteidiger gerade dazu, eine sachgerechte Entscheidung des Beschuldigten über den Umgang mit dem Schweigerecht zu ermöglichen, so sind an das Vorliegen einer -- noch dazu konkludent erklärten -- Zustimmung zur Fortsetzung der Vernehmung hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist die bloße Entgegennahme spontaner Äußerungen regelmäßig unbedenklich; diese und die spätere Verwertung solcher Angaben sind auch bei einem nicht über seine Rechte belehrten Beschuldigten zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belehrungspflicht des § 136 I S. 2 StPO -- und damit letztlich die dadurch geschützten Beschuldigtenrechte -- gezielt umgangen werden sollten, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten.5 Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es indes, dass auch Spontanäußerungen -- zumal zum Randgeschehen -- nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 I S. 2 StPO die Konsultation eines benannten Verteidigers begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

cc) Hier: keine Zustimmung

Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zunächst einmal betraf die Äußerung des A lediglich seine Beziehung zu einer am Vorgeschehen der Tat beteiligten Person, dem S; er machte keine Angaben zu dessen Verhalten und ebenso wenig zum eigentlichen Tatgeschehen. Die die Tat unmittelbar betreffende Einlassung gab A erst ab, nachdem die Ermittlungsrichterin ihm -- von seiner Äußerung ausgehend -- gezielte Nachfragen zum Verhalten von S und zum Tatgeschehen gestellt hatte. Damit ging diese über die bloße Entgegennahme seiner Äußerung hinaus; hierin liegt nach den dargelegten Maßstäben ein unzulässiger Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit des A.

Seine Äußerung kann hier auch nicht dahin verstanden werden, dass er in freier Entscheidung seinen unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebrachten Entschluss, sich nicht zur Sache einzulassen, revidiert hätte. Seine Angaben waren inhaltlich vom Tatvorwurf so weit entfernt, dass ihnen nicht die konkludente Erklärung entnommen werden konnte, A wolle entgegen seiner zuvor ausdrücklich geäußerten Absicht doch umfassend aussagen.

Jedenfalls hätte es der Ermittlungsrichterin in dieser Situation -- wollte sie nicht den Eindruck erwecken, die Berufung des A auf sein Schweigerecht zu übergehen -- auf Grund ihrer verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht oblegen, durch ausdrückliche Befragung zu klären, ob A nunmehr gleichwohl bereit war, Angaben zur Sache zu machen, gegebenenfalls auch ohne vorherige Verteidigerkonsultation.

Auch dies ist nicht geschehen. Die Ermittlungsrichterin hat ihre Kenntnis von den Angaben des A zur Sache daher unter Verstoß gegen das Verfahrensrecht erlangt. Sie hat ein Beweiserhebungsverbot verletzt.

II. Beweisverwertungsverbot

Aus dem Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot müsste darüber hinaus ein Verwertungsverbot hinsichtlich der betroffenen Tatsachen folgen.

Nach ständiger Rechtsprechung zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird. Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern.6

hemmer-Methode: Die vorbeschriebene Wertung sollte regelmäßig vor der eigentlichen Subsumtion jedenfalls kurz erwähnt werden. Wichtig ist, dass nicht jeder Fehler bei der Beweisgewinnung zu einem Verwertungsverbot führt, sondern insoweit eine umfassende Abwägung zwischen den Grundrechten des Beschuldigten und dem allgemeinen Interesse an der Strafrechtspflege zu erfolgen hat.

So verhält es sich hier: Die von § 136 I S. 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören, wie oben bereits dargelegt, zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann. Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht selten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem selbst bei einer späteren Änderung des Aussageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist. Diese Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend, sodass nach den genannten Maßstäben in der vorliegenden Fallkonstellation ein Beweisverwertungsgebot zu bejahen ist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass A auf Grund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte. Zwar kann ein Beschuldigter, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zur Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen Verteidigerkonsultations- und Schweigerecht ist vorliegend jedoch von einem höheren Schutzniveau auszugehen: A hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Beratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache, was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.

Zudem ist nicht ersichtlich, dass sich A im Zeitpunkt seiner ihn belastenden Einlassung dieser Belehrung noch bewusst war, zumal er nicht differenziert damit umging. Vielmehr befand er sich im Unklaren darüber, ob und gegebenenfalls wann sein Verteidiger erreichbar sein würde, und er konnte die wiederholten Nachfragen der Ermittlungsrichterin dahingehend verstehen, dass seinem geäußerten Wunsch, sich jedenfalls nicht ohne vorherige Befragung seines Verteidigers zur Sache einzulassen, nicht entsprochen werden würde. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn A erneut über seine Rechte belehrt worden wäre.

Schließlich sprechen auch weder die Schwere des Tatvorwurfs noch der Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, nicht gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muss.7

Insgesamt ist daher ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen.

III. Rechtsfolge

Ein Beweisverwertungsverbot hat zu Folge, dass die betroffenen Tatsachen nicht zum Gegenstand der Beweiswürdigung und Urteilsfindung gemacht werden dürfen.8 Dies betrifft vorliegend jede Form der Beweiseinführung in die Hauptverhandlung, sodass das Landgericht hier die Ermittlungsrichterin nicht als Zeugin hätte vernehmen dürfen. Es durfte die Verurteilung des A dementsprechend auch nicht auf einen solchen Beweis stützen, der im betroffenen Verfahren gar nicht zulässigerweise verwendet werden konnte. Sofern in dem Strafverfahren nicht noch andere Beweismittel vorlagen, die einen Schuldspruch bezüglich A stützen konnten, hätte das Landgericht diesen sogar freisprechen müssen.

Anmerkung: Auf dieser Grundlage kann A bzw. dessen Verteidiger gegen das Urteil des Landgerichts Revision einlegen. Es handelt sich insoweit um einen relativen Revisionsgrund i.S.d. § 337 I StPO.

D) Kommentar

(bb). Die dem Fall zugrunde liegende Entscheidung des BGH vermag zu überzeugen. Der Rechtsgedanke der Belehrungspflicht gem. § 136 I S. 2 StPO droht leerzulaufen, wenn die erfolgte Belehrung durch späteres faktisches Handeln der vernehmenden Person entwertet wird. Für die Entscheidung, in welchen Fällen dies anzunehmen ist, ist die Wertung des Gebots der Selbstbelastungsfreiheit (sog. nemo tenetur-Grundsatz) von entscheidender Bedeutung.

E) Zur Vertiefung

  • Beweisverwertungsverbote 
    Hemmer/Wüst, Strafrecht StPO, Rn. 359 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Führt ein Fehler bei der Beweisgewinnung regelmäßig zu einem Beweisverwertungsverbot?
  2. Sind Spontanäußerungen des Beschuldigten grundsätzlich verwertbar?

  1. Vgl. Meyer-Goßner, § 136 StPO, Rn. 10.

  2. Vgl. Meyer-Goßner, § 136 StPO, Rn. 7.

  3. Vgl. Meyer-Goßner, § 136 StPO, Rn. 10.

  4. So die Ansicht des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung; nach a.A. ist eine ausdrückliche Zustimmung des Beschuldigten erforderlich, vgl. BGHSt 42, 15 , sowie Meyer-Goßner, § 136 StPO, Rn. 10 m.w.N.

  5. Vgl. Meyer-Goßner, § 136 StPO, Rn. 20.

  6. Vgl. Meyer-Goßner, StPO, Einl Rn. 55a.

  7. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  8. Vgl. Meyer-Goßner, StPO, Einl Rn. 55.