Gespräche von/mit Verteidiger - Verwertbarkeit bzw. Löschungspflicht?

BGH, Beschluss vom 18.02.2014 -- StB 8/13

von Life and Law am 01.11.2014

+++ § 100a StPO, Überwachung der Telekommunikation +++ Sofortige Beschwerde, §§ 101 VII S. 3, 311, 304 StPO +++ Verwendbarkeit gewonnener Erkenntnisse, § 160a StPO +++

Sachverhalt (vereinfacht): Der Generalbundesanwalt G führt gegen A ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Auf seinen Antrag ordnete der Ermittlungsrichter des BGH am 06.12.2011 in diesem Verfahren die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation über die von A genutzten Fernmeldeanschlüsse an. Bei der Durchführung dieser Anordnung wurden am 12.12.2011 zwei Anrufe des Rechtsanwalts R aufgezeichnet. In dem ersten Telefonat sprach R mit einer unbekannten Person, in dem zweiten mit A selbst. Inhalt der Telefonate war das Angebot des R, A in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren anwaltlich zu vertreten. Es wurde ein Besprechungstermin für den Folgetag vereinbart. Mit Schreiben vom 13.12.2011 legitimierte sich R als Verteidiger des A unter Beifügung einer unterzeichneten Strafprozessvollmacht.

Über die Ergebnisse der am 30.12.2011 beendeten Überwachung erstellte das Bundeskriminalamt am 28.02.2012 einen Zwischenbericht. Mit Schreiben vom 10.08.2012 benachrichtigte G sowohl A als auch R von den Maßnahmen. Im eigenen wie auch im Namen des A beantragte R mit am 22.08.2012 eingegangenem Schreiben, die Rechtswidrigkeit der Überwachung der beiden Telefongespräche vom 13.12.2011 festzustellen. G trat den Anträgen entgegen, ordnete jedoch mit Verfügung vom 06.09.2012 die Sperrung der entsprechenden Aufzeichnungen für eine Verwendung zu anderen Zwecken als die der gerichtlichen Überprüfung der Maßnahmen an (§ 101 VIII S. 3 StPO).

Mit Beschluss vom 16.05.2013 stellte der Ermittlungsrichter des BGH die Rechtswidrigkeit des Vollzugs der angeordneten Überwachung in Bezug auf R insoweit fest, als die Aufzeichnungen beider Telefonate nicht mit Ablauf des 28.02.2011 gelöscht wurden, hinsichtlich des A sei die unterbliebene Löschung zu dem genannten Zeitpunkt bezüglich des zweiten Gesprächs rechtswidrig. Des Weiteren stellte er fest, dass die durch Überwachung dieses Telefonats gewonnenen Erkenntnisse nicht verwendet werden dürften.

Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs des G hiergegen? Die form- und fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs ist zu unterstellen. Auf die §§ 101, 160a StPO wird hingewiesen.

A) Sounds

1. Der Schutz des § 53 StPO beginnt nicht erst mit Abschluss des zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen Rechtsanwalt und Mandant, sondern auch das entsprechende Anbahnungsverhältnis ist schon umfasst.

2. § 160a I S. 3 StPO stellt grundsätzlich die gegenüber § 101 VIII StPO speziellere Löschungspflicht dar.

B) Problemaufriss

Die vorliegende Fallgestaltung wirft mit der Frage der Verwertbarkeit von Telefonmitschnitten sowie einer möglichen Löschungspflicht wichtige praktische Fragen auf. Bei sachgerechter Bewertung darf nicht übersehen werden, dass gerade Gespräche eines Beschuldigten mit einem Rechtsanwalt bzw. einem Verteidiger besonders schutzwürdig sind. Für die Lösung des Falles ist insbesondere eine präzise Lektüre der gesetzlichen Vorschriften (insbesondere §§ 101, 160a StPO) unabdingbar. In der Klausursituation kann von Ihnen bei solchen Spezialfragen kein spezifisches Wissen vorausgesetzt werden. Umso mehr geht es dann darum, auf der Grundlage allgemeiner juristischer Methodenlehre ein gut begründetes Auslegungsergebnis zu präsentieren.

C) Lösung

Zu prüfen sind die Erfolgsaussichten eines von G gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters vom 16.05.2013 eingelegten Rechtsbehelfs. Dieser hätte Erfolg, wenn er zulässig und begründet wäre.

I. Zulässigkeit

Der Rechtsbehelf des G müsste zulässig sein.

1. Statthafter Rechtsbehelf

Fraglich ist zunächst, welcher Rechtsbehelf hier statthaft ist. Bei der Überwachung der Telekommunikation des A handelt es sich um eine Maßnahme i.S.d. § 100a StPO, für die gemäß § 101 I StPO besondere, sogenannte grundrechtssichernde Verfahrensregelungen gelten. Insbesondere können die Beteiligten der überwachten Telekommunikation beim zuständigen Gericht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragen, § 101 VII S. 2, IV S. 1 Nr. 3 StPO. Einen solchen Antrag hat G in seinem eigenen sowie im Namen des A gestellt; der Beschluss des Ermittlungsrichters vom 16.05.2013 stellt die Entscheidung über diesen Antrag dar. Gegen eine derartige Entscheidung ist gemäß § 101 VII S. 3 StPO die sofortige Beschwerde i.S.d. §§ 311, 304 ff. StPO statthaft.

Allerdings ist gegen Beschlüsse und Verfügungen des BGH grundsätzlich keine Beschwerde zulässig, § 304 IV S. 1 StPO. Indes gilt dies nach § 304 V StPO wiederum u.a. dann nicht, wenn es sich um eine Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH handelt und diese eine Maßnahme i.S.d. § 101 I StPO darstellt. Gerade dies ist aber vorliegend der Fall.

Statthafter Rechtsbehelf für G ist daher die sofortige Beschwerde.

2. Zuständigkeit

Zuständig ist gemäß § 304 V StPO i.V.m. § 135 II GVG der BGH.

3. Rechtsmittelberechtigung

Als Vertreter der Staatsanwaltschaft ist G gemäß § 296 I StPO auch berechtigt, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einzulegen.

4. Beschwer

Weiter müsste G auch beschwert sein. Hierzu ist grundsätzlich eine unmittelbare Beeinträchtigung der Rechte oder schutzwürdigen Interessen durch die angegriffene Entscheidung erforderlich.1 Allerdings gelten für die Staatsanwaltschaft, die im Strafverfahren nicht Partei ist, sondern allgemeine Aufgaben der staatlichen Rechtspflege erfüllt, besondere Grundsätze; diese ist berechtigt, nach pflichtgemäßem Ermessen solche Entscheidungen anzufechten, die -- unabhängig von einer etwaigen Beschwer -- nicht den Geboten der Rechtspflege entsprechen.

Daher genügt für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des G vorliegend die Behauptung, die Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH sei rechtsfehlerhaft.

5. Form und Frist

Schließlich müsste G die sofortige Beschwerde auch form- und fristgerecht eingelegt haben. Insoweit gilt gemäß § 311 II StPO eine Frist von einer Woche nach Bekanntmachung der Entscheidung. Einzulegen ist die sofortige Beschwerde gemäß § 306 I StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim iudex a quo, also dem Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat.

Von der form- und fristgerechten Einlegung durch G ist nach dem Bearbeitervermerk vorliegend auszugehen.

Zwischenergebnis: Die sofortige Beschwerde des G ist somit zulässig.

II. Begründetheit

Darüber hinaus müsste die sofortige Beschwerde des G auch begründet sein. Das wäre der Fall, wenn der Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH vom 16.05.2013 rechtsfehlerhaft wäre.

1. Verwendbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse

Ein Rechtsfehler könnte darin liegen, dass die durch Überwachung der Telefonate vom 12.12.2011 gewonnenen Erkenntnisse entgegen der Feststellung des Ermittlungsrichters verwendet werden dürfen.

Allerdings könnte sich ein Verwendungsverbot aus § 160a I StPO ergeben. Nach § 160a I S. 2 u. S. 5 StPO dürfen Erkenntnisse nicht verwendet werden, wenn diese durch eine Ermittlungsmaßnahme erlangt wurden, welche sich gegen einen Berufsgeheimnisträger i.S.d. § 53 I S. 1 Nr. 2 StPO -- also den Verteidiger des Beschuldigten -- richtet oder von welcher ein solcher Berufsgeheimnisträger betroffen ist, sofern dieser über die entsprechenden Tatsachen das Zeugnis verweigern dürfte.

R ist Verteidiger des A und somit Berufsgeheimnisträger i.S.d. § 53 I S. 1 Nr. 2 StPO. Danach könnte der Inhalt des Telefonats einem Verwendungsverbot unterliegen. Hierzu müsste R allerdings auch zur Verweigerung des Zeugnisses über den Inhalt des Telefonats berechtigt gewesen sein.

a) „Bekanntgeworden" i.S.d. § 53 StPO

Nach § 53 I S. 1 StPO ist der Verteidiger des Beschuldigten über dasjenige zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, was ihm in dieser Eigenschaft anvertraut oder bekanntgeworden ist. In diesem Sinne „bekanntgeworden" ist dem Berufsausübenden all das, was er in einem funktionalen Zusammenhang mit seiner Berufsausübung erfahren hat, ohne dass es ihm anvertraut worden ist; von wem, zu welchem Zweck und aus welchem Grund dem Berufsausübenden die Tatsachen bekanntgeworden sind, ist dabei gleichgültig. Nicht erfasst sind allein solche Tatsachen, die der Berufsausübende als Privatperson oder nur anlässlich seiner Berufsausübung, also außerhalb eines Zusammenhangs mit dem Vertrauensverhältnis, in Erfahrung gebracht hat.2 Dabei werden aber auch eigene Tätigkeiten oder Äußerungen des Berufsausübenden, auch wenn diese mangels eigener Wahrnehmung keine bekanntgewordenen Tatsachen darstellen können, insoweit vom Zeugnisverweigerungsrecht erfasst, als Angaben über sie Rückschlüsse auf geschützte Tatsachen zulassen.3

Bei beiden Telefonaten, die R am 12.12.2011 zum Telefonanschluss des A geführt hat, ging es um eine etwaige Übernahme der Verteidigung des A. Die Gespräche standen somit in einem funktionalen Zusammenhang zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs durch R und unterfallen folglich grundsätzlich dem Zeugnisverweigerungsrecht des R nach § 53 StPO.

b) Telefongespräch mit einem anderen als dem Beschuldigten

Allerdings könnte das erste der beiden Telefonate dadurch aus dem Schutzbereich ausgenommen sein, dass R dieses nicht mit A selbst, sondern mit einem unbekannten Dritten geführt hat. Insofern ist nicht ersichtlich, dass auch zwischen R und diesem Dritten ein Mandatsverhältnis begründet werden sollte oder begründet wurde.

Indes hängt das Weigerungsrecht des Verteidigers nicht von seiner Beziehung zum Beschuldigten, sondern allein vom Vernehmungsgegenstand ab, sodass es nicht etwa in Bezug auf bestimmte Personen entfällt, die an dem Vorgang nur als Dritte beteiligt waren.4 In diesem Sinne ging es bereits in dem ersten Telefonat zwischen R und dem Unbekannten um eine etwaige Verteidigung des A in dem Ermittlungsverfahren und damit um einen Gesprächsgegenstand, der grundsätzlich vom Zeugnisverweigerungsrecht des R gedeckt ist.

c) Telefonate vor Begründung des Mandatsverhältnisses

Der Schutz des § 53 StPO könnte für die beiden Telefongespräche vom 12.12.2011 allerdings dadurch entfallen, dass R zu diesem Zeitpunkt erst anbot, A in dem Ermittlungsverfahren zu verteidigen und das später zwischen beiden begründete Mandatsverhältnis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bestand. Insoweit ist bei dem Zeugnisverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträgern -- ebenso wie im Rahmen des § 203 StGB -- streitig, ob über den bloßen funktionalen Zusammenhang mit der Berufsausübung hinaus zusätzlich eine Sonderbeziehung i.S. eines berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses erforderlich ist. Während dies teilweise verlangt wird, genügt nach anderer Ansicht bereits der Zusammenhang mit der Berufsausübung.5

Hierbei ist allerdings zu beachten, dass -- selbst wenn ein spezifisches Vertrauensverhältnis gefordert wird -- ein solches nicht erst mit Abschluss des zivilrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen Rechtsanwalt und Mandant beginnt, sondern auch schon das entsprechende Anbahnungsverhältnis umfasst. Insofern bringt ein Beschuldigter, der auf der Suche nach einem Verteidiger ist, typischerweise jedem Rechtsanwalt, mit dem er zu diesem Zweck kommuniziert, das Vertrauen entgegen, dass der Inhalt dieser Gespräche vertraulich behandelt wird, unabhängig davon, ob anschließend ein Verteidigungsverhältnis zustande kommt oder nicht. Damit besteht bereits zu diesem Zeitpunkt die Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten.6

Mithin waren bereits die Telefonate zwischen R und A bzw. dem Dritten vom 12.12.2011, die der Anbahnung eines Mandatsverhältnisses zwischen R und A dienten, von einem spezifischen Vertrauensverhältnis geprägt. Daher ist diesbezüglich nach beiden Ansichten ein Zeugnisverweigerungsrecht des R zu bejahen, eine Streitentscheidung ist nicht erforderlich.

Anmerkung: Eine derart weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Bekanntwerdens" ist auch vom Schutzzweck der Norm her geboten.

Zwar besteht insoweit ein Spannungsverhältnis zwischen der Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts und der verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die materielle Wahrheit als unerlässliche Voraussetzung der Verwirklichung des Schuldprinzips bestmöglich zu erforschen; dennoch hat der Gesetzgeber im Bewusstsein dieser staatlichen Pflicht dem Vertrauensverhältnis zum Verteidiger uneingeschränkten Vorrang eingeräumt und in § 160a I StPO ein absolutes Erhebungs- und Verwendungsverbot statuiert.

Soweit dabei das BVerfG in diesem Zusammenhang die Pflicht zur Wahrheitserforschung betont hat,7 bezog sich dies lediglich auf den abschließenden Charakter der Aufzählung von Berufsgruppen in § 53 StPO in dem Sinne, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nicht einfach unter Anwendung von Art. 3 I GG auf andere Berufsgruppen ausgedehnt werden könne.

Eine Einschränkung des Schutzes des Vertrauensverhältnisses gegenüber den in § 53 StPO genannten Berufsgruppen lässt sich damit jedoch nicht rechtfertigen und ist auch nicht verfassungsrechtlich geboten.8

d) Fehlende Schutzwürdigkeit einzelner Äußerungen

Das Zeugnisverweigerungsrecht des R könnte aber schließlich insoweit entfallen, als einzelne in den Telefongesprächen getätigte Äußerungen möglichweise nicht aus objektiver Sicht vertrauenswürdig und damit nicht schutzwürdig sind.

Um Vertrauen aufbauen zu können, muss zwar derjenige, der Vertrauen sucht, im Vorfeld sicher sein, dass sämtliche von dem Berufsausübenden in seiner Funktion gewonnenen Erkenntnisse unabhängig von der Bewertung durch Dritte dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegen; allerdings findet der Schutz bei solchen Informationen eine Grenze, die gerade mit dem Ziel erteilt werden, sie an Dritte weiterzugeben.9

Eine derartige Information stellt vorliegend die Tatsache dar, dass R von A mandatiert wurde, diesen zu verteidigen. Dieser Umstand war gerade dazu bestimmt, den ermittelnden Behörden mitgeteilt zu werden, was R dementsprechend auch mit Schreiben vom 13.12.2011 tat. Das Vorliegen des Mandatsverhältnisses ist damit gerade nicht vom Zeugnisverweigerungsrecht des R erfasst.

Davon unberührt bleibt jedoch, dass auf das Bestehen eines Verteidigungsverhältnisses bezogene weitere Erkenntnisse, wie etwa der Umstand, wann, auf wessen Initiative und aus welchen Gründen es zu einer Kontaktaufnahme gekommen war, grundsätzlich nicht von dem Verteidiger offengelegt werden sollen.10 Mithin waren vorliegend der Inhalt und die äußeren Umstände der Telefongespräche vom 12.12.2011 nicht dazu bestimmt, durch R Dritten mitgeteilt zu werden, sodass diese Erkenntnisse vom Zeugnisverweigerungsrecht erfasst sind.

Zwischenergebnis: R ist als Verteidiger des A berechtigt, das Zeugnis über die Telefonate gemäß § 53 I S. 1 Nr. 2 StPO zu verweigern. Die durch Überwachung dieser Telefonate gewonnenen Erkenntnisse dürfen daher wegen § 160a I S. 2 u. S. 5 StPO nicht verwendet werden. Insoweit ist die Entscheidung des Ermittlungsrichters des BGH rechtsfehlerfrei.

2. Rechtswidrigkeit der unterlassenen Löschung der Aufzeichnungen

Ein Rechtsfehler könnte aber vorliegen, wenn die unterlassene Löschung der Aufzeichnungen von den Telefonaten nicht rechtswidrig gewesen wäre, die Aufzeichnungen also nicht mit Ablauf des 28.02.2012 hätten gelöscht werden müssen.

Eine Pflicht zur Löschung könnte sich zunächst aus § 101 VIII S. 1 StPO ergeben. Danach sind solche personenbezogenen Daten, die durch eine Maßnahme nach §§ 101 I, 100a StPO erlangt wurden und die nicht mehr zur Strafverfolgung oder für eine etwaige gerichtliche Überprüfung der Maßnahme erforderlich sind, unverzüglich zu löschen. Allerdings lässt § 101 VIII S. 3 StPO die Möglichkeit offen, die Löschung für eine etwaige gerichtliche Maßnahme zurückzustellen; in diesem Fall genügt eine Sperrung der Daten für jeden anderen Zweck als den der gerichtlichen Überprüfung. Eine solche Sperrung hat G vorliegend am 06.09.2012 verfügt.

Darüber hinaus statuiert allerdings auch § 160a I S. 5 u. S. 3 StPO eine Löschungspflicht. Danach sind Aufzeichnungen über Erkenntnisse, die -- wie im vorliegenden Fall -- auf Grund einer unzulässigen Ermittlungsmaßnahme i.S.d. § 160a I S. 1 StPO erlangt wurden und deshalb nicht verwendet werden dürfen, unverzüglich zu löschen.

Fraglich ist daher nun, in welchem Verhältnis die Vorschriften zueinander stehen, und ob vorliegend tatsächlich mit Ablauf des 28.02.2012 eine Pflicht zur Löschung der Telefongesprächs-Aufzeichnungen bestand.

a) Spezialitätsverhältnis

§ 101 VIII StPO statuiert eine allgemeine Regelung zur Löschung von Daten für den Fall, dass diese nicht mehr zur Strafverfolgung oder für die gerichtliche Überprüfung einer Ermittlungsmaßnahme benötigt werden. Demgegenüber betrifft § 160a I S. 3 StPO die -- hier vorliegende - besondere Situation, dass Daten bzw. Aufzeichnungen deshalb nicht mehr für die Strafverfolgung benötigt werden, weil sie sich auf solche Erkenntnisse beziehen, die nach § 160a I S. 1, 2 u. 5 StPO wegen Untergrabung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 53 StPO nicht verwendet werden dürfen.

Insofern stellt § 160a I S. 3 StPO die speziellere Norm dar und genießt vorliegend Anwendungsvorrang. Dementsprechend ist zunächst von einer Löschungspflicht bzgl. der Aufzeichnungen über die Telefongespräche auszugehen.

b) Löschungs- oder nur Sperrpflicht?

Anders wäre dies allerdings zu beurteilen, wenn § 160a I S. 5 u. 3 StPO eine nur eingeschränkte Löschungspflicht parallel zur Regelung des § 101 VIII StPO enthielte. § 101 VIII StPO unterscheidet insoweit zwischen einer Löschung im Sinne des Unkenntlichmachens gespeicherter personenbezogener Daten (§ 3 IV Nr. 5 BDSG) und einer Sperrung zum Zwecke der gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme (§ 3 IV Nr. 4 BDSG).

Der Wortlaut des § 160a I S. 3 StPO ist indes demgegenüber eindeutig; er verlangt stets die Löschung der betroffenen Daten.

Eine erweiternde Auslegung der Norm kommt dabei nicht in Betracht. Beide genannten Vorschriften wurden durch dasselbe Gesetz11 in die StPO eingeführt, sodass davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber bewusst unterschiedliche Wortlaute gewählt hat und den Begriff der Löschung in § 160a I S. 3 StPO gerade nicht auch als bloße Sperrung verstanden wissen wollte.12

Nach § 160a I S. 5 u. 3 StPO kommt daher allein eine Pflicht zur Löschung in Betracht.

c) Anwendungsbereich für Sperrung unberührt?

Das Spezialitätsverhältnis zwischen den beiden Rechtsgrundlagen könnte sich jedoch so darstellen, dass § 160a I S. 3 StPO nur die Vorschrift des § 101 VIII S. 1 StPO verdrängt, dabei aber den Anwendungsbereich für die Sperrung von Daten nach § 101 VIII S. 3 StPO unberührt ließe. In diesem Falle käme eine Aufbewahrung und bloße Sperrung der Daten zu Zwecken der gerichtlichen Überprüfung der zu Grunde liegenden Maßnahmen in Betracht.

Die Gewährleistung nachträglichen Rechtsschutzes übernimmt nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen des § 160a I StPO indes die durch § 160a I S. 4 StPO vorgesehene Regelung, wonach unter Verzicht auf eine inhaltliche Speicherung der Aufzeichnungen zur Sicherung etwaiger Rechtsschutzbegehren die Tatsache der Erlangung der unverwendbaren Erkenntnisse sowie der Löschung der entsprechenden Aufzeichnungen aktenkundig zu machen ist. Dabei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, der § 160a I S. 3 u. 4 StPO der Vorschrift des § 100c V S. 2 u. 4 StPO nachgebildet hat.

Bezüglich letzterer bezeichnete er ausdrücklich etwaige Belange des (nachträglichen) Rechtsschutzes, die der Vernichtung der erlangten Daten entgegenstünden, mit Blick auf den Menschenwürdebezug von Aufzeichnungen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung als unerheblich. Dies hatte das BVerfG in Abweichung von dem allgemeinen Grundsatz, wonach Art. 19 IV GG eine Abstimmung der Pflicht zur Vernichtung mit der Rechtsschutzgarantie verlange, gefordert. Denn wegen des Risikos einer Vertiefung der Persönlichkeitsverletzung habe jede weitere Aufbewahrung von höchstpersönlichen Daten, die nicht hätten erhoben werden dürfen, zu unterbleiben; dies gelte auch, wenn dadurch ein mögliches Interesse der Betroffenen an vollständiger Kenntnis darüber, welche Gesprächsinhalte von den Strafverfolgungsbehörden überwacht worden seien, unbefriedigt bleibe.13

Dieser zu § 100c V S. 2 u. 4 StPO entwickelte Gedanke und die Beachtlichkeit von Aspekten der Menschenwürde-Garantie gelten auch im Rahmen von § 160a I S. 3 u. 4 StPO, ohne dass insoweit Bedenken im Hinblick auf Art. 19 IV GG bestehen. Die für die Verkürzung der Rechtsschutzgarantie erforderliche Menschenwürderelevanz der personenbezogenen Erkenntnisse aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant ist zu bejahen. Sie folgt daraus, dass § 53 I S. 1 Nr. 2 StPO nicht nur generell den Schutz dieses Verhältnisses bezweckt, sondern seine Funktion darüber hinaus auch darin liegt, dafür Sorge zu tragen, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt eines Strafverfahrens wird. Diese gesteigerte Bedeutung spiegelt sich auch in der Differenzierung zwischen den einzelnen Berufsgruppen in § 160a I und II StPO wider.

Mithin besteht auf Grund von § 160a I S. 5 u. 3 StPO eine Pflicht zur Löschung der Aufzeichnungen über die Telefonate vom 12.12.2011. Dabei stand spätestens bei Erstellung des Zwischenberichts durch das Bundeskriminalamt am 28.02.2012 fest, dass die aus der Überwachung dieser Telefonate gewonnen Erkenntnisse wegen des Zeugnisverweigerungsrechts des R nicht verwendbar waren, sodass die entsprechenden Aufzeichnungen spätestens mit Ablauf dieses Tages zu löschen gewesen wären.

Zwischenergebnis: Das Unterlassen der Löschung nach diesem Zeitpunkt war demgemäß rechtswidrig. Auch insofern ist also die Entscheidung des BGH frei von Rechtsfehlern.

Die sofortige Beschwerde des G ist daher unbegründet.

III. Ergebnis

Die sofortige Beschwerde des G ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Folglich hat sie keine Aussicht auf Erfolg.

D) Kommentar

(bb). Die dem Fall zugrunde liegende Entscheidung des BGH vermag zu überzeugen. Auch wenn dem Interesse an einer effektiven Strafrechtspflege eine sehr hohe Bedeutung zukommt, dürfen elementare Bereiche des Grundrechtsschutzes nicht schutzlos stehen. Vor diesem Hintergrund überzeugt es, § 160a StPO strikt auszulegen. Nur so wird das überragend wichtige Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger sachgerecht geschützt.

E) Zur Vertiefung

  • Rechtsschutz gegen Zwangsmittel Hemmer/Wüst, Strafprozessrecht, Rn. 104 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Welche Rechtsschutzmöglichkeit besteht gegen heimliche Maßnahmen wie die Überwachung der Telekommunikation?
  2. Was versteht man unter „bekanntgeworden" i.S.d. § 53 I S. 1 StPO?

  1. Vgl. Meyer-Goßner, Vor § 296 StPO, Rn. 9.

  2. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 9.

  3. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 7.

  4. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 7.

  5. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 7.

  6. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  7. Vgl. BVerfGE 33, 367 (383)

  8. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  9. Vgl. Meyer-Goßner, § 53 StPO, Rn. 8.

  10. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  11. Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl. I S. 3198.

  12. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  13. Vgl. BVerfGE 109, 279 (380 f.)