Kommt einer erzwungenen sexuellen Leistung ein Vermögenswert zu?

BGH, Beschluss vom 01.08.2013 -- 4 StR 189/13

von Life and Law am 01.03.2014

+++ Versuchte räuberische Erpressung, §§ 253, 255, 22, 23 I StGB +++ Versuchte Nötigung, §§ 240 I, 22, 23 I StGB +++ Problem: Versuch eines Regelbeispiels bei versuchtem Grundtatbestand +++ Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 I, 224 I StGB +++

Sachverhalt (abgeändert): A suchte ein Bordell auf und einigte sich dort im Empfangsraum mit der Prostituierten P auf die Durchführung des Geschlechtsverkehrs gegen Zahlung von 100,- €. Daraufhin führte P den A in ihr Zimmer und verlangte die Zahlung des vereinbarten Geldbetrages. A war jedoch plötzlich nicht mehr bereit, P das Geld zu geben. Vielmehr hatte er sich kurzfristig entschlossen, die P unter Drosselung mit einem herumliegenden Strumpf zu überwältigen und anschließend zu fesseln, um dann mit ihr nach seinem Belieben zu verfahren. Er hatte vor, P zu zwingen, den ausgehandelten Geschlechtsverkehr ohne Entgelt zu dulden. Letztlich ging es ihm darum, durch sein Vorgehen eine Leistung -- den sexuellen Dienst der P als eine Prostituierte, dem er allerdings keinen Vermögenswert beimaß -- an sich zu bringen, worauf er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.

A nahm den Strumpf, stieß die P auf die Schlafcouch, warf sich auf sie und begann, sie mit dem Strumpf zu würgen, um sie durch Drosselung am Schreien zu hindern und sie zur Verwirklichung seiner weitergehenden Absichten entscheidend zu schwächen. P, die große Angst um Leib und Leben hatte und durch das Würgen unter Atemnot litt, wehrte sich jedoch nach Leibeskräften. Als eine weitere in dem Etablissement tätige Prostituierte, die durch die Schreie der P auf das Geschehen aufmerksam geworden war, gemeinsam mit der Bewirtschafterin des Bordells in das Zimmer der P eilte und A anschrie, er solle aufhören und die Frau loslassen, sah sich A nicht mehr in der Lage, die geplante Tat zu Ende zu führen. Er ließ von P ab und ergriff die Flucht. Infolge des Würgens erlitt P erhebliche Blutergüsse am Hals.

Strafbarkeit des A nach dem StGB? Die §§ 177 ff. StGB sowie §§ 239, 239a, 239b, 241 StGB sind nicht zu prüfen.

A) Sounds

1. Eine Prostituierte erwirbt erst dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist, wohingegen dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kein Vermögenswert zukommt. Eine Erpressung der Prostituierten i.S.d. § 253 I StGB mit dem Ziel des Verzichts auf das vereinbarte Entgelt kommt daher nur in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist.

2. Für die Anwendung des erhöhten Strafrahmens des besonders schweren Falles einer Straftat genügt es nicht, wenn ein entsprechendes Regelbeispiel lediglich „versucht", also vom Tatentschluss des Täters umfasst, nicht aber dessen Voraussetzungen vollständig erfüllt sind.

B) Problemaufriss

Die vorliegende Fallkonstellation beinhaltet Probleme des BT (Vermögensbegriff) sowie des AT (Versuch bei Regelbeispiel). Achten Sie in solchen Fällen auf eine klare Fallgliederung und machen Sie durch eine sachgerechte Schwerpunktsetzung deutlich, was die interessanten Probleme des Falles sind. Beten Sie dabei nicht auswendig gelernte Streitigkeiten (hier: Vermögensbegriff; Abgrenzung Raub und räuberische Erpressung) herunter, wenn es auf diese im konkreten Fall ersichtlich nicht ankommt. Dies führt zu erheblichen Punktverlusten. Auch in der Praxis können Sie sich später nicht leisten, Probleme zu erörtern, die der Fall gar nicht beinhaltet.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit des A nach dem StGB.

Anmerkung: Grundsätzlich ist in einer Konstellation, in welcher der Täter mit einem anderen zunächst einen Preis für eine bestimmte Leistung vereinbart, diesen dann aber nicht entrichtet, auch eine Strafbarkeit wegen (ggf. versuchten) Betrugs gemäß § 263 I StGB in Betracht zu ziehen. Dies ist namentlich der Fall, wenn der Täter von vornherein, d.h. bei Vertragsschluss, nicht vorhat, die vereinbarte Gegenleistung zu erbringen, dem Gegenüber jedoch seine Bereitschaft hierzu vorspiegelt (sog. Eingehungsbetrug).1 A hatte vorliegend jedoch erst nach seiner Einigung mit P seine Meinung geändert und seine ursprüngliche Zahlungsbereitschaft aufgegeben, sodass eine entsprechende Betrugsstrafbarkeit hier von vornherein ausscheidet.

I. §§ 253 I, 255, 22, 23 I StGB

Indem A die P mit einem Strumpf würgte, um so den Geschlechtsverkehr mit ihr durchführen zu können, ohne dafür zu bezahlen, könnte er sich wegen einer versuchten räuberischen Erpressung gemäß §§ 253 I, 255, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.

hemmer-Methode: In Betracht kommt auch eine Verwirklichung von § 250 II Nr. 1 Alt. 2 StGB durch den Einsatz des Strumpfes. Die Prüfung von Qualifikationsmerkmalen kann aber auch erst bei Bejahung der Strafbarkeit wegen des Grundtatbestandes in einem weiteren Schritt erfolgen.

1. Vorprüfung

Hierzu dürfte A zunächst die räuberische Erpressung nicht vollendet haben. A wurde bei der Tatbegehung von mehreren herbeieilenden Personen gestört, sodass es nicht zur -- geplanten -- Durchführung des Geschlechtsverkehrs kam. Die Tat ist mithin nicht vollendet.

Die räuberische Erpressung ist gemäß §§ 253, 255 StGB i.V.m. § 249 I StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht und stellt somit ein Verbrechen i.S.d. § 12 I StGB dar. Der Versuch dieser Tat ist daher gemäß § 23 I Alt. 1 StGB strafbar.

2. Tatentschluss

A müsste einen Tatentschluss hinsichtlich einer räuberischen Erpressung, d.h. Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale und zudem eine Bereicherungsabsicht gehabt haben. Vorsatz ist dabei das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.2

a) Gewalt gegen eine Person

A müsste zunächst Vorsatz im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt gegen eine Person gehabt haben. Gewalt ist der -- zumindest auch -- physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes und kann grundsätzlich sowohl als vis compulsiva, der „nur" beeinflussenden, willensbeugenden Gewalt, als auch in Form der vis absoluta, der überwältigenden und den Willen des Tatopfers völlig ausschaltenden Gewalt, auftreten.3

Anmerkung: Teilweise wird vertreten, dass bei der räuberischen Erpressung die Gewaltform der vis absoluta nicht in Betracht komme. Denn dies schließe eine Vermögensverfügung -- soweit man eine solche bei den §§ 253, 255 StGB fordert -- aus. Da vorliegend schon per se kein Raub in Betracht kommt, können Sie dieses Problem vorliegend vernachlässigen.

A hatte vor, die P zu würgen und zu fesseln. Somit wollte er wissentlich unmittelbar körperlich wirkende Gewalt gegen eine Person anwenden; er hatte insofern Vorsatz.

Durch diese Vorgehensweise wollte A erreichen, dass P die Durchführung des Geschlechtsverkehrs ohne Bezahlung zumindest duldet, sodass er auch Vorsatz bezüglich eines Nötigungserfolgs i.S.d. § 253 I StGB hatte.

b) Vermögensnachteil

Des Weiteren müsste A Vorsatz gehabt haben, einem anderen einen Vermögensnachteil zuzufügen. Dazu müsste die sexuelle Dienstleistung der P als einer Prostituierten, welche grundsätzlich nur gegen Entgelt erbracht werden soll, als vermögenswerte Leistung anzusehen sein.

Maßgeblich und heute vorherrschend ist insoweit ein ökonomisch-juristischer Vermögensbegriff, nach dem in das Vermögen auf der Grundlage einer Gesamt-Saldierung geldwerter Vermögensbestandteile auch Expektanzen, Arbeitskraft und außervertragliche Positionen einbezogen werden; eine wirtschaftlich-faktische Bestimmung wird hierbei aber unter dem Blickwinkel der Gesamtrechtsordnung beschränkt.4

In diesem Kontext ist vorliegend die Regelung des am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen ProstG zu beachten. Nach § 1 S. 1 ProstG erwirbt eine Prostituierte dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist. Diese Vorschrift ändert indes nichts daran, dass jedwede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem in Art. 1 I GG gewährleisteten Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist und nicht rechtswirksam begründet werden kann. Von einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung, die typischerweise gegen Entgelt erbracht wird und deshalb im Rahmen einer entgeltlichen Vertragsbeziehung als Vermögensbestandteil anzusehen ist, kann daher allenfalls bei freiwillig erbrachten sexuellen Handlungen einer Prostituierten die Rede sein.

Die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt werden soll, kommt demgemäß nur in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist. Dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kommt hingegen kein Vermögenswert i.S.d. § 253 I StGB zu. Die Rechtsgutverletzung erschöpft sich in diesen Fällen vielmehr in einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung.5

Somit stellte der Geschlechtsverkehr, den A der P abnötigen wollte, mangels Freiwilligkeit der sexuellen Leistungserbringung keinen Vermögenswert dar. Zudem betrachtete A ihn auch nicht als solchen. Folglich hatte A keinen Vorsatz hinsichtlich der Zufügung eines Vermögensnachteils.

Es fehlt daher an einem ausreichenden Tatentschluss des A.

Zwischenergebnis: A hat sich nicht gemäß §§ 253 I, 255, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.

II. §§ 240 I, II, 22, 23 I StGB

Durch sein Vorgehen könnte A sich aber wegen einer versuchten Nötigung gemäß §§ 240 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Vorprüfung

Wie bereits dargestellt, kam es nicht zu der geplanten Durchführung des Geschlechtsverkehrs, sodass keine Tatvollendung gegeben ist. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich bei der Nötigung aus § 240 III StGB.

2. Tatentschluss

A müsste zunächst einen Tatentschluss, also Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des § 240 I StGB, gehabt haben. Wie oben geprüft, wollte A wissentlich Gewalt in Form der vis compulsiva gegen P anwenden und hierdurch erreichen, dass diese den Geschlechtsverkehr ohne Bezahlung erduldete. Mithin hatte A Vorsatz bezüglich der Verwendung eines Nötigungsmittels, der Gewalt, sowie im Hinblick auf die Duldung als Nötigungserfolg. Ein Tatentschluss ist damit gegeben.

3. Unmittelbares Ansetzen

Zudem müsste A zur Tatbegehung unmittelbar angesetzt haben. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschritten hat und objektiv nach seiner Vorstellung das geschützte Rechtsgut in eine konkrete nahe Gefahr gebracht hat.6 Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht wurde.7 Das ist vorliegend der Fall. Indem A die P auf die Schlafcouch stieß, sich auf sie warf und sie mit dem Strumpf würgte, hat er bereits Gewalt gegen sie angewandt und somit ein Merkmal des objektiven Tatbestands der Nötigung verwirklicht. Er hat dementsprechend zur Tatausführung unmittelbar angesetzt.

4. Rechtswidrigkeit und Schuld

Die Tat des A müsste zudem rechtswidrig gewesen sein. Rechtfertigungsgründe zu Gunsten des A kommen nicht in Betracht. Darüber hinaus ist für die Rechtswidrigkeit der Tat gemäß § 240 II StGB erforderlich, dass die Verwendung des Nötigungsmittels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Maßgeblich ist insoweit eine Gesamtwürdigung der Mittel-Zweck-Relation, die als in erhöhtem Maße sozialwidrig anzusehen sein muss.8 Vorliegend wollte A von P nicht nur (unbezahlten) Geschlechtsverkehr erzwingen, worin ein erheblicher Verstoß gegen das grundrechtlich geschützte allgemeine und sexuelle Selbstbestimmungsrecht der P liegt, sondern er wandte zu diesem Zweck auch Gewalt gegen einen Menschen an. Ein solches Verhalten, und erst recht zur Erreichung eines derartigen Zwecks, ist in hohem Maße sozialwidrig und somit verwerflich. Die Tat des A war mithin rechtswidrig.

Mangels ersichtlicher Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe handelte A auch schuldhaft.

5. Rücktritt

Indem A vor Vollendung der Nötigung von P abließ und flüchtete, könnte er jedoch gemäß § 24 I S. 1 StGB in strafbefreiender Weise von der Tat zurückgetreten sein.

Dazu dürfte der Versuch zunächst nicht fehlgeschlagen sein. Um einen fehlgeschlagenen Versuch handelt es sich, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird.9 Eben dies war hier aber der Fall. A sah sich angesichts der ins Zimmer der P gekommenen weiteren Prostituierten nicht mehr in der Lage, die geplante Tat auszuführen. Er ließ allein aus diesem Grund von P ab. Dementsprechend war sein Versuch fehlgeschlagen mit der Folge, dass ein strafbefreiender Rücktritt für ihn nicht mehr möglich war.

A hat sich daher wegen versuchter Nötigung strafbar gemacht.

6. Strafzumessung

Mit seiner Tat könnte A zudem einen besonders schweren Fall der Nötigung i.S.d. § 240 IV StGB versucht haben. In Anbetracht dessen, dass A die P zum Geschlechtsverkehr nötigen wollte, kommt insoweit das Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall gemäß § 240 IV S. 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Zu einer der P seitens des A abgenötigten sexuellen Handlung ist es vorliegend nicht gekommen, sodass dieses Regelbeispiel nicht vollendet ist.

a) Möglichkeit des Versuchs eines Regelbeispiels

Dabei ist jedoch zunächst fraglich, ob der Versuch eines besonders schweren Falles überhaupt möglich ist. In diesem Zusammenhang ist der Wortlaut des § 22 StGB als Maßstab heranzuziehen; danach kann nur eine „Straftat" versucht werden. Bei der Wertgruppe der besonders schweren Fälle handelt es sich indes lediglich um gesetzliche Strafrahmenverschiebungen für den Fall, dass das gesamte Tatbild einer Straftat vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint.10 Infolgedessen kann es einen „Versuch" des besonders schweren Falles schon begrifflich nicht geben.11 Zudem würde die Annahme eines solchen „Versuchs" eine Analogie zu Lasten des Täters darstellen, die aber wegen ihrer Unvereinbarkeit mit Art. 103 II GG ausgeschlossen ist.

b) Anwendbarkeit des Strafrahmens des Regelspiels

Allerdings ist hieran anschließend die weitere Frage zu stellen, ob möglicherweise dennoch der erhöhte Strafrahmen des besonders schweren Falles anzuwenden ist, wenn der Täter nicht nur das Grunddelikt versucht hat, sondern zusätzlich auch Vorsatz bezüglich der Verwirklichung des Regelbeispiels hatte.

Anmerkung: Die Problematik des Zusammentreffens von Versuch und Regelbeispiel kann Ihnen außerdem noch in den folgenden Konstellationen begegnen:

Grunddelikt vollendet, Regelbeispiel „versucht":
Beispiel: T will in eine Garage einbrechen, um dort ein Fahrrad zu entwenden; er findet die Garage jedoch unverschlossen vor (§ 243 I S. 2 Nr. 1 StGB (-)) und nimmt das Fahrrad mit (§ 242 I StGB (+)). *BGH12 *und h.M.:13
Von der versuchten Verwirklichung des Regelbeispiels geht keine Indizwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falls aus. Ein solcher kann (dann als unbenannter besonders schwerer Fall) allein auf eine Bewertung aller für die Strafzumessung wesentlichen tat- und täterbezogenen Merkmale gestützt werden. Anderenfalls bleibt es bei dem Strafrahmen des Grunddelikts.

Grunddelikt versucht, Regelbeispiel erfüllt:
Beispiel: T will ein Fahrrad aus einer Garage entwenden; er knackt das Schloss und betritt die Garage (§ 243 I S. 2 Nr. 1 StGB (+)), die jedoch leer ist, sodass er unverrichteter Dinge wieder nach Hause geht (§ 242 I StGB (-)).
Allg.M.:
Das erfüllte Regelbeispiel entfaltet seine Indizwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falls, sodass der erhöhte Strafrahmen zur Anwendung kommt. Dieser ist aber gemäß §§ 23 II, 49 I StGB -- entsprechend den Versuchsregeln -- zu mildern, da der Grundtatbestand und damit die Tat als solche versucht ist.

aa) BGH: Indizwirkung der inneren Tatseite

Der BGH14 misst der subjektiven Tatseite in diesem Zusammenhang eine hohe Indizwirkung zu und wendet daher den erhöhten Strafrahmen des besonders schweren Falles an, sofern der Täter auch zur Verwirklichung des Regelbeispiels unmittelbar angesetzt hat. Zur Begründung führt er an, dass zwischen den Merkmalen von selbstständigen Qualifikationstatbeständen -- deren Versuch unstreitig möglich ist -- und den Voraussetzungen eines Regelbeispiels kein tiefgreifender Wesensunterschied bestehe, sondern die Unterscheidung zwischen beiden eine bloße Frage der formalen Gesetzestechnik darstelle.

Zudem spiegele sich die Schuld des Täters, die nach § 46 I S. 1 StGB Grundlage der Strafzumessung ist, in dem wenigstens teilweise ausgeführten Tatentschluss wider, sodass dieser ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Typisierung im Zusammenhang mit der Strafrahmenbestimmung sei. Dies entspreche auch der Rechtsprechung, nach der es ebenso für die Ablehnung eines besonders schweren Falles entscheidend auf die innere Tatseite ankomme.

Schließlich habe der Gesetzgeber, indem er -- wie im Falle des § 243 StGB -- frühere selbstständige Qualifikationstatbestände in Regelbeispiele umgewandelt habe, nicht beabsichtigt, den Versuch einer entsprechenden Tat von der Qualifizierung auszunehmen oder den Inhalt des jeweiligen Strafverschärfungsgrundes zu ändern, sondern er habe lediglich dem Tatrichter ermöglichen wollen, sich von der strengen Bindung an den schärferen Strafrahmen zu lösen und gegebenenfalls unter Ablehnung des besonders schweren Falls den Normalstrafrahmen anzuwenden.

Im vorliegenden Fall setzte A zu einer Nötigung unmittelbar an, die ausschließlich auf die Erzwingung einer sexuellen Dienstleistung gerichtet war, sodass das unmittelbare Ansetzen sich auch auf das Regelbeispiel bezog. Nach der eben dargestellten Ansicht wäre daher der Strafrahmen des § 240 II S. 1 StGB anzuwenden.

bb) h.L.: Keine Strafschärfung ohne Vollendung des Regelbeispiels

Die h.L.15 lehnt hingegen die Anwendung des Strafrahmens des besonders schweren Falls allein auf Grund einer Indizwirkung des Tatentschlusses ab. Anderenfalls würden Regelbeispiele auf verdeckte Art mit normalen Tatbeständen gleichgestellt, was aber gerade der Gesetzessystematik widerspreche, die zwischen Qualifikationstatbeständen und den Strafzumessungsregeln der besonders schweren Fälle unterscheide. Allenfalls könne auf Grund einer Gesamtbewertung des Tatversuchs ein unbenannter besonders schwerer Fall angenommen werden und auf diesem Wege der erhöhte Strafrahmen zur Anwendung kommen.

Unter Zugrundelegung dieser Ansicht wäre der bloß innere Umstand, dass der Tatentschluss des A auf die Nötigung der P zu einer sexuellen Handlung gerichtet war, nicht ausreichend, um das Regelbeispiel des § 240 IV S. 2 Nr. 1 StGB als erfüllt anzusehen. Daneben sind auch keine weiteren Tatumstände ersichtlich, die im Wege der Gesamtbetrachtung die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles der Nötigung hinreichend stützen würden. Hiernach bliebe es daher bei dem Strafrahmen des § 240 I StGB mit der fakultativen Milderung nach §§ 23 II, 49 I StGB.

cc) Streitentscheid

Die Anwendung der beiden dargestellten Auffassungen führt im vorliegenden Fall zu unterschiedlichen Beurteilungen, sodass eine Abwägung und Entscheidung des Meinungsstreits vorzunehmen ist.

Der Ansicht des BGH ist in der Tat zu Gute zu halten, dass diese dem Grundgedanken der Versuchsstrafbarkeit Rechnung trägt und insoweit in dem Tatentschluss bereits einen ausreichenden Strafgrund sieht, sofern auch zur Ausführung der Tat unmittelbar angesetzt worden ist. Indes verkennt diese Auffassung, dass die Voraussetzungen eines Regelbeispiels allenfalls eine Ähnlichkeit zu Tatbestandsmerkmalen aufweisen, ohne aber tatsächlich solche darzustellen. Hieraus folgt aber, dass § 22 StGB gerade nicht auf Regelbeispiele angewendet und in diesem Sinne erweitert werden kann. Der Gesetzgeber hat insofern, indem er bestimmte straferhöhende Merkmale in der Form von Regelbeispielen ausgestaltet hat, eine eindeutige gesetzliche Wertung getroffen und den entsprechenden Voraussetzungen gerade die Tatbestandsmerkmals-Eigenschaft abgesprochen. Hätte er beabsichtigt, auch in diesen Fällen bereits die innere Tatseite, also den Tatentschluss, als Strafverschärfungsgrund ausreichen zu lassen, so hätte er die §§ 22, 23 StGB entsprechend anpassen oder eine vergleichbare Regelung für Regelbeispiele schaffen müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen, sodass der bloße Tatentschluss zur Erfüllung der Voraussetzungen eines Regelbeispiels nicht als ausreichend angesehen werden kann, um den erhöhten Strafrahmen des besonders schweren Falls zu Grunde zu legen. Anderenfalls würde § 22 StGB auch in diesem Zusammenhang durch analoge Anwendung zu Lasten des Täters erweitert, was aber klar gegen das Analogieverbot des Art. 103 II GG verstieße.

Darüber hinaus ist diese Ansicht der h.L. auch konsistent mit der -- zudem jüngeren -- Rechtsprechung des BGH16 zu der Konstellation, dass das Grunddelikt vollendet und das Regelbeispiel nur „versucht" ist. In diesem Fall soll der erhöhte Strafrahmen des besonders schweren Falls gerade nicht allein deshalb zur Anwendung kommen, weil der Täter Tatentschluss hinsichtlich des Regelbeispiels hatte und entsprechend zur Tatausführung unmittelbar angesetzt hat; im Gegenteil trete die Straferhöhung hier allenfalls ein, wenn auf Grund einer Gesamtwürdigung der Tatumstände von einem unbenannten besonders schweren Fall ausgegangen werden könne.

Nach alledem ist der Auffassung der h.L. der Vorzug zu geben. Der erhöhte Strafrahmen des § 240 IV S. 1 StGB bleibt daher hier unberücksichtigt.

hemmer-Methode: Sicherlich können Sie -- und sollten Sie im Zweiten Staatsexamen -- der Auffassung des BGH folgen. Jedenfalls führt dieser Ansatz nicht zu untragbaren Ergebnissen, da der BGH die beschriebene Indizwirkung nur dann annimmt, wenn der Grundtatbestand versucht und nicht vollendet ist. So kommt auf jeden Fall die Strafmilderungsmöglichkeit des § 23 II StGB zum Zuge. Denkbar ist es zudem, einen unbenannten besonders schweren Fall vorliegend zu bejahen, so dass eine Streitentscheidung offen bleiben kann. Wie so häufig bei umstrittenen Problemfeldern gilt: Auf die Güte Ihrer Argumentation kommt es an, weniger auf das Ergebnis.

Zwischenergebnis: A hat sich gemäß §§ 240 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.

III. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB

Darüber hinaus könnte sich A wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er P mit einem Strumpf würgte.

1. Objektiver Tatbestand

Hierzu müsste der objektive Tatbestand erfüllt sein.

A müsste P zunächst körperlich misshandelt oder an der Gesundheit geschädigt haben. Körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.17 Unter einer Gesundheitsschädigung versteht man das Hervorrufen oder Steigern eines auch nur vorübergehenden pathologischen, d.h. negativ von den normalen körperlichen Funktionen abweichenden, Zustands.18 In der Drosselung mit dem Strumpf durch A liegt eine üble, unangemessene Behandlung der P, die bei ihr Atemnot verursachte und somit ihr körperliches Wohlbefinden erheblich beeinträchtigte. Auch erlitt sie beachtliche Blutergüsse, die einen pathologischen Zustand darstellen. Folglich sind sowohl eine körperliche Misshandlung als auch eine Gesundheitsschädigung gegeben.

Diese Körperverletzung müsste A zudem i.S.d. § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen haben. Dabei handelt es sich um ein gefährliches Werkzeug, wenn dieses nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen.19 Der von A verwendete Strumpf ist generell geeignet, beispielsweise durch strammes Abbinden eines Körperteils, erhebliche Verletzungen wie Blutergüsse und Unterbrechungen des Blutflusses hervorzurufen. Dies gilt umso mehr, wenn er -- wie im vorliegenden Fall -- einer Person um deren Hals gelegt und zum Würgen benutzt wird. Mithin beging A die Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs. Der objektive Tatbestand ist gegeben.

Anmerkung: Für eine Bejahung von § 224 I Nr. 5 StGB dürfte wohl der Sachverhalt zu „dünn" sein, auch wenn man mit der Rechtsprechung eine abstrakte Lebensgefahr für ausreichend hält.

2. Subjektiver Tatbestand

Hierbei müsste A auch vorsätzlich gehandelt haben. Er wollte bewusst die P mit dem Strumpf würgen und hierdurch bei ihr Atemnot und eine körperliche Schwächung verursachen. Er hatte daher Vorsatz hinsichtlich einer derartigen gefährlichen Körperverletzung.

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

Schließlich war die Tat des A auch rechtswidrig und schuldhaft.

Zwischenergebnis: A hat sich wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

IV. Ergebnis und Konkurrenzen

A hat durch dieselbe Handlung, also tateinheitlich, eine versuchte Nötigung sowie eine vollendete gefährliche Körperverletzung begangen. Er ist daher strafbar gemäß §§ 240 I, II, 22, 23 I; 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2; 52 StGB.

D) Kommentar

(bb). Es überzeugt, erzwungenem Geschlechtsverkehr keinen Vermögenswert beizumessen. Dies stimmt insbesondere mit der Wertung des § 1 S. 1 ProstG überein. Bei der Frage, ob einem „versuchten" Regelbeispiel bereits eine Indiziwirkung zukommen kann, wenn der Grundtatbestand im Versuch stecken geblieben ist, erscheinen beide Auffassungen gut vertretbar. Insoweit ist vor allem eigenes Argumentationsvermögen gefragt.

E) Zur Vertiefung

  • Versuch bei Regelbeispielen

Hemmer/Wüst, Strafrecht BT I, Rn. 30

F) Wiederholungsfragen

  1. Welcher Vermögensbegriff wird neben dem ökonomisch-juristischen noch vertreten? Mit welcher Begründung?
  2. Ist ein Versuch bei Regelbeispielen möglich?

  1. Vgl. Fischer, § 263 StGB, Rn. 33, 176 ff.

  2. Vgl. Fischer, § 15 StGB, Rn. 3.

  3. Vgl. Fischer, § 240 StGB, Rn. 8 f.

  4. Vgl. Fischer, § 263 StGB, Rn. 90.

  5. So die Argumentation des BGH in der zu Grunde liegenden Entscheidung.

  6. Vgl. Fischer, § 22 StGB, Rn. 10.

  7. Vgl. Fischer, § 22 StGB, Rn. 9.

  8. Vgl. Fischer, § 240 StGB, Rn. 40 f.

  9. Vgl. Fischer, § 24 StGB, Rn. 7.

  10. Vgl. Fischer, § 46 StGB, Rn. 84.

  11. Vgl. Fischer, § 46 StGB, Rn. 97.

  12. Vgl. BGH, Beschl. v. 07.01.2003 -- 3 StR 425/02, StV 2003, 396 = NStZ 2003, 602.

  13. Vgl. Fischer, § 46 StGB, Rn. 102.

  14. Vgl. BGH, Beschl. v. 18.11.1985 -- 3 StR 291/85, BGHSt 33, 370

  15. Vgl. Fischer, § 46 StGB, Rn. 101 a.E. m.w.N.

  16. Vgl. BGH, NStZ 2003, 602

  17. Vgl. Fischer, § 223 StGB, Rn. 4.

  18. Vgl. Fischer, § 223 StGB, Rn. 8.

  19. Vgl. Fischer, § 224 StGB, Rn. 9.