Rücktritt vom Versuch bei mehreren Tatbeteiligten

BGH, Beschluss vom 27.02.2014 -- 1 StR 367/13

von Life and Law am 01.12.2014

+++ Rücktritt mehrerer Tatbeteiligter, § 24 II StGB +++ Mittäterschaft, § 25 II StGB +++ Eventualvorsatz +++ Un-/Beendeter Versuch +++ Freiwilligkeit +++

Sachverhalt (vereinfacht): A und B sind Mitglieder einer Rockerbande. Um vorherige Übergriffe einer verfeindeten Gruppierung zu rächen, planten sie einen tätlichen Übergriff auf deren Mitglieder. Der Angriff sollte unter Verwendung von Eisenstangen und anderen Schlagwerkzeugen auf einem Schulhof stattfinden, auf dem die rivalisierende Gruppe ein Treffen geplant hatte. Der Plan von A und B sah vor, wahllos bzw. rücksichtslos auf die Gegner einzuschlagen und dabei auch die Köpfe der Angegriffenen nicht zu verschonen. Die Möglichkeit des Todes der Opfer nahmen sie dabei billigend in Kauf.

Absprachegemäß stürmten A und B auf den Schulhof, auf dem das Treffen gerade im Gange war. O, ein Mitglied der rivalisierenden Gruppierung, wollte fliehen, fiel dabei allerdings auf den Boden. A und B schlugen sodann wechselseitig mit den Eisenstangen auf den am Boden liegenden O ein und fügten ihm erhebliche Verletzungen -- unter anderem wurde der Schädel zertrümmert -- zu. Als A und B bemerkten, dass sie O lebensgefährlich verletzt hatten, ließen sie von ihm ab. Jedoch stellten sie keine Bemühungen an, um das Leben des O zu retten. O konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden und erlitt bleibende Hirnschäden.

Vielmehr verfolgten sie jetzt P, der ebenfalls stürzte. A und B schlugen nun auch auf den Kopf des P ein, der sich jedoch mittels seiner Hände besser zu schützen vermochte. P erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf und einen Nasenbeinbruch. Als A und B diese weniger schweren Verletzungen bemerkten, ließen sie von P ab und verließen den Schulhof. Sie sahen von weiteren Verletzungshandlungen ab, da sie ihr Ziel -- nämlich Rache und Machtdemonstration -- als erreicht ansahen.

Strafbarkeit von A und B nach dem StGB? Auf eine Strafbarkeit gem. § 211 StGB ist nicht einzugehen.

A) Sounds

1. § 24 II S. 1 StGB setzt für einen strafbefreienden Rücktritt die Vollendungsverhinderung durch aktives Tun voraus, wenn nach den für § 24 I StGB geltenden Kriterien ein beendeter Versuch vorliegt. Allerdings erfasst § 24 II S. 1 StGB auch jene Konstellationen, in denen die Täter den Rücktritt einvernehmlich durchführen, wobei es genügt, wenn die Beteiligten einvernehmlich nicht weiterhandeln, obwohl dies möglich gewesen wäre.

2. Die Rücktrittsvoraussetzungen gemäß § 24 StGB sind für jedes im Versuchsstadium stecken gebliebene Tötungsdelikt gesondert zu prüfen, auch wenn konkurrenzrechtlich Tateinheit vorliegt. Ein rechtsfehlerfrei verworfener Rücktritt bzgl. eines Tötungsdelikts führt nicht zwangsläufig zum Ausschluss der Möglichkeit eines Rücktritts bei einem anderen Tötungsdelikt.

B) Problemaufriss

Der vorliegende Fall eignet sich hervorragend zum Wiederholen der sehr examensrelevanten Problematik zum Rücktritt vom Versuch.1 Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass es sich nicht um einen Alleintäter handelt, dessen Rücktrittsvoraussetzungen in § 24 I StGB geregelt sind, sondern um mehrere Beteiligte. Für diese gelten die Voraussetzungen des § 24 II StGB. Auch wenn der Gesetzeswortlaut der beiden Vorschriften differiert, so ist trotzdem zu erkennen, dass die Rücktrittsvoraussetzungen inhaltlich weitgehend identisch interpretiert werden können. Dies veranschaulicht die im Folgenden zu besprechende Sachverhaltskonstellation.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit von A und B nach dem StGB.

I. Angriff auf O

Zunächst ist die Strafbarkeit von A und B in Bezug auf den Angriff auf O zu untersuchen.

1. Strafbarkeit gemäß §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB

A und B könnten sich wegen versuchten Totschlags in Mittäterschaft nach §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem sie auf den Kopf des O mit Eisenstangen einschlugen.

a) Vorprüfung

Die Tat ist nicht vollendet, da O den Angriff überlebt hat. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 I, 22, 23 I Alt. 1, 12 I StGB.

b) Tatentschluss

A und B müssten mit Tatentschluss gehandelt haben. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter den Vorsatz zur Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale gefasst hat und eventuell weitere subjektive Tatbestandsmerkmale in seiner Person verwirklicht.

A und B wollten die Schläge im wissentlichen und willentlichen Zusammenwirken auf der Grundlage ihres zuvor gefassten gemeinsamen Tatplans mit Tatherrschaftsbewusstsein verüben, sodass von Mittäterschaft ausgegangen werden kann.

Anmerkung: Aufgrund der Tatsache, dass A und B beide auf O eingewirkt haben, ist eine wechselseitige Zurechnung der Schläge im tatbestandlichen Sinne nicht erforderlich. Allerdings sollten die Mittäter im Hinblick auf den Rücktritt gemäß § 24 II StGB zusammen geprüft werden.

Fraglich ist, ob die beiden mit Tötungsvorsatz handelten. Der Sachverhalt spricht vom billigenden in Kauf nehmen. Dies genügt jedenfalls nicht zur Bejahung von dolus directus. Es könnte aber Eventualvorsatz gegeben sein, dessen Voraussetzungen zu problematisieren sind.

Nach einer Ansicht setzt eventualvorsätzliches Handeln der Täter lediglich ein Wissenselement, nicht aber auch ein Willenselement voraus. Es sei darauf abzustellen, ob der Täter in der konkreten Situation die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt hat (so die sog. Möglichkeitstheorie) bzw. ob der Täter den Erfolgseintritt für wahrscheinlich erachtet hat (so die sog. Wahrscheinlichkeitstheorie).

Nach der von der h.M. und der Rechtsprechung vertretenen Einwilligungs- oder Billigungslehre weist der bedingte Vorsatz neben dem Wissenselement auch ein Willenselement auf. Vorsatz ist hiernach Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Die Täter müssen den Eintritt des Erfolges für möglich gehalten und sich mit ihm abgefunden haben. Der Erfolg muss billigend in Kauf genommen worden sein. Dieser Ansicht ist zu folgen, da nur auf ihrer Grundlage eine überzeugende Abgrenzung des Eventualvorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit vorgenommen werden kann.

hemmer-Methode: Zum Thema bedingter Tötungsvorsatz i.V.m. der sog. „Hemmschwellentheorie" vgl. BGH, Urteil vom 22.03.2012 -- 4 StR 558/11, Life & Law 2012, 657 ff.

Wichtiges Indiz ist dabei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung. Vorliegend schlugen die Täter mehrmals auf den Kopf des O ein. Diese vorgenommene Handlung muss zur Bejahung des bedingten Tötungsvorsatzes führen. Der erforderliche Tatentschluss zu einem Totschlag in Mittäterschaft liegt somit vor.

c) Unmittelbares Ansetzen

A und B müssten unmittelbar zur Verwirklichung des § 212 I StGB angesetzt haben (§ 22 StGB). Beim unmittelbaren Ansetzen ist nach h.M. die gemischt subjektiv-objektive Theorie zugrunde zu legen. Nach dieser setzt der Täter unmittelbar zur Tat an, wenn er nach seiner Vorstellung eine Ursachenkette in Gang setzt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte ungehindert in die Tatbestandsverwirklichung einmündet und der Täter dabei subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschreitet.2 Vorliegend haben A und B mit den Schlägen bereits eine grundsätzlich erfolgsgeeignete Handlung in Richtung des tatbestandlichen Erfolgs vorgenommen. Hierdurch haben sie subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschritten.

d) Rechtswidrigkeit und Schuld

A und B handelten rechtswidrig und schuldhaft.

e) Rücktritt

Möglicherweise sind A und B jedoch strafbefreiend vom versuchten Totschlag zu Lasten des O gemäß § 24 II S. 1 StGB zurückgetreten, indem sie den Schulhof verließen.

Schema: Rücktritt, § 24 II StGB

I. Kein fehlgeschlagener Versuch

II. Besondere Rücktrittsvoraussetzungen

  1. § 24 II S. 1 StGB: freiwillige Verhinderung der Tatvollendung

a) Verhinderung der Tatvollendung

b) Freiwilligkeit

  1. § 24 II S. 2 Alt. 1 StGB: fehlende Verhinderungskausalität

a) Ernsthaftes Bemühen um die Nichtvollendung

b) Freiwilligkeit

  1. § 24 II S. 2 Alt. 2 StGB: fehlende Verhinderungskausalität

a) Ernsthaftes Bemühen um die Nichtvollendung

b) Freiwilligkeit

aa) Kein fehlgeschlagener Versuch

Der Versuch dürfte dafür nicht fehlgeschlagen sein. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang zu setzen.3 Es bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine objektiven Anhaltspunkte, dass A und B nach ihrer letzten Ausführungshandlung davon ausgingen, dass sie O nur noch mit einer zeitlichen Zäsur oder einer grundlegenden Änderung des Tatplans töten können. Dass A und B ihr außertatbestandliches Ziel (Rache) bereits erreicht hatten, steht dem Rücktritt nicht entgegen und führt ebenfalls nicht zu einem Fehlschlag.4

bb) Besondere Rücktrittsvoraussetzungen

§ 24 II S. 1 StGB setzt für den strafbefreienden Rücktritt objektiv eine Vollendungsverhinderung durch aktives Tun voraus, wenn ein beendeter Versuch vorliegt.

hemmer-Methode: § 24 II S. 1 StGB unterscheidet prinzipiell nicht zwischen unbeendetem und beendetem Versuch. Allerdings veranschaulicht dieser Fall, dass der BGH auch Passivität für einen Rücktritt genügen lässt, wenn nach § 24 I S. 1 StGB ein unbeendeter Versuch vorliegen würde, sodass diese Differenzierung hier durchaus eine Rolle spielt.

Ein beendeter Versuch liegt dann vor, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben.5 Vorliegend bemerkten A und B, dass sie O lebensgefährlich verletzt haben. Sie gingen demzufolge nach ihrer Vorstellung davon aus, alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan haben. Somit muss man von einem beendeten Versuch ausgehen.

Bei einem beendeten Versuch reicht ein bloßer Abbruch der Tathandlung zum Rücktritt nicht aus. A und B unternahmen jedoch überhaupt nichts, um den Erfolgseintritt zu verhindern. Sie unterließen nur eine weitere Einwirkung auf den O und wendeten sich einer anderen Person zu bzw. verließen schließlich den Tatort.

Ein Rücktritt nach § 24 II S. 1 StGB scheidet somit auf Grund der Nichterfüllung der Voraussetzungen aus.

Zwischenergebnis: A und B sind strafbar wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten Totschlags zum Nachteil des O gemäß §§ 212 I, 22, 23 I Alt. 1, 25 II StGB.

2. Strafbarkeit gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 3, 4 u. 5, 25 II StGB

A und B könnten sich wegen gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des P gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 3, 4 u. 5, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

a) Objektiver Tatbestand

A und B haben jeweils mit den Eisenstangen auf O eingeschlagen und dadurch mittels einer üblen, unangemessenen Behandlung die körperliche Unversehrtheit des O mehr als nur unerheblich beeinträchtigt (vgl. § 223 I Alt. 1 StGB) sowie hierdurch auch einen pathologischen Zustand hervorgerufen (vgl. § 223 I Alt. 2 StGB). Der Tatbestand der Körperverletzung ist damit verwirklicht.

§ 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB kann ebenfalls bejaht werden, da es sich bei der Eisenstange abstrakt sowie nach der konkreten Art der Verwendung um ein gefährliches Werkzeug handelt.

Im vorliegenden Fall ist auch an § 224 I Nr. 3 StGB zu denken. Allerdings erfordert ein hinterlistiger Überfall mehr als nur einen überraschenden Angriff. Vielmehr müssen die Täter ihre Verletzungsabsicht planmäßig zu verbergen versuchen, um dem Opfer dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten zu erschweren.6 Dies kann hier nicht festgestellt werden.

Aufgrund der Tatsache, dass A und B auf O einschlagen, ist der Tatbestand des § 224 I Nr. 4 StGB zweifelsfrei zu bejahen.

Ebenso liegt eine das Leben konkret gefährdende Behandlung gemäß § 224 I Nr. 5 StGB vor, sodass es auf die streitige Frage, ob bereits eine abstrakte Lebensgefährdung ausreicht, nicht ankommt.7

b) Subjektiver Tatbestand

Außerdem müssten A und B vorsätzlich gehandelt haben. Die beiden handelten zwar, wie oben festgestellt, mit Tötungsvorsatz, dieser umfasst allerdings auch den Vorsatz bzgl. einer Körperverletzung.

c) Rechtswidrigkeit und Schuld

Mangels ersichtlicher Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe war die Tat von A und B rechtswidrig und schuldhaft.

Zwischenergebnis: A und B haben sich demzufolge nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5 StGB strafbar gemacht. Zwischen dem versuchten Totschlag und der vollendeten Körperverletzung zum Nachteil des O besteht aus Klarstellungsgründen Idealkonkurrenz (§ 52 StGB).8

Anmerkung: Möglich wäre hier auch eine Diskussion bzgl. des erfolgsqualifizierten Delikts der schweren Körperverletzung nach § 226 StGB aufgrund der bleibenden Hirnschäden.

II. Angriff auf P

Des Weiteren ist die Strafbarkeit von A und B bzgl. des Angriffs auf P zu untersuchen.

1. Strafbarkeit gemäß §§ 212 I, 22, 23 I, 25  II StGB

A und B könnten sich wegen versuchten Totschlags nach §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem sie auf den O mit Eisenstangen eingeschlagen haben.

a) Vorprüfung

Die Tat ist nicht vollendet, da P den Angriff überlebt hat. Die Strafbarkeit des Versuchs ergibt sich aus §§ 212 I, 22, 23 I Alt. 1, 12 I StGB.

b) Tatentschluss

A und B müssten mit Tatentschluss gehandelt haben. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter den Vorsatz zur Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale gefasst hat und eventuell weitere subjektive Tatbestandsmerkmale in seiner Person verwirklicht. A und B handelten, wie bereits oben festgestellt, mit Eventualvorsatz, indem sie billigend in Kauf nahmen, dass P durch die Schläge stirbt.

c) Unmittelbares Ansetzen

Das unmittelbare Ansetzen gemäß § 22 StGB ist hier ebenfalls zu bejahen, da die Mittäter auf den P mit ihren Eisenstangen eingeschlagen haben.

d) Rechtswidrigkeit und Schuld

A und B handelten rechtswidrig und schuldhaft.

e) Rücktritt

Fraglich ist, ob A und B möglicherweise strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten sind. Die Voraussetzungen des Rücktritts sind nämlich für jedes im Versuchsstadium stecken gebliebene Tötungsverbrechen gesondert zu prüfen, auch wenn zwischen den verschiedenen Fällen konkurrenzrechtlich Tateinheit besteht. Dies bedeutet, dass die Ablehnung eines Rücktritts mangels Vollendungsverhinderung bzgl. des Tötungsversuchs zu Lasten des O nicht dazu führen muss, dass der strafbefreiende Rücktritt im Rahmen des Tötungsversuchs zu Lasten des P ausgeschlossen ist. Dieser Rücktritt ist vielmehr im Folgenden unabhängig vom Vorgeschehen zu betrachten.

aa) Kein fehlgeschlagener Versuch

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Taterfolg aus Sicht des Täters mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr erreicht werden kann, ohne dass eine ganz neue Handlungs- und Kausalkette in Gang gesetzt wird.9 Der Versuch ist genauso wie oben auch in Bezug auf P nicht fehlgeschlagen, da A und B durchaus die Mittel zur Verfügung standen, den P zu töten und somit der tatbestandliche Erfolg erreichbar war.

bb) Besondere Rücktrittsvoraussetzungen

Zu erörtern ist, inwieweit die besonderen Rücktrittsvoraussetzungen des § 24 II S. 1 StGB vorliegen. Nach dem Wortlaut der genannten Vorschrift wird wegen eines von mehreren Beteiligten begangenen Versuchs nicht bestraft, wer die Vollendung der Tat verhindert. Hierfür bedarf es vergleichbar zum Rücktritt des Alleintäters vom beendeten Versuch gemäß § 24 I S. 1 Alt. 2 StGB einer Mitkausalität des Zurücktretens für das Ausbleiben der Tatvollendung.10 Allerdings geht der BGH in ständiger Rspr. davon aus, dass § 24 II S. 1 StGB auch solche Konstellationen umfasst, in denen die Tatbeteiligten den Rücktritt einvernehmlich durchführen.11 Dabei genügt es, wenn die Tatbeteiligten sich darauf verständigen, nicht mehr zu handeln, obwohl dies möglich gewesen wäre.

Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an, muss man erkennen, dass A und B einvernehmlich zurückgetreten sind. Sie hatten die Möglichkeit, weiter gegen den nicht schwer verletzten P vorzugehen. Jedoch verzichteten sie darauf. Die beiden gingen davon aus, nicht alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan zu haben, sodass es sich um einen unbeendeten Versuch handelt. Zwar ist aus dem Sachverhalt nicht zu erkennen, inwieweit die Täter ausdrücklich vereinbarten, vom Weiterhandeln abzusehen. Dennoch sind aufgrund der stillschweigend getroffenen Übereinkunft von A und B die Rücktrittsvoraussetzungen zu bejahen, da beim unbeendeten Versuch auch bloße Untätigkeit genügt, wenn Mittäter einvernehmlich von der Vollendung absehen.12

Außerdem müssten A und B die Tat freiwillig aufgegeben haben. Insofern müssen die Täter jeweils noch „Herr ihres Entschlusses" sein und aus autonomen, d.h. selbstbestimmten Gründen zum Rücktritt veranlasst worden sein.13 Ferner ist zu berücksichtigen, dass keine ethisch hochstehenden Motive als Rücktrittsbeweggrund erforderlich sind. Deswegen ist es auch nicht zu beanstanden, dass A und B vom Weiterhandeln absahen, weil sie ihre Ziele -- nämlich Rache und Machtdemonstration gegenüber der verfeindeten Gruppe -- als erreicht erachteten. A und B unterließen die Tat nicht auf Grund zwingender Hinderungsgründe und demzufolge freiwillig.

Zwischenergebnis: A und B sind strafbefreiend zurückgetreten und haben sich nicht wegen versuchten Totschlags zu Lasten des P gemäß §§ 212 I, 22, 23 I Alt. 1 StGB strafbar gemacht.

2. Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5, 25 II StGB

A und B könnten sich wegen gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des P gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

a) Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand von §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 u. 4 StGB ist zweifellos zu bejahen (vgl. oben). Einzig als fraglich erweist sich hier, ob auch § 224 I Nr. 5 StGB als gegeben anzusehen ist. Dabei ist zu erörtern, inwieweit für die Bejahung eine konkrete Lebensgefahr erforderlich ist oder ob eine abstrakt generelle Eignung genügt. Im vorliegenden Fall schlagen A und B auf den Kopf des P ein, sodass man im Einklang mit der Rspr. von einer lebensgefährlichen Behandlung ausgehen kann.14 Der Tatbestand der §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5 StGB ist demzufolge erfüllt.

hemmer-Methode: Sollten Sie den Streit entscheiden müssen, ob bei § 224 I Nr. 5 StGB eine konkrete Lebensgefährdung vorausgesetzt oder eine abstrakte ausreichend ist, empfiehlt es sich, wie der BGH eine abstrakte ausreichen zu lassen. Hierfür spricht insbesondere der systematische Vergleich mit den anderen Nummern von § 224 I StGB, die ebenfalls alle keine konkrete Lebensgefährdung voraussetzen.

b) Subjektiver Tatbestand

A und B haben vorsätzlich in Bezug auf den objektiven Tatbestand gehandelt.

c) Rechtswidrigkeit und Schuld

Mangels ersichtlicher Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe war die Tat von A und B rechtswidrig und schuldhaft.

Zwischenergebnis: A und B haben sich demzufolge nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5, 25 II StGB strafbar gemacht.

III. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Die von A und B begangenen Delikte zum Nachteil des O einerseits und zum Nachteil des P andererseits stünden zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit, § 53 StGB, wenn es sich hierbei um mehrere Handlungen im rechtlichen Sinn handeln würde und kein Ausnahmefall vorläge. Für die Tatmehrheit könnte hier sprechen, dass A und B zwei verschiedene Personen verletzt haben und dabei in höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, nämlich die körperliche Unversehrtheit, eingegriffen haben. Etwas anderes muss aber gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene.15 A und B haben auf einem Tatentschluss beruhend in enger zeitlicher Abfolge auf O und P eingewirkt. Danach kann hier eine Aufspaltung des eng zusammengehörenden Geschehens nicht in Betracht kommen. Denn die einzelnen Tatbeiträge ergänzen sich gegenseitig und kennzeichnen gerade das gemeinsame Vorgehen der Täter, die zusammen die beiden Opfer angegriffen und verletzt haben (natürliche Handlungseinheit). Die Beteiligten A und B haben sich somit tateinheitlich gemäß §§ 212 I, 22, 23 I Alt. 1, 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5, 25 II, 52 StGB und 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, 4 u. 5, 25 II StGB strafbar gemacht.

hemmer-Methode: Instruktiv zum Thema Konkurrenzen in der Strafrechtsklausur siehe Berberich/Löper, Life & Law 2012, 907 ff.

D) Kommentar

(bb). Die von der Rechtsprechung vorgenommene Differenzierung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch auch im Rahmen der Auslegung des § 24 II S. 1 StGB vermag zu überzeugen. So schafft der BGH ein stimmiges System und eine Angleichung der Rücktrittsanforderungen in § 24 I StGB und § 24 II StGB.

Zu Unterschieden kommt es insbesondere dann, wenn sich die Mittäter -- anders als im vorliegenden Fall -- nicht einig sind. Ein strafbefreiender Rücktritt kommt nach § 24 II S. 1 StGB nur dann in Betracht, wenn es dem Rücktrittswilligen gelingt, den anderen (nicht rücktrittswilligen) Beteiligten an der noch möglichen Tatvollendung zu hindern. Bei § 24 I S. 1 StGB genügt hingegen (etwa beim unbeendeten Versuch) das bloße Aufgeben der Tat. Diese gesteigerten Anforderungen an einen Rücktritt nach § 24 II S. 1 StGB korrespondieren mit der erhöhten Gefahr einer Tatbegehung mit mehreren Beteiligten.

E) Zur Vertiefung

  • Rücktritt, § 24 StGB

Hemmer/Wüst, Strafrecht AT II, Rn. 114 ff.

  • Konkurrenzprobleme im Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte

Hemmer/Wüst, Strafrecht BT II, Rn. 110.

F) Wiederholungsfragen

1. Genügt es für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 II S. 1 StGB, wenn mehrere Tatbeteiligte einvernehmlich von der weiteren Tatausführung Abstand nehmen?

2. Welche Bedeutung wird der sog. Hemmschwellentheorie bei der Bestimmung des Eventualvorsatzes bei Tötungsdelikten zuteil?


  1. Vgl. beispielsweise Erstes Staatsexamen Bayern 2013/2 und 2014/1.

  2. Fischer, § 22 StGB, Rn. 9 f.

  3. Fischer, § 24 StGB, Rn. 6.

  4. Fischer, § 24 StGB, Rn. 9.

  5. Fischer, § 24 StGB, Rn. 14.

  6. Fischer, § 224 StGB, Rn. 10.

  7. Fischer, § 224 StGB, Rn. 12.

  8. BGHSt 44, 196

  9. Fischer, § 24 StGB, Rn. 6.

  10. BGH, NStZ-RR 2012, 167, 168.

  11. BGHSt 42, 158, 162

  12. Fischer, § 24 StGB, Rn. 40a.

  13. Fischer, § 24 StGB, Rn. 18 ff.

  14. Fischer, § 224 StGB, Rn. 12 ff.

  15. Vgl. BGH, NJW 1985, 1565