Haftung des Besitzmittlers auf Nutzungsherausgabe im Drei-Personen-Verhältnis, § 991 I BGB

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Zivilrecht

von Life and Law am 01.07.2014

+++ Vorliegen einer Vindikationslage +++ Schutz des gutgläubigen mittelbaren Besitzers +++

Sachverhalt: A veräußert seine Obstwiese formlos an B, ohne dass eine Eintragung im Grundbuch erfolgt. B verpachtet den Hain an C, der das Obst im Herbst pflückt und einkellert. Kann A von C Nutzungsherausgabe gem. §§ 987 ff. BGB bzgl. des geernteten Obstes verlangen, wenn C nach Abschluss des Pachtvertrags und vor Einholung der Ernte von der Nichtigkeit der Veräußerung erfährt?

Frage: Kann A Nutzungsherausgabe verlangen?

A) Sound

Nutzungen sind nach der Legaldefinition gem. § 100 BGB Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt.

Nach § 991 I BGB ist in einem Drei-Personen-Verhältnis der Besitzmittler (unmittelbarer Besitzer) dem Eigentümer nur dann zur Nutzungsherausgabe nach §§ 990, 987 f. BGB verpflichtet, wenn auch der mittelbare Besitzer unredlich nach § 990 I BGB oder verklagt ist.

Grund hierfür ist, dass ohne diese Regelung des § 991 I BGB der unmittelbare Besitzer, der an den Eigentümer Nutzungen herauszugeben hätte, in aller Regel seinen mittelbaren Besitzer in Regress nehmen könnte.

Vor einer solchen mittelbaren Herausgabepflicht soll der mittelbare Besitzer geschützt werden.

Droht kein Regress, weil der Besitzmittler nicht gegen seinen Besitzherren vorgehen kann, ist auch § 991 I BGB nicht anzuwenden.

§ 991 I BGB macht nach dem klaren Wortlaut eine Ausnahme nur vor der Nutzungshaftung nach § 990 BGB und ist auf eine Haftung nach § 988 BGB nicht anzuwenden (auch nicht analog, h.M.).

B) Problemaufriss

Anspruch auf Nutzungsherausgabe
nach §§ 987 ff. BGB

1. § 987 I BGB
C unverklagt

2. § 988 BGB
Pacht nach §§ 585 II, 581 I S. 2 BGB nicht unentgeltlich

3. §§ 990 I, 987 BGB

a) Vindikationslage

aa) A Eigentümer des Grundstücks
Übereignung an B mangels Einhaltung der §§ 873, 925 BGB unwirksam.

bb) C unmittelbarer Fremdbesitzer des Grundstückes, § 854 I BGB

cc) kein Recht zum Besitz, § 986 BGB

(1) § 986 I S. 1 Alt. 1 BGB
Pachtvertrag wirkt nur relativ zwischen B und C, § 986 I S. 1 Alt. 1 BGB (-)

(2) § 986 I S. 1 Alt. 2 BGB
Kaufvertrag zwischen A und B nichtig, §§ 311b I, 125 S. 1 BGB, keine Heilung gem. § 311b I S. 2 BGB,

b) Bösgläubigkeit des C, § 990 I S. 2 BGB

c) Tatsächlich gezogene Nutzungen nach Bösgläubigkeit, §§ 100, 99 I BGB

Nutzungsherausgabe gem.
§§ 990 I S. 2, 987 I BGB (+)

d) Ausnahme des § 991 I BGB

aa) Besitzmittlungsverhältnis des C zu B

bb) Ableitung des Besitzrechts von B

cc) Mittelbarer Besitzer B unredlich (§ 990 BGB)

B bzgl. der Unwirksamkeit des mit A geschlossenen Kaufvertrags grob fahrlässig, daher § 991 I BGB (-)

4. Ergebnis
Anspruch auf Nutzungsherausgabe gem. §§ 990 I S. 1, 987 I BGB (+)

C) Lösung

Anspruch auf Nutzungsherausgabe

A könnte gegen C einen Anspruch auf Nutzungsherausgabe bzgl. des geernteten Obstes gem. §§ 987 ff. BGB haben.

1. § 987 I BGB

Der Nutzungsherausgabeanspruch gem. § 987 I BGB setzt Eintritt der Rechtshängigkeit voraus. C müsste also nach §§ 261, 253 I ZPO von A eine Klageschrift zugestellt worden sein. C ist im Zeitpunkt der Nutzungsziehung jedoch unverklagt. Damit besteht auch kein Anspruch auf Nutzungsherausgabe nach § 987 I BGB.

hemmer-Methode: Die Klage i.S.v. §§ 987, 989 BGB muss im Übrigen eine solche auf Herausgabe gem. § 985 BGB sein. Diese Selbstverständlichkeit ergibt sich aus dem Kontext der §§ 987 ff. BGB und ihrer Stellung im EBV.

2. § 988 BGB

Voraussetzung des § 988 BGB ist unentgeltliche Besitzerlangung des Obsthaines durch C. Bei der Vereinbarung zwischen B und C handelt es sich um eine Landpacht gem. §§ 585 ff. BGB, auf die gem. § 585 II BGB die allgemeinen Vorschriften der Pacht gem. §§ 581 ff. BGB subsidiäre Anwendung finden. § 581 I S. 2 BGB zeigt, dass die Pacht (wie auch die Miete) stets entgeltlich ist. Da C und B somit offenbar die Zahlung einer Pacht vereinbart haben, scheidet auch § 988 BGB als Anspruchsgrundlage aus.

hemmer-Methode: Wäre eine Pachtzahlung nicht vereinbart worden, so würde es sich eben nicht um eine Pacht, sondern um eine (atypische) Leihe handeln. Nicht die Bezeichnung durch die Parteien, sondern die wahre Rechtsnatur des Vereinbarten zählt. Falsa demonstratio non nocet!

3. §§ 990 I, 987 BGB

a) Vindikationslage

Die Ansprüche aus §§ 987 ff. BGB erfordern das Vorliegen einer Vindikationslage gem. §§ 986 f. BGB, hier im Zeitpunkt der Nutzungsziehung.

Bei dem geernteten Obst handelt es sich um Früchte i.S.v. § 99 I BGB und damit um Nutzungen des fraglichen Grundstücks. Es müsste also eine Vindikationslage am Grundstück bestehen.

hemmer-Methode: Denkbar wäre zunächst auch, auf die Obstbäume abzustellen. Diese sind aber nach §§ 93, 94 I S. 2 BGB wesentliche Bestandteile des Grundstücks und bilden mit diesem eine einheitliche Sache. Eine getrennte Betrachtung von Grundstück und Obstbäumen darf nicht stattfinden.

aa) A Eigentümer des Grundstücks

Fraglich ist, ob A im maßgeblichen Zeitpunkt der Nutzungsziehung Eigentümer des Grundstücks war. Er könnte sein Eigentum durch Übereignung an B verloren haben. Eine rechtsgeschäftliche Eigentumsübertragung erfordert gem. §§ 873 I, 925 BGB die Eintragung ins Grundbuch und die formwirksame Einigung des Berechtigten mit dem Erwerber. B ist jedoch nicht im Grundbuch als neuer Eigentümer eingetragen worden. Deshalb ist A weiterhin Eigentümer des Obsthains.

bb) C unmittelbarer Fremdbesitzer des Grundstücks, § 854 I BGB

C ist unmittelbarer Fremdbesitzer des Grundstücks, § 854 I BGB.

cc) Kein Recht zum Besitz, § 986 BGB

Zu prüfen ist, ob C kein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB zusteht.

(1) § 986 I S. 1 Alt. 1 BGB

Der Pachtvertrag gem. §§ 585 ff., 581 ff. BGB wirkt nur relativ zwischen B und C. Somit hat C gegenüber A kein Recht zum Besitz gem. § 986 I S. 1 Alt. 1 BGB.

(2) § 986 I S. 1 Alt. 2 BGB

Ein Recht zum Besitz gem. § 986 I S. 1 Alt. 2 BGB setzt voraus, dass C seinen Besitz von B herleitet, und B gegenüber A zum Besitz berechtigt ist.

Der Kaufvertrag zwischen A und B über das Grundstück ist mangels notarieller Beurkundung formnichtig, §§ 311b I, 125 S. 1 BGB. Eine Grundbucheintragung des B ist nicht erfolgt. Damit ist auch keine Heilung des Kaufvertrags gem. § 311b I S. 2 BGB eingetreten.

Aus diesem Grund hat B kein Recht zum Besitz des Obsthains gegenüber A.

In Konsequenz kann C auch kein Besitzrecht über B gem. § 986 I S. 1 Alt. 2 BGB herleiten.

hemmer-Methode: Anders als etwa bei § 935 BGB kommt es bei § 986 BGB nicht darauf an, ob der Eigentümer seinen Besitz freiwillig aufgegeben hat. Maßgeblich ist das zivilrechtlich wirksame Bestehen eines Besitzrechts. Anderenfalls wären die §§ 985 ff. BGB nahezu nur in Diebstahlsfällen o.Ä. anwendbar. Dies entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers und würde noch dazu die Ausnahmevorschrift des § 992 BGB zum Regelfall machen!

Somit: C hatte kein Recht zum Besitz des Grundstücks. Mithin bestand eine Vindikationslage gem. §§ 986 f. BGB im Zeitpunkt der Nutzungsziehung durch die Ernte.

b) Bösgläubigkeit des C, § 990 I S. 2 BGB

Der Anspruch aus §§ 990 I, 987 I BGB erfordert weiterhin, dass der Besitzer bei Erwerb des Besitzes (§ 990 I S. 1 BGB) oder später (§ 990 I S. 2 BGB) nicht in gutem Glauben an sein Besitzrecht ist.

C war zwar bei Besitzerwerb gutgläubig nach § 932 II BGB analog, doch erfuhr er später von der Nichtigkeit der Veräußerung. C wusste damit, dass er Eigentümer A gegenüber nicht zum Besitz berechtigt sein konnte. Ab Erlangung der Kenntnis haftet C daher nach §§ 990 I S. 2, 987 BGB.

hemmer-Methode: Lesen Sie das Gesetz genau: Beim Besitzerwerb kommt es auf den „guten Glauben" an (§ 990 I S. 1 BGB), gemeint ist der Maßstab des § 932 II BGB. Danach ist aber nur positive Kenntnis des Besitzers vom Fehlen des Besitzrechts schädlich, § 990 I S. 2 BGB. Eine grobe Fahrlässigkeit schadet nach der Besitzerlangung nicht mehr!

c) Tatsächlich gezogene Nutzungen nach Bösgläubigkeit

Nach Eintritt der Bösgläubigkeit hat C durch das Abernten die fraglichen Nutzungen tatsächlich gezogen. Wer Eigentümer des abgeernteten Obstes wurde, ist für den Anspruch nach § 987 BGB nicht von Belang.

Damit besteht grundsätzlich ein Anspruch des A gegen C auf Nutzungsherausgabe gem. §§ 990 I S. 2, 987 I BGB.

d) Ausnahme des § 991 I BGB

Dem könnte jedoch die Ausnahmevorschrift des § 991 I BGB entgegenstehen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Schutz eines mittelbaren Besitzers vor Regressansprüchen des unmittelbaren Besitzers, der Nutzungen an den Eigentümer herausgeben müsste.

aa) Besitzmittlungsverhältnis des C zu B

§ 991 I BGB setzt deshalb voraus, dass ein unmittelbarer Besitzer den Besitz mittelt. C und B haben einen wirksamen Landpachtvertrag geschlossen, §§ 585 ff., 581 ff. BGB. Der Pachtvertrag berechtigt C als Pächter zum Besitz gegenüber B. Deswegen ist ein Besitzmittlungsverhältnis nach § 868 BGB entstanden.

bb) Ableitung des Besitzrechts von B

C leitet sein Besitzrecht von B ab.

cc) Mittelbarer Besitzer B unredlich

Fraglich ist, ob der unverklagte B in Ansehung seines Besitzrechtes bösgläubig war, § 932 II BGB analog. Obwohl seine Gutgläubigkeit gesetzlich vermutet wird, spricht hier mehr für die Annahme zumindest grob fahrlässiger Unkenntnis von der Unwirksamkeit des mit A geschlossenen Kaufvertrags.

Auch einem juristischen Laien ist in aller Regel klar, dass er ein Grundstück nicht durch privatschriftlichen Vertrag kaufen kann. Da die Unwirksamkeit des Kaufvertrags wegen Formnichtigkeit auch bei Parallelwertung in der Laiensphäre jedermann ins Auge springen muss, ist von einer Bösgläubigkeit des B auszugehen i.S.v. § 990 BGB.

Daher greift der Schutzzweck des § 991 I BGB nicht, eine Ausnahme von der Nutzungshaftung des C ist nicht gegeben.

A kann Nutzungsherausgabe gegen C gem. §§ 987 ff. BGB geltend machen.

D) Zusammenfassung

Sound: Der Besitzmittler haftet nur dann auf Nutzungsherausgabe gem. §§ 990 I, 987 BGB, wenn der mittelbare Besitzer bösgläubig oder verklagt ist. Der Schutzzweck des § 991 I BGB besteht darin, den redlichen, unverklagten mittelbaren Besitzer keinen Regressansprüchen des unmittelbaren Besitzers auszusetzen.

hemmer-Methode: Wäre nicht nur nach Ansprüchen aus §§ 987 ff. BGB gefragt, müsste auch an einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB bzgl. des geernteten Obstes gedacht werden. Die Eigentumslage an dem Obst richtet sich nach den §§ 953 ff. BGB, sodass gem. § 953 BGB grundsätzlich dem A als Eigentümer des Grundstücks auch das Eigentum am Obst zusteht. Eine Gestattung gem. § 956 BGB liegt nicht vor, da eine solche nur durch den Eigentümer erfolgen kann. Allerdings kommt § 957 BGB zur Anwendung, wenn C -- wie im Ausgangsfall -- bei Besitzüberlassung am Grundstück an die Berechtigung des B geglaubt hat.

E) Zur Vertiefung

  • Hemmer/Wüst, SachenR I, Rn. 389
  • Hemmer/Wüst, Basics Zivilrecht, Band 2, Rn. 368
  • Hemmer/Wüst, SachenR I, Karte 65