Geteiltes Glück ist doppeltes Glück?

BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2013, XII ZB 277/12

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Zugewinnausgleich +++ Privilegierter Erwerb, fiktives Anfangsvermögen +++ § 1374 BGB +++

Sachverhalt: M und F heirateten im Juli 1971 und haben drei mittlerweile volljährige Kinder. Sie trennten sich im August 2000. Seit dem Jahr 2001 lebt M mit seiner jetzigen Partnerin zusammen. Im November 2008 erzielte er zusammen mit ihr einen Lottogewinn von 1 Mio. €. Im März 2009 reichte M den Scheidungsantrag ein. Im Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrags bei F hatte diese kein Vermögen. M hatte zu dem Zeitpunkt „nur" die ihm zustehende Hälfte des Lottogewinns. F verlangt nun nach Rechtskraft der Scheidung von M 250.000,- € Zugewinnausgleich. M verweigert die Zahlung, da der Lottogewinn nichts mehr mit der Ehe zu tun habe. Es sei unbillig, wenn die F hier beteiligt würde, zumal die Trennung schon so lange Zeit zurück liege.

Besteht die Forderung der F?

A) Sounds

1. Der Lottogewinn eines Ehegatten ist bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs nicht seinem Anfangsvermögen nach § 1374 II BGB hinzuzurechnen.

2. Dass der Lottogewinn längere Zeit nach der Trennung erzielt worden ist, rechtfertigt für sich genommen auch keine grobe Unbilligkeit i.S.v. § 1381 I BGB.

B) Problemaufriss

Das Familienrecht ist in den meisten Bundesländern bereits im Ersten Staatsexamen Prüfungsstoff.

Allerdings bleiben Familienrechtsklausuren meist auf Grundzüge beschränkt. Abgeprüft werden vor allem Bezüge zum Schuld- und Sachenrecht über §§ 1357, 1359, 1362, 1365 - 1369 BGB.

Details werden im Familienrecht - wenn überhaupt - im Zugewinnausgleich abgeprüft.

Der BGH musste sich im vorliegenden Fall mit einem solchen Detail befassen. Es geht konkret um die Frage, ob ein Lottogewinn vergleichbar einer Schenkung nach § 1374 II BGB dem Anfangsvermögen hinzuzurechnen ist und dadurch dem Zugewinnausgleich entzogen wird.

C) Lösung

F könnte nach § 1378 I BGB ein Zugewinnausgleichsanspruch zustehen. Voraussetzung ist,

  • dass der gesetzliche Güterstand auf andere Weise als durch den Tod eines der Ehegatten beendet wurde, § 1372 BGB, und
  • dass M einen höheren Zugewinn als sie erzielte, § 1378 I BGB. Zugewinnausgleich = (Zugewinn S -- Zugewinn G) ÷ 2

I. Ehe im gesetzlichen Güterstand

Von einer Ehe im gesetzlichen Güterstand des Zugewinnausgleichs ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Eheleute (überhaupt) keinen Ehevertrag geschlossen haben, § 1363 I BGB.

Anmerkung: Liegt ein Ehevertrag vor, ist er an dieser Stelle der Klausur auf seine Wirksamkeit zu untersuchen. Neben der Form des § 1410 BGB findet sich in den §§ 1408 ff. BGB als Vorgabe nur der Typenzwang, d.h. die Eheleute können keinen neuen Güterstand „erfinden", sondern lediglich die gesetzlich vorgesehenen Güterstände modifizieren. Inhaltlich wird die Vertragsfreiheit der Eheleute ansonsten durch § 138 I BGB beschränkt.

Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass der Ehevertrag einen der Ehegatten einseitig benachteiligt und dass sich aus einer Gesamtabwägung auch der Vorwurf der sittenwidrigen Gesinnung rechtfertigt. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, ob die ausgeschlossene Rechtsfolge zum Kern- oder zum Randbereich der Scheidungsfolgen gehört. Zum Kernbereich zählt der BGH dabei alle Ansprüche, die dem täglichen Überleben dienen wie bspw. der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB. Der Zugewinnausgleich hingegen soll nur einen Vermögensausgleich gewähren und gehört deswegen zum Randbereich der Rechtsfolgen, sodass ein Ausschluss im Zweifelsfall wirksam ist.1

II. Beendigung auf andere Weise als durch Tod eines Ehegatten

Die Ehe wurde laut Sachverhalt durch Scheidung und damit auf andere Weise als durch den Tod eines der Ehegatten beendet.

Anmerkung: Wird die Ehe durch den Tod eines Ehegatten beendet, wird der Zugewinn grundsätzlich durch die pauschale Erhöhung des Erbteils um 1/4 ausgeglichen, § 1371 I BGB. Nur wenn der überlebende Ehegatte nicht Erbe wird und ihm auch kein Vermächtnis zusteht, wird der Zugewinn konkret berechnet, §§ 1371 II, 1378 BGB.2 In der Klausur ist § 1371 II BGB ein häufiger Einstieg in die Thematik des Zugewinnausgleichs!

III. Zugewinn F

Zugewinn ist nach § 1373 BGB der Betrag, um den das Endvermögen das Anfangsvermögen übersteigt.

Zugewinn =
Endvermögen - Anfangsvermögen

Anmerkung: Schon durch die Formulierung „übersteigt" ist klargestellt, dass der Zugewinn minimal Null beträgt, also niemals negativ sein kann.

Das Endvermögen der Frau beträgt Null. Zum Anfangsvermögen finden sich keine Angaben. In diesem Fall ist auch das Anfangsvermögen mit Null anzusetzen, da die Eheleute auch kein Verzeichnis über das Anfangsvermögen errichtet haben, § 1377 III BGB.

Anmerkung: § 1377 III BGB hat große praktische Relevanz. In den seltensten Fällen erstellen Eheleute kurz vor der Heirat ein Vermögensverzeichnis für den Fall der Scheidung. Wenn die Ehe dann aber nach bspw. fünfzehn Jahren3 in die Brüche geht, sind die Eheleute in der Regel nicht mehr in der Lage, ihr Anfangsvermögen zu belegen, sodass die Vermutung des § 1377 III BGB greift!

IV. Zugewinn Mann

Das Endvermögen des Mannes besteht laut Sachverhalt in der Hälfte des Lottogewinns, beträgt also 500.000,- €. Auch bei M ist das Anfangsvermögen mangels Vorliegen eines Bestandsverzeichnisses nach § 1377 III BGB mit Null anzusetzen.

1. Fiktives Anfangsvermögen, § 1374 II BGB?

Eventuell ist allerdings der Lottogewinn als fiktives Anfangsvermögen im Sinne des § 1374 II BGB zu behandeln.

Nach § 1374 II BGB ist nur Vermögen, das ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes von Todes wegen oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung erwirbt, seinem Anfangsvermögen hinzuzurechnen und damit vom Zugewinnausgleich ausgenommen. Einen solchen Erwerb stellt der Lottogewinn eines Ehegatten nicht dar.

2. Analoge Anwendung des § 1374 II BGB?

Evtl. kann aber § 1374 II BGB auf den Lottogewinn analog angewendet werden, da ein solcher Gewinn genauso unverhofft und zufällig einem Ehegatten zuteilwird wie eine Erbschaft. Es handelt sich in beiden Fällen um einen ehefremden Erwerb, der nicht auf der gemeinsamen Lebensleistung der Ehegatten beruht, sodass eine vergleichbare Interessenlage als Voraussetzung für eine Analogie vorliegen könnte.4

Der BGH hat allerdings bereits mehrfach entschieden, dass § 1374 II BGB einer ausdehnenden Anwendung im Wege der Analogie nicht zugänglich ist.5 Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum.6

Die Fälle des § 1374 II BGB, in denen ein Zugewinnausgleich nicht stattfinden soll, stellen Ausnahmen von dem gesetzlichen Prinzip dar, wonach es für den Zugewinnausgleich grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob und in welcher Weise der den Ausgleich fordernde Ehegatte zur Entstehung des Zugewinns beigetragen hat.

Anmerkung: § 1374 II BGB ist eben kein allgemeiner Rechtsgedanke der Art zu entnehmen, dass dem Zugewinn nur ein solcher Vermögenszuwachs unterfällt, den beide Ehegatten gemeinsam erwirtschaftet haben. Bringt ein Ehegatte ein Grundstück mit in die Ehe, das aufgrund der allgemeinen Marktentwicklung eine erhebliche Wertsteigerung in der Ehe verzeichnet, hat der andere Ehegatte hierzu auch genau nichts beigetragen -- und dennoch ist unstreitig, dass dieser Wertzuwachs Zugewinn darstellt!

besondere persönliche Beziehung als Grundlage des § 1374 II BGB

Dabei sind die in § 1374 II BGB geregelten Ausnahmen nicht allein dadurch gerechtfertigt, dass der andere Ehegatte in diesen Fällen nicht zu dem Erwerb beigetragen hat. Ein wesentlicher Grund für die gesetzliche Ausnahmeregelung ist vielmehr, dass eine derartige Zuwendung meist auf persönlichen Beziehungen des erwerbenden Ehegatten zu dem Zuwendenden oder auf ähnlichen besonderen Umständen beruht.

Da dieses kennzeichnende Merkmal bei einem durch einen Lottogewinn erzielten Vermögenszuwachs nicht gegeben ist, kommt eine analoge Anwendung des § 1374 II BGB nicht in Betracht.

V. Zugewinnausgleichsberechnung

Da der Lottogewinn demnach nur in das End-, nicht aber auch in das Anfangsvermögen des M fällt, beträgt sein Zugewinn 500.000,- €. Die Ausgleichsforderung der F beläuft sich damit nach § 1378 I BGB auf 250.000,- € [(500.000 -0) ÷ 2].

VI. Einrede nach § 1381 BGB?

Evtl. könnte es aber grob unbillig i.S.d. § 1381 BGB sein, wenn F diese Forderung durchsetzen könnte.

Nach § 1381 I BGB kann der Schuldner die Erfüllung der Ausgleichsforderung verweigern, soweit der Ausgleich des Zugewinns nach den Umständen des Falles grob unbillig wäre. Die Vorschrift ermöglicht eine Korrektur von Ergebnissen, die sich in besonders gelagerten Einzelfällen aus der schematischen Anwendung der Vorschriften zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs ergeben können. Nicht ausreichend ist allerdings, dass sich die Unbilligkeit allein aus dem vom Gesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität festgelegten pauschalisierenden und schematischen Berechnungssystem ergibt.

Dem ausgleichsverpflichteten Ehegatten steht das Leistungsverweigerungsrecht aus § 1381 BGB nur dann zu, wenn die Gewährung des Ausgleichsanspruchs in der vom Gesetz vorgesehenen Art und Weise dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde, ohne dass Absatz eins dieser Vorschrift ein Verschulden des den Ausgleich verlangenden Ehegatten voraussetzt.

Anmerkung: Umstritten ist, ob für die grobe Unbilligkeit nur Aspekte heranzuziehen sind, die einen wirtschaftlichen Bezug aufweisen, also unmittelbar im Kontext mit dem Zugewinnausgleich stehen, oder ob hier auch ein Fehlverhalten im rein persönlichen Bereich wie bspw. sexuelle Fehltritte zu berücksichtigen sind.7

grobe Unbilligkeit im Rahmen einer Gesamtabwägung festzustellen

Ob eine grobe Unbilligkeit i.S.v. § 1381 I BGB gegeben ist, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände zu beurteilen.

Bei diesen Vorgaben ergibt sich hier keine grobe Unbilligkeit:

lange Trennungszeit für sich genommen irrelevant

Die Tatsache, dass der für den Zugewinnausgleich maßgebliche Vermögenszuwachs zu einer Zeit erfolgte, zu der die Ehegatten bereits längere Zeit getrennt lebten, rechtfertigt für sich allein betrachtet die Anwendung des § 1381 I BGB nicht.8 Nach der gesetzlichen Regelung des § 1384 BGB fällt die Trennungszeit bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags in den Zeitraum, für den ein Zugewinnausgleich stattfindet. Vermögensänderungen, die in der Zeit zwischen der Trennung und der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags eingetreten sind, sind deshalb in die Ausgleichsberechnung einzubeziehen Hinzu kommt, dass die §§ 1385, 1386 BGB einem Ehegatten, der keinen Antrag auf Scheidung der Ehe stellen möchte, die Möglichkeit eröffnen, nach einer dreijährigen Trennungszeit die vorzeitige Aufhebung der Zugewinngemeinschaft zu verlangen, um damit zu verhindern, dass ein bei ihm später eintretender Vermögenszuwachs im Zugewinnausgleichsverfahren Berücksichtigung findet. Wenn der Ausgleichsverpflichtete von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, ist der Ausgleich - ohne Hinzutreten weiterer Umstände - nicht grob unbillig.

Herkunft des Zugewinns irrelevant

Auch die Herkunft des Zugewinns ist im Rahmen von § 1381 BGB grundsätzlich ohne Bedeutung. Der Zugewinnausgleich soll nach seinem Grundgedanken der Teilhabe an dem während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Vermögen dienen. Die vom Gesetz vorgesehene pauschalisierte Berechnungsweise differenziert dabei nicht danach, in welchem Umfang die Ehegatten zum Vermögenserwerb während der Ehe beigetragen haben. Diese Wertung ist auch bei der Auslegung des § 1381 BGB zu beachten. Deshalb kann die Vorschrift nicht etwa schon dann eingreifen, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte keinen Beitrag zur Entstehung des Zugewinns geleistet hat.

Anmerkung: Eine andere Entscheidung in diesem Punkt würde letztlich die Ausführungen zur (nicht) analogen Anwendbarkeit des § 1374 II BGB aushebeln. Es wäre widersprüchlich, dort noch zu betonen, dass der Lottogewinn ungeachtet seines zufälligen Charakters Zugewinn ist, um dies dann über die Einrede des § 1381 BGB wieder zu umgehen!

Gesamtschau

Auch eine Gesamtschau dieser beiden Umstände führt hier nicht zur Annahme einer groben Unbilligkeit i.S.v. § 1381 I BGB. Im Einzelfall mag eine lange Trennungszeit im Vorfeld des Vermögenserwerbs im Zusammenspiel mit der Tatsache, dass es um einen ehefremden Erwerb geht, in einer Gesamtschau eine grobe Unbilligkeit begründen.

Hier lebten die Beteiligten aber bei einer (bis zum Anfall des Lottogewinns) achtjährigen Trennungszeit immerhin 29 Jahre in ehelicher Lebensgemeinschaft. Aus der Ehe sind drei mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen. Angesichts dieser langen Ehedauer und der engen Verflechtung von M und F kann eine grobe Unbilligkeit nicht allein mit der Trennungszeit und Herkunft des Zugewinns begründet werden.

VII. Ergebnis

Der F steht eine Forderung in Höhe von 250.000,- € gegen M zu.

D) Kommentar

(mg). Die grundsätzlichen Überlegungen des BGH überzeugen. § 1374 II BGB kann nicht analog auf den Lottogewinn angewendet werden. Es fehlt letztlich an der vergleichbaren Interessenlage. Die Fälle des § 1374 II BGB zeichnen sich nicht nur durch ihre „ehefremde" Herkunft, sondern durch eine persönliche Beziehung zwischen dem Zuwendenden und dem betroffenen Ehegatten aus, an der es beim Lottogewinn gerade fehlt.

Anmerkung: Schenken die Eltern ihrem verheirateten Kind einen größeren Geldbetrag, soll eben nur dieses Kind und nicht auch dessen Ehegatte beschenkt werden. Der Lottogesellschaft ist es hingegen egal, ob der Gewinner den Gewinn alleine einstreicht oder teilen muss.

§ 1374 II BGB bei Erwerb aufgrund Lebensversicherung

Eine Ausnahme zum Grundsatz, dass § 1374 II BGB eine nicht analogiefähige, abschließende Ausnahmeregelung ist, macht die h.M. im Fall einer (Risiko)Lebensversicherung, die ein Ehegatte als Bezugsberechtigter eines Dritten erhält. Es handelt sich zwar weder um eine Schenkung des Dritten, da dieser die Versicherungssumme niemals in seinem Vermögen hatte, sie also auch nicht im Sinne des § 516 BGB verschenken kann, noch handelt es sich um einen Erwerb von Todes wegen, da der Bezugsberechtigte nach §§ 328 ff. BGB, § 159 VVG unmittelbar das Recht erwirbt, die Zahlung der Versicherungssumme von der Versicherungsgesellschaft zu fordern, die Versicherungssumme also erst gar nicht in den Nachlass fällt.9 Da aber ein ehefremder Erwerb vorliegt, den ein Ehegatte gerade aufgrund der persönlichen Beziehung zum Versicherten erhält, wendet die h.M. auf diesen Fall § 1374 II BGB an. Allerdings vermeidet die h.M. den Begriff Analogie und spricht stattdessen von einer erweiternden Auslegung des § 1374 II BGB.10

keine grobe Unbilligkeit

Weiterhin ist es überzeugend, dass weder eine längere Trennungszeit noch die Herkunft des Zugewinns für sich alleine eine grobe Unbilligkeit i.S.d. § 1381 BGB begründen.

Der BGH lässt dabei eine Hintertür offen: Aus einer Gesamtschau dieser beiden Umstände kann zumindest bei Hinzutreten weiterer Punkte doch eine grobe Unbilligkeit entstehen, die allerdings nicht zwingend zum vollständigen Entfallen des Anspruchs führt. Stattdessen würde der Anspruch im Ermessen des Gerichts anteilig gekürzt werden.

E) Background

Auch die Entscheidung des

BGH, Beschl. v. 06.11.2013, XII ZB 434/12

beschäftigt sich mit § 1374 II BGB. Dem Anfangsvermögen wird nach dieser Vorschrift hinzugerechnet, was ein Ehegatte durch eine Schenkung i.S.d. § 516 BGB erworben hat. Die Voraussetzungen des Vorliegens einer Schenkung sind die zentralen Fragen der Entscheidung.

Hintergrund der Entscheidung war folgender Sachverhalt:

Alleiniger Geschäftsführer der R-GmbH war in den frühen 1990er Jahren der Unternehmensgründer R; die Geschäftsanteile an der Gesellschaft wurden seinerzeit jeweils zur Hälfte von R und dessen Ehefrau gehalten. Da sich R altersbedingt nicht mehr zur alleinigen Führung der Gesellschaft in der Lage sah, trat R im Jahre 1993 auf der Suche nach einem Unternehmensnachfolger an M heran, der seine Meisterausbildung bei der R-GmbH absolviert hatte und kurz zuvor aus dem Betrieb ausgeschieden war. Ihm wurde angeboten, jeweils 20 % der Geschäftsanteile der Gesellschaft zu einem Kaufpreis in Höhe des vierfachen Nominalwertes der Anteile übernehmen zu können, wobei zwischen den Beteiligten außer Streit steht, dass dieser Preis nur einen Bruchteil des tatsächlichen Werts der Geschäftsanteile darstellte. M kehrte daraufhin zur R-GmbH zurück. Durch notariellen Vertrag vom 07.12.1993 erwarb M 20 % der Geschäftsanteile an der R-GmbH im Wert von nominal 10.000,- DM zum Kaufpreis von 40.000,- DM. Unter Ziffer 6 dieses Vertrages war bestimmt, dass M, wenn er auf eigenen Wunsch ohne wichtigen Grund aus der Geschäftsführung der R-GmbH ausscheiden sollte, zur Abtretung seines Geschäftsanteils gegen eine im Gesellschaftsvertrag festgelegte Einziehungsvergütung an die Gesellschaft verpflichtet war.

M ist seit 1990 mit F verheiratet. Im Rahmen der Scheidung der beiden 2011 behauptet M, dass der Vertrag 1993 eine gemischte Schenkung sei und deshalb zumindest teilweise nach § 1374 II BGB dem Anfangsvermögen hinzuzurechnen sei.

Voraussetzungen einer Schenkung

Der Begriff der Schenkung im Sinne von § 1374 II BGB entspricht nach ständiger Rechtsprechung des BGH einer Vermögensbewegung im Sinne von § 516 I BGB. Sie setzt eine Zuwendung voraus, durch die der Schenker die Substanz seines Vermögens vermindert und das Vermögen des Beschenkten entsprechend vermehrt, wobei beide Teile darüber einig sind, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolgt.

gemischte Schenkung

Bei einer gemischten Schenkung sind sich die Vertragsparteien darüber einig, dass nur ein Teil der Leistung unentgeltlich zugewendet wird, während der übrige Teil durch eine Gegenleistung abgegolten ist. In einem solchen Fall kann von vornherein nur der unentgeltliche Teil des Rechtsgeschäfts als privilegierter Erwerb im Sinne von § 1374 II BGB behandelt werden. Die Darlegungs- und Beweislast für einen privilegierten Erwerb im Sinne von § 1374 II BGB - und damit für das Vorliegen einer gemischten Schenkung - trägt derjenige Ehegatte, der den angeblichen Schenkungsanteil der Zuwendung in sein positives Anfangsvermögen einstellen möchte.

keine Vermutung für eine Schenkung

Das Vorliegen einer Schenkung wird im Rahmen des § 1374 II BGB auch bei dem Vorliegen eines Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung nicht vermutet.

Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass demjenigen, der sich auf das Vorliegen einer gemischten Schenkung beruft, grundsätzlich eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung zuzubilligen ist, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht.11 Eine solche Beweiserleichterung hat der Bundesgerichtshof bislang allerdings nur Dritten gewährt, deren schutzwürdige Interessen durch das Vorliegen einer Schenkung tangiert wurden, wie dies etwa bei Pflichtteilsberechtigten oder bei Sozialhilfeträgern nach der Überleitung von Rückforderungsansprüchen aus § 528 BGB der Fall ist. Ohne eine Beweiserleichterung könnten solche Dritten ihre Rechte vielfach nicht effektiv wahrnehmen, denn sie wären - da sie außerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen dem Zuwendenden und dem Zuwendungsempfänger stehen - in den meisten Fällen nicht imstande, einen ihnen obliegenden Beweis für die von den Vertragsparteien tatsächlich gewollte (teilweise) Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäftes zu führen. Demgegenüber besteht keine Veranlassung, eine tatsächliche Vermutung dieser Art auch zugunsten eines Zuwendungsempfängers zuzulassen, der - wie hier aufgrund der Beweislastregeln zu § 1374 II BGB - ausnahmsweise die Unentgeltlichkeit der Zuwendung in seinem Interesse beweisen muss. Denn der Zuwendungsempfänger hat es bei einer gemischten Schenkung als Vertragsbeteiligter selbst in der Hand, dem von den Parteien des Zuwendungsgeschäftes tatsächlich zugrunde gelegten Wertverständnis im Vertrag einen hinreichenden Ausdruck zu verleihen.

Anmerkung: Diese Grundsätze fasst der BGH nochmals in folgendem Leitsatz zusammen: Besteht bei einem Zuwendungsgeschäft zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis, besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer gemischten Schenkung; diese Vermutung gilt aber nur zugunsten Dritter, deren schutzwürdige Interessen durch das Vorliegen einer gemischten Schenkung tangiert würden, nicht dagegen zugunsten der Vertragsparteien des Rechtsgeschäftes selbst.

Die Entscheidung des BGH ist absolut überzeugend. Wenn hier ein Beteiligter eine Beweiserleichterung benötigt, dann nicht M, sondern F, die an dem Vertrag mit R anders als M gerade nicht beteiligt war.

keine Schenkung im vorliegenden Fall

Den damit erforderlichen Beweis des Vorliegens einer Schenkung konnte M im vorliegenden Fall nicht erbringen.

keine synallagmatische Gegenleistung erforderlich

An der erforderlichen Einigkeit der Parteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung fehlt es nach allgemeiner Meinung immer dann, wenn eine Vertragspartei - sei es auch nur irrtümlich - die Zuwendung als Abgeltung einer Gegenleistung oder als Erfüllung einer Verbindlichkeit ansieht. Die eine Unentgeltlichkeit ausschließende Verknüpfung der Zuwendung mit einer Gegenleistung kann dabei nach Art eines gegenseitigen Vertrags (synallagmatisch) als auch durch Setzung einer Bedingung (konditional) oder eines bestimmten Rechtszwecks (kausal) erfolgen. Die Gegenleistung kann auch einen immateriellen Charakter haben.

Da die Herstellung einer solchen Verknüpfung Sache der Vertragsparteien und damit Gegenstand ihrer Willensentscheidung ist, muss das Bestehen einer solchen Verknüpfung nach den allgemeinen Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen ermittelt werden.

Bei einer solchen Auslegung liegt hier kein unentgeltlicher Erwerb vor.

Zwar entsprach der „Kaufpreis" für die Anteile unstreitig nicht dem Marktwert, M musste aber weitere Gegenleistungen erbringen. So musste er u.a. in die Geschäftsführung der GmbH eintreten und seine Arbeitskraft dort einbringen. Außerdem war in dem Vertrag vorgesehen, dass M seine Anteile ebenfalls unter dem Wert „zurückgeben" muss, wenn er ohne wichtigen Grund aus der Geschäftsführung ausscheidet.

Anmerkung: Der BGH nimmt in seiner Entscheidung noch zu einer weiteren Frage i.S.d. § 1374 II BGB Stellung. Nach dem Gesetzeswortlaut wird eine Schenkung auch dann nicht dem Anfangsvermögen hinzugerechnet, soweit sie den „Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist". Durch diese Regelung soll Verzerrungen der Zugewinnausgleichsbilanz entgegengewirkt werden, die sich aus der künstlichen Erhöhung des Anfangsvermögens durch die zum Verbrauch bestimmten Zuwendungen ergeben können. Wenn auch solche Zuwendungen berücksichtigt würden, würde dies - zum Nachteil des anderen Ehegatten - zu einer ständigen Vergrößerung des Anfangsvermögens führen, ohne dass diese Zuwendungen im Endvermögen noch in nennenswertem Umfang in Erscheinung treten würden. Es würde dann nicht nur eine Nichtbeteiligung des anderen Ehegatten an diesen Zuwendungen, sondern faktisch sogar dessen Benachteiligung erreicht.

Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist daher, ob die Zuwendung zur Deckung des laufenden Lebensbedarfes dienen oder die Vermögensbildung des begünstigten Ehegatten fördern soll.12

Ein Vermögenserwerb von Todes wegen wird nach diesen Grundsätzen in den meisten Fällen nicht zu den Einkünften zu rechnen sein, da eine solche Zuwendung in der Regel unabhängig von einem konkreten Lebensbedarf des Zuwendungsempfängers erfolgt. Im Übrigen ist bei größeren Sachzuwendungen vor allen Dingen danach zu fragen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Zuwendungsgegenstand, wäre die Ehe in einem überschaubaren Zeitraum nach der Zuwendung gescheitert, noch mit einem nennenswerten Vermögenswert im Endvermögen des begünstigen Ehegatten vorhanden gewesen wäre oder ob dieser Wert verbraucht worden wäre.

F) Zur Vertiefung

  • Zu § 1374 BGB

Hemmer/Wüst, Familienrecht, Rn. 185 ff.

G) Wiederholungsfragen

  1. Was ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung des Endvermögens?
  2. Was gilt, wenn sich im Sachverhalt keine Angaben zum Anfangsvermögen finden?

  1. Vgl. BGH, NJW 2004, 930 = Life & Law 2004, 305; BGH, FamRZ 2005, 1449 Hemmer/Wüst, Familienrecht, Rn. 133e ff.

  2. Hemmer/Wüst, Familienrecht, Rn. 239 ff.

  3. Die „durchschnittliche Ehedauer" einer heute geschiedenen Ehe beträgt statistisch ca. diese 15 Jahre, vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61578/geschiedene-ehen.

  4. So bspw. Jaeger in Johannsen/Henrich, Familienrecht, 5. Aufl., § 1374 BGB, Rn. 36; Schwab/Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 6. Aufl., Kap. VII Rn. 161.

  5. Vgl. BGHZ 170, 324; BGHZ 157, 379, 384 f.

  6. M.w.N. Palandt, § 1374 BGB, Rn. 19.

  7. Palandt, § 1381 BGB, Rn. 17.

  8. Anders bspw. Staudinger, § 1381 BGB, Rn. 24.

  9. Palandt, § 1922 BGB, Rn. 39.

  10. Palandt, § 1374 BGB, Rn. 19

  11. M.w.N. zuletzt BGH, Urt. vom 18. Oktober 2011, X ZR 45/10

  12. Im Anschluss an Senatsurteil vom 1. Juli 1987, IVb ZR 70/86, BGHZ 101, 229