Falsches Bankschließfach geknackt. Und das auch noch zugunsten eines Geschäftsunfähigen. Wer haftet?

BGH, Urteil vom 20.11.2013, XII ZR 19/11; WM 2014, 26-28

von Life and Law am 01.03.2014

+++ Vertrag über Bankschließfach zwischen Bank und Kunde +++ Geschäftsunfähiger Erbe +++ Wertersatz bei reiner Besitzerlangung +++ §§ 812, 816, 818 BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht): T unterhält bei der Sparkasse (S) ein Bankschließfach. Nach dem Tod der T tritt der unerkannt geisteskranke Erbe E an die S heran mit der Bitte, das Bankschließfach von T aufzubrechen, um an den Inhalt heranzukommen. Der Schlüssel sei nicht auffindbar.

In der Folgezeit wurde ein Bankschließfach im Beisein von E geöffnet. Darin befanden sich Geldscheine im Wert von 31.000,- €. Diese wurden E ausgehändigt.

Sodann stellte sich heraus, dass das geöffnete Bankschließfach nicht das von T, sondern von M war. Das Schließfach von T befand sich vielmehr in einer anderen Filiale der S. Das war für E jedoch nicht erkennbar.

Nachdem E mit der Situation konfrontiert wurde, berief er sich darauf, das Geld sei nicht mehr in seinem Besitz; er habe es ausgegeben.

Welche Ansprüche haben S und M gegen E?

Abwandlung 1: Was ändert sich an der Rechtslage, wenn E geschäftsfähig ist?

Abwandlung 2: Was ändert sich an der Rechtslage, wenn E beschränkt geschäftsfähig ist?

A) Sound

Hat der Schuldner des Bereicherungsanspruchs rechtsgrundlos den Besitz erlangt und wird die Herausgabe unmöglich, so besteht im Vermögen des Schuldners neben etwa gezogenen Nutzungen kein selbständiger Wert, der als ungerechtfertigte Bereicherung herauszugeben wäre.

B) Problemaufriss

Der Fall könnte aus einem Lehrbuch des Schuldrechts stammen. Man würde meinen, er wäre ausgedacht und konstruiert, um praktisch letztlich nie relevante Fragen in einer Klausur abprüfen zu können.

Es liegt aber anders. Die Sparkasse hatte der M den Betrag in Höhe von 31.000,- € erstattet. Dazu war sie gem. § 280 I BGB verpflichtet. Bei sorgfältiger Vorgehensweise hätte man nicht das falsche Schließfach geöffnet und die 31.000,- € stünden M noch zur Verfügung. Gegenstand der BGH-Entscheidung war aufgrund der Erstattung nur noch die Frage, ob S Ansprüche gegen E hat. Wir haben den Fall jedoch um verschiedene Varianten erweitert, um zu zeigen, wie facettenreich die zugrundeliegende Konstellation tatsächlich ist. In der Form könnte der Fall „eins zu eins" zum Gegenstand einer Examensklausur gemacht werden.

Kernprobleme ergeben sich zum einen beim Auffinden der einschlägigen Anspruchsgrundlage.

Schadensersatzansprüche scheiden von vorneherein aus, weil E nicht verschuldensfähig ist (§§ 276 II S. 2, 827 BGB). Auch bei unterstellter Geschäftsfähigkeit (Abwandlung) ergibt sich kein anderes Ergebnis, weil E keine Pflichtverletzung begangen hat. Das Versehen lag einzig auf Seiten der Bank. Insoweit mag zwar E aufgrund des Erbfalls gem. § 1922 BGB in das Vertragsverhältnis der S zu T eingetreten sein. Ansprüche aus vertraglicher Beziehung scheiden aber aus. In Betracht kommen letztlich nur bereicherungsrechtliche Ansprüche. Dabei ist zum einen die Dreiecksbeziehung S-E-M interessant (Vorrang der Leistungsbeziehung?). Aber auch auf der Rechtsfolgenseite ergeben sich Probleme, weil E nicht mehr über den Geldbetrag verfügt (Wertersatz? Entreicherung?).

C) Lösung Ausgangsfall

Zu klären ist, ob M bzw. S Ansprüche gegen E haben.

I. Ansprüche S gegen E

Ein Anspruch der S gegen E könnte sich aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB ergeben.

1. Erlangtes Etwas

Fraglich ist zunächst, was E genau erlangt hat. Aufgrund der Geschäftsunfähigkeit war E nicht in der Lage, wirksame Willenserklärungen abzugeben, §§ 104 Nr. 2, 105 I BGB. Dementsprechend konnte sich E mit S nicht wirksam über den Eigentumsübergang hinsichtlich der Geldscheine einigen.

Anmerkung: Hüten Sie sich hier vor dem Fehler, die Eigentumserlangung damit zu legitimieren, dass es sich ja um ein rechtlich lediglich vorteilhaftes Geschäft handele. Diese Erwägung ist nur beim beschränkt Geschäftsfähigen relevant! Im Übrigen achten Sie hier auf die richtige Diktion. Der Volltrunkene ist nicht geschäftsunfähig, weil der Zustand nicht von Dauer ist. Gleichwohl sind Willenserklärungen, die in diesem Zustand abgegeben werden, unwirksam, § 105 II BGB.

Erlangtes Etwas ist daher der Besitz. Da die Besitzerlangung auf einem Realakt basiert, steht die Geschäftsunfähigkeit dem nicht entgegen.

2. Durch Leistung oder in sonstiger Weise auf Kosten der S

Fraglich ist, ob der Vermögensvorteil auf einer Leistung von S basiert.

Bis zur Öffnung des Schließfachs lag der Besitz an dessen Inhalt bei M. M hatte als wahre Inhaberin des geöffneten Schließfachs unmittelbaren Besitz aufgrund der Tatsache, dass ihr der Schlüssel zur Verfügung stand.

Anmerkung: Grundsätzlich haben Bank und Kunde einen Schlüssel, sodass das Schließfach nur durch beide Schlüssel gleichzeitig zu öffnen wäre. Insoweit kann man auch von Mitbesitz ausgehen.

Unabhängig davon begründete S jedenfalls dadurch Alleinbesitz, dass sie das Schließfach öffnen ließ. Die Übergabe des Schließfachinhalts an E diente sodann dazu, die vertragliche Pflicht der S zur Gebrauchsüberlassung hinsichtlich des Schließfachs oder einen gegen sie gerichteten Herausgabeanspruch des E zu erfüllen. In beiden Fällen verschaffte die S dem E den Besitz somit durch Leistung. Die Tatsache, dass im Verhältnis zur M bei Inbesitznahme ein Fall verbotener Eigenmacht vorlag, steht der Annahme einer Leistung nicht entgegen. Auch ist für die Empfangnahme auf Seiten von E dessen Geschäftsfähigkeit keine Voraussetzung.

3. Ohne Rechtsgrund

Die Besitzerlangung erfolgte zudem ohne Rechtsgrund. Zwar bestand wegen § 1922 BGB möglicherweise ein Vertragsverhältnis zwischen S und E, weil E in die rechtliche Beziehung1 mit T hineingewachsen ist. Diese rechtliche Beziehung ist aber nicht ein Rechtsgrund dafür, den Besitz am Geld der M zu erhalten.

4. Problem: Inhalt des Anspruchs

Der Anspruch ist damit dem Grunde nach gegeben. Gem. § 818 I BGB gehört dazu auch der Ersatz von Nutzungen. Der Besitz wäre demnach neben etwaigen Nutzungen herauszugeben.

Anmerkung: Hier wird dann deutlich, warum man beim „erlangten Etwas" nie schreiben darf: „die Sache" oder „das Geld". Denn es macht einen Unterschied, ob nur Besitz am Geld oder das Eigentum am Geld erlangt wurde. Bei Eigentumserlangung muss zurückübereignet werden. Geschuldet ist also ein rechtsgeschäftliches Tätigwerden. Ist nur Besitz erlangt worden, beschränkt sich die Verpflichtung auf die reale Rückverschaffung an den Bereicherungsgläubiger.

Grundsätzlich ist E daher verpflichtet, die Geldscheine an S zurückzugeben.

Laut Sachverhalt sind die Geldscheine aber nicht mehr im Besitz des E, weil dieser vorgibt, das Geld ausgegeben zu haben.

Fraglich ist, welche Auswirkungen dies auf den bereicherungsrechtlichen Anspruch hat. Grundsätzlich hat der Schuldner gem. § 818 II BGB Wertersatz zu leisten,

Da die Herausgabe des Besitzes nicht mehr möglich ist, ist § 818 II BGB einschlägig. Fraglich ist jedoch, welchen Wert man für den Besitz an der Sache ansetzen kann.

Nach Ansicht des BGH lässt sich ein Anspruch gem. § 818 II BGB wegen Unmöglichkeit der Herausgabe des Erlangten auf die Besitzkondiktion als Bereicherungsanspruch nicht stützen.

Besitz spiegelt nicht Wert der Sache selbst wider

Dem Besitz als solchem kommt -- neben aus der Sache gezogenen Nutzungen, welche gem. § 818 I BGB ersatzpflichtig sind -- kein eigenständiger Wert zu, der den Bestand des Besitzes überdauern oder bei Austauschgeschäften durch die erhaltene Gegenleistung ersetzt werden könnte. Die mit Hilfe fremden Geldes erworbenen Sachen verkörpern nicht den Wert des Besitzes, sondern des Eigentums.

Ein eigenständiger Wert des Besitzes lässt sich auch nicht nach dem Gebrauchswert bemessen. Der Gebrauchswert der Sache verwirklicht sich auf Seiten des Bereicherungsschuldners in Form von Nutzungen, die dieser aus der Sache gezogen hat und die nach § 818 I BGB ohnedies -- neben der Sache selbst -- herauszugeben ist. Auf den entgangenen Gebrauchswert für den Gläubiger kann nicht abgestellt werden, weil sich ein darauf basierender Anspruch mangels eines korrespondierenden Wertes im Vermögen des Bereicherungsschuldners nur als Schadensersatzanspruch rechtfertigen ließe. Unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt einer beim Schuldner eingetretenen und fortdauernden ungerechtfertigten Bereicherung lässt sich der Anspruch hingegen nicht begründen.

Anmerkung: Hier macht der BGH Ausführungen zu einem für das Verständnis des Unterschieds zwischen Bereicherungsrecht und Deliktsrecht ganz wesentlichen Aspekt. Während das Bereicherungsrecht auf den Schuldner abstellt und danach fragt, was er erlangt hat und ob noch Vorteile bei ihm vorhanden sind, stellt das Deliktsrecht den Gläubiger in den Vordergrund und fragt, welche Einbuße er erlitten hat. Für die Frage des Bereicherungsausgleichs (Abschöpfungsfunktion) ist also nicht maßgeblich, ob der Gläubiger eine Einbuße erlitten hat. Spiegelbildlich ist aber auch im Deliktsrecht irrelevant, ob der Schuldner noch einen Vermögensvorteil im Vermögen hat; er haftet gleichwohl.

Die Aktivlegitimation für einen Anspruch auf Wertersatz kann dementsprechend nicht aus dem Besitz folgen, sondern nur aus dem Eigentum, das hier M zustand.

Anmerkung: Anders wäre dies dann zu beurteilen, wenn die Veräußerung nach Eintritt der Bösgläubigkeit erfolgt. Die Bösgläubigkeit würde sich zwar auf den Anspruch aus § 818 I, II BGB nicht auswirken. Allerdings tritt daneben ein Anspruch aus §§ 819 I, 818 IV, 292 I, 989 BGB. Hier wäre zu beachten, ob auf Seiten des Bereicherungsgläubigers eine Vermögenseinbuße aufgrund des Umstands vorliegt, dass dieser die Sache nicht nutzen konnte! Allerdings wäre im vorliegenden Fall wiederum die Geschäftsunfähigkeit zu berücksichtigen gewesen. E ist nicht verschuldensfähig. Außerdem wäre bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit nicht auf ihn abzustellen.2

Bei einer gegenüber dem Eigentümer wirksamen Verfügung über die erlangte Sache greift daher nur der Anspruch aus § 816 I BGB als Rechtsfortwirkungsanspruch zugunsten des Eigentümers. Auch wenn die Verfügung unwirksam ist, kommt ein gegen den früheren Besitzer auf Wertersatz gerichteter Bereicherungsanspruch nicht in Betracht. Im diesem Fall verbleibt dem Eigentümer der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB.

Bei Unwirksamkeit der Verfügung, wovon vorliegend aufgrund der Geschäftsunfähigkeit von E auszugehen ist, hat E schon keinen Gegenwert erwerben können, der sich als verbleibende Bereicherung noch in seinem Vermögen befunden hätte. Mit dem Geld gekaufte Sachen hätte er nicht zu Eigentum erworben, und von etwaigen mit dem Geld bedienten Schulden wäre er nicht frei geworden.

Selbst bei einem Eigentumsverlust durch Realakt gem. §§ 946 ff. BGB ergäbe sich aus § 951 BGB zwar ein auf Wertersatz gerichteter Bereicherungsanspruch, dieser stünde aber nur demjenigen zu, der sein Recht verloren hat.

Da somit anstelle des Besitzes im Vermögen des E kein Wert verblieben ist, besteht kein Anspruch aus §§ 812 I S. 1 Alt. 1, 818 II BGB.

II. Ansprüche M gegen E

Zu prüfen ist ferner, ob nicht zumindest M Ansprüche gegen E zustehen. Deliktische Ansprüche kommen von vorneherein nicht in Betracht, weil E nicht deliktisch gehandelt hat. Zudem fehlt es an der Deliktsfähigkeit, § 827 S. 1 BGB.

1. § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB

Ein Anspruch der M gegen E könnte sich aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB ergeben.

E könnte den Besitz auf Kosten der M erlangt haben. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass E den Besitz durch Leistung der S erlangt hat (s.o.), und ein Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB jedenfalls am Vorrang der Leistungsbeziehung scheitert. Darüber hinaus hatte M den Besitz bereits verloren, bevor ihn E erlangt hatte. Daher erfolgte die Besitzerlangung auch nicht auf Kosten der M. Im Übrigen würde der Anspruch aus denselben Erwägungen scheitern, die oben angestellt wurden: Der Besitz als solcher löst keine Wertersatzhaftung gem. § 818 II BGB aus.

2. § 816 I BGB

Ein Anspruch der M gegen E könnte sich jedoch aus § 816 I S. 1 BGB ergeben.

Nach den Angaben von E hat dieser das Geld „anderweitig" ausgegeben. Auszugehen ist insoweit von (diversen) Kaufgeschäften. Im Rahmen der Abwicklung hat E möglicherweise Eigentum an den Geldscheinen auf einen Dritten übertragen. Allerdings fehlt es unabhängig von der Wirksamkeit bereits an einer Verfügung. Die Übereignung der Geldscheine verlangt nach einer wirksamen dinglichen Einigung i.S.d. § 929 S. 1 BGB, welche aufgrund der Geschäftsunfähigkeit des E nicht gegeben ist, §§ 104 Nr. 2, 105 I BGB.

3. §§ 989, 990 BGB

In Betracht kommt ein Anspruch aus §§ 989, 990 BGB. Da E nur Besitz an den Geldscheinen erlangt hatte, bestand zunächst eine Vindikationslage zwischen M und E. Durch das Ausgeben des Geldes hat E die Herausgabe auch unmöglich gemacht. Voraussetzung für die Haftung wäre jedoch, dass E verklagt oder bösgläubig war, §§ 989, 990 BGB. Maßgeblich wäre wiederum die Bösgläubigkeit des -- soweit vorhanden -- gesetzlichen Vertreters des E.3 Dazu teilt der Sachverhalt nichts mit. Da auch der Anspruch aus § 985 BGB im Zeitpunkt der Weitergabe des Geldes nicht rechtshängig geworden war, besteht kein Anspruch.

Auch ein Anspruch aus §§ 687 II, 678 BGB scheidet aus, weil keine positive Kenntnis von der Fremdheit bestand.

III. Endergebnis zum Ausgangsfall

Weder S noch M haben Ansprüche gegen E.

D) Lösung Abwandlung 1

Zu klären ist, ob M bzw. S Ansprüche gegen E haben, wenn dieser geschäftsfähig ist.

I. Ansprüche S gegen E

Fraglich ist, wie sich die Geschäftsfähigkeit auf die geprüften Ansprüche auswirkt.

1. Keine deliktischen Ansprüche

Im Hinblick auf die deliktischen Ansprüche ändert sich nichts. Das Versehen liegt auf Seiten der S; E ist nicht dafür verantwortlich, dass versehentlich das falsche Schließfach geöffnet wurde.

2. Änderung bei § 812 BGB?

Fraglich ist, ob sich die Geschäftsfähigkeit auswirkt. Möglicherweise hat E nicht nur Besitz, sondern auch das Eigentum erlangt. Während im Ausgangsfall eine Übereignung noch jedenfalls an der Geschäftsunfähigkeit des E scheitern musste, wäre hier der Austausch wirksamer Willenserklärungen im Rahmen von § 929 S. 1 BGB denkbar.

Dem steht jedoch folgende Erwägung entgegen: S und E waren übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich um das Schließfach von T handelte. Daher gingen die Beteiligten aufgrund der Erbenstellung des E davon aus, dass E bereits Eigentümer der Gegenstände geworden war (§ 1922 BGB), welche sich in dem Schließfach befanden. Insoweit bestand bei Aushändigung des Geldes überhaupt kein Rechtsbindungswille, weil man nicht davon ausgehen musste, dass rechtsgeschäftliches Handeln relevant geworden wäre.

Insoweit bleibt es bei der Besitzkondiktion, bei der eine Wertersatzhaftung ausscheidet; selbst wenn E nun wirksam verfügt haben sollte, wäre das, was ihm aufgrund der Verfügung zugeflossen wäre, kein Spiegelbild für den Besitz.

Ansprüche der S gegen E scheiden nach wie vor aus.

II. Ansprüche M gegen E

Fraglich ist, ob sich an den Ansprüchen von M etwas ändert.

1. § 816 I S. 1 BGB

Während ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB im Ausgangsfall noch ausschied, liegt jetzt eine Verfügung des E vor. Unabhängig davon, wofür E das Geld ausgegeben haben mag, hätte er über das Eigentum an den Geldscheinen als Nichtberechtigter verfügt.

Der Wirksamkeit der Verfügung könnte jedoch § 935 BGB entgegenstehen. Geht man davon aus, dass an den Geldscheinen im Schließfach Alleinbesitz von M bestand, wären M durch die unbefugte Entwendung durch S die Geldscheine abhanden gekommen, § 935 I S. 1 BGB. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein weiterer Schlüssel bei der Bank vorlag und damit Mitbesitz von M und S gegeben war, hätte M den unmittelbaren Mitbesitz unfreiwillig verloren, was in gleicher Weise zu einem Abhandenkommen geführt hätte.4

Zu beachten ist jedoch, dass es sich vorliegend um Geld handelt. Gem. § 935 II BGB steht ein Abhandenkommen der Wirksamkeit einer Verfügung jedoch nicht entgegen. Problematisch ist daher allein, was das aus der Verfügung Erlangte ist. Dies ist dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Sollte es sich um Gegenstände handeln, die noch im Besitz des E sind, wären diese herauszugeben. Sollten diese nicht mehr vorhanden sein, bestünde ein Anspruch auf Wertersatz, § 818 II BGB, soweit nicht Bereicherung eingetreten sein sollte, § 818 III BGB.

Dem Grunde nach besteht in Abwandlung 1 daher ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB der M gegen E.

2. §§ 989, 990 BGB bzw. §§ 687 II, 678 BGB

Ansprüche aus EBV bzw. unechter GoA kommen auch in Abwandlung 1 nicht in Betracht. Zwar wäre nun bei der Frage der Bösgläubigkeit bzw. positiven Kenntnis auf E selbst abzustellen. Allerdings durfte E davon ausgehen, eigenes Geld ausgehändigt zu bekommen. Er glaubte daher, bei Besitzerlangung ein Recht zum Besitz zu haben und bei der Weiterveräußerung ein eigenes Geschäft zu führen, § 687 I BGB.

III. Endergebnis zur Abwandlung 1

S hat keine Ansprüche gegen E. M steht dem Grunde nach ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB gegen E zu.

E) Lösung Abwandlung 2

Wiederum sind Ansprüche von S und M gegen E zu prüfen.

I. Ansprüche S gegen E

Hier ergibt sich wiederum keine Änderung. Da ein rechtsgeschäftliches Handeln zwischen S und E nicht stattgefunden hat, ist die Frage der Geschäftsfähigkeit ohne Relevanz (siehe bereits Abwandlung 1).

II. Ansprüche M gegen E

Fraglich ist, wie sich die beschränkte Geschäftsfähigkeit auf die Ansprüche der M gegen E auswirken.

1. § 816 I S. 1 BGB

Fraglich ist, ob E als beschränkt Geschäftsfähiger über das Geld wirksam verfügen konnte. Dies wäre gem. § 107 BGB dann der Fall, wenn die Verfügung für E lediglich rechtlich vorteilhaft wäre. Problematisch ist allerdings, dass E über Geldscheine verfügt, die ihm nicht gehören. Die Folge einer wirksamen Verfügung wäre, dass der Empfänger das Eigentum erlangt und M es verliert. Für E wäre das Geschäft neutral.

Problem: neutrales Geschäft

Fraglich ist, ob eine Willenserklärung -- hier die dingliche Einigungserklärung des E -- wirksam ist, wenn die Erklärung weder einen Vorteil noch einen Nachteil zeitigt.

Der Sinn und Zweck des § 107 BGB besteht darin, den Minderjährigen vor rechtlichen Nachteilen zu schützen. Dieser Gedanke ist nicht relevant, wenn der Minderjährige von den Folgen des Geschäfts gar nicht betroffen ist. Daher wird § 107 BGB in diesem Fall teleologisch reduziert. Ein weiteres Argument für die Wirksamkeit der Erklärung liefert der Rechtsgedanke des § 165 BGB. Nach dieser Vorschrift steht die beschränkte Geschäftsfähigkeit einer wirksamen Stellvertretung nicht entgegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Willenserklärungen des Vertreters für diesen stets neutral sind, weil sie gem. § 164 I S. 1 BGB unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirken. Da der Gesetzgeber demnach davon ausgeht, dass ein Minderjähriger dieses neutrale Geschäft vornehmen kann, ist kein Grund ersichtlich, dies in anderen Konstellationen zu verwehren.5

Die Verfügung ist daher wirksam, sodass wiederum dem Grunde nach ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB besteht.

2. EBV bzw. GoA

Problematisch ist wiederum, auf wessen Bösgläubigkeit bzw. Kenntnis abzustellen ist. Im Rahmen des EBV wird danach differenziert, wie es zu der Besitzerlangung des Minderjährigen gekommen ist. Bestand dafür eine vertragliche Basis -- wie vorliegend --, soll aufgrund der Vertragsähnlichkeit auf die Eltern abgestellt werden, §§ 107, 166 I BGB analog. Da insoweit von Gutgläubigkeit auszugehen ist, liegt keine Bösgläubigkeit vor.

Ansprüche aus EBV bzw. GoA kommen daher wieder nicht in Betracht.

III. Endergebnis zur Abwandlung 2

S hat keine Ansprüche gegen E. M steht dem Grunde nach ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB gegen E zu.

F) Kommentar

(cda). Der (Ausgangs-)Fall wurde vom BGH überzeugend gelöst. Die Eignung der Konstellation für eine Examensklausur ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Lösung allein anhand des Gesetzestextes entwickelt werden kann. Spezialkenntnisse zu irgendwelchen Meinungsstreitigkeiten sind nicht erforderlich. Gerade das Verständnis der Gesetzessystematik ist für ein erfolgreiches Examen von entscheidender Bedeutung.

Die Sparkasse hatte des Weiteren vorgetragen, allein deshalb einen Anspruch gegen E zu haben, weil man durch die Erstattung des Geldbetrags an M auch eine Verbindlichkeit des E gegenüber M getilgt habe. E sei von der Verbindlichkeit des M durch die Zahlung der S an M frei geworden. Der Gedanke trägt allein deshalb nicht, weil im Ausgangsfall keine Ansprüche von M gegen E bestanden. Im Originalfall war indes nicht klar, ob bei E tatsächlich Geschäftsunfähigkeit vorlag oder nicht. Der BGH hat die Sache insoweit zurückverwiesen.

Geht man -- wie in den Abwandlungen - davon aus, dass M gegen E ein Anspruch aus § 816 I S. 1 BGB zusteht (auch der konkrete Verbleib des Geldes war nicht geklärt und muss durch die Vorinstanz nun geklärt werden), wäre fraglich, ob E durch die Zahlung von S an M von dieser Verbindlichkeit befreit wurde und daher ein Regressanspruch der S gegen E in Betracht kommt.

Leistung auf fremde Schuld, § 267 BGB

Möglicherweise liegt in der Zahlung von S an M eine Zahlung eines Dritten gem. § 267 BGB auf den Anspruch von M gegen E. Für ein Bewirken i.S.d. Norm ist ein entsprechender Fremdtilgungswille erforderlich. Maßgeblich ist insoweit nicht der innere Wille des Dritten, sondern wie die Gläubigerin (M) sein Verhalten verstehen durfte.6

Problematisch am Vorliegen des Fremdtilgungswillens ist vorliegend, dass zwischen Drittem (S) und Gläubigerin (M) eine eigene Verbindlichkeit aus § 280 I BGB vorlag. Insoweit durfte M zunächst davon ausgehen, dass S mit der Zahlung diesen Anspruch erfüllen wollte. Allerdings schließt das Bestehen eines Anspruchs zwischen Drittem und Gläubiger einen gleichzeitig bestehenden Fremdtilgungswillen nicht generell aus.7 Erforderlich ist dann eine sog. doppelte Tilgungsbestimmung: Aus den objektiven Umständen muss sich ergeben, dass S sowohl den gegen sie gerichteten Anspruch von M, als auch den Anspruch der M gegen E tilgen wollte. Ob dieser vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls.

Regress des Dritten (S) gegen den Schuldner (E)

Unterstellt man die eingetretene Tilgungswirkung, stellt sich die weitere Frage, welche Anspruchsgrundlage im Verhältnis S zu E im Hinblick auf einen Regressanspruch besteht. § 267 BGB selbst stellt keine Anspruchsgrundlage dar, sondern bedingt zunächst die Tilgungswirkung für die Befreiung des Schuldners von der Verbindlichkeit des Gläubigers.

Der zahlende Dritte hat insoweit möglicherweise ein fremdes Geschäft getätigt und kann gem. §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB Ersatz der im Verhältnis zu M aufgewendeten 31.000,- € verlangen.

Nach Ansicht des BGH kommt alternativ auch ein Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB in Betracht. Durch Leistung der S hätte E die Befreiung von der Verbindlichkeit des M erlangt, ohne dass es dafür einen Rechtsgrund gegeben hätte. Voraussetzung dafür ist aber -- wie ausgeführt -- ein entsprechender „Fremdschuldtilgungswille" der S bei der Zahlung an M.8

Da die Vorinstanz zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen hatte, wurde auch insoweit zurückverwiesen. Insoweit besteht also die Möglichkeit, dass die Klage der S gegen E erfolgreich ist, obwohl keine bereicherungsrechtlichen Ansprüche aus Besitzkondiktion bestehen (s.o.). Die Regressfrage ist im Examen stets beliebte Zusatzfrage, sodass Sie auch diesbezüglich über entsprechende Kenntnisse verfügen sollten. Wichtige Regressinstitute sind § 426 BGB, die GoA, das Bereicherungsrecht und § 255 BGB.9

G) Zur Vertiefung

  • § 816 I S. 1 BGB

Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 365  ff.

  • § 818 BGB

Hemmer/Wüst, Bereicherungsrecht, Rn. 457 ff.

H) Wiederholungsfragen

1. Warum besteht bei einer Besitzkondiktion kein Wertersatzanspruch gem. § 818 II BGB, wenn die Sache selbst nicht mehr herausgegeben werden kann?

2. Warum ist die dingliche Einigung beim neutralen Geschäft des Minderjährigen wirksam?


  1. Die juristische Qualifikation des „Schließfachvertrags" war vorliegend nicht fallentscheidend. Man wird je nach Ausgestaltung von einem Miet-, Verwahrungs- oder typengemischten Vertrag ausgehen müssen. Ein reiner Mietvertrag dürfte vorliegen, wenn die Schlüssel ausschließlich beim Nutzer sind. Dann geht es um die Anmietung einer sicheren Aufbewahrungssphäre für wertvolle Gegenstände. Liegen die Schlüssel indes ausschließlich bei der Bank, wird man von einem entgeltlichen Verwahrungsvertrag ausgehen können. Haben alle Beteiligten einen Schlüssel, dürfte es sich um einen typengemischten Vertrag handeln.

  2. Vielmehr kommt es dann auf den gesetzlichen Vertreter (Betreuer) an, vgl. Palandt, § 819 BGB, Rn. 3.

  3. Auf den schuldunfähigen E selbst (§ 827 S. 1 BGB) ist demgegenüber nicht abzustellen, Palandt, § 990 BGB, Rn. 8.

  4. Palandt, § 935 BGB, Rn. 9.

  5. Palandt, § 107 BGB, Rn. 7 m.w.N.; vereinzelt wird vertreten, dass die Wirksamkeit der Verfügung daran scheitere, dass es nicht Sinn und Zweck der Gutglaubensnormen sei, den Erwerber in dieser Situation zu schützen. Dieser sei nicht schutzwürdig. Er gehe davon aus, dass der Minderjährige Eigentümer sei. Träfe dies zu, könnte er aber nicht erwerben, weil dann ein rechtlicher Nachteil für den Minderjährigen die Folge wäre. Daher solle eine teleologische Reduktion der Gutglaubensnormen vorgenommen werden.

  6. BGH, NJW 1986, 251

  7. BGHZ 70, 396

  8. BGH, NJW 1998, 337 ff.

  9. Einen guten Überblick über diese Thematik finden Sie im Skript Hemmer/Wüst, Rückgriffsansprüche.