Dingliches Vorkaufsrecht unwirksam; besteht dann wenigstens ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht?

BGH, Urteil vom 22.11.2013, V ZR 161/12

von Life and Law am 01.03.2014

+++ Dingliches Vorkaufsrecht +++ Schuldrechtliches Vorkaufsrecht bei versehentlicher Nichteintragung +++ §§ 463 ff., 1094, 873 BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt): V ist Eigentümer eines Wohngrundstücks, das er an B vermietet hat.

B hätte das Grundstück von Anfang an lieber gekauft als gemietet. Einem derzeitigen Verkauf standen aber steuerliche Erwägungen des V entgegen.

Mit notariellem Vertrag vom 22.09.2005 räumte V dem B daher wenigstens für den Fall eines Verkaufs ein dingliches Vorkaufsrecht an seinem Grundstück ein und bewilligte dessen Eintragung in das Grundbuch. Infolge eines Versehens des Notars unterblieb jedoch die Eintragung des Vorkaufsrechts in das Grundbuch.

V schloss mit K am 09.07.2012 einen notariellen Kaufvertrag über das Grundstück. Die notarielle Urkunde enthält u.a. folgende Erklärung:

„Gemäß Angaben des V besteht für den Mieter B gemäß notarieller Urkunde vom 22.09.2005 ein Vorkaufsrecht, welches im Grundbuch jedoch nicht zur Eintragung gelangt ist. Für den Fall der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts ist der heutige Kaufvertrag zwischen V und K auflösend bedingt. K hat dann keinen Anspruch auf Erfüllung oder Schadensersatz."

Im Auftrag des V teilte der Notar dem B am 15.07.2012 den Verkaufsfall mit.

B erklärt daraufhin am 31.07.2012 mündlich gegenüber V, er wolle sein Vorkaufsrecht ausüben.

V ist der Ansicht, dass mangels Eintragung im Grundbuch kein Vorkaufsrecht bestehe und B damit gegen ihn keine Ansprüche geltend machen könne.

Kann B von V Übereignung des Grundstücks verlangen?

A) Skizze

B) Sound

Ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht ist neben der Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts dann als zusätzlich vereinbart anzusehen, wenn die Vorkaufsberechtigung bereits vom Vertragsschluss an und unabhängig von der Eintragung des Vorkaufsrechts im Grundbuch bestehen soll.

C) Problemaufriss

Der im Vergleich zum Original vereinfachte Sachverhalt behandelt die Problematik, ob und unter welchen Voraussetzungen im Falle einer mangels Eintragung im Grundbuch unwirksamen Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts daneben wenigstens ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht eingeräumt wurde.

Da sich das Vorkaufsrecht in Klausuren großer Beliebtheit erfreut, ist die Examensrelevanz dieses vermeintlich kleinen Falles nicht zu unterschätzen. Wie so oft geht es hier nicht um die Auffindung des „richtigen" Ergebnisses, sondern um die juristische Argumentation und das Erkennen der eigentlichen Problematik.

Um den Einstieg in den Fall zu erleichtern, sollen im Problemaufriss zunächst der Sinn eines Vorkaufsrechts und die unterschiedlichen Wirkungen eines schuldrechtlichen gegenüber einem dinglichen Vorkaufsrecht erläutert werden.

Sinn des Vorkaufsrechts (VKR)

Wer sich zum ersten Mal mit dem VKR beschäftigt, wird sich die Frage stellen, warum sich jemand lediglich verpflichtet, einem anderen ein Vorkaufsrecht einzuräumen und nicht gleich den Gegenstand verkauft.

Noch kryptischer ist dann die Frage, warum dann später der Vorkaufsverpflichtete (im Folgenden: V) den Gegenstand nicht an den Vorkaufsberechtigten (im Folgenden: B) verkauft, sondern an einen Dritten (im Folgenden: K).

Am besten versteht man die Problematik am Beispiel des Grundstücksrechts. V ist Eigentümer eines Grundstücks. Ein Verkauf kommt derzeit aber z.B. aus steuerlichen Gründen nicht in Betracht, da V das Grundstück selbst erst vor sechs Jahren erworben hat und ein jetziger Verkauf mit Gewinn innerhalb der zehnjährigen Spekulationsfrist gem. § 23 I Nr. 1 EStG zu versteuern wäre.

B wiederum will das Grundstück lieber kaufen als mieten, da er es baulich verändern will. Daher lässt sich B das Grundstück durch ein VKR gem. §§ 463 ff. BGB „reservieren".

Bei der Einräumung eines VKR handelt es sich um einen doppelt bedingten Verkauf:

  • die erste Bedingung ist das Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrags mit einem Dritten (= sog. „Vorkaufsfall"), § 463 BGB
  • die zweite Bedingung ist die fristgerechte Ausübung des VKR, §§ 464, 469 BGB

Da es sich bei der Einräumung des VKR bereits um den (doppelt bedingten) Verkauf handelt, muss bei Grundstücken die notarielle Form des § 311b I BGB beachtet werden. Anderenfalls ist das Vorkaufsrecht formnichtig, § 125 S. 1 BGB.

hemmer-Methode: Falsch wäre es daher, wenn das VKR lediglich in den schriftlichen Mietvertrag aufgenommen wird.

Warum aber verkauft V nach Ablauf der zehnjährigen Spekulationsfrist (nun ist der Gewinn, der in der Differenz zwischen Verkaufs- und Anschaffungspreis besteht, steuerfrei) nicht an B, sondern an einen Dritten K?

Da V den B sicher nicht „vergessen" hat, wird sich der nun zum Verkauf entschlossene V selbstverständlich zunächst an den B wenden und ihn von seiner Verkaufsbereitschaft unterrichten. Womöglich sind dem B aber die Preisvorstellungen des V zu hoch, sodass er dankend ablehnt. Daher sucht sich V einen anderen Käufer. Dieser wird aber u.U. vom Bestehen des Vorkaufsrechts des B „abgeschreckt", was sich auf die Preisgestaltung auswirken kann.

Verkauft nun V das Grundstück an K zu einem niedrigeren Preis, kann B sein VKR ausüben und damit einen Kaufvertrag zu den Bedingungen zustande bringen, die V mit K vereinbart hat, vgl. § 464 II BGB.

Darauf wird B spekulieren. Unjuristisch ausgedrückt bedeutet dies, dass es sich bei einem VKR häufig um ein „Zocken" auf einen günstigen Kaufpreis durch den B handelt.

Gelingt dem V ein teurerer Verkauf, hat sich B „verzockt". Verkauft V hingegen zu einem niedrigeren als dem ursprünglichen angedachten Preis, geht die Rechnung des B auf.

Rechtsnatur des schuldrechtlichen und des dinglichen VKR

Das schuldrechtliche VKR gem. §§ 463 ff. BGB ist -- wie bereits erwähnt -- ein doppelt bedingter Verkauf.

Es kann daher an allen Gegenständen, die verkäuflich sind (Sachen, § 433 BGB, bzw. Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände, § 453 BGB), eingeräumt werden.

Das dingliche VKR gem. §§ 1094 ff. BGB ist hingegen ein Grundstücksrecht, das nur an Grundstücken durch Einigung und Eintragung im Grundbuch gem. § 873 BGB bestellt werden kann. Auf das dingliche VKR finden aber gem. § 1098 I BGB die Vorschriften über das schuldrechtliche VKR Anwendung, sodass die schuldrechtliche Wirkung des dinglichen VKR ebenfalls in einem doppelt bedingten Verkauf liegt.

Anmerkung: Die „causa", in welcher sich der Eigentümer eines Grundstücks zur Einräumung eines VKR verpflichtet (i.d.R. ein Rechtskauf, § 453 I BGB), bedarf daher der notariellen Beurkundung gem. § 311b I S. 1 BGB analog.1 Wenn die causa nicht notariell beurkundet wurde, wird die Formnichtigkeit (§ 125 S. 1 BGB) aber durch die Eintragung des dinglichen VKR ins Grundbuch analog § 311b I S. 2 BGB geheilt.2 Eine Kondiktion gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB scheidet daher aus.

die wichtigsten Unterschiede zwischen dinglichem und schuldrechtlichem VKR

§ 1098 I BGB verweist zwar auf die §§ 463 ff. BGB; dennoch gibt es wichtige Unterschiede.

Zum einen kann ein dingliches VKR nur an einem Grundstück bestellt werden, wohingegen ein schuldrechtliches VKR an allen Gegenständen, die verkauft werden können, bestehen kann (s.o).

Im Übrigen kann das dingliche Vorkaufsrecht gem. § 1094 II BGB als subjektiv-dingliches Recht nicht nur zugunsten einer bestimmten Person, sondern zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines Grundstücks bestellt werden.3

Vormerkungswirkung

Der wichtigste Unterschied besteht in der Vormerkungswirkung des dinglichen VKR, §§ 1098 II, 883 II, 888 BGB.

Übt der Vorkaufsberechtigte sein VKR aus und übereignet der Vorkaufsverpflichtete das Grundstück dennoch an den Dritten, so wird dem Vorkaufsverpflichteten im Falle eines lediglich schuldrechtlichen VKR die Übereignung an den Vorkaufsberechtigten unmöglich, § 275 I BGB.

Beim dinglichen VKR wäre die Übereignung an den Dritten dem Vorkaufsberechtigten gegenüber hingegen relativ unwirksam, §§ 1098 II, 883 II BGB, und der Dritte wäre verpflichtet, dem Vorkaufsberechtigten die Eintragung ins Grundbuch zu bewilligen, §§ 1098 II, 888 BGB i.V.m. § 19 GBO.

Der Vormerkungsschutz beim dinglichen VKR ist aber nicht vollkommen, da dieser erst ab dem Verkauf an den Dritten (= Vorkaufsfall) einsetzt, § 1098 II BGB. Sollte daher der Vorkaufsverpflichtete das Grundstück belasten (z.B. mit einer Grundschuld), ohne das Grundstück zuvor verkauft zu haben, so ist diese Belastung im Falle eines späteren Verkaufs dem Vorkaufsberechtigten gegenüber nicht relativ unwirksam.

Diese „Lücke" kann dadurch geschlossen werden, dass ein schuldrechtliches VKR bestellt wird, welches als doppelt bedingter Anspruch auf Übereignung (s.o.) durch eine Vormerkung abgesichert wird, § 883 I S. 2 BGB. In diesem Fall tritt der Vormerkungsschutz sofort mit der Eintragung der Vormerkung ein.

Bestellung für mehrere Verkaufsfälle

Grundsätzlich erlischt das VKR, wenn der Gegenstand an einen Dritten übereignet wird und dieser Übereignung entweder kein Verkauf zugrunde lag (z.B. bei einer schenkweisen Übereignung) oder der Vorkaufsberechtigte sein VKR nicht oder nicht fristgemäß (vgl. § 469 BGB) ausgeübt hat.

Beim schuldrechtlichen VKR folgt das Erlöschen aus dem Verbot, Verträge zu Lasten Dritter zu schließen, beim dinglichen VKR folgt dies aus dem Wortlaut des § 1097 HS 1 BGB.4

Diese Wirkung kann beim dinglichen VKR - anders als beim schuldrechtlichen VKR - aber gem. § 1097 HS 2 BGB durch Bestellung für mehrere oder alle Verkaufsfälle ausgeschlossen werden. Als Inhaltsänderung muss diese Erweiterung aber ins Grundbuch eingetragen werden, §§ 877, 873 BGB.5

Praxis-Tipp: Der beste Schutz wird also dadurch erreicht, dass ein schuldrechtliches VKR eingeräumt wird, welches durch eine Vormerkung abgesichert wird (Vormerkungsschutz tritt sofort ein). Zugleich wird ein dingliches VKR eingeräumt und dieses wird für alle oder mehrere Verkaufsfälle bestellt (kein Erlöschen bei einer z.B. schenkweisen Übereignung).

Nach dieser allgemeinen Einführung zum Thema Vorkaufsrecht nun zur entscheidungsrelevanten Frage des hier zu besprechenden BGH-Urteils: Besteht neben einem unwirksam bestellten dinglichen VKR auch (hilfsweise) ein schuldrechtliches VKR?

D) Lösung

Zu prüfen ist, ob B von V Übereignung des Grundstücks verlangen kann.

I. Anspruch auf Übereignung gem. § 433 I S. 1 BGB i.V.m. §§ 1098 I, 463, 464 II BGB

Ein Kaufvertrag könnte im vorliegenden Fall durch die Ausübung des dinglichen VKR gem. §§ 1098 I, 464 II BGB zustande gekommen sein.

Grundvoraussetzung für die Ausübung eines dinglichen VKR wäre zunächst, dass ein solches wirksam bestellt wurde.

Die Einräumung eines dinglichen VKR setzt neben der dinglichen Einigung die Eintragung im Grundbuch voraus, § 873 BGB. Eine solche ist laut Sachverhalt nicht erfolgt, sodass das VKR für B nicht wirksam bestellt worden ist.

Ein Anspruch aus §§ 1098 I, 463 ff., 433 I S. 1 BGB scheidet daher aus.

II. Anspruch auf Übereignung gem. § 433 I S. 1 BGB i.V.m. §§ 463, 464 II BGB

Ein Kaufvertrag könnte im vorliegenden Fall aber dann zustande gekommen sein, wenn zugunsten des B ein schuldrechtliches VKR bestanden hätte und B dieses fristgerecht ausgeübt hätte, §§ 433 I S. 1, 463, 464, 469 BGB.

Kaufvertrag gem. §§ 463, 464 II, 433 BGB

1. Bestehen eines schuldrechtlichen VKR

2. Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags mit Drittem (Vorkaufsfall)

3. fristgerechte und wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts, §§ 464, 469 BGB

1. Vorliegen eines schuldrechtlichen VKR, wenn dingliches VKR unwirksam war

Fraglich ist, ob der Vereinbarung, ein dingliches VKR zu bestellen, eine Abrede über eine gleichartige schuldrechtliche Verpflichtung entnommen werden kann.

a) Ansicht der früher h.M.

Die (früher herrschende) Auffassung ging davon aus, dass eine Vereinbarung über die Bestellung eines dinglichen VKR zugleich ein schuldrechtliches VKR nach § 463 BGB enthält.

Das dingliche VKR wurde nach dieser Ansicht lediglich als ein Sicherungsmittel für das obligatorische VKR angesehen, dessen Wirkung allein darin bestand, eine der Vormerkung vergleichbare Sicherung des schuldrechtlichen Anspruchs des Vorkaufsberechtigten herbeizuführen.6

b) Heute h.L.

Nach heute allgemein vertretener Ansicht ist das dingliche VKR ein eigenständiges Sachenrecht, das ein schuldrechtliches VKR nicht voraussetzt.

Die Bestellung des dinglichen VKR beruht (wie bei anderen dinglichen Rechten) auf der Vereinbarung über dessen Bestellung, § 873 BGB. Diese hat einen anderen Inhalt als die schuldrechtliche Verpflichtung über die Gewährung des Rechts zum Vorkauf.

Ein schuldrechtliches VKR kann zwar neben einem dinglichen VKR begründet werden, was aber einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien bedarf.7

Der BGH hält in dieser Entscheidung an diesem Verständnis der §§ 463 ff. BGB und §§ 1094 ff. BGB fest.

c) Aber: Auslegung einer entsprechenden Vereinbarung möglich

Der Umstand, dass in der (hier unwirksamen) Bestellung eines dinglichen VKR nicht automatisch zugleich die Vereinbarung eines schuldrechtlichen VKR liegt, schließt aber das Vorliegen einer entsprechenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarung nicht aus.

aa) Wortlaut der Vereinbarung

Die Parteien wollten nach dem Wortlaut der notariellen Urkunde ein dingliches VKR vereinbaren.

Unter Berufung auf den Grundsatz der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit notarieller Urkunden könnte daher davon auszugehen sein, dass die Parteien damit nicht zugleich ein schuldrechtliches VKR vereinbart haben.8

Die Urkunde ist aber nicht in dem Sinne eindeutig, dass allein ein solches Recht und nicht zusätzlich ein schuldrechtliches VKR gewollt war. Denn das VKR wurde in der notariellen Urkunde nur schlagwortartig bezeichnet, unmissverständliche Vertragsbestimmungen zur Art und zum Inhalt des VKR fehlen jedoch.

bb) Außerhalb der Urkunde liegende Umstände

Zu prüfen ist aber, ob sich aus den außerhalb der Urkunde liegenden Umständen gem. §§ 133, 157 BGB ergibt, dass die Parteien das Vereinbarte weitergehend auch als ein schuldrechtliches VKR verstanden haben.

Maßgebend für die Auslegung von Verträgen ist nicht das juristische Verständnis des Inhalts der in der Vertragsurkunde verwendeten Begriffe, sondern der unter Berücksichtigung aller, auch der außerhalb der Urkunde liegenden, Umstände zu ermittelnde Parteiwille.

hemmer-Methode: Anders ist dies bei der Auslegung des Inhalts eines im Grundbuch eingetragenen Rechts. Bei dessen Auslegung ist nur auf den Wortlaut und Sinn der Eintragung abzustellen. Ein von der Eintragung im Grundbuch abweichender Wille der Parteien muss dagegen bei der Auslegung des Inhalts des dinglichen Rechts unbeachtet bleiben, weil sonst der Eintragung ihre eigenständige Bedeutung als rechtsbegründender Akt (§ 873 BGB) entzogen würde.9

(1) Unkenntnis von der Unwirksamkeit des dinglichen VKR steht Auslegung nicht entgegen

Der Vereinbarung eines schuldrechtlichen VKR neben dem dinglichen VKR könnte aber entgegenstehen, dass den Parteien bei Vertragsschluss nicht bekannt gewesen ist, dass es zweierlei Vorkaufsrechte gibt und dass diese nebeneinander begründet werden könnten.

Eine solche Auffassung würde aber zu einer rechtsfehlerhaften Einschränkung bei der richterlichen Ermittlung des Sinngehalts vertraglicher Erklärungen führen.

Richtig ist zwar, dass jede Willenserklärung eine Äußerung ist, die auf die Herbeiführung eines rechtsgeschäftlichen Erfolges gerichtet sein muss. Ein solcher Rechtsfolgewille setzt aber nicht voraus, dass der Erklärende eine ins Einzelne gehende Vorstellung über die rechtstechnische Herbeiführung des angestrebten wirtschaftlichen Erfolges hat. Eine Willenserklärung kann daher auch Rechtswirkungen (hier die Begründung eines schuldrechtlichen VKR neben dem dinglichen VKR) erzeugen, von denen der Erklärende mangels Rechtskenntnis keine klaren Vorstellungen hat. Es genügt, dass diese Rechtswirkung rechtlich anerkannt ist.10

Der Erklärende muss keine Rechtskenntnisse haben und braucht daher auch keine klaren Vorstellungen von den Rechtsfolgen zu besitzen. Rechtliche Einzelheiten sind den Parteien nämlich für gewöhnlich unbekannt; die Kenntnis der rechtlichen Details gehört nicht zu ihrem Rechtsfolgewillen. Es ist vielmehr Sache der richterlichen Auslegung, die rechtliche Bedeutung, die einer Willenserklärung nach Inhalt und Zweckbestimmung in solchen Fällen zukommt, zu ermitteln und festzustellen.11

(2) Maßgeblich ist das Sicherungsinteresse der Parteien

Die Auslegung vertraglicher Regelungen zur Bestellung eines VKR hat sich daran zu orientieren, welche Sicherung des Vorkaufsinteresses die Parteien gewollt haben.

Ein schuldrechtliches VKR ist neben der Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts dann als zusätzlich vereinbart anzusehen, wenn die Vorkaufsberechtigung bereits vom Vertragsschluss an und unabhängig von der Eintragung des VKR im Grundbuch bestehen soll.

Ob den Vertragsparteien dabei bewusst gewesen ist, dass sie neben dem dinglichen auch ein schuldrechtliches VKR vereinbaren, ist - gerade wenn ihnen die Unterschiede zwischen den Vorkaufsrechten nicht bekannt gewesen sind und sie hierüber auch nicht bei der Beurkundung belehrt worden sind - für die Auslegung ihrer vertraglichen Vereinbarungen grundsätzlich ohne Belang.

Nach dem Sachverhalt ist von einem solchen Willen auszugehen. Hierfür spricht der Umstand, dass B das Grundstück von Anfang an lieber gekauft als gemietet hätte. Einem derzeitigen Verkauf standen lediglich steuerliche Erwägungen des V entgegen. Aus diesem Grund wurde dem B daher wenigstens für den Fall eines Verkaufs ein dingliches Vorkaufsrecht eingeräumt.

Anmerkung: Der Originalsachverhalt war an dieser Stelle etwas komplizierter. Zunächst wurde an den Mieter eine Teileigentumseinheit nach dem WEG verkauft. Zu dieser Zeit hatte der Mieter aber bereits die Absicht, einen weiteren Teil zu erwerben. An diesem wurde dem Mieter dann das VKR eingeräumt.

Ergebnis: Die Auslegung der Vereinbarung zwischen V und B gem. §§ 133, 157 BGB ergibt daher, dass aufgrund der von Anfang an bestehenden Kaufabsicht die Vorkaufsberechtigung bereits vom Zeitpunkt der Vereinbarung des VKR unabhängig von der Eintragung des VKR im Grundbuch bestehen sollte.

Aus diesem Grund war neben der Bestellung eines VKR zusätzlich auch die Vereinbarung eines schuldrechtlichen VKR gewollt.

2. Vorliegen eines wirksamen Drittkaufvertrags (Vorkaufsfall)

Das VKR kann gem. §§ 1098 I, 463 BGB erst ausgeübt werden, wenn ein rechtswirksamer Vertrag mit einem Dritten vorliegt (sog. Vorkaufsfall). Vorliegend wurde das Grundstück von V an K am 09.07.2012 formwirksam verkauft, sodass ein Vorkaufsfall vorliegt.

Der Umstand, dass der Kaufvertrag auflösend bedingt für den Fall der wirksamen Ausübung des Vorkaufsrechts geschlossen wurde, ändert am Vorliegen eines Vorkaufsfalls nichts, §§ 1098 I, 465 BGB.

hemmer-Methode: Merken Sie sich daher folgenden Satz: „Einmal Vorkaufsfall, immer Vorkaufsfall"!

3. Wirksame und fristgerechte Ausübung des VKR gem. §§ 464 I, 469 BGB

B müsste das VKR wirksam und fristgerecht ausgeübt haben.

a) Wirksamkeit der Ausübungserklärung, §§ 1098 I, 469 BGB

B hat sein VKR durch mündliche Erklärung gegenüber V ausgeübt.

Dies ist auch bei einem VKR an einem Grundstück möglich, da die Ausübung des VKR gem. § 464 I S. 2 BGB nicht der für den Kaufvertrag bestimmten Form bedarf.

b) Einhaltung der zweimonatigen Ausübungsfrist, § 469 BGB

Die Frist für die Ausübung des VKR an einem Grundstück beträgt gem. § 469 II BGB zwei Monate, wobei die Frist nur zu laufen beginnt, wenn dem Vorkaufsberechtigten der Vorkaufsfall durch den Verpflichteten oder den Dritten mitgeteilt wird, § 469 I BGB.

hemmer-Methode: Eine anderweitige Kenntniserlangung vom Vorkaufsfall setzt die Frist nicht in Gang.

Im vorliegenden Fall erfolgte die Mitteilung durch den Notar „im Auftrag" des V am 15.07.2011.

Bei der Mitteilung handelt es sich um eine geschäftsähnliche Handlung, bei der analog § 164 I BGB eine Vertretung möglich ist. Mitgeteilt hat im vorliegenden Fall daher der V, vertreten durch den Notar. Eine derartige Mitteilung, die übrigens in der Praxis die Regel ist, setzt die Frist in Gang.

Die Ausübungserklärung durch B am 31.07.2012 erfolgte fristgerecht.

III. Endergebnis

Mit der einseitigen Erklärung des B kam zwi­schen B und V ein Kaufvertrag unter den Bestimmungen zustande, welche V mit K vereinbart hat. B kann daher von V gem. § 433 I S. 1 BGB i.V.m. §§ 463, 464 II BGB die Übereignung des Grundstücks verlangen.

E) Kommentar

(mty). Die Entscheidung des BGH ist im Ergebnis zutreffend.

Möglich gewesen wäre es auch, das mangels Eintragung im Grundbuch nichtige dingliche VKR in ein schuldrechtliches VKR gem. § 140 BGB umzudeuten. Das schuldrechtliche VKR ist im Vergleich zum dinglichen VKR mangels Vormerkungswirkung ein „Weniger". Bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens hätte dann das Sicherungsbedürfnis des B, von Anfang an zum Vorkauf berechtigt sein zu wollen, diskutiert werden können.

Da die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB aber vorrangig ist,12 war die Lösung des BGH auch in der Begründung richtig.

F) Zur Vertiefung

  • Zum dinglichen Vorkaufsrecht

Hemmer/Wüst, Sachenrecht III, Rn. 133 ff.

  • Zum schuldrechtlichen Vorkaufsrecht

Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT I, Rn. 444 ff.

G) Wiederholungsfragen

1. Liegt einer Vereinbarung eines dinglichen VKR automatisch auch eine Abrede über ein schuldrechtliches VKR zugrunde?

2. Kann eine mangels Eintragung im Grundbuch unwirksame Vereinbarung eines dinglichen VKR im Einzelfall auch als Vereinbarung eines schuldrechtlichen VKR ausgelegt werden?


  1. BGH, NJW-RR 1991, 205 ff.

  2. Palandt, § 1094 BGB, Rn. 5.

  3. Vgl. dazu die nächste Entscheidung in diesem Heft zur Grunddienstbarkeit!

  4. Palandt, § 1097 BGB, Rn. 5.

  5. Vgl. zuletzt OLG Hamm, NJW-RR 2012, 1484 ff.

  6. RGZ 72, 385, 390; RGZ 110, 327, 333.

  7. BGH, WM 1970, 1024, 1025; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 849, 850; jurisPK-BGB, § 1094 BGB, Rn. 4 MüKo, § 1094 BGB, Rn. 4; Palandt, § 1094 BGB, Rn. 1.

  8. So OLG Düsseldorf, DNotZ 1999, 1015, 1016

  9. Vgl. dazu die folgende Entscheidung in diesem Heft zum Inhalt einer Grunddienstbarkeit.

  10. BGH, NJW 1993, 2100

  11. Vgl. RGZ 64, 165, 167.

  12. Palandt, § 140 BGB, Rn. 4 m.w.N.