Die Giftfalle

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Strafrecht

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Versuchter Totschlag, §§ 212 I, 22, 23 I StGB +++ Unmittelbares Ansetzen i.S.v. § 22 StGB +++

Sachverhalt: Unbekannte waren in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai in die Wohnung des Apothekers Peter (P) eingedrungen und haben dort verschiedene Gegenstände entwendet. Einzelne andere wertvolle Gegenstände waren von den Unbekannten in den Keller gebracht worden, sodass die von P alarmierte Polizei davon ausgeht, dass die Einbrecher noch einmal wiederkommen könnten, um die restliche bereits bereitgestellte Diebesbeute abzuholen. Daneben hatten sich die Eindringlinge auch an der Hausbar des P bedient. Aus diesem Grund halten sich in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai zwei Polizeibeamte in der Wohnung auf. P will die Sache aber auch selbst in die Hand nehmen. Er stellt daher im Flur eine Schnapsflasche auf, die er mit einer selbst zusammengestellten Giftmischung füllt, weil er damit rechnet, dass die Einbrecher, falls sie überhaupt noch einmal kommen sollten, wie schon bei dem ersten Besuch, dem Alkohol nicht abgeneigt sein werden. Als Apotheker weiß P, dass bereits der Konsum geringster Mengen seiner Mischung rasch zum Tode führen kann. Seiner Meinung nach haben es die Einbrecher aber auch gar nicht besser verdient. Später kommen P dann aber doch Bedenken, weil er die observierenden Polizeibeamten nicht eingeweiht hat und er nun erkennt, dass auch diesen Personen Gefahr droht. Er weist daher die Beamten, welche die Flasche bislang nicht angerührt haben, auf den giftigen Inhalt hin. Daraufhin wird die Flasche von der Polizei gegen den Willen des P sichergestellt.

Bearbeitervermerk: Prüfen Sie die Strafbarkeit des P nach dem StGB.

A) Sound

Der vorstehende Fall ist einer Entscheidung des BGH nachgebildet. Es gilt insbesondere zu klären, ob ein unmittelbares Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes i.S.d. § 22 StGB gegeben ist.

B) Gliederung

Versuchter Totschlag,
§§ 212 I, 22, 23 I StGB

1. Vorprüfung

2. Tatentschluss

3. Unmittelbares Ansetzen

(P): P hat nach seiner Vorstellung von der Tat alles Erforderliche getan;

dennoch nach BGH im Ergebnis § 22 StGB (-), denn Versuch liegt erst dann vor, wenn nach dem Tatplan eine konkrete, unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintritt

C) Lösung

Zu untersuchen ist die Strafbarkeit des P nach dem StGB.

Strafbarkeit des P

P könnte sich wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht haben.

I. Versuchter Totschlag, §§ 212 I, 22, 23 I StGB

Als taugliche Tathandlung kommt das Aufstellen des Giftes seitens P in Betracht.

1. Vorprüfung

Die Tat ist nicht vollendet. Der Tod eines anderen Menschen als tatbestandlicher Erfolg ist ausgeblieben. Der Versuch des Totschlags ist nach §§ 23 I, 12 I StGB strafbar.

2. Tatentschluss

P müsste Vorsatz bezüglich sämtlicher Merkmale des objektiven Tatbestandes gehabt haben.

P kannte als Apotheker die Gefährlichkeit des bereitgestellten Gifts und wollte für den Fall des Erscheinens der Einbrecher deren Tod. Dass ein erneutes Auftauchen der Bande unsicher war, ändert an dem unbedingt gefassten Tatentschluss des P nichts, da es sich insofern nur um ein von außen kommendes Ereignis handelt.

hemmer-Methode: Eventuell hätte man in diesem Fall auch einen Mord wegen heimtückischer Begehungsweise (§ 211 II Gruppe 2 Var. 1 StGB) anprüfen können. Der BGH sah aber in seiner Entscheidung, der dieser Fall nachgebildet ist, offenbar keine Anhaltspunkte für dieses Mordmerkmal.

3. Unmittelbares Ansetzen

Fraglich ist, ob P zur Tatbestandsverwirklichung bereits unmittelbar angesetzt hat. Das wäre nach der herrschenden gemischt subjektiv-objektiven Theorie der Fall, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschritten und objektiv Handlungen vorgenommen hätte, die nach seiner Vorstellung im Falle ungestörten Fortgangs ohne wesentliche weitere Zwischenakte unmittelbar in die Tatbestandserfüllung münden.

Nicht erforderlich ist, dass der Täter bereits tatbestandlich handelt. Vielmehr genügt es, wenn die Handlung des Täters der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert ist oder in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Tatbestandserfüllung steht.

Da P nach seiner Vorstellung von der Tat hier sogar schon alles seinerseits Erforderliche für die Tatbestandsverwirklichung getan hatte, könnte man annehmen, dass in solchen Fällen die Versuchsgrenze jedenfalls überschritten sei.

Der BGH ist allerdings der Auffassung, dass selbst abgeschlossenes Täterhandeln nicht stets unmittelbar in die Erfüllung eines Straftatbestandes einmünden müsse und damit für sich allein noch nicht ausreiche, um die Frage nach dem Versuchsbeginn zu beantworten.

Das ist für Fälle entschieden, in denen der Täter notwendige Beiträge eines Tatmittlers in seinen Plan einbezieht. Hier fehlt es nach der Rechtsprechung an einem unmittelbaren Ansetzen, wenn die Einwirkung auf den Tatmittler erst nach längerer Zeit wirken soll oder wenn ungewiss bleibt, ob und wann sie Wirkung entfaltet.

In diesen Fällen beginnt der Versuch erst dann, wenn der Tatmittler, dessen Verhalten dem Täter zugerechnet wird, seinerseits unmittelbar zur Tat ansetzt. Entscheidend für die Abgrenzung ist daher, ob nach dem Tatplan die Einzelhandlungen des Täters in ihrer Gesamtheit schon einen so gearteten Angriff auf das geschützte Rechtsgut enthalten, dass dieses bereits gefährdet ist und der Schaden sich unmittelbar anschließen kann.

Nach Ansicht des BGH gelten ferner die für die Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze auch dann, wenn -- wie hier -- dem Opfer eine Falle gestellt wird, in die es durch eigenes Zutun geraten soll. Auch diese Fälle sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass der Täter sich kraft Beherrschung des Geschehens fremdes Verhalten für seinen Erfolg nutzbar macht.

Sie weisen eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur auf, da das Opfer dabei zum Tatmittler gegen sich selbst wird. Auch hier liegt ein Versuch erst dann vor, wenn nach dem Tatplan eine konkrete, unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintritt.

Hält der Täter -- wie hier -- ein Erscheinen des Opfers im Wirkungskreis des Tatmittels lediglich für möglich, aber noch für ungewiss oder gar für wenig wahrscheinlich, so tritt eine unmittelbare Rechtsgutgefährdung nach dem Tatplan erst dann ein, wenn das Opfer tatsächlich erscheint und dabei Anstalten trifft, die erwartete selbstschädigende Handlung vorzunehmen und sich dadurch die Gefahr für das Opfer verdichtet.

Hiergegen kann auch nicht argumentiert werden, dass in diesen Fällen -- entgegen der Wertung des § 22 StGB -- nicht mehr der Täter, sondern quasi das Opfer zu der Tat ansetzen müsse, denn es geht hier nicht um die Frage des Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung, sondern um das von § 22 StGB geforderte Merkmal der Unmittelbarkeit. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Strafbarkeit des Versuchs nicht völlig losgelöst von einer Gefährdung des geschützten Rechtsguts beurteilt werden kann.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, kann man einen Versuchsbeginn bereits mit Aufstellen der Giftflasche nicht bejahen. Auch wenn P damit nach seiner Vorstellung alles seinerseits Erforderliche getan hatte, konnte von einer unmittelbaren Gefährdung des möglichen Tatopfers noch keine Rede sein. Aufgrund des Entdeckungsrisikos war bereits ein erneutes Auftauchen der Einbrecher mehr als fraglich, und erst recht konnte P nicht damit rechnen, dass die Einbrecher genau wie beim ersten Mal wieder Getränke zu sich nehmen würden.

Nichts anderes ergibt sich, wenn man auf die observierenden Polizeibeamten abstellt, für die eine konkrete Gefahr tatsächlich bestand. Denn auf diese bezog sich der Vorsatz des P gerade nicht, sodass deren Gefährdung für die Annahme, der Tötungsversuch habe bereits begonnen, nicht maßgebend sein kann.

II. Ergebnis

P hat damit keinen versuchten Totschlag gem. §§ 212 I, 22, 23 I StGB begangen. Er bleibt straflos.

D) Zusammenfassung

Nach Ansicht des BGH gelten die für die Fälle mittelbarer Täterschaft entwickelten Grundsätze auch dann, wenn dem Opfer eine Falle gestellt wird, in die es durch eigenes Zutun geraten soll.

Ein unmittelbares Ansetzen zum Versuch liegt in einer solchen Konstellation erst ab dem Zeitpunkt vor, in dem nach dem Tatplan des Täters eine konkrete, unmittelbare Gefährdung des geschützten Rechtsguts eintritt.

E) Zur Vertiefung

  • Zum Versuchsbeginn bei mittelbarer Täterschaft

Hemmer/Wüst, Strafrecht AT II, Rn. 93 ff.