Wohn- oder Geschäftsraum? Das ist hier die Frage! Der BGH gibt seine frühere Rechtsprechung teilweise auf!

BGH, Urteil vom 09.07.2014, VIII ZR 376/13, NJW 2014, 2864 ff.

von Life and Law am 01.11.2014

+++ Abgrenzung zwischen Wohnraum- und Geschäftsraummiete +++ Ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte +++ § 23 Nr. 2a GVG +++

Sachverhalt (leicht abgewandelt): M und F sind Mieter eines mehrstöckigen Hauses des V mit einer Fläche von etwa 270 m².

Das Haus nutzen sie zu Wohnzwecken und - soweit die Räume im Erdgeschoss betroffen sind - zum Betrieb einer Hypnosepraxis. Der Anteil der als Praxis genutzten Fläche beträgt ca. 50 % der insgesamt angemieteten Fläche.

Der Mietvertrag wurde am 20.11.2006 unter Verwendung eines auf ein Wohnraummietverhältnis zugeschnittenen Vertragsformulars mit der Überschrift „Vertrag für die Vermietung eines Hauses" geschlossen. Dabei wurde bestimmt, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit läuft und die Miete monatlich 1.750,- € beträgt.

§ 19 Ziffer 3 des Mietvertrags enthält die handschriftliche Vereinbarung, dass M und F die Einrichtung einer Hypnosepraxis in den Räumen im Erdgeschoß - vorbehaltlich einer erforderlichen behördlichen Genehmigung - gestattet ist. In der maschinenschriftlichen Anlage zum Mietvertrag heißt es außerdem:

„Die Mieter nutzen die Räume im Erdgeschoss des Hauses für ihre freiberufliche Tätigkeit im Rahmen einer Hypnosepraxis."

Mit Schreiben vom 29.07.2009 erklärte V die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. M und F wiesen die Kündigung zurück.

Daraufhin erhob V beim örtlich zuständigen Landgericht Räumungsklage.

Trotz des gerichtlichen Hinweises hinsichtlich etwaiger Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts wurde in der mündlichen Verhandlung zur Sache verhandelt.

Ist die Klage des V zulässig?

A) Sounds

1. Ein einheitliches Mietverhältnis über Wohnräume und Geschäftsräume ist zwingend entweder als Wohnraummietverhältnis oder als Mietverhältnis über andere Räume zu bewerten.

2. Für die rechtliche Einordnung ist entscheidend, welche Nutzungsart nach den getroffenen Vereinbarungen überwiegt. Dabei ist maßgebend auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei der Tatrichter beim Fehlen ausdrücklicher Abreden auf Indizien zurückgreifen kann.

3. Der Umstand, dass die Vermietung nicht nur zu Wohnzwecken, sondern auch zur Ausübung einer gewerblichen/freiberuflichen Tätigkeit vorgenommen wird, durch die der Mieter seinen Lebensunterhalt bestreitet, lässt keine tragfähigen Rückschlüsse auf einen im Bereich der Geschäftsraummiete liegenden Vertragsschwerpunkt zu.

4. Lässt sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen, ist im Hinblick auf das Schutzbedürfnis des Mieters von der Geltung der Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen.

B) Problemaufriss

Die Fallfrage der in der Life & Law besprochenen Mietrechtsentscheidung des BGH bezieht sich zwar nur auf die Zulässigkeit der Klage.

Dahinter verbirgt sich aber eine äußerst praxis- und examensrelevante Frage (auch) des materiellen Mietrechts.

Wann ist ein Mischmietverhältnis als Wohnraummiete bzw. Geschäftsraummiete anzusehen?

I. Bedeutung im materiellen Recht

Die Bedeutung dieser Frage ist insbesondere im materiellen Recht elementar, da auf Geschäftsraummietverträge zwar über § 578 II BGB einige Vorschriften zur Wohnraummiete entsprechend angewendet werden, aber eben nicht alle. Diese Systematik des Mietrechts, die immer wieder Gegenstand von Examensklausuren ist, bereitet vielen Studenten und Referendaren große Schwierigkeiten.

Ein Standardfehler in Mietrechtsklausuren besteht darin, das Schriftformerfordernis des § 568 I BGB auf Gewerberaum- bzw. Grundstücksmietverhältnisse zu übertragen. Dabei wird die Systematik des Mietrechts verkannt, was als verhältnismäßig schwerwiegender Fehler zu qualifizieren ist. Dabei ist die Systematik des Mietrechts ganz simpel.

Systematik des Mietrechts im BGB:

1. In den §§ 535 bis 548 BGB ist der Allgemeine Teil des Mietrechts geregelt.

Diese Vorschriften kommen für alle Mietverhältnisse zur Anwendung.

2. In den §§ 549 bis 577a BGB sind die Besonderheiten des Wohnraummietvertrags geregelt.

3. In den §§ 578 ff. BGB sind Besonderheiten bei Mietverträgen über andere Gegenstände als Wohnraum geregelt.

Bei der Grundstücks- und Geschäftsraummiete verweist § 578 BGB teilweise auf die Vorschriften zur Wohnraummiete, aber eben nur teilweise.

Auf das Schriftformerfordernis des § 568 I BGB für die Kündigung wird gerade nicht verwiesen.

Die Kündigung eines (z.B.) Geschäftsraummietvertrags ist formlos gültig. In den meisten Mietverträgen wird aber die Schriftform für die Kündigung vereinbart, was auch in Formularverträgen zulässig ist, vgl. Umkehrschluss zu § 309 Nr. 13 BGB.

Anmerkung: Im materiellen Recht besteht ein wichtiger Unterschied zwischen gewillkürter und gesetzlicher Schriftform.

Zur Wahrung der gewillkürten Schriftform genügt - anders als bei der gesetzlichen Schriftform - die telekommunikative Übermittlung, sprich das Fax, § 127 II S. 1 BGB.

Eine gefaxte Kündigung eines Wohnraummietvertrags ist daher formnichtig, § 125 S. 1 BGB i.V.m. § 568 I BGB.

Eine gefaxte Kündigung eines Geschäftsraummietvertrags ist daher stets formgültig, auch wenn für die Kündigung die Schriftform vereinbart wurde, § 127 II S. 1 BGB.

II. Bedeutung im Prozessrecht

Die Unterscheidung zwischen Geschäftsraum- und Wohnraummiete ist auch im Prozessrecht für die sachliche und örtliche Zuständigkeit von Bedeutung.

1. Sachliche Zuständigkeit, § 23 Nr. 2a GVG

Bei Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Wohnraummietverhältnis oder über den Bestand eines solchen Mietverhältnisses sind ausschließlich die Amtsgerichte sachlich zuständig.

Für Geschäftsraummietverhältnisse gilt diese Vorschrift nicht, sodass sich diesbezüglich die sachliche Zuständigkeit nach dem Streitwert bestimmt. Bis einschließlich 5.000,- € sind die Amtsgerichte zuständig, sofern keine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Landgerichte bestimmt ist, vgl. § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 II GVG. Bei einem Streitwert über 5.000,- € sind die Landgerichte zuständig, § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG.

Diese Vorschrift, die bei Streitigkeiten aus Wohnraummietverhältnissen eine ausschließliche sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet, entspringt dem Schutzgedanken des sozialen Mietrechts, das Verfahren möglichst am Wohnort des Mieters zu führen und damit eine größere Sach- und Ortsnähe des zuständigen Gerichts herzustellen.1

Außerdem besteht vor den Amtsgerichten kein Anwaltszwang, vgl. § 78 I ZPO. Daher kann sich ein Mieter, der Mitglied im Mieterschutzverein ist, für „kleines Geld" beraten lassen und den Prozess selbst führen.

2. Örtliche Zuständigkeit, § 29a ZPO

Für Streitigkeiten über Ansprüche aus Miet- oder Pachtverhältnissen über Räume oder über das Bestehen solcher Verhältnisse ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Räume befinden, § 29a I ZPO.

Diese Vorschrift unterscheidet -- anders als § 23 Nr. 2a GVG -- nicht nach Geschäfts- oder Wohnraummiete.

Anmerkung: Für Wohnraum der in § 549 II Nr. 1 bis 3 BGB genannten Art (insbesondere Ferienwohnungen, § 549 II Nr. 1 BGB) gilt diese ausschließliche Zuständigkeit nicht.

Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die ausschließliche Amtsgerichtszuständigkeit nach § 23 Nr. 2a GVG gegeben ist.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob die Klage des V zulässig ist. Die beim örtlich zuständigen Gericht erhobene Klage wäre zulässig, wenn die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben wäre.

I. Sachliche Zuständigkeit

Gemäß § 1 ZPO bestimmt sich die sachliche Zuständigkeit nach dem GVG.

1. Streitwert über 5.000,- €

Sofern keine streitwertunabhängige Zuständigkeit der Amtsgerichte besteht, sind die Landgerichte zuständig, wenn der Streitwert über 5.000,- € liegt, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG.

Der Streitwert einer Räumungsklage wegen Beendigung eines Mietverhältnisses berechnet sich gem. § 41 II GKG nach der für die Dauer eines Jahres zu zahlenden Miete.

Bei einer monatlichen Miete von 1.750,- € liegt der Streitwert im vorliegenden Fall daher bei 21.000,- €.

Danach wäre das Landgericht sachlich zuständig.

2. Ausschließliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gem. § 23 Nr. 2a GVG, wenn Wohnraummietverhältnis

Würde es sich vorliegend allerdings um einen Anspruch aus einem Wohnraummietverhältnis handeln, wäre gem. § 23 Nr. 2a GVG das Amtsgericht ausschließlich sachlich zuständig.

M und F haben aufgrund eines einheitlichen Mietvertrags auf unbestimmte Zeit ein Haus angemietet, dessen Räume entsprechend den getroffenen Vereinbarungen teilweise zu Wohnzwecken und teilweise (Erdgeschossräume) zur Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit (Hypnosepraxis) genutzt werden und für dessen Nutzung eine einheitliche Miete zu zahlen ist.

Zwischen den Parteien ist daher ein sog. Mischmietverhältnis begründet worden.

a) Mischmietverhältnisse müssen bei einheitlichem Vertrag eindeutig entweder der Wohn- oder der Geschäftsraummiete zugewiesen werden

Für Mietverträge über Wohnräume gelten teilweise andere gesetzliche Regeln als für die Anmietung von Geschäftsräumen oder von sonstigen Räumen. Dies gilt sowohl für das materielle Recht (vgl. § 549 BGB einerseits und § 578 II BGB andererseits) als auch für das Prozessrecht, da die sachliche Zuständigkeit der Gerichte davon abhängt, ob es sich um einen Rechtsstreit aus einem Wohnraummietverhältnis handelt oder nicht, vgl. § 23 Nr. 2a GVG einerseits und §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG andererseits (vgl. dazu den ausführlichen Problemaufriss).

Für Mischmietverhältnisse sehen aber weder das BGB noch die ZPO gesetzliche Sondervorschriften vor.

Mischmietverhältnisse sind daher nach überzeugender Ansicht des BGH in rechtlicher Hinsicht einheitlich zu beurteilen und zwingend entweder als „Wohnraummietverhältnis" oder als „Mietverhältnis über sonstige Räume" einzustufen.

Eine Aufspaltung eines Mischmietverhältnisses in seine verschiedenen Bestandteile unter gesonderter rechtlicher Bewertung der unterschiedlichen Nutzungszwecke würde der bei einem Mischmietverhältnis von den Parteien gewollten rechtlichen Einheit des Vertrags zuwiderlaufen.2

Auf die eindeutige Zuordnung kann für die Zuständigkeitsbestimmung des § 23 Nr. 2a GVG nicht mit der Erwägung verzichtet werden, die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte sei bei Mischmietverhältnissen schon deswegen eröffnet, weil sie eine Nutzung zu Wohnzwecken miteinschlössen.3

Denn eine solche allumfassende sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte bei Mischmietverhältnissen ist vom Gesetzgeber nicht gewollt.

Zwischenergebnis: Das Mischmietverhältnis muss daher entweder der Wohn- oder der Geschäftsraummiete zugewiesen werden.

b) Maßgeblich für die Abgrenzung ist der vertraglich vereinbarte Zweck

Der Begriff des Wohnraums in § 23 Nr. 2a GVG entspricht dem des Wohnraums im Sinne des BGB.4

Danach ist für die Einordnung als Wohnraummietverhältnis nicht die Eignung der Räume zur Wohnnutzung, sondern der vereinbarte Nutzungszweck entscheidend.5

Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gem. § 23 Nr. 2a GVG ist somit stets dann eröffnet, wenn eine Streitigkeit aus einem Mietverhältnis über Räumlichkeiten vorliegt, die nach dem Mietvertrag zum Wohnen bestimmt sind.

Für die rechtliche Einordnung eines Mischmietverhältnisses als Wohnraum- oder Gewerberaummietverhältnis ist dabei - wie auch bei sonstigen Mischverträgen - entscheidend, welche Nutzungsart nach dem Vertragszweck überwiegt.6

Die sachliche Zuständigkeit für die Räumungsklage hängt daher davon ab, ob nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag die Wohnnutzung oder die Nutzung zu freiberuflichen Zwecken (Hypnosepraxis) den Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses bildet. Nur wenn die Nutzung als Wohnraum überwiegt, ist Wohnraummietrecht anzuwenden.

c) Überwiegender Vertragszweck ist durch Auslegung zu ermitteln, §§ 133, 157 BGB

Welcher Vertragszweck bei Mischmietverhältnissen im Vordergrund steht, ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln. Entscheidend ist der wahre, das Rechtsverhältnis prägende Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragsparteien darüber, wie das Mietobjekt genutzt werden soll und welche Art der Nutzung im Vordergrund steht. Ein hiervon abweichender, im Vertrag nur vorgetäuschter Vertragszweck ist unbeachtlich.7

Bei der Ermittlung des nach dem wirklichen Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks sind alle (auslegungsrelevanten) Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Für die Feststellung des nach den vertraglichen Absprachen gewollten Nutzungsschwerpunkts muss mangels ausdrücklicher Abreden auf Indizien zurückgegriffen werden.

aa) Früherer Auslegungsgrundsatz des BGH

Der BGH hat früher in einem Fall, in dem ein Einfamilienhaus einem Rechtsanwalt zur Nutzung als Kanzlei und zugleich als Wohnung überlassen wurde, die Ansicht vertreten, dass „im Allgemeinen" anzunehmen sei, dass die Vermietung in erster Linie zu gewerblichen Zwecken vorgenommen werde.8

Dies gelte selbst für den Fall, dass die für den Betrieb der Kanzlei zur Verfügung stehende Fläche des Hauses geringer sei als die für Wohnzwecke gedachte. Denn die Kanzlei sei für den Rechtsanwalt die Stätte, ohne die er im Allgemeinen seine Berufstätigkeit nicht ausüben und die Geldmittel erwerben könne, die er benötige, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, zu denen auch die Miete für die Wohnung gehöre.

Der Vermieter könne im Allgemeinen eine höhere Miete für sein Haus verlangen, wenn er es nicht ausschließlich zu Wohnzwecken, sondern zugleich auch zum Betrieb der Anwaltskanzlei des Mieters vermiete. Die Größe der vermieteten Flächen spiele nur eine untergeordnete Rolle, es sei denn, die Fläche, die zur Benutzung als Wohnung zur Verfügung stehe, überwiege die Fläche, die zur Nutzung als Kanzlei in Betracht komme, derart, dass der für die Kanzlei zur Verfügung stehenden nur eine geringe Bedeutung zukomme.

bb) BGH gibt diese Rechtsprechung als zu weitgehend auf

An diesem Abgrenzungskriterium hält der BGH nicht mehr länger fest.

Das Bestreiten des Lebensunterhalts als vorrangiges Kriterium für das Vorliegen eines gewerblichen Nutzungsschwerpunkts ist im Hinblick auf die weitgefasste Formulierung des BGH („im Allgemeinen") von den Instanzgerichten und vom Schrifttum als verallgemeinerungsfähiger Grundsatz aufgefasst worden.9 Dieser Gesichtspunkt stellt jedoch kein sachgerechtes Unterscheidungskriterium dar.

Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass bei einem Mischmietverhältnis die Schaffung einer Erwerbsgrundlage Vorrang vor der Wohnnutzung hat, besteht nicht. Dass das Wohnen als wesentlicher Aspekt des täglichen Lebens generell hinter der Erwerbstätigkeit des Mieters zurücktreten soll, lässt sich weder mit der Bedeutung der Wohnung als Ort der Verwirklichung privater Lebensvorstellungen noch mit dem Stellenwert, dem das Wohnen in der heutigen Gesellschaft zukommt, in Einklang bringen.

Die Nutzung zu Wohnzwecken dient dazu, dem Mieter die Verwirklichung seiner privaten Lebensvorstellungen zu ermöglichen. Die Wohnung ist für jedermann regelmäßig der Mittelpunkt der privaten Existenz.10 Der Einzelne ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Sicherung seiner Freiheit und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen. Im Falle der Anmietung von Wohnraum erfüllt das Besitzrecht des Mieters Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukommen, und stellt daher eine privatrechtliche Position dar, die den Schutz des Art. 14 I GG genießt.11

Die Wohnung bildet letztlich die Stätte, die der Mieter im Allgemeinen benötigt, um die Kraft und Energie für die Ausübung seiner Berufstätigkeit gewinnen zu können. Es lässt sich damit nicht sagen, dass die gewerbliche/freiberufliche Nutzung bei Mischmietverhältnissen generell überwiegt. Umgekehrt lässt sich auch kein Erfahrungssatz aufstellen, dass die Wohnungsnutzung im Allgemeinen Vorrang vor der Nutzung zu gewerblichen/freiberuflichen Zwecken hat.

cc) Maßgeblich nun äußere Umstände und Indizien

Für die Ermittlung des nach dem Willen der Parteien vorherrschenden Vertragszwecks ist beim Fehlen ausdrücklicher Regelungen auf objektive (äußerliche) Umstände zurückzugreifen, sofern diese tragfähige Anhaltspunkte für den Parteiwillen bilden. Als Indiz kommt etwa - je nach Fallgestaltung - die Verwendung eines auf eine der beiden Nutzungsarten (Geschäftsraum- oder Wohnraummiete) zugeschnittenen Vertragsformulars in Betracht.12

Dabei können nicht nur der Inhalt der darin enthaltenen Regelungen oder

  • unter Umständen - die Bezeichnung des Mietverhältnisses in der Überschrift Bedeutung gewinnen, sondern auch der Aufbau der vertraglichen Regelungen (Wohnraumnutzung oder Gewerberaumnutzung als Zusatz oder Anhang zu den übrigen Vertragsregelungen.13

Indizwirkung kann auch dem Verhältnis der für eine gewerbliche/freiberufliche Nutzung vorgesehenen Flächen und der für Wohnzwecke bestimmten Flächen zukommen.

Entsprechendes gilt - falls die Miete für die verschiedenen Nutzungen gesondert ausgewiesen ist - für die Verteilung der Gesamtmiete auf die einzelnen Nutzungsanteile, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass für Gewerberäume regelmäßig eine höhere Miete entrichtet wird. Auch die baulichen Gegebenheiten (Zuschnitt, Einrichtung etc.) können gegebenenfalls Rückschlüsse auf einen von den Parteien gewollten Vorrang einer Nutzungsart zulassen.

Ein Indiz für das Überwiegen eines Nutzungsanteils kann sich auch aus Umständen im Vorfeld des Vertragsschlusses14 oder aus einem nachträglichen Verhalten der Parteien ergeben, wenn dieses Rückschlüsse auf den übereinstimmenden Willen bei Vertragsschluss zulässt.

dd) Im Zweifel Wohnraummiete

Lässt sich bei der gebotenen Einzelfallprüfung ein Überwiegen der gewerblichen Nutzung nicht feststellen (also auch bei einer Gleichwertigkeit beider Nutzungen), ist von der Geltung der Vorschriften der Wohnraummiete auszugehen.15

Ansonsten würden nämlich die zum Schutz des Wohnraummieters bestehenden zwingenden Sonderregelungen, insbesondere die eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters (§§ 573, 543, 569 BGB) und die ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts (§ 23 Nr. 2a GVG), unterlaufen.

d) Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall

Die Vorinstanz hat unter Zugrundelegung der früheren Auslegungsgrundsätze des BGH den Schwerpunkt der Nutzung vorliegend in der Geschäftsraummiete gesehen, weil M und F mit dem ihnen bei Vertragsschluss gestatteten Betrieb einer Hypnosepraxis in den Erdgeschossräumen des angemieteten Hauses ihren Lebensunterhalt verdienten.16

Nach neuer Rechtsprechung des BGH wurde damit ein Kriterium zugrunde gelegt, das für die Ermittlung des überwiegenden Vertragszwecks nicht sachgerecht ist.

Bei der gebotenen Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalls liegt der Schwerpunkt des zwischen den Parteien bestehenden Mischmietverhältnisses im vorliegenden Fall auf der Wohnnutzung.

aa) Vereinbarungen der Parteien sprechen für Wohnraummiete

Für ein Überwiegen der Wohnraumnutzung sprechen vorliegend vor allem der Inhalt und Aufbau der getroffenen Vereinbarungen.

(1) Vertragsformular

Die Parteien haben ein auf die Wohnraummiete zugeschnittenes Mietvertragsformular („Vertrag für die Vermietung eines Hauses") und nicht die ebenfalls angebotenen Formulare über die Anmietung von Gewerberäumen verwendet.

Dies stellt zwar allein noch kein belastbares Indiz dafür dar, dass die Parteien die Wohnnutzung als vorherrschend angesehen haben.

(2) Laufzeit des Vertrags

Hinzu kommt jedoch - und dies ist letztlich maßgebend -, dass nahezu alle in der Mietvertragsurkunde getroffenen Regelungen - mit Ausnahme der unter § 19 Ziffer 3 des Vertrags handschriftlich eingefügten Gestattung der Einrichtung einer Hypnosepraxis - an typischerweise für Wohnraummietverhältnisse vereinbarten Bedingungen ausgerichtet sind. Dies wird vor allem bei der Vertragslaufzeit deutlich. Das Mietverhältnis wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Eine solche Laufzeit ist bei der Anmietung von Geschäftsräumen unüblich. Hier wird in aller Regel - wie dies auch handelsübliche Gewerbevertragsformulare vorsehen - ein befristeter Mietvertrag mit Verlängerungsoption des Mieters abgeschlossen, um diesem einerseits Planungssicherheit (Ausschluss der ordentlichen Kündigung des Vermieters) zu gewähren und ihm andererseits die Möglichkeit zu eröffnen, im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten das Mietverhältnis in absehbarer Zeit auflösen zu können.

(3) Freiberuflicher Zweck nur am Rande erwähnt

Für das Überwiegen der Wohnnutzung spricht weiter der Umstand, dass die freiberufliche Nutzung als Hypnosepraxis in dem umfangreichen Vertragsformular nicht - insbesondere nicht an exponierter Stelle - als vereinbarter Vertragszweck aufgeführt worden ist, sondern nur am Schluss in einem einzigen Satz (§ 19 Ziffer  3) erwähnt wird und auch dort nur die Rede davon ist, dass „den Mietern (...) die Einrichtung einer Hypnosepraxis in den Räumen des EG vorbehaltlich der erforderlichen behördlichen Genehmigung gestattet" wird.

Auch in der Anlage zum Mietvertrag findet sich nur ein Satz zur Nutzung der Erdgeschossräume als Hypnosepraxis („Die Mieter nutzen die Räume im Erdgeschoss des Hauses für ihre freiberufliche Tätigkeit im Rahmen einer Hypnosepraxis").

Weitere gesonderte Regelungen zur Nutzung des Hauses zu freiberuflichen Zwecken (insbesondere zu der Praxiseinrichtung) sind in beiden Schriftstücken nicht enthalten.

(4) Einheitliche Miete

Gegen einen auf der Geschäftsraummiete liegenden Schwerpunkt des Vertrags spricht auch, dass die Miete im Vertragsformular einheitlich festgesetzt worden ist.

Es ist weder ein Mietaufschlag für die zusätzliche Nutzung zu freiberuflichen Zwecken ausgewiesen, noch ist eine Regelung über eine Umsatzsteuerpflicht aufgenommen worden.

bb) Verhältnis der Flächenanteile

Das Verhältnis der auf die jeweiligen Nutzungszwecke entfallenden Flächenanteile spricht ebenfalls nicht für ein Überwiegen der freiberuflichen Nutzung.

Die nach den im Mietvertrag getroffenen Vereinbarungen auf die beiden Nutzungsarten entfallenden Flächen sind in etwa gleich groß.

hemmer-Methode: Sollte im Verlauf des Mietverhältnisses der Betrieb der Hypnosepraxis ausgedehnt werden, wäre dies aus Rechtsgründen unerheblich. Denn für die rechtliche Einordnung eines Mischmietverhältnisses, also für die Beurteilung, welcher Vertragszweck überwiegt, ist - sofern keine Vertragsänderung erfolgt - ausschließlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen.

Eine andere Sichtweise würde nach Ansicht des BGH dazu führen, dass die rechtliche Bewertung eines Mietverhältnisses von dem tatsächlichen (gegebenenfalls vertragswidrigen) Nutzungsverhalten des Mieters und nicht von den getroffenen Vereinbarungen abhinge.

cc) Eigenbedarfskündigung spricht für Wohnraummiete

Weiter spricht gegen ein Übergewicht der freiberuflichen Nutzung das Verhalten des V, der seine Kündigung auf Eigenbedarf gestützt hat.

Die ordentliche Kündigung eines Geschäftsraummietverhältnisses bedarf aber keiner Begründung.

Für die Wohnraummiete ist hingegen für die ordentliche Kündigung gem. § 573 I S. 1 BGB ein berechtigtes Interesse erforderlich, welches u.a. bei Eigenbedarf bejaht wird, vgl. § 573 II Nr. 2 BGB.

e) Ergebnis

Damit ist das Mischverhältnis der Parteien als Wohnraummietverhältnis einzuordnen, sodass gem. § 23 Nr. 2a GVG das Amtsgericht ausschließlich sachlich zuständig ist.

3. Sachliche Zuständigkeit durch rügelose mündliche Verhandlung gem. § 39 S. 1 ZPO

Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts könnte aber gem. § 39 S. 1 ZPO dadurch begründet worden sein, dass die Parteien, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt haben.

a) Mündliche Verhandlung

Zur Hauptsache wird mündlich verhandelt, sobald die Anträge gestellt worden sind, § 137 I ZPO.

Die Zuständigkeitsfiktion tritt ohne Rücksicht auf ein Verschulden ein. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass das Landgericht auf seine Unzuständigkeit zuvor hingewiesen hat, weil eine derartige Belehrung als Voraussetzung für die Zuständigkeit nach § 39 ZPO nur für das amtsgerichtliche Verfahren geregelt ist, §§ 39 S. 2, 504 ZPO.

hemmer-Methode: Da die Zulässigkeit der Klage von Amts wegen geprüft wird (vgl. § 56 ZPO), muss aber auch das Landgericht gem. § 139 III ZPO auf Bedenken aufmerksam machen. Dabei handelt es sich um einen einfachgesetzlichen Ausfluss des Grundrechts auf richterliches Gehör, Art. 103 I GG.

Ein Verstoß gegen § 139 III ZPO ändert aber nichts daran, dass das Landgericht bei mündlicher Verhandlung zur Hauptsache gem. § 39 S. 1 ZPO zuständig wird.

b) § 39 ZPO gilt nicht bei ausschließlicher Zuständigkeit, § 40 II S. 2 ZPO

Allerdings ist zu beachten, dass gem. § 40 II S. 2 ZPO in den Fällen, in denen eine Gerichtsstandvereinbarung (§ 38 ZPO) gem. § 40 II S. 1 ZPO unzulässig ist, die Zuständigkeit des Gerichts auch nicht durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache begründet wird.

Gem. § 40 II S. 1 Nr. 2 ZPO ist eine Gerichtsstandvereinbarung unzulässig, wenn für die Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist.

Da gem. § 23 Nr. 2a GVG die Amtsgerichte für Streitigkeiten aus einem Wohnraummietverhältnis ausschließlich zuständig sind, konnte die Zuständigkeit des Landgerichts auch nicht über § 39 S. 1 ZPO begründet werden, § 40 II S. 2 ZPO.

4. Rechtsfolge der sachlichen Unzuständigkeit

Bei fehlender sachlicher (oder örtlicher) Zuständigkeit muss die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen werden.

Um dies zu verhindern, kann der Kläger gem. § 281 I ZPO beantragen, dass sich das unzuständige Gericht für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht durch förmlichen Beschluss verweist.17

hemmer-Methode: Im Verwaltungsprozess kommen gem. § 83 VwGO im Fall der sachlichen und/oder örtlichen Unzuständigkeit die §§ 17 bis 17b GVG zur Anwendung. Damit wird - anders als in der ZPO - bei Unzuständigkeit gem. § 83 VwGO i.V.m. § 17a II S. 1 GVG von Amts wegen an das zuständige Verwaltungsgericht verwiesen. Dieser Unterschied ist deshalb gerechtfertigt, da sich im Verwaltungsprozess der Bürger gegen den Staat wehrt und daher der Rechtsschutz effektiver ausgestaltet ist.

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren wird bei Unzuständigkeit der Arbeitsgerichte ebenfalls von Amts wegen verwiesen, § 48 I ArbGG.

II. Endergebnis

Da der klagende V keinen Verweisungsantrag gestellt hat, war die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landgerichts abzuweisen.

Anmerkung: Die Abweisung geschieht im Tenor stets mit der Formulierung: „Die Klage wird abgewiesen".

Ob als unzulässig, unbegründet oder derzeit unbegründet ergibt sich erst aus den Entscheidungsgründen.18

D) Kommentar

(mty). Die Entscheidung des BGH ist im Original noch viel ausführlicher begründet. Der BGH ändert seine Rechtsprechung zu Recht. Der frühere Auslegungsgrundsatz, dass bei Mischmietverhältnissen „im Allgemeinen" anzunehmen sei, dass die Vermietung in erster Linie zu gewerblichen Zwecken vorgenommen werde, führt dazu, dass das soziale Wohnraummietrecht nicht effektiv zur Anwendung kommt.

Aufgrund der großen Bedeutung des Urteils für die Praxis ist auch im Staatsexamen mit der Prüfung dieser Entscheidung zu rechnen. Prägen Sie sich daher die wichtigsten Grundsätze ein und merken Sie sich den wichtigsten Satz:

Im Zweifel Wohnraumiete!

E) Zur Vertiefung

  1. Sachliche und örtliche Zuständigkeit

Hemmer/Wüst, ZPO I, Rn. 149 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Warum müssen Mischmietverhältnisse eindeutig der Wohn- bzw. Geschäftsraummiete zugeordnet werden?
  2. Von welchem Mietvertrag ist im Zweifel auszugehen, wenn die Auslegung der Parteivereinbarung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt?

  1. BGHZ 89, 275, 281 f. BGHZ 157, 220, 222

  2. OLG Schleswig, NJW 1983, 49, 51 BGHZ 72, 229, 232

  3. So aber AG Fürth (Bayern), WuM 2001, 599, 601 LG Köln, NJW-RR 1989, 403 ff. LG Flensburg, MDR 1981, 57 f;

  4. BGH, NJW 1981, 1377

  5. BGH, WM 1979, 148 BGHZ 94, 11, 14 f. BGHZ 135, 269, 272 BGH, NJW 2008, 3361  OLG Stuttgart, NJW 1986, 322 f.

  6. BGH, NJW 1977, 1394 BGH, NJW-RR 1986, 877 OLG Stuttgart, MDR 2008, 1091 OLG Celle, MDR 1986, 324 OLG Karlsruhe, WuM 2012, 666, 668 OLG Hamburg, NJW-RR 1997, 458 OLG Düsseldorf, MDR 2012, 20 f. OLG München, ZMR 2010, 962 OLG Saarbrücken, MDR 2012, 1335 f. KG, ZMR 2010, 956

  7. OLG Stuttgart, MDR 2008, 1091 OLG Karlsruhe, WuM 2012, 666, 668

  8. BGH, NJW-RR 1986, 877

  9. KG, GE 1995, 1205 f. OLG Köln, ZMR 2001, 963, 965 OLG Stuttgart, MDR 2008, 1091 Staudinger, Vorbem. zu § 535 BGB, Rn. 28; MüKo, 6. Auflage, § 549 BGB, Rn. 6; Erman, 13. Auflage, Vor § 535 BGB, Rn. 15; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 11. Aufl., vor §§ 557 - 557b BGB, Rn. 25.

  10. BVerfG, NJW 1993, 2035

  11. BVerfG, WuM 2011, 355 ff.

  12. OLG Hamburg, ZMR 1995, 120 f. OLG Düsseldorf, GE 2006, 647 OLG Stuttgart, MDR 2008, 1091 OLG Celle, ZMR 1999, 469 f.

  13. OLG München, ZMR 1995, 295 f. OLG Düsseldorf, NZM 2002, 739 f. OLG München, ZMR 2010, 962 OLG Saarbrücken, MDR 2012, 1335

  14. OLG München, ZMR 1995, 295 f.

  15. So auch OLG Stuttgart, NJW 1986, 322 f. LG Berlin, MM 1990, 347 Bamberger/Roth/Ehlert, 3. Auflage, § 535 BGB, Rn. 122a.

  16. KG Berlin, Grundeigentum 2013, 1202 f.

  17. Der Beschluss ist unanfechtbar und für das zuständige Gericht bindend, § 281 II S. 2 u. 4 ZPO.

    Hinweis: § 281 I ZPO gibt dem Gericht aber nicht die Möglichkeit „arbeitserleichternder" Verweisungen. An willkürliche Verweisungsbeschlüsse ist kein Gericht gebunden. Vom Gericht, das nun „die Arbeit hat", wird daher geprüft, ob es sich um eine Willkürverweisung handelt, Th/P, § 281 ZPO, Rn. 14.

  18. Th/P, § 313 ZPO, Rn. 10.