Ordentliche Kündigung? Darauf kann man auch verzichten!

BGH, Urteil vom 16.10.2013, VIII ZR 57/13

von Life and Law am 01.01.2014

+++ Vertragliche Modifikation des Rechts zur ordentlichen Kündigung +++ Auslegung einer entsprechenden Parteivereinbarung +++ §§ 573, 573a BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt): V hat eine Wohnung mit Datum vom 12. März 1998 an M vermietet. V wohnte in demselben Haus. Mehr als die beiden Wohnungen gibt es in dem Haus nicht.

Im Mietvertrag heißt es unter § 4:

„(1) Das Mietverhältnis wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

...

(3) V wird das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Er kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen des V eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen. Die fristlose Kündigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften."

Am 2. November 2009 kündigte V das Mietverhältnis unter Hinweis darauf, dass er die Wohnung seiner Schwester überlassen wolle, zum 31. Oktober 2010. Er stützte die Kündigung unabhängig davon aber auch auf § 573a BGB.

V steht auf dem Standpunkt, das Vertragsverhältnis sei wirksam beendet worden und begehrt die Räumung der Wohnung von M.

Hat V einen Anspruch gegen M auf Räumung der Wohnung, wenn von Eigenbedarf i.S.d. § 573 II Nr. 2 BGB auszugehen ist?

A) Sounds

1. Durch eine mietvertragliche Bestimmung, der zu Folge der Vermieter das Mietverhältnis „nur in besonderen Ausnahmefällen unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen kann, wenn wichtige berechtigte Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen", wird dem Mieter ein gegenüber den gesetzlichen Vorschriften erhöhter Bestandsschutz eingeräumt.

2. Für eine Kündigung genügt dann das in § 573 II BGB genannte berechtigte Interesse des Vermieters nicht.

B) Problemaufriss

Die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses ist grundsätzlich durch ordentliche und außerordentliche Kündigung möglich. Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung bedarf es für die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung grundsätzlich keines Kündigungsgrundes. Davon bestehen zwei examensrelevante Ausnahmen:

Im Arbeitsrecht ist der Ausspruch einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nur wirksam, wenn ein im Verhalten oder in der Person des AN liegender Grund vorliegt, der die Kündigung rechtfertigt oder aber die Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen erfolgt, vgl. § 1 II KSchG.

Im Wohnraummietrecht (§§ 549 ff. BGB, sog. soziales Mietrecht) ist gem. § 573 BGB eine ordentliche Vermieterkündigung nur möglich, wenn dieser ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam, § 573 IV BGB.

Im vorliegenden Fall geht es nicht darum, dass die Kündigungsmöglichkeit zum Nachteil, sondern vielmehr zum Vorteil des Mieters abgewandelt wurde, d.h. ob für den Ausspruch einer wirksamen ordentlichen Kündigung ggf. sogar höhere Anforderungen gefordert werden müssen, als sie das Gesetz aufstellt.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob V gegen M ein Anspruch auf Räumung der vermieteten Wohnung zusteht.

I. Anspruch auf Rückgabe gem. § 546 I BGB

Ein Anspruch auf Rückgabe der Wohnung könnte sich aus § 546 I BGB ergeben. Dann müsste das zwischen V und M bestehende Mietverhältnis wirksam beendet worden sein. Eine Beendigung könnte infolge der von V ausgesprochenen Kündigung eingetreten sein.

1. Kündigungsvoraussetzungen des § 573 II BGB erforderlich?

Grundsätzlich kann ein Wohnraummietverhältnis ordentlich nur bei berechtigtem Interesse des Vermieters gekündigt werden, vgl. § 573 II BGB.

a) Voraussetzungen des § 573a I S. 1 u. S. 2 BGB grds. (+)

Gem. § 573a I S. 1 BGB kommt es darauf jedoch nicht an, wenn es um ein Mietverhältnis über eine Wohnung in einem vom Vermieter selbst bewohnten Gebäude geht und nicht mehr als zwei Wohnungen in diesem Gebäude vorhanden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier dem Grunde nach vor. Zu beachten ist lediglich, dass sich die Kündigungsfrist um drei Monate verlängert, § 573a I S. 2 BGB.

Da das Mietverhältnis bei Ausspruch der Kündigung länger als acht Jahre bestanden hat, konnte am 2. November gem. § 573c I S. 2 BGB i.V.m. § 573a I S. 2 BGB mit Wirkung zum 31. Oktober 2010 gekündigt werden. Die Verlängerung der Kündigungsfrist gem. § 573c I S. 1 BGB um insgesamt neun Monate wurde beachtet.

b) Aber: Abbedingung durch § 4 III des Mietvertrags

Fraglich ist jedoch, ob sich aus § 4 III des Mietvertrags etwas anderes ergibt. Nach dieser Regelung sollte eine Kündigung nur in besonderen Ausnahmefällen möglich sein. Insoweit könnte § 573a I S. 1 BGB wirksam abbedungen worden sein.

Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, dass die vertragliche Regelung keine Abbedingung des § 573a I BGB darstelle. Vielmehr sei lediglich im Einzelfall zu prüfen, ob der Vermieter die Möglichkeit zur Kündigung gem. § 573a I S. 1 BGB rechtsmissbräuchlich ausnutze, um das Mietverhältnis zu beenden. Der Vermieter wolle sich der Möglichkeit zur grundlosen Kündigung aber nicht grundsätzlich begeben.

Nach überzeugender Ansicht des BGH ist demgegenüber die Klausel so zu verstehen, dass auf die erleichterte Kündigungsmöglichkeit generell verzichtet werden sollte.

Gemäß § 4 III des Mietvertrags kann der Vermieter das Mietverhältnis nur in besonderen Ausnahmefällen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen. Eine solche Bestimmung schließt nach dem Wortlaut sowie ihrem Sinn und Zweck die erleichterte Kündigung gemäß § 573a I S. 1 BGB, die kein berechtigtes Interesse des Vermieters im Sinne des § 573 BGB voraussetzt, aus.1 Demnach war eine vereinfachte Kündigung gem. § 573a BGB vorliegend nicht möglich.

2. Kündigung wegen berechtigten Interesses?

Möglicherweise kann die Kündigung jedoch auf § 573 II Nr. 2 BGB gestützt werden. Laut Sachverhalt liegen die Voraussetzungen für berechtigten Eigenbedarf i.S.d. Vorschrift dem Grunde nach vor.

Fraglich ist, ob sich § 4 III des Mietvertrags auch auf die Möglichkeit der berechtigten ordentlichen Kündigung gem. § 573 I S. 1 BGB beziehen soll, indem diese Kündigungsmöglichkeit ausgeschlossen wird.

Dagegen spricht jedoch, dass offensichtlich zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung differenziert wird. Für die außerordentliche Kündigung wird auf die gesetzlichen Voraussetzungen verwiesen. In einem Umkehrschluss daraus ergibt sich, dass die vorangestellten Regelungen die ordentliche Kündigung betreffen sollen, wodurch jedoch die ordentliche Kündigung nicht generell ausgeschlossen wird, sondern darauf verwiesen wird, dass diese nur in Ausnahmefällen möglich sein soll.

Die Kündigungsbeschränkung in § 4 III des Mietvertrags schließt daher eine Eigenbedarfskündigung nicht generell aus. Sie verschärft lediglich die gesetzlichen Voraussetzungen, sodass das in § 573 II BGB genannte „berechtigte Interesse" nicht ausreicht, sondern darüber hinaus ein besonderer Ausnahmefall vorliegen muss, in dem wichtige Interessen des Vermieters eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen. Mit einer solchen Klausel wird dem Mieter ein gegenüber üblichen Mietverhältnissen erhöhter Bestandsschutz zugebilligt.2

Laut Sachverhalt liegen vorliegend nur die „normalen" Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung i.S.d. § 573 II Nr. 2 BGB vor. Besondere Umstände werden von V nicht vorgetragen, sodass die ordentliche Kündigung unwirksam ist.

II. Endergebnis

Da das Mietverhältnis nicht wirksam beendet wurde, steht V gegenüber M kein Räumungsanspruch gem. § 546 I BGB zu.

D) Kommentar

(cda). Ein „kleiner" Fall, welchen Sie zum Anlass nehmen sollten, sich mit der Kündigung von Wohnraummietverhältnissen generell auseinanderzusetzen.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich vertragliche Regelungen auf die gesetzlichen Vorgaben auswirken können. Wichtig ist in der Praxis, stets klare Formulierungen zu wählen, damit später -- anders als vorliegend -- kein Streit über die Auslegung entsteht. Die Auslegung durch den BGH ist dabei sachgerecht. Hier müssen Sie in der Lage sein, „mit gesundem Menschenverstand" zu einem plausiblen Ergebnis zu kommen.

E) Zur Vertiefung

  • Die ordentliche Kündigung im Mietrecht

Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT II, Rn. 94 ff.

F) Wiederholungsfragen

1. Worin besteht die Intention des § 573a BGB?

2. Wie ist eine Klausel in einem Mietvertrag auszulegen, wonach der Vermieter zusagt, das Mietverhältnis nur in besonderen Ausnahmefällen ordentlich zu kündigen?


  1. So bereits OLG Karlsruhe, NJW-RR 1986, 89 f.

  2. BGH, NJW 2012, 2270