Schwerer Süden, leichter Norden? Vorurteil oder Fakt?

Das Problem -- Prüfungsrecht von RA Michael Grieger1

von Life and Law am 01.08.2014

Nicht selten hat ein Studienplatzwechsel seine eigentliche Ursache darin, dass der Betroffene meint, in diesem oder jenem Bundesland sei das Staatsexamen einfacher zu bestehen.1

Die Gerüchte, in welchem Bundesland dies besonders einfach oder schwer sein soll, lassen sich in diversen Internetforen nachlesen. Tendenziell soll das Examen im „Süden" -- Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen, Sachsen -- nach diesen Gerüchten schwerer sein als in den „Nordländern".

Aber sind diese Gerüchte auch tatsächlich gerechtfertigt? Gibt es wirklich so gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.

In diesem Beitrag werden die Anforderungen und die Ergebnisse für das Erste Juristische Staatsexamen in den einzelnen Bundesländern für die letzten Jahre miteinander verglichen.

I. Anforderungen im Ersten Staatsexamen

Die formalen Anforderungen im Ersten Staatsexamen sind in allen 16 Bundesländern vergleichbar.

1. Klausuren und mündliche Prüfung

Anmerkung: Berlin und Brandenburg haben ein gemeinsames Prüfungsamt. Das Prüfungsrecht ist damit in den jeweiligen Bundesländern identisch, sodass es letztlich nur 15 vergleichbare „Länder" sind!

In Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein besteht ein gemeinsames Prüfungsamt erst für das zweite Staatsexamen. Allerdings ist das Prüfungsrecht bereits im ersten Examen weitgehend angeglichen.

In 13 Bundesländern sind sechs fünfstündige Klausuren zu schreiben. Nur in Berlin und Brandenburg sind es sieben, in Sachsen lediglich fünf Klausuren.

Die schriftliche Prüfung macht zwischen 60 % (in Sachsen-Anhalt) und 75 % (in Hamburg und Baden-Württemberg) der Staatsnote aus.

Die mündliche Prüfung besteht in allen Bundesländern aus einem Prüfungsgespräch. In Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt kommt noch ein Vortrag hinzu.

2. Prüfungsstoff

Auch der Prüfungsstoff divergiert in den einzelnen Bundesländern nur unerheblich.

Es ist in allen Bundesländern das ganze BGB Prüfungsstoff, wobei jeweils im Schuldrecht einzelne Schuldverhältnisse ausgenommen werden.

Im Sachenrecht sind die Reallasten sowie das Pfandrecht an Rechten regelmäßig ausgeschlossen. Im Familienrecht beschränkt sich der Prüfungsstoff im ersten Staatsexamen regelmäßig auf Grundzüge. Gerade das für die Praxis extrem wichtige Unterhaltsrecht wird -- wenn überhaupt - nur auf sehr niedrigem Niveau „angeprüft". Im Erbrecht wird die Testamentsvollstreckung nirgends geprüft.

Die zivilrechtlichen Nebengebiete Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht sind inzwischen in allen Bundesländern Pflichtfach.

Im Strafrecht gibt es marginale Unterschiede bei den ausgeschlossenen Delikten im BT.

Das öffentliche Recht besteht durchgehend aus dem Verfassungsrecht, dem allgemeinen Verwaltungsrecht, Kommunalrecht, Polizeirecht, Baurecht und den Grundzügen des Unionsrechts. In einigen Bundesländern wird das Versammlungsrecht noch explizit als Prüfungsstoff genannt.

Anmerkung: Das Versammlungsrecht ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Aufzählung der Prüfungsgebiete in der jeweiligen Prüfungsordnung nicht so entscheidend ist. In Bayern ist das Versammlungsrecht nicht explizit genannt. Es ist aber völlig unzweifelhaft, dass das BayVersG als spezielles Polizei- und Sicherheitsrecht Gegenstand einer Examensklausur sein kann!

In allen Prüfungsordnungen sind zudem die ZPO, StPO und VwGO in Grundzügen Prüfungsstoff.

Anmerkung: Sowohl die formalen Anforderungen wie die Anzahl der zu schreibenden Klausuren als auch der Prüfungsstoff sind für das erste Staatsexamen bundesweit also vergleichbar. Im zweiten Staatsexamen ist dies etwas anders. Zum einen werden hier zum Teil -- Berlin, Brandenburg, Saarland -- nur sieben und nicht wie in den meisten Bundesländern acht Klausuren geschrieben, während in Bayern sogar elf Klausuren anstehen.

Zum anderen bestehen hier auch erhebliche Unterschiede im Prüfungsstoff! So müssen nur Bayerische Referendare eine Klausur im Bereich des Steuerrechts schreiben -- was aber eigentlich kein Grund gegen, sondern für ein zweites Staatsexamen in Bayern sein sollte, da ohne Grundkenntnisse im Steuerrecht in der Praxis kaum ein Mandat betreut werden kann.

Zwischenergebnis

Die äußeren Anforderungen -- Anzahl der Klausuren, Gewicht der schriftlichen Prüfung und Prüfungsstoff -- unterscheiden sich im ersten Staatsexamen je nach Bundesland also kaum oder nur unerheblich.

hemmer-Methode: Die Gerüchte um besonders „einfache Bundesländer" haben viel mit der Vergangenheit zu tun. So war in Hessen bis vor einigen Jahren der Pflichtprüfungsstoff deutlich dünner als bspw. in Bayern. Während dort das Familienrecht schon immer in Grundzügen abgeprüft wurde, war es in Hessen bis zur Reform der Juristenausbildung, die ab 2008 griff, nur eine Wahlfachgruppe.

Auch wenn sich heute der Prüfungsstoff in allen Bundesländern im ersten Staatsexamen kaum unterscheidet, sagt das über das Niveau der jeweiligen Prüfung noch nichts aus. Die entscheidende Frage ist, was der einzelne Klausurersteller aus den Vorgaben der jeweiligen Prüfungsordnung macht. So gehört die Errichtung einer GmbH überall zum Prüfungsstoff. Ob man dann aber tatsächlich eine Klausur zur Haftung der Gesellschaft in der Gründungsphase, der sog. Vor-GmbH, stellt oder ob man diese Fragen für zu „abgehoben" hält, steht im Ermessen des jeweiligen Klausurerstellers bzw. des jeweiligen Prüfungsausschusses, der die Klausuren letztlich stellt.

Da allerdings sich viele Bundesländer an einem gemeinsamen Klausurenpool beteiligen, die Klausuren also untereinander austauschen, sind auch hier die Unterschiede zwischen den Bundesländern nur geringfügig bzw. nicht existent. Eine Ausnahme stellt insoweit Bayern da, das sich nicht an dem gemeinsamen Klausurenpool beteiligt. Aus der Erfahrung des Autors in bundesweit durchgeführten Nachprüfungsverfahren lässt sich insoweit die Tendenz feststellen, dass die Klausuren in Bayern einen „Tick" schwerer sein dürften als in anderen Flächenbundesländern wie Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen. Allein dieser Tick rechtfertigt aber auch das Gerücht um das vermeintlich besonders schwere bayerische Examen noch nicht.

Ein Unterschied zwischen den Bundesländern, der in den Diskussionen kaum beachtet wird, der nach Auffassung des Autors aber nicht unterschätzt werden darf, ist die Frage, wieweit es zulässig ist, die Hilfsmittel, also in erster Linie die Gesetzestexte, zu kommentieren.

Es macht durchaus einen erheblichen Unterschied, ob man - wie z.B. in Hessen - mit einem vollständig unberührten Gesetz ins Examen gehen muss, oder ob man - wie bspw. in Bayern - das Gesetz durch Unterstreichungen, Hervorhebungen und v.a. durch die Kommentierung von Vorschriften am Rande des Gesetzestextes ergänzen darf.

hemmer-Methode: Informieren Sie sich hier unbedingt über die Bedingungen in Ihrem Bundesland. Soweit Kommentierungen zulässig sind, sollten Sie diese Möglichkeit nutzen, da es Ihnen einiges an Merk- und Lernarbeit sparen kann.

In keinem Bundesland sind dabei Wortanmerkungen oder schematische Kommentierungen erlaubt. Ein Dauerbrenner der Gerüchteküche ist die Frage, wie viele Kommentierungen je Seite zulässig sind (soweit solche zulässig sind). Hier gibt es regelmäßig keine offizielle Aussage der Prüfungsämter in Form einer exakten Anzahl wie „15 Normen pro Seite". Es wird stattdessen darauf hingewiesen, dass „unnatürliche Anhäufungen" unzulässig sind. Die Folge ist, dass selbstverständlich an einer Vorschrift wie § 812 BGB deutlich mehr Normen zitiert werden dürfen als bspw. am § 811 BGB.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den einzelnen Bundesländern ist die Möglichkeit der Abschichtung, also die Möglichkeit, sich in einem Prüfungstermin auf ein oder zwei Rechtsgebiete zu beschränken und die übrigen Rechtsgebiete in einem späteren Termin nachzulegen.2

In Bayern gibt es diese die Vorbereitung auf den jeweiligen Prüfungstermin nicht unerheblich erleichternde Möglichkeit nicht, während sie andere Bundesländer wie bspw. Nordrhein-Westfalen vorsehen, vgl. § 12 JAG NRW.

Außerdem sind in verschiedenen Bundesländern Klausuren auf bestimmte Themen festgelegt. In Hessen ist zum Beispiel die dritte Klausur sogar „gesetzt", und zwar aus dem Bereich Handels- und Gesellschaftsrecht bzw. Arbeitsrecht. Im Bayerischen Zweiten Staatsexamen wird in der fünften Klausur immer Arbeitsrecht und in der elften Klausur immer Steuerrecht geprüft.

II. Ergebnisse im Ersten Staatsexamen

Nachdem allein die formalen Anforderungen die Gerüchte um besonders schwere und leichte Bundesländer nicht rechtfertigen, bleibt der Blick auf die Ergebnisse.

1. (Nicht-)Bestehensquote

Der wichtigste Aspekt hierbei ist sicherlich der Anteil der erfolgreichen, bzw. spiegelbildlich der durchgefallenen Kandidaten.

In den Jahren 2010 bis 2012 stellt sich dieser Punkt in den einzelnen Bundesländern wie folgt dar:

Auch der Blick auf diese Durchfallquoten zeigt, dass die Gerüchte weitgehend wohl tatsächlich nur Gerüchte sind -- nimmt man aus, dass Sachsen den Ruf hat, besonders harte Anforderungen zu stellen, was durch die Statistik tatsächlich belegt wird.

Für Bundesländer wie Thüringen, Bayern oder Baden-Württemberg, denen ein ähnlicher Ruf nachhängt wie Sachsen, wird dies durch die Zahlen nicht untermauert. Alle Bundesländer finden sich im „Mittelfeld" wieder wie bspw. auch das Bundesland Bremen, in dem das Examen doch angeblich so leicht sein soll.

Auch das vermeintliche Nord-Süd-Gefälle ist nicht belegbar. Zwar ist Hamburg einsamer Spitzenreiter, aber Bremen und Schleswig-Holstein, die den gleichen Prüfungsstoff haben und meist auch die gleichen Klausuren stellen, liegen weit dahinter, Schleswig-Holstein sogar deutlich hinter Bayern und Baden-Württemberg.

Was sich allein mit formalen Anforderungen nicht erklären lässt, sind die herausstechenden Ergebnisse in Hamburg. Die Ursache kann auch nicht darin liegen, dass in Flächenbundesländern deutlich mehr Kandidaten antreten und deshalb die Masse schlechter abschneidet. Dann müsste zum einen das Examen in Bremen mindestens so gut ausfallen wie in Hamburg, zum anderen lässt sich diese These mit der Anzahl der Examenskandidaten widerlegen, die in Hamburg deutlich höher liegt als in Sachsen.

Auch die Existenz der „Bucerius Law School" in Hamburg kann angesichts der wenigen Absolventen dieser „Elite-Universität" das gute Abschneiden in Hamburg nicht erklären.

Anmerkung: Erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen im Hinblick darauf, unter welchen Voraussetzungen ein Wiederholungsversuch nach einem ersten erfolglosen Versuch möglich ist. Während dies bspw. in Bayern nur in den nächsten vier Terminen möglich ist, bestehen in anderen Bundesländern keine zeitlichen Grenzen.

2. Notenverteilung

Das Fazit aus dem Vergleich der Durchfallquote wird durch einen Vergleich der Notenverteilung in der Pflichtfachprüfung bestätigt:

Zwar mag bspw. in Bayern und Baden-Württemberg der Anteil der Kandidaten mit „Ausreichend" und „Befriedigend" etwas unter dem Bundesschnitt liegen, dafür fallen in beiden Bundesländern die Ergebnisse in der Spitze überdurchschnittlich aus.

Dennoch muss auch hier festgestellt werden, dass es keine gravierenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesländern gibt, die das Märchen über „schwere" und „leichte" Bundesländer legitimieren würden. Das einzige durch Fakten untermauerte Gerücht ist, dass Sachsen sich offenbar zum Ziel gesetzt hat, besonders hohe Anforderungen an seine Examenskandidaten zu stellen. In diesem Bundesland fallen die Ergebnisse in allen Bereichen deutlich unterdurchschnittlich aus.

hemmer-Methode: Was die Ergebnisse belegen, ist das „kranke" Notensystem im juristischen Staatsexamen. Mit der Hälfte der möglichen Punkte gehörte man im Schnitt der Jahre 2010 bis 2012 zu den besten 15 %, also den „happy few", denen nahezu alle Türen offen stehen -- Großkanzlei, Staatsdienst etc. Mit nicht einmal einem Drittel der möglichen Punkte zählt man noch eindeutig zur besseren Hälfte der Examenskandidaten. Die Ergebnisse „gut" oder gar „sehr gut" scheinen nur mit juristischen Wundertaten erreichbar zu sein. So gab es bspw. in Bremen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen in drei Jahren nicht ein einziges „sehr gut". Im Jahr 2010 war in Bremen und Brandenburg die beste Note gar lediglich ein „voll befriedigend"! Diese Praxis der Notenvergabe dürfte unter allen Studiengängen ziemlich einmalig sein. Da sie sich über Generationen von Juristen vererbt hat, ist aber nicht zu erwarten, dass sich hieran in Zukunft etwas ändert.

Die Bilanz wird etwas „aufpoliert", wenn auch die Ergebnisse der universitären Schwerpunktprüfung mit berücksichtigt werden und nach der Gesamtnote aus Pflichtfachprüfung und Schwerpunktprüfung gefragt wird. Hier erreichen bundesweit im Schnitt ca. 25 % ein „Vollbefriedigend", was fast eine Verdoppelung der Ergebnisse der Pflichtfachprüfung darstellt!

3. Abschneiden der Freischützen

Betrachtet man speziell die Ergebnisse der Freischützen, erhält man hinsichtlich des Ländervergleichs weitgehend ähnliche Ergebnisse:

Freischützen schneiden mit diesen Ergebnissen damit nahezu überall besser ab als die Masse der Examenskandidaten.

Mit einer Durchfallquote von 23,8 % bundesweit in den drei Vergleichsjahren liegen sie deutlich unter der Quote von 28,8 % bei allen Kandidaten zusammen.

Das bessere Abschneiden der Freischützen zeigt sich auch an der Notenverteilung:

Mit 53,8 %, die befriedigend oder besser abgeschnitten haben, liegen die Freischützen deutlich über den 44,3 % der gesamten Examenskandidaten.

Anmerkung: Der Grund, warum Freischützen sowohl hinsichtlich der Bestehensquote als auch der Durchschnittsnote besser abschneiden als der Rest, dürfte darin liegen, dass unter den Freischützen die Anzahl der Kandidaten, die von Anfang an zielstrebig und sorgfältig studiert haben, deutlich überproportional hoch sein dürfte.

III. Fazit

Die formalen Anforderungen und die Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern unterscheiden sich nicht gravierend.

Die Klausuren und das Anforderungsprofil sind nach den Erfahrungen der Autoren in Nachprüfungsverfahren auch weitgehend vergleichbar, zumal viele Bundesländer die Klausursachverhalte untereinander austauschen.

Was allerdings nicht vergleichbar ist, sind subjektive Komponenten: Ob ein Korrektor den Schwierigkeitsgrad einer Klausur als hoch oder niedrig einschätzt, ob er Ausführungen eines Bearbeiters als gelungen oder misslungen bewertet, ist extrem subjektiv.

Anmerkung: Dieses subjektive Element spielt auch im Rechtsschutz gegen Prüfungsentscheidungen eine elementare Rolle. Das Verwaltungsgericht darf nicht seine subjektive Wertung an die Stelle der Entscheidung des Prüfers setzen. Diesem steht ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.3

Was diese subjektiven Komponenten angeht, drängt sich auch den Autoren im Rahmen von Nachprüfungsverfahren durchaus das Gefühl auf, dass in manchen Bundesländern wie Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen eine strengere Linie gefahren wird als in anderen Ländern. Aber auch bei dieser Einschätzung handelt es sich nur um ein Gefühl und dabei kann man sich bekanntlich täuschen.


  1. Der Autor ist neben seiner Tätigkeit als Repetitor bei hemmer Partner der Kanzlei Daxhammer Grieger Tyroller d´Alquen (www.raedgt.net), die sich auf Prüfungsanfechtungen im Rahmen von juristischen Staatsexamina spezialisiert hat.

  2. Vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.02.2014, 9 S 2275/13 = Life & Law 08/2014

  3. Vgl. hierzu Grieger/Tyroller, Life & Law 01/2006, 65 ff. und Life & Law 12/2010, 851 sowie Grieger / Tyroller / Daxhammer, d´Alquen, Life & Law 02/2013, 134 ff.