Rechtsprechungsübersicht Strafrecht

BGH, Urteil vom 27.03.2014 -- 3 StR 342/13

von Life and Law am 01.12.2014

+++ Betrug, § 263 StGB +++ Konkludente Täuschung durch Vorspiegeln eines ernsthaften Kommunikationsanliegens +++ Stoffgleichheit +++

Sachverhalt (verändert): T und O entwickelten die Idee, computergestützt eine Vielzahl von Mobiltelefonnummern anzurufen und es dabei nur einmal klingeln zu lassen. In der Anrufliste der Telefone erschien jedoch nicht die Rufnummer des Festnetzanschlusses, von dem der Anruf kam, sondern die Rufnummer eines Mehrwertdienstes. Die Angerufenen sollten zu einem Rückruf bei dem Mehrwertdienst veranlasst werden. Am 22.12. kam es erstmals zu sog. „Ping- Anrufen", also zu einem kurzzeitigen Anwählen, durch das höchstens ein einmaliges Klingeln verursacht wurde, und dem Hinterlassen der von T und O geschalteten Mehrwertdienstnummer (0137). Diese Nummer wurde gewählt, weil sie Ähnlichkeit zur üblichen Handyvorwahl „0173" aufweist. Ferner stellten sie zur Verschleierung der Vorwahl die Länderkennung für Deutschland voran, sodass auf den Telefonen der Opfer „+49137" zu sehen war. Fortan wurden die Anrufe in der Weihnachtszeit getätigt, da die Angeklagten davon ausgingen, dass die Personen gerade in der Weihnachtszeit mit Grüßen rechneten und somit eher bereit seien, eine hinterlassene Rufnummer zurückzurufen. Es erfolgten sodann vom 22.12. bis zum 28.12. insgesamt 786.850 Rückrufe aufgrund der initiierten Lockanrufe, bei denen die Rückrufenden jeweils nur die automatisch generierte Mitteilung „Ihr Anruf wurde gezählt" erhielten.

T und O erhofften sich aus den von den Anrufern zu zahlenden Beträgen (98 Cent pro Anruf), die abzüglich der Entgelte des jeweiligen Netzbetreibers ihnen zufließen sollten, einen erheblichen finanziellen Vorteil, den sie untereinander aufteilen wollten. Allerdings wurde die Mehrwertdienstnummer ab dem 28.12. gesperrt. Die Bundesnetzagentur verhängte ein Inkassierungs- und Rechnungslegungsverbot, sodass keine Beträge an die Angeklagten ausgekehrt wurden. Nichtsdestotrotz vereinnahmten die Mobilfunknetzbetreiber die Gebühren im Wege des Forderungseinzugs von den Kunden und erstatteten sie nur in wenigen Fällen zurück, in denen es zu Beschwerden kam.

Strafbarkeit von T und O nach § 263 StGB? Etwaig erforderliche Strafanträge sind gestellt.

Lösung: Zu untersuchen ist die Strafbarkeit von T und O nach § 263 StGB.

hemmer-Methode: Vgl. zum Ganzen auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.08.2010 -- 1 Ws 371/10 = Life & Law 2011, 182 ff., dem derselbe Sachverhalt zu Grunde liegt. Zum extrem prüfungsrelevanten Betrugstatbestand allgemein vgl. Life & Law 2011, 515 ff.

I. Strafbarkeit von T und O gemäß §§ 263 I, 25 II StGB

T und O könnten sich infolge des durch sie initiierten automatisierten Anklingelns mit dem Ziel, die Anrufempfänger zu einem kostenpflichtigen Rückruf zu veranlassen, eines mittäterschaftlichen Betrugs gemäß §§ 263 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

Der objektive Tatbestand setzt vorliegend zunächst voraus, dass T und O basierend auf einem gemeinsamen Tatplan (§ 25 II StGB) durch eine Täuschung einen darauf beruhenden Irrtum bei ihrem Gegenüber hervorgerufen haben. Ferner muss der Irrtum den Getäuschten zu einer Vermögensverfügung veranlassen, durch welche ein Vermögensschaden eintritt.

Als problematisch erweist sich bereits, ob in dem kurzen „Anklingeln/Anpingen" eine Täuschung der jeweiligen Anrufempfänger gesehen werden kann. Unter einer Täuschung ist jedes Verhalten zu verstehen, das darauf gerichtet ist, bei dem Adressaten eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen. Voraussetzung ist demgemäß auch ein Einwirken auf die Vorstellung des Getäuschten, wobei dies entweder ausdrücklich, konkludent oder durch Unterlassen realisiert werden kann.

Das „Anpingen" ist grundsätzlich ein Vorgang, bei dem eine Telekommunikationsverbindung hergestellt und eine Mehrwertdienstnummer hinterlassen wird. Der Anrufende erklärt dabei nicht ausdrücklich, dass er mit dem Angerufenen eine inhaltliche Kommunikation anstrebt und dementsprechend einen Rückruf erwartet. Eine mögliche strafbare Täuschung durch Unterlassen bzgl. der Aufklärung über das Nichtvorhandensein eines Kommunikationswunsches kommt nicht in Betracht, da es an einer Garantenstellung fehlt.

Somit kommt nur eine Täuschung durch konkludentes Tun in Betracht. Entscheidend für die Annahme einer solchen ist, welchen äußeren Erklärungswert die allgemeine Verkehrsauffassung dem Täterverhalten in der konkreten Situation zuerkennt. Beim Betrug kann auch konkludent getäuscht werden, nämlich durch ein irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung gilt. Im konkreten Fall ist bereits fraglich, ob dem bloßen Anklingeln überhaupt ein betrugsrelevanter Erklärungswert zuzuschreiben ist. Schließlich ließe sich argumentieren, das „Anpingen" erschöpfe sich in einem bedeutungslosen technischen Vorgang ohne jeglichen Informationsgehalt. Außerdem werden die Anrufe automatisch gespeichert, sodass keine Rückschlüsse auf den Willen des Anrufers zulässig seien. Dagegen ist allerdings anzuführen, dass ein eingehender Anruf -- nicht anders als ein Läuten an der Wohnungstür -- einen Vorgang darstellt, der über das damit verbundene Signal hinaus die konkludente Erklärung beinhaltet, jemand wolle inhaltlich zwischenmenschlich kommunizieren. Problematisch erscheint allerdings, dass sich der Anruf rein äußerlich betrachtet nicht von einem betrugsrechtlich irrelevanten Anruf eines Teilnehmers, der sich verwählt hat, unterscheidet. Letztendlich führt eine derartige Überlegung jedoch nicht zur Verneinung des Täuschungsmerkmals. Denn aus der Sicht des Anrufempfängers liegt auch im Falle des Verwählens ein ernsthaftes Kommunikationsinteresse zu Grunde, welches nur angesichts des kurzfristig entdeckten Fehlers wieder aufgehoben wird.

Ferner könnte man darauf abstellen, ob der Anrufer das Telefon mehrmals klingeln lässt. Dem muss man aber entgegenhalten, dass der Angerufene im Nachhinein regelmäßig gar nicht feststellen kann, wie oft das Telefon geklingelt hat. Hinzu kommt, dass in der Rspr. seit jeher anerkannt ist, dass auch einem objektiv verkehrsgerechten Verhalten Täuschungsqualität beigemessen werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass dieses Verhalten planmäßig erfolgt und damit unter dem Anschein äußerlich ordnungsgemäßen Verhaltens gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt wird. Eine Täuschung liegt in solchen Konstellationen dann vor, wenn sich die Adressaten auf Grund der typischerweise durch die Situation bedingten mangelnden Aufmerksamkeit irren und dies nach dem vom Täter verfolgten Tatplan auch sollen. In diesen Fällen kann auch eine inhaltlich richtige Erklärung eine Täuschung darstellen.

Das genau ist hier der Fall, da die „Ping--Anrufe" in einer Phase des Jahres (Weihnachten/Silvester) erfolgten, in denen die Leute bereit sind, auf Nachrichten zu reagieren bzw. hinterlassene Nummern zurückzurufen. Damit ist auch das Argument widerlegt, wonach eine Täuschung abzulehnen wäre, weil der Täter den Rückruf erreichen wolle. Außerdem besteht eine weitere, den Tatbestand des § 263 I StGB erfüllende Täuschung in der den Angerufenen zugleich vorgespielten Möglichkeit, einen Rückruf bei der in ihrem Mobiltelefon hinterlassenen Nummer zu dem jeweils mit ihrem Netzbetreiber vereinbarten Tarif ohne darüber hinausgehende Kosten durchführen zu können.

hemmer-Methode: Das sog. „Anpingen", das nur dazu dient, die Angerufenen zu einem kostenpflichtigen Rückruf zu veranlassen, stellt eine konkludente Täuschung dar. Instruktiv zur Täuschungshandlung im Rahmen des Betrugs vgl. Hemmer/Wüst, Strafrecht BT I, Rn. 119.

Ferner müssten T und O hierdurch einen entsprechenden Irrtum beim jeweiligen Gegenüber hervorgerufen haben. Irrtum ist jede Fehlvorstellung über Tatsachen. Hier gingen die Anrufempfänger regelmäßig davon aus, dass sie von einer kommunikationsbereiten Person angerufen wurden, was indes nicht der Wirklichkeit entsprach. Gegen die Bejahung eines Irrtums könnte allerdings das Argument aufkommen, dass die Anrufempfänger evtl. hätten erkennen können, dass es sich um eine Mehrwertdienstnummer handelte. So wird teilweise vertreten, dem Opfer den strafrechtlichen Schutz zu versagen, wenn es den ihm zumutbaren Selbstschutz vernachlässigt hat. Allerdings kann dies für die Tatbestandsmäßigkeit keine Rolle spielen, da auch leichtfertige Opfer vom Strafrecht geschützt werden, sodass ein etwaiges tatbestandsausschließend wirkendes Mitverschulden unberücksichtigt bleiben muss, auch wenn die Getäuschten bei sorgfältiger Prüfung die Täuschung hätten erkennen können. Die Angerufenen, die bei der hinterlassenen Rufnummer zurückriefen, befanden sich im Irrtum über den tatsächlich nicht bestehenden Kommunikationswunsch sowie -- jedenfalls in Form eines sachgedanklichen Mitbewusstseins -- über die Kostenpflichtigkeit des von ihnen getätigten Rückrufs.

Zudem müsste eine Vermögensverfügung, die einen Schaden herbeigeführt hat, zu bejahen sein. Vermögensverfügung ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Als Vermögensverfügung lässt sich der Rückruf durch das „Ping-Opfer" qualifizieren. Spätestens durch den Einzug der 98 Cent pro Anruf liegt auch ein Vermögensschaden vor, da die getätigte Verfügung wegen der mangelnden Gegenleistung für den Anruf nicht durch einen unmittelbaren mit ihr verbundenen Vermögenszuwachs wieder ausgeglichen wird.

hemmer-Methode: An diesen Feststellungen ändert sich auch in den Fällen nichts, in welchen den Kunden die Gebühren nachträglich wieder erstattet wurden. Denn eine „nachträgliche Schadenswiedergutmachung" ändert nichts an dem einmal wirtschaftlich eingetretenen Schaden.

Die Tat geschah auch aufgrund eines gemeinsamen Tatplans. Die gemeinschaftliche Begehung (§ 25 II StGB) liegt in den wechselseitig erbrachten, von funktionaler Tatherrschaft getragenen Tatbeiträgen.

2. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand setzt neben dem hier zweifelsfrei vorliegenden Vorsatz auch die Absicht voraus, sich oder einen Dritten rechtswidrig zu bereichern, wobei die erstrebte Bereicherung stoffgleich sein muss. Fraglich ist, ob diese Stoffgleichheit gegeben ist. Stoffgleichheit bedeutet, dass der eingetretene Vermögensschaden und der angestrebte Vermögensvorteil unmittelbar durch dieselbe Vermögensverfügung vermittelt sein müssen. Die gewollte Verfügung bestand hier in der Zahlung der Gebühren durch die „Ping-Opfer". Schließlich zogen die Mobilfunkanbieter die durch die Anrufe generierten Forderungen ein und sollten diese nach Abzug des Eigenanteils an die Beschuldigten weiterleiten. Dieser Zwischenschritt bei der Abrechnung sorgt nicht für einen Ausschluss der Unmittelbarkeit, da solche Vertragskonstruktionen im modernen Wirtschaftsleben üblich sind und regelmäßig automatisiert ablaufen. Der angestrebte Vorteil entstammte somit aus dem Vermögen der Opfer und war demzufolge stoffgleich. Schließlich liegt auch der Vorsatz bzgl. Rechtswidrigkeit und Stoffgleichheit vor.

3. Rechtswidrigkeit/Schuld

T und O handelten auch rechtswidrig und schuldhaft.

4. Strafzumessung/Regelbeispiele

Die Tat könnte als besonders schwerer Fall nach § 263 III S. 2 StGB anzusehen sein. In Betracht kommt zum einen ein gewerbsmäßiges Handeln i.S.d. § 263 III S. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB. „Gewerbsmäßig" handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will. Die Annahme von Gewerbsmäßigkeit setzt nicht voraus, dass zur Gewinnerzielung mehrere rechtlich selbstständige Einzeltaten gleicher Art verwirklicht werden sollen. Im Fall eines sog. unechten Organisationsdelikts reicht es vielmehr aus, wenn eine Mehrzahl tatsächlich jeweils selbstständiger Handlungen begangen wird, auch wenn diese konkurrenzrechtlich als eine Tat anzusehen sind. Vorliegend sind T und O nicht durch eine Vielzahl von strafbaren Einzelakten tätig geworden, sondern nur einmalig zu Beginn der sog. „Ping-Aktion". Die Anwahl zahlreicher Mobilfunkteilnehmer erfolgte selbstständig auf Grund des in Gang gesetzten Verfahrens. Ob T und O weitere gleichartige Taten begehen wollten, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, sodass das Merkmal in dubio pro reo zu verneinen ist.

In Betracht kommt die Herbeiführung eines Vermögensverlustes großen Ausmaßes i.S.v. § 263 III S. 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB. Dieser ist allerdings opferbezogen zu bestimmen. Es geht nämlich nicht um den Gewinn des Täters, sondern um den Verlust des Opfers. Wenn eine Tatserie nur eine Tat im materiellen Sinn bildet, ist eine Addition der Einzelschäden nur dann zulässig, wenn jene dasselbe Tatopfer betrifft. Dies scheidet vorliegend aus.

II. Endergebnis

T und O sind wegen gemeinschaftlichen Betrugs strafbar gemäß §§ 263 I, 25 II StGB.

hemmer-Methode: Instruktiv zum Begriff der Täuschung sowie den Grenzen richtlinienkonformer Auslegung im Strafrecht vgl. BGH 2 StR 616/12 -- Urteil vom 05.03.2014: Es ist zwar nicht Aufgabe des Strafrechts (und des Betrugstatbestands), allzu sorglose Menschen vor den Folgen ihres eigenen unbedachten Tuns zu schützen. Doch lassen Leichtgläubigkeit des Opfers oder Erkennbarkeit einer auf die Herbeiführung eines Irrtums gerichteten Täuschungshandlung weder aus Rechtsgründen die Täuschungsabsicht entfallen, noch schließen sie eine irrtumsbedingte Fehlvorstellung aus. An dieser Rechtsprechung ist auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.05.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) festzuhalten. Die Richtlinie erfordert keine strafbarkeitseinschränkende Auslegung des Betrugstatbestands.