Kündigung eines HIV-Infizierten in der Probezeit

BAG, Urteil vom 19.12.2013, 6 AZR 190/12 = BB 2014, 115 (Kurzwiedergabe)

von Life and Law am 01.04.2014

+++ HIV-Infektion +++ Behinderung, §§ 1, 2 IV, 7 I AGG +++ § 134 BGB +++

Sachverhalt (stark verkürzt und vereinfacht): AN wurde mit Arbeitsvertrag vom 01.12.2010 als chemisch-technischer Assistent bei AG angestellt. Die ersten sechs Monate waren als Probezeit vereinbart, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden konnte.

Anlässlich seiner Einstellungsuntersuchung am 08.12.2010 teilte AN dem Betriebsarzt mit, er sei HIV-infiziert, aber symptomfrei.

In den Leitlinien der EU-Kommission zur Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen heißt es in Ziffer 2.15 des Leitfadens:

„Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist."

Ohne zuvor zu prüfen, ob eine Beschäftigung des AN in seinem Betrieb in Übereinstimmung mit dieser Leitlinie möglich ist, kündigte AN das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 09.01.2011 zum 24.01.2011 „wegen der HIV-Infektion".

Ist die Kündigung wirksam?

A) Sounds

1. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB i.V.m. §§ 7 I, 1, 3 AGG unwirksam.

2. § 2 IV AGG steht dem nicht entgegen.

3. Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.

B) Problemaufriss

§ 2 IV des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ordnet an, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten.

Findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung, so ist nach Ansicht des BAG die Unwirksamkeit einer Kündigung ausschließlich nach Maßgabe des KSchG geltend zu machen.1

Darin ist jedoch nach Ansicht des BAG kein vollständiger Ausschluss der Anwendung des AGG auf Kündigungen zu sehen, da die Vorschriften des Gesetzes ausdrücklich auch für „Entlassungsbedingungen" und bei „Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses" gelten (§ 2 I Nr. 2 AGG).

Nach Auffassung des BAG ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber innerhalb ein und derselben Vorschrift zwei gegensätzliche Anordnungen bezüglich des Geltungsbereichs der Norm getroffen hat. § 2 IV AGG ist somit dahin zu verstehen, dass damit lediglich ein „zweites Kündigungsrecht", nicht aber die generelle Berücksichtigung der Wertungen des Gesetzes bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Kündigungen ausgeschlossen werden soll.

Mit der Anordnung in § 2 IV AGG geht es dem Gesetzgeber insbesondere darum, das Kündigungsrecht (weiterhin) als alleinigen Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Überprüfung von Kündigungen festzuschreiben.

Die Diskriminierungsverbote des AGG werden nicht als eigene Unwirksamkeitsnorm anerkannt, sondern i.R.d. Sozialwidrigkeit der Kündigung (§ 1 II KSchG) überprüft. Das gilt auch für das Verbot der Altersdiskriminierung bei der Sozialauswahl.

Die Diskriminierungsverbote des AGG bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes sind daher als Konkretisierung des Begriffs der Sozialwidrigkeit (§ 1 II KSchG) zu beachten.

Was aber gilt bei einer diskriminierenden Kündigung, wenn das KSchG -- wie im vorliegenden Fall -- gar keine Anwendung findet?

Diese Frage klärt nun erstmals das BAG mit einem überzeugend begründeten Urteil.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob die Kündigung wirksam war.

I. Einhaltung der ordentlichen Kündigunsfrist

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist in § 622 BGB geregelt.2

1. Grundsatz: Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Monats, § 622 I BGB

Nach § 622 I BGB kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

2. Hier aber wegen vereinbarter Probezeit nur zwei Wochen, § 622 III BGB

Laut Sachverhalt waren aber die ersten sechs Monate als Probezeit vereinbart, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden kann, § 622 III BGB.

Da die Kündigung vom 09.01.2011 mit Wirkung zum 24.01.2011 erfolgte, wurde die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten.

hemmer-Methode: Zur Frage, ob bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist im Wege der ergänzenden Auslegung der Kündigungserklärung gemäß § 133 BGB i.V.m. § 157 BGB analog davon auszugehen ist, dass der Erklärende ihre Wirkung auch für den „richtigen" Zeitpunkt wünscht oder ob die Kündigung gem. § 140 BGB in eine fristgemäße Kündigung umgedeutet wird, lesen Sie BAG, Life & Law 12/2013, 888 ff.3

Dieser Meinungsstreit ist relevant, da nach Ansicht des 5. Senats des BAG eine Umdeutung nach § 140 BGB nur dann möglich ist, wenn der Arbeitnehmer den Verstoß gegen § 622 BGB innerhalb der Drei-Wochen-Frist der §§ 4, 7 KSchG gerichtlich geltend macht.

II. Nichtigkeit der Kündigung gem. § 134 BGB i.V.m. § 7 I AGG

Die Kündigung könnte jedoch unwirksam sein, wenn AN hierdurch wegen einer Behinderung in unzulässiger Weise gem. §§ 1, 3 I AGG diskriminiert worden ist und eine diskriminierende Kündigung gem. § 7 I AGG i.V.m. § 134 BGB zur Nichtigkeit führt.

1. Rechtsfolge bei diskriminierender Kündigung und Bedeutung des § 2 IV AGG

Unabhängig davon, ob im vorliegenden Fall überhaupt eine diskriminierende Kündigung vorliegt, stellt sich zunächst die Frage, ob eine diskriminierende Kündigung zur Nichtigkeit nach § 134 BGB i.V.m. § 7 I AGG führen kann.

Hierbei stellt sich insbesondere die äußerst umstrittene Frage, welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 IV AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz" gelten.

a) Bei Anwendbarkeit des KSchG

Für Kündigungen, die dem KSchG unterfallen, ist diese Frage vom BAG geklärt.

Die Unwirksamkeit einer Kündigung kann ausschließlich nach Maßgabe des KSchG geltend gemacht werden. Bei der Prüfung der Wirksamkeit sind die Diskriminierungsverbote des AGG und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen lediglich als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit i.R.d. § 1 II KSchG zu beachten.

Anmerkung: Vgl. dazu ausführlich den Problemaufriss!

b) Bei Unanwendbarkeit des KSchG

Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 IV AGG im Hinblick auf Kündigungen zu verstehen ist, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen.

Konkret geht es also um Kündigungen, die während der Wartezeit des § 1 I KSchG ausgesprochen wurden bzw. für Kündigungen im Kleinbetrieb i.S.d. § 23 I KSchG.

aa) Bisheriger Meinungsstand zu § 2 IV AGG bei Unanwendbarkeit des KSchG

Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt.

(1) Die bisherigen Entscheidungen des BAG beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes.

Soweit das BAG vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat,4 ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

(2) Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur nimmt an, die Benachteiligungsverbote des AGG sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden.5

(3) Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 IV AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot. § 2 IV AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des AGG unmittelbare Anwendung.6

(4) Nach einer weiteren Ansicht wird mit unterschiedlicher Begründung angenommen, § 2 IV AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht.7

bb) Ansicht des BAG

Das BAG folgt nun der zuletzt genannten Ansicht, wonach § 2 IV AGG nicht für Kündigungen gilt, für die das KSchG keine Anwendung findet.

§ 2 IV AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem AGG und dem KSchG sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen.

Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 IV AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des AGG geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit (§ 1 II KSchG) und in Kleinbetrieben (§ 23 I KSchG) sind deshalb unmittelbar am Maßstab des AGG zu messen.

Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 IV AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das AGG regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 I Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB i.V.m. § 7 I AGG.8

Zur Begründung führt das BAG Folgendes aus:

(1) Entstehungsgeschichte des § 2 IV AGG

Der Gesetzgeber wollte mit § 2 IV AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem AGG und dem KSchG sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

Anmerkung: Das BAG erläutert dies ausführlich mit Fundstellen aus dem Gesetzgebungsverfahren. Da derartige Ausführungen von Ihnen im Examen nicht verlangt werden können bzw. dürfen, wurde die entsprechende Passage der Urteilsbegründung in der Life & Law nicht dargestellt.

(2) Zweck des § 2 IV AGG

Auch nach dem Zweck des § 2 IV AGG gilt dieser nicht für Kündigungen, für die das KSchG keine Anwendung findet.

(a) § 2 IV AGG will kein „zweites" Kündigungsschutzrecht gewähren

Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz" wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das AGG für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von KSchG und AGG „präzisiert" werden.

Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen.

Neben das KSchG und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites", durch das AGG vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten.

Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 BGB und § 613a IV BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt.

(b) Bei Unanwendbarkeit des KSchG besteht kein Konflikt

Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das KSchG (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen.

Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen. Das AGG geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor.

Ordentliche Kündigungen außerhalb des KSchG, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen.

Es tritt also nicht neben einen - gänzlich anders strukturierten - Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem. Eine „Verzahnung" des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich.

(3) Wortlaut des § 2 IV AGG

Der Wortlaut des § 2 IV AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen.

Zwar ordnet § 2 IV AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen" an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten.

Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das KSchG, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken.

Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 IV AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes" i.S.d. § 2 IV AGG.

Unter „allgemeinem Kündigungsschutz" wird entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des KSchG im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden.

Bestimmungen des „Kündigungsschutzes" finden sich zwar auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch". Dabei sind aber nur solche Bestimmungen gemeint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB.

Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen - wie schon ihre Bezeichnung zeigt - gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen.

Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die §§ 134, 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz" i.S.d. § 2 IV AGG.

cc) Zwischenergebnis

Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen i.S.d. § 2 IV AGG gelten, findet das AGG also Anwendung.

Eine diskriminierende Kündigung ist danach außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG gem. § 7 I AGG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

hemmer-Methode: Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potenziell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen das KSchG zur Anwendung kommt, verbessert wird.

2. Vorliegen einer diskriminierenden Kündigung

Voraussetzung wäre nun, dass die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen auf einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG schließen lassen.

In diesem Fall läge eine unmittelbare Ungleichbehandlung i.S.d. § 3 I AGG vor.

Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben.

Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt, vgl. auch § 7 I HS 2 AGG.

a) Hier Kündigung wegen HIV-Infektion

Die Kündigung knüpft im vorliegenden Fall unstreitig an die HIV-Infektion des AN an, da diese von AG zum Anlass für die Kündigung genommen wurde.

Ob AG glaubte, dass Ziffer 15.2 des Leitfadens der EU-Kommission zur Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen die Kündigung gebiete, ist irrelevant.

b) HIV-Infektion als Behinderung i.S.d. § 1 AGG

Wäre AN wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert i.S.d. § 1 AGG, würde die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung i.S.d. § 3 I AGG darstellen.

aa) Definition Behinderung

Eine Behinderung i.S.d. § 1 AGG liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten Grad der Behinderung (GdB) kommt es dabei nicht an.

Der Begriff der Behinderung i.S.d. § 1 AGG entspricht den gesetzlichen Definitionen in § 2 I S. 1 SGB IX.9 Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Anmerkung: Bei diesem Behindertenbegriff wird Behinderung nicht nur durch die individuelle Funktionsstörung, sondern zusätzlich durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert.

Eine Krankheit fällt grds. nicht unter den Begriff der Behinderung, wenn diese in absehbarer Zeit heilbar ist. Behinderung und Krankheit sind danach nicht gleichzusetzen.

Physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben hindern können, sind aber als Behinderung einzuordnen, sofern die Beeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt auch einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt.10

Anmerkung: Das BAG führt dies nun über mehre Seiten aus.

Eine so ausführliche Argumentation kann von Ihnen weder im Ersten noch im Zweiten Examen erwartet werden, sodass die Darstellung hier stark verkürzt wurde.

bb) Übertragung auf den vorliegenden Fall

AN ist vorliegend aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt.

Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge.11 Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers i.S.d. Behindertenbegriffs des AGG.

Diese Beeinträchtigung wirkt sich -- sofern sie dem Rechtsverkehr bekannt ist -- auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus.

Anmerkung: Das BAG erläutert nun ausführlich, dass die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt wird, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist. Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden, ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen. Darüber hinaus ist ein Vermeidungsverhalten zu beobachten. Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren.

Im Folgenden belegt nun das BAG, dass dieses Vermeidungsverhalten auch im vorliegenden Fall zu erkennen war. Die Darstellung würde den Rahmen des Lerninhalts dieser Entscheidung sprengen, sodass auch diese Passage deutlich verkürzt wurde.

AN ist deshalb behindert i.S.d. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.

AN wird durch seine chronische Erkrankung im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann.

Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten i.S.v. § 1 AGG.

c) Sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, § 8 I AGG?

Die in der wegen der HIV-Infektion ausgesprochenen Kündigung zu erkennende Ungleichbehandlung i.S.d. § 3 I AGG wäre gem. § 8 I AGG zulässig, wenn das Fehlen einer HIV-Infektion eine berufliche Anforderung i.S.d. § 8 I AGG darstellen würde.

Voraussetzung für die sachliche Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nach § 8 I AGG ist aber, dass der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, auch durch angemessene Vorkehrungen keine Einsatzmöglichkeit schaffen kann.

Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt.12

Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen. Dies hat der Arbeitgeber darzulegen. Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz.

Da das Arbeitsverhältnis mit AN gekündigt wurde, ohne dass zuvor von AG geprüft wurde, ob eine Beschäftigung des AN in seinem Betrieb in Übereinstimmung mit dem Leitfaden der EU-Kommission möglich ist, kann sich AG im vorliegenden Fall nicht auf § 8 I AGG berufen.

Anmerkung: Das BAG führt nun über mehrere Seiten (!!!) aus, dass der Leitfaden der EU-Kommission allein nicht ausreiche, die Kündigung zu rechtfertigen. Auch an dieser Stelle wurde die Entscheidung des BAG deutlich verkürzt wiedergegeben.

III. Endergebnis

Die von AG ausgesprochene Kündigung stellt eine sachlich nicht nach § 8 I AGG gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen einer Behinderung des AN dar, §§ 3 I, 1 AGG.

Die Kündigung war daher gem. § 7 I AGG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

D) Kommentar

(mty). Die Begründung der Originalentscheidung des BAG war um ein Vielfaches länger. Wir haben versucht, die wichtigsten Passagen des Urteils für Sie zusammenzufassen.

Die auf die wichtigsten Aussagen zusammengekürzte Entscheidung ist sowohl für das Erste als auch für das Zweite Examen relevant.

Die Begründung des BAG überzeugt. Wenn ein Arbeitgeber wirklich so dumm ist, die Kündigung in der Probezeit „wegen der HIV-Infizierung" auszusprechen, muss er sich nicht wundern, wenn das BAG hierin eine Diskriminierung erkennt.

Der Arbeitgeber hätte einfach am Ende der Probezeit -- ohne die HIV-Infizierung zu thematisieren -- kündigen können, weil man sich vom Arbeitnehmer mehr erhofft habe. Da das KSchG nicht gilt, braucht der Arbeitgeber die Kündigung auch nicht zu rechtfertigen.

Diese „Lüge" ist natürlich nicht fair, aber sie beweist, dass ein „cleverer" Arbeitgeber es anders machen würde.

Zusammenfassend lässt sich die
Problematik als „Lernteil" wie

folgt darstellen:

1. Findet das KSchG Anwendung, so ist eine diskriminierende Kündigung nicht nach § 7 I AGG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

Grund: § 2 IV AGG bestimmt, dass hierfür lediglich das KSchG und der besondere Kündigungsschutz gelten.

Im Rahmen der Prüfung der sozialen Rechtfertigung gem. § 1 II KSchG sind die Diskriminierungsverbote des AGG und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten.

hemmer-Methode: Man kann dies auch als „mittelbare Wirkung" des AGG bezeichnen.

2. Findet das KSchG (noch) keine Anwendung, so ist eine diskriminierende Kündigung nach § 7 I AGG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

Grund: Die Generalklausel des § 134 BGB stellt keine Bestimmung des allgemeinen Kündigungsschutzes i.S.d. § 2 IV AGG dar.

hemmer-Methode: Außerhalb des Anwendungsbereiches des KSchG gilt das AGG für Kündigungen also „unmittelbar".

E) hemmer-background

Passend zu dieser Entscheidung soll im hemmer-background noch eine weitere wichtige BAG-Entscheidung zum Thema „Diskriminierung nach dem AGG" besprochen werden.

Es geht dabei um die Frage, ob im Falle einer diskriminierenden Kündigung auch Ansprüche auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gem. § 15 II AGG in Betracht kommen. Auch diese Frage steht in Wechselwirkung zu § 2 IV AGG.

Auch dieser Anspruch wurde von dem HIV-infizierten AN in der soeben besprochenen Entscheidung geltend gemacht. Zur Entschlackung des Falles haben wir uns dieses Problem aber für den hemmer-background aufgehoben.

BAG, Urteil vom 17.10.2013, 8 AZR 742/12 **13

Sachverhalt: AG kündigte mit Schreiben vom 18.11.2010 das mit AN bestehende Arbeitsverhältnis fristgemäß in der Probezeit.

Binnen einer Woche machte AN unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung geltend, bei Zugang der Kündigung schwanger gewesen zu sein. Sie forderte AG auf, innerhalb einer weiteren Woche mitzuteilen, dass dieser an der Kündigung „nicht festhalte", damit keine Klage erhoben werden müsse. Dem kam AG zunächst nicht nach.

Daraufhin erhob AN Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen unzulässiger Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Erst nachdem auch betriebsärztlich die Schwangerschaft festgestellt und ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen wurde, nahm AG die Kündigung zurück und erkannte den Kündigungsschutzantrag an.

Steht AN ein Anspruch Zahlung einer angemessenen Entschädigung gem. § 15 II AGG zu?

Lösung: Nach Ansicht des BAG steht der AN kein Anspruch nach § 15 II AGG zu, weil sie nicht wegen ihrer Schwangerschaft und damit auch nicht wegen ihres Geschlechts von AG benachteiligt worden ist, §§ 7 I, 1, 3 I S. 2 AGG.

I. Anwendbarkeit des § 15 II AGG im Hinblick auf § 2 IV AGG

Ob die Ausschließlichkeitsanordnung des § 2 IV AGG auch den Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG „sperrt", ist in den Fällen, in denen das KSchG gilt, umstritten.

Für den Fall der Nichtanwendbarkeit des KSchG kommt § 2 IV AGG nicht zur Anwendung (vgl. dazu die Entscheidungsbesprechung).

Würde man aber § 15 II AGG nur außerhalb des Anwendungsbereiches des KSchG anwenden, so würden Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 II AGG stärker sanktioniert als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt.

Das BAG hatte diese Frage zunächst offengelassen.14 Es hat jedoch darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 II AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen.15 Das BAG hat weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens i.S.d. § 15 II AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe.16

Mit aktuellem Urteil vom 12.12.2013 hat der 8. Senat des BAG nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG zuerkannt.17

Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) dar. Die Sanktion des § 15 II AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen. Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

§ 2 IV AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 II AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt.

Zwischenergebnis: Nach Ansicht des BAG ist daher sowohl bei diskriminierenden Kündigungen, die dem KSchG unterfallen, als auch bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG eine Entschädigung nach § 15 II AGG nicht von vornherein durch § 2 IV AGG ausgeschlossen.

II. Benachteiligung wegen des Geschlechts nach §§ 3 I S. 2, 1 AGG?

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 II AGG ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, wobei vorliegend die AN eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts geltend macht.

Der Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Handlung und dem Geschlecht der AN ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Geschlecht der AN anknüpft oder dadurch motiviert ist. Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat.

Hinweis für Referendare: Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

1. Kündigung war vorliegend keine benachteiligende Handlung?

Als benachteiligende Handlung des AG kommt die ausgesprochene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.

Dass der AN als Frau eine Kündigung ausgesprochen wurde, lässt für sich genommen keinen Schluss auf die Vermutung einer Ursächlichkeit zwischen der (zu ihren Gunsten als Benachteiligung gewerteten) Kündigungserklärung und ihrem Geschlecht als Diskriminierungsmerkmal zu.

Ein in der Person des Anspruchstellers erfülltes Diskriminierungsmerkmal vermag eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine gesetzwidrige Motivation der Kündigungsentscheidung oder deren Verknüpfung mit einem pönalisierten Merkmal nach § 1 AGG nicht zu begründen.

Der während der Probezeit erklärten Kündigung sind keine Hinweise für eine Anknüpfung an ein Diskriminierungsmerkmal zu entnehmen.

Zwar war AN im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger. AG hat dies aber nicht gewusst. Die geschlechtsspezifische, nur Frauen betreffende Tatsache einer Schwangerschaft kann bei Ausspruch der Kündigung daher keine Rolle gespielt haben.

Anmerkung: Völlig anders gelagert war der Sachverhalt im Urteil vom 12.12.2013 (vgl. Fn. 13 und 16).

In diesem Fall hatte der AG Kenntnis von der Schwangerschaft und einem Beschäftigungsverbot nach dem MuSchG. AG hatte AN vergeblich aufgefordert, das Beschäftigungsverbot zu missachten.

Nachdem AG erfuhr, dass die Leibesfrucht abgestorben war, kündigte er der AN am 14.07.2011. Zu diesem Zeitpunkt war die Leibesfrucht noch nicht aus dem Körper der AN entfernt worden. Der medizinische Eingriff war erst für den 16.07.2011 vorgesehen. Damit bestand zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft noch.

Eine derartige - in Kenntnis und wegen der Schwangerschaft - erfolgte Kündigung ist schlicht und ergreifend asozial. Die Gewährung einer Entschädigung (konkret in Höhe von 3.000,- €) war daher nicht nur juristisch, sondern auch politisch völlig korrekt.

2. Festhalten an Kündigung nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft ist auch keine Benachteiligung!

Die Benachteiligung ist auch nicht darin zu sehen, dass AG, nachdem ihm die Schwangerschaft der AN bekannt gemacht wurde, an der Kündigung „festgehalten" hat.

a) Die Missachtung der zugunsten der werdenden Mutter gesetzlich bestehenden Schutzpflichten durch den Arbeitgeber kann Indizwirkung für die Benachteiligung wegen des Geschlechts haben.

Nach § 9 I S. 1 HS 2 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft auch dann unzulässig, wenn dem Arbeitgeber „zur Zeit der Kündigung" die Schwangerschaft zwar unbekannt war, sie ihm aber innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

b) Die AN hatte AG aufgefordert, um keine Klage erheben zu müssen, binnen einer Woche zu erklären, dass er „an der Kündigung nicht festhalte". Dem ist der AG zunächst nicht nachgekommen.

Diesem „Festhalten" an einer möglicherweise unzulässigen Kündigung kommt keine Indizwirkung i.S.d. § 22 AGG zu.

aa) Auch die schwangere Arbeitnehmerin ist gehalten, den gesetzlichen Unwirksamkeitsgrund des § 9 I MuSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen.

bb) Die von AN verlangte Mitteilung, „an der Kündigung nicht festzuhalten", hätte, wäre sie erfolgt, eine Klageerhebung wegen der Frist des § 4 S. 1 KSchG nicht überflüssig gemacht.

Als einseitiges Rechtsgeschäft kann die zugangsbedürftige Willenserklärung der Kündigung nach dem Zugang an den Gekündigten vom Kündigenden nämlich nicht mehr einseitig zurückgenommen werden.

Die Gestaltungswirkung seiner Willenserklärung kann der kündigende Arbeitgeber nicht mehr allein beseitigen, eine einseitige Kündigungsrücknahme ist ihm verwehrt. Die Wirkungen einer Kündigung können nur durch eine Vereinbarung beseitigt werden, durch die der gekündigte Arbeitnehmer ein Fortsetzungsangebot des Arbeitgebers annimmt.

Steht nicht endgültig fest, ob der AN das Angebot des AG auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses annehmen will, muss er vorsorglich Kündigungsschutzklage erheben, um die Wirkung des § 7 KSchG zu vermeiden. Sogar bei einer offensichtlich rechtsunwirksamen Kündigung gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer sich nicht rechtzeitig mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wendet und ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend macht.

Zwischenergebnis: Das Festhalten an der Kündigung war daher aufgrund der juristischen Unmöglichkeit der Rücknahme der Kündigung durch AG ebenfalls keine Benachteiligung der AN i.S.d. § 3 I AGG.

III. Auch keine Belästigung i.S.d. § 3 III AGG

Das Verhalten des AG lässt sich in einer Gesamtschau auch nicht als Belästigung i.S.d. § 3 III AGG würdigen.

Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat AG kein „feindliches Umfeld" im Sinne eines frauen- oder mutterschaftsfeindlichen Verhaltens geschaffen. Die Kündigung erfolgte in Unkenntnis der Schwangerschaft, war somit geschlechtsneutral.

IV. Endergebnis

AN steht daher kein Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung gem. § 15 II AGG zu.

F) Zur Vertiefung

  • Ansprüche des Arbeitnehmers nach § 15 AGG

Hemmer/Wüst, Arbeitsrecht, Rn. 360 bis 373d ff.

G) Wiederholungsfragen

1. Warum ist eine diskriminierende Kündigung bei Nichtanwendbarkeit des KSchG nach § 7 I AGG, § 134 BGB nichtig?

2. Kann auch eine Krankheit eine Behinderung i.S.d. § 1 AGG darstellen?


  1. BAG, NZA 2014, 208 ff. BAG, NZA 2010, 280 ff. BAG, NZA 2009, 361 ff. vgl. auch Hein, „AGG x KSchG = Europa²?" in NZA 2008, 1033 ff.

  2. Für Dienstverträge, die keine Arbeitsverhältnisse sind, ist die ordentliche Kündigung in § 621 BGB geregelt.

  3. NZA 2013, 1076 ff.

  4. Vgl. BAG, NZA 2004, 399  für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; BAG, NZA 1994, 1080 ff. für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung.

  5. ErfK/Schlachter, 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Adomeit/Mohr, 2. Aufl. § 2 AGG Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger, 3. Aufl. § 2 AGG Rn. 62.

  6. Däubler/Bertzbach/Däubler, 3. Aufl. § 2 AGG Rn. 256 ff., 263 m.w.N.

  7. Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger, KSchR 8. Aufl. § 2AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder, § 2 AGG, Rn. 48.

  8. Vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer, KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6

  9. BAG, NZA 2012, 667 ff.

  10. EuGH, NZA 2013, 553 ff.

  11. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 265. Aufl., Stichwort: HIV-Erkrankung.

  12. EuGH, NZA 2013, 553 ff.

  13. Gleichzeitig Abgrenzung zum Urteil des BAG vom 12.12.2013, Az.:  8 AZR 838/12; Pressemitteilung Nr. 77/13.

  14. BAG, NJW 2011, 2458 ff.

  15. BAG, NZA 2010, 280 ff.

  16. BAG, NZA 2009, 945 ff.

  17. BAG, Urteil vom 12.12.2013, Az.:  8 AZR 838/12; Pressemitteilung Nr. 77/13.