Auslegung bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist

BAG, Urteil vom 15.05.2013, 5 AZR 130/12, NZA 2013, 1076 ff.

von Life and Law am 01.12.2013

+++ Ordentliche Kündigung +++ Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist +++ Auslegung oder Umdeutung? +++ Präklusion +++ § 622 BGB, §§ 4, 7 KSchG +++

Sachverhalt (stark verkürzt): AN war seit Juni 1991 bei AG als Arbeitnehmer angestellt. Am 27.06.2009 erhielt AN ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:

Kündigung:

Sehr geehrter Herr AN, hiermit kündigen wir Ihnen ordentlich und fristgemäß zum 30.09.2009 aus betriebsbedingten Gründen.

Am 31.10.2009 erhob AN, der zum Januar 2010 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31.12.2009 beendet wurde.

Fragen:

1. Ist die Klage des AN begründet?

2. Unterstellt, Sie kommen bei Frage 1 zu dem Ergebnis, dass die Klage

begründet ist: Steht AN für den Monat Oktober 2009 Annahmeverzugslohn zu?

A) Sounds

1. Ob bei einer ordentlichen Kündigung die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 S. 1 KSchG geltend gemacht werden muss, hängt davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führt. Das ist der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt.

2. Eine vom Arbeitgeber mit fehlerhafter Kündigungsfrist zu einem bestimmten Datum erklärte Kündigung mit dem Zusatz „fristgemäß zum" kann als solche zum richtigen Kündigungszeitpunkt ausgelegt werden, wenn es dem Arbeitgeber, für den Arbeitnehmer erkennbar, wesentlich um die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ging und sich das in das Kündigungsschreiben aufgenommene Datum lediglich als das Ergebnis einer fehlerhaften Berechnung der zutreffenden Kündigungsfrist erweist.

3. Der Arbeitgeber gerät ohne Angebot des Arbeitnehmers gem. § 296 BGB nur im Falle einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen.

4. Ein Angebot der Arbeitsleistung ist nicht nach § 296 BGB entbehrlich, wenn sich die vom Arbeitgeber mit fehlerhafter Kündigungsfrist erklärte ordentliche Kündigung als solche zu dem „richtigen" Termin auslegen lässt.

5. Ein wörtliches Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer gemäß § 295 BGB, welches in einer Kündigungsschutzklage erklärt worden ist, wirkt nicht zurück.

B) Problemaufriss

In dieser Entscheidung befasst sich der 5. Senat des BAG erneut mit der examensrelevanten Frage, welche Konsequenzen die Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist hat und ob ein solcher Verstoß innerhalb der dreiwöchigen Präklusionsfrist der §§ 4 S. 1, 7 KSchG geltend gemacht werden muss.

In der zweiten Frage geht es um folgendes Problem: Ist der Arbeitgeber erst durch die am 31.10.2009 erhobene Kündigungsschutzklage und das darin zu liegende wörtliche Angebot i.S.d. § 295 BGB in Annahmeverzug geraten, oder war das Angebot des Arbeitnehmers wegen § 296 BGB entbehrlich?

Damit betrifft die Entscheidung zwei klassische Problemfelder, die sowohl im Ersten als auch im Zweiten Examen eine gesteigerte Relevanz haben.

C) Lösung

Frage 1: Ist die Klage des AN begründet?

Die Klage des AN ist begründet, wenn das Arbeitsverhältnis durch die am 27.06.2009 zugegangene Kündigung nicht vor dem 31.12.2009 beendet worden ist.

I. Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist, § 622 BGB

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist in § 622 BGB geregelt.

hemmer-Methode: Für Dienstverträge, die keine Arbeitsverhältnisse sind, ist die ordentliche Kündigung in § 621 BGB geregelt.

1. Grundsatz: Frist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Monats, § 622 I BGB

Nach § 622 I BGB kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

2. Verlängerung der Kündigungsfrist bei Arbeitgeberkündigung, § 622 II S. 1 BGB

Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber verlängert sich gem. § 622 II S. 1 BGB die ordentliche Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis schon längere Zeit bestanden hat.

Anmerkung: Die ordentliche Kündigungsfrist ist - wie im Wohnraumietrecht - asymmetrisch ausgestaltet.

Auch dort verlängert sich bei lang andauernden Mietverhältnissen lediglich die ordentliche Kündigungsfrist für den Vermieter, § 573c I S. 2 BGB.

a) Nach § 622 II S. 2, S. 1 Nr. 6 BGB sechs Monate Kündigungsfrist

Das Arbeitsverhältnis hat zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mehr als fünfzehn Jahre, aber noch keine zwanzig Jahre bestanden.

Die Kündigungsfrist beträgt somit nach § 622 II S. 1 Nr. 6 BGB sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats.

Das Arbeitsverhältnis konnte deshalb durch eine am 27.06.2009 übergebene ordentliche Kündigung erst zum 31.12.2009 beendet werden.

hemmer-Methode: Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden nach § 622 II S. 2 BGB Zeiten, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt.

Nach Ansicht des EuGH verstößt diese Vorschrift gegen das in der Richtlinie 2000/78/EG enthaltene Verbot der Altersdiskriminierung.1

Aufgrund des sog. „Anwendungsvorrangs des Unionsrechts" ist nach Ansicht des BAG § 622 II S. 2 BGB nicht mehr anwendbar.2

II. Fiktion der Beendigung zum 30.09.2009 gem. §§ 4 S. 1, 7 KSchG?

Die Kündigung könnte aber aufgrund der Wirksamkeitsfiktion des § 7 HS 1 KSchG zum 30.09.2009 wirksam geworden sein, wenn AN die Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung gerichtlich hätte geltend machen müssen, § 4 S. 1 KSchG.

Ob bei einer ordentlichen Kündigung die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 S. 1 KSchG geltend gemacht werden muss, ist umstritten.

1. Ansicht des fünften Senats des BAG

Nach Ansicht des 5. Senats des BAG hängt die Frage, ob die Nichteinhaltung der objektiv richtigen ordentlichen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 S. 1 KSchG geltend gemacht werden muss, davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führt.3

Das ist der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt. Bedürfte die Kündigung gem. § 140 BGB der Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft, nämlich in eine Kündigung mit zulässiger Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum „falschen Termin", wenn die zu kurze Kündigungsfrist nicht als anderer Rechtsunwirksamkeitsgrund binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege (§§ 4 S. 1, 6 KSchG) geltend gemacht worden ist.

2. Ansicht des 2. Senats des BAG

Der 2. Senat des BAG ist hingegen der Ansicht, dass selbst dann, wenn man bei unzutreffender Berechnung der Kündigungsfrist die ordentliche Kündigung für insgesamt unwirksam hält und die Beendigung zum nächst möglichen Termin im Wege der Umdeutung i.S.d. § 140 BGB gewinnt, die Präklusionsfrist des § 4 S. 1 KSchG nicht anwendbar ist.

§ 4 S. 1 KSchG erfasst bereits von seinem Wortlaut her nicht die Geltendmachung der zu kurzen ordentlichen Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer, der lediglich die Einhaltung der Kündigungsfrist verlangt, will gerade nicht die Sozialwidrigkeit oder die Unwirksamkeit der Kündigung als solche festgestellt wissen.

Er geht im Gegenteil von der Wirksamkeit der Kündigung aus. Er will geltend machen, sie wirke allerdings zu einem anderen Zeitpunkt als es nach Auffassung des Arbeitgebers der Fall ist. Das zeigt die in § 4 S. 1 KSchG vorgegebene Formulierung des Feststellungsantrags.

Sie geht dahin, dass das Arbeitsverhältnis „nicht aufgelöst" ist. Die „Nichtauflösung" des Arbeitsverhältnisses entspricht aber nicht dem Klageziel desjenigen, der die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügt.

Er ist ganz im Gegenteil der Auffassung, das Arbeitsverhältnis werde durch die Kündigung sehr wohl aufgelöst.

3. Streit ist nicht entscheidungsrelevant, wenn Kündigung des AG als Kündigung zum 31.12.2009 ausgelegt werden kann

Der Meinungsstreit zwischen den beiden BAG-Senaten bedürfte im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, wenn die Kündigung bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht unwirksam wäre, sondern als Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt (hier zum 31.12.2009) ausgelegt werden könnte.

Auch diese Frage ist in der Literatur und zwischen den BAG-Senaten umstritten.

a) Nach e.A. wird Kündigung als zum richtigen Termin ausgesprochen ausgelegt

Nach Ansicht des 2. und des 6. Senats des BAG sowie der h.L. ist eine Kündigung, die die Kündigungsfrist nicht einhält, nicht unwirksam, sondern es wird lediglich ihre sich aus dem Gesetz, Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag ergebende Wirkung verzögert.4

Im Wege der ergänzenden Auslegung der Kündigungserklärung gemäß § 133 BGB i.V.m. § 157 BGB analog5 ist davon auszugehen, dass der Erklärende ihre Wirkung auch für den „richtigen" Zeitpunkt wünscht.

Eine Auslegung soll auch dann möglich sein, wenn die Kündigung ihrem Wortlaut nach zu einem früheren Termin gelten soll. Der Auslegung steht auch grundsätzlich nicht das Bestimmtheitsgebot entgegen.

Aus der Kündigungserklärung muss sich nur ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll und ob eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung gewollt ist.6

Verbindet der Kündigende mit der Kündigung einen Zeitpunkt, zu dem die Kündigung in der Zukunft wirken soll, kann hierin grundsätzlich keine außerordentliche Kündigung gesehen werden, wenn der Kündigende nicht gleichzeitig deutlich macht, dass es sich dabei lediglich um eine Auslauffrist zu einer außerordentlichen Kündigung handelt.

Es liegt dann folgerichtig eine ordentliche Kündigung vor. Bei dieser Art der Kündigung ist für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren will, da er auf Grund gesetzlicher, tarif- oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden ist.

hemmer-Methode: Etwas anderes soll nach Ansicht des 2. Senats nur dann gelten, wenn sich aus der Kündigung und der im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalles ein Wille des Arbeitgebers ergibt, die Kündigung nur zum erklärten Zeitpunkt gegen sich gelten zu lassen. Der Kündigungstermin wäre dann ausnahmsweise „integraler Bestandteil der Willenserklärung". In diesem Ausnahmefall scheidet dann eine Auslegung aus.

b) Nach a.A. gilt bei Nichteinhaltung der Kündigungsfrist § 140 BGB

Nach Ansicht des 5. Senats des BAG und Teilen der Literatur wird vertreten, dass die ordentliche Kündigung mit zu kurzer Frist unwirksam ist. Die verfristete Kündigung kann daher nur deshalb die Beendigung zum nächst zulässigen Termin herbeiführen, weil sie gem. § 140 BGB in eine fristgemäße Kündigung umgedeutet werden könne.7

Für eine grundsätzliche Regel, dass eine ordentliche Kündigung als eine Kündigung zum nächst zulässigen Termin ausgelegt werden könne (so der 2. Senat des BAG), fehlt es nach Ansicht des 5. Senats des BAG an einer hinreichenden Tatsachenbasis. Ob Arbeitgeber tatsächlich stets - und für die Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger erkennbar - die objektiv einzuhaltende Kündigungsfrist wahren wollen, ist bislang empirisch unerforscht geblieben. Zudem ist eine Kündigung zum 30. September ein anderes Rechtsgeschäft als eine solche zum 31. Dezember. Spricht ein Arbeitgeber eine Kündigung zu einem bestimmten Termin aus, liegt darin die Erklärung, dass er das Arbeitsverhältnis zu diesem Termin beenden wolle.

Das Risiko, einen ausdrücklich genannten Kündigungstermin rechtlich zutreffend bestimmt zu haben, darf nicht auf den Empfänger der Kündigungserklärung abgewälzt werden.

hemmer-Methode: Diese Argumentation des 5. Senats ist ein schlechter Scherz.

Es sei nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers, darüber zu rätseln, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung angegebenen Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte. Zum Schutz des Arbeitnehmers kann die Kündigung nicht als Kündigung zum nächst zulässigen Termin ausgelegt werden, die Kündigung ist unwirksam. Dies klingt aus Sicht eines Arbeitnehmers tatsächlich nett gemeint.

Allerdings wendet der 5. Senat dann aber die Vorschrift des § 4 S. 1 KSchG an. Der Arbeitnehmer muss daher innerhalb von drei Wochen klagen.

Versäumt der Arbeitnehmer diese dreiwöchige „Klagefrist", so ist er mit der Geltendmachung dieses Unwirksamkeitsgrundes gem. § 7 HS 1 KSchG präkludiert und die Kündigung zum falschen Zeitpunkt als wirksam anzusehen.

Die arbeitnehmerfreundlich klingende Argumentation zur Verneinung der Auslegung erweist sich somit als Trugschluss.

Und genau das ist der logische Bruch in der Argumentation der Rechtsprechung des 5. Senats.

Eine Auslegung soll nach dieser Ansicht des 5. Senats des BAG nur dann möglich sein, wenn ein Arbeitgeber von vornherein nicht zu einem bestimmten Termin, sondern zum nächst zulässigen Termin kündigt*.* Liegen für einen solchen Willen keine Anhaltspunkte vor, führt der Weg zur Einhaltung der Kündigungsfrist über § 140 BGB und damit auch über § 4 S. 1 KSchG.8

c) Auslegung im vorliegenden Fall nach allen Ansichten möglich

Ob eine ordentliche Kündigung mit objektiv fehlerhafter Kündigungsfrist regelmäßig als eine solche mit rechtlich zutreffender Kündigungsfrist ausgelegt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung.

Im vorliegenden Fall kann nämlich die Kündigung des AG jedenfalls auch nach der Ansicht des 5. Senats des BAG nach ihrem Inhalt und den Begleitumständen als eine solche zum 31.12.2009 ausgelegt werden.

aa) Datum enthält keine soziale Auslauffrist einer außerordentlichen Kündigung, sondern ist lediglich falsch berechnete ordentliche Kündigungsfrist

(1) Gegen eine Auslegung als Kündigung zum 31.12.2009 könnte sprechen, dass die Kündigungserklärung ausdrücklich das Datum 30.09.2009 enthält.

Damit hat AG den Wirkungszeitpunkt seiner Willenserklärung bestimmt und grundsätzlich das Risiko der rechtlichen Zulässigkeit des Termins übernommen.

(2) Das Datum relativiert sich aber durch den Zusatz „fristgemäß zum" ... .

Damit lässt die Kündigungserklärung erkennen, dass AG auch Wert darauf legte, die maßgebliche Kündigungsfrist einzuhalten*.* Ob es dem AG entscheidend auf das Datum oder die Einhaltung der „richtigen" Kündigungsfrist angekommen ist, erschließt sich aus dem Umstand, dass AG ausdrücklich eine ordentliche Kündigung erklärt hat.

Dieser Umstand bietet hinreichende Anhaltspunkte dafür, AG habe die Kündigung (auch) zu einem anderen Termin gewollt als (nur) zu dem im Kündigungsschreiben festgehaltenen Datum. Daraus ist - für den AN erkennbar - deutlich geworden, dass es dem AG wesentlich um die Einhaltung der maßgeblichen Kündigungsfrist ging und sich das in das Kündigungsschreiben aufgenommene Datum lediglich als das Ergebnis einer fehlerhaften Berechnung der zutreffenden Kündigungsfrist erweist.

Es wurde daher eindeutig keine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen, sondern eine ordentliche Kündigung mit lediglich falsch berechneter ordentlicher Kündigungsfrist.

bb) Bestimmtheitsgrundsatz steht einer Auslegung nicht entgegen

Einer Auslegung der Kündigungserklärung als Kündigung zum 31.12.2009 steht auch nicht das Bestimmtheitsgebot entgegen.

Danach muss sich aus der Kündigungserklärung ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll*,* ohne dass der Arbeitnehmer darüber rätseln muss, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung genannten Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte.

Dem genügt die Kündigung des AG. Sie enthält nicht nur ein bestimmtes Datum, sondern den Zusatz „fristgemäß zum". Nachdem zwischen den Parteien außer Streit steht, dass für ihr Arbeitsverhältnis keine anderen als die gesetzlichen Kündigungsfristen gelten, kann AN anhand von § 622 II S. 1 BGB in einem einfachen Rechenschritt die maßgebliche Kündigungsfrist selbst berechnen.

III. Ergebnis

Die zum 30.09.2009 ausgesprochene Kündigung war nicht unwirksam, sondern konnte als ordentliche Kündigung zum 31.12.2009 ausgelegt werden.

Damit war die Nichteinhaltung der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG unschädlich.

Frage 2: Anspruch auf Annahmeverzugslohn für Oktober 2009

AN stünde ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn im Monat Oktober zu, wenn sich AG mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug befand, §§ 615 S. 1, 611 BGB.

1. Voraussetzungen des Annahmeverzugs, §§ 293 ff. BGB

Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.

a) Grundsatz: Tatsächliches Angebot nötig, § 294 BGB

Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung grundsätzlich tatsächlich anbieten, § 294 BGB.

b) Ausnahmsweise ist wörtliches Angebot ausreichend, § 294 BGB

aa) Streiten die Parteien über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, genügt gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot des Arbeitnehmers, weil der Arbeitgeber mit der Berufung auf das Ende des Arbeitsverhältnisses erklärt, er werde keine weitere Arbeitsleistung mehr annehmen.

Dieses wörtliche Angebot kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses protestiert und/oder eine Bestandsschutzklage einreicht.9

Anmerkung: Diesen Weg geht das BAG bei Bestandsschutzklagen, die nicht Folge einer Kündigungserklärung sind, etwa bei einer Befristungskontrollklage gemäß § 17 TzBfG. Spätestens mit deren Zustellung ist dann das wörtliche Angebot gegeben.10

bb) Das gleiche gilt, wenn im unstreitigen Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber erklärt, dass er die Arbeitsleistung nicht annehmen werde.11

c) Absolute Ausnahme: Entbehrlichkeit des Angebots, § 296 BGB

Unter Umständen ist das Angebot des Arbeitnehmers gem. § 296 BGB aber auch ganz entbehrlich.

Zur Bewirkung der Leistung des Arbeitnehmers ist nämlich eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers i.S.d. § 296 BGB erforderlich. Der Arbeitnehmer kann nur arbeiten, wenn ihm der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und ihm Arbeit zuweist.

aa) Die Entbehrlichkeit des Angebots bejaht das BAG in gefestigter Rechtsprechung aber nur dann, wenn eine unwirksame Arbeitgeberkündigung vorliegt.12

In der Kündigung liegt nach Ansicht des BAG zugleich die Erklärung des Arbeitgebers, er werde die Leistung nicht annehmen. Zur Bewirkung der Leistung des Arbeitnehmers ist eine Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers i.S.d. § 296 BGB erforderlich. Der Arbeitnehmer kann nur arbeiten, wenn ihm der Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt und ihm Arbeit zuweist. Diese Mitwirkungshandlung ist auch kalendermäßig bestimmt, da sich aus dem Arbeitsvertrag ergibt, dass die Arbeitsleistungspflicht grundsätzlich an allen Arbeitstagen besteht.13

Der Arbeitgeber gerät daher im Falle einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer nicht aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen.

bb) Außer im Fall einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung ist das Angebot des Arbeitnehmers nur noch dann entbehrlich, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung einseitig freigestellt hat.

Denn in der einseitigen Freistellung von der Arbeitspflicht liegt ein Verzicht auf das Angebot der Arbeitsleistung.14

Zusammenfassender Lernteil:

1. Bestehen während eines unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnisses Streitigkeiten über den Umfang der Arbeitszeit, so muss der Arbeitnehmer grds. ein tatsächliches Angebot gemäß § 294 BGB erklären. Selbst § 295 BGB kommt dann nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber erklärt hatte, dass er die (ggf. über einen bestimmten Umfang hinausgehende) Arbeitsleistung ablehnen werde.

2. Besteht Streit über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags, ist nach Ansicht des BAG grds. ebenfalls ein tatsächliches Angebot nötig. Ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB genügt regelmäßig nicht. Es wäre nur dann ausreichend, wenn dem Arbeitnehmer im Einzelfall, etwa nach einem Hausverbot, ein tatsächliches Angebot (§ 294 BGB) nicht zumutbar wäre.

3. Besteht aufgrund einer unwirksamen Befristung Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so genügt nach der Rechtsprechung des BAG das wörtliche Angebot, § 295 BGB. Dieses ist in der Erhebung einer Befristungskontrollklage i.S.d. § 17 TzBfG zu sehen. § 296 BGB ist aber nicht anwendbar.

4. Lediglich bei einer unwirksamen Arbeitgeberkündigung oder bei einer einseitigen Freistellung von der Arbeitspflicht ist das Angebot gem. § 296 BGB entbehrlich.

2. Vorliegend war wörtliches Angebot nicht gem. § 296 BGB entbehrlich

Gemessen an diesen Grundsätzen war ein zumindest wörtliches Angebot der Arbeitsleistung im vorliegenden Fall nicht nach § 296 BGB entbehrlich.

Die fehlerhafte Kündigungsfrist bedingt im Streitfall nicht die Unwirksamkeit der Kündigung, sondern lässt sich als solche zu dem „richtigen" Termin auslegen.

Andererseits war AN nicht gehalten, die Arbeitsleistung tatsächlich anzubieten. Auch bei einem Streit lediglich über den Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses genügt gemäß § 295 BGB ein wörtliches Angebot jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber mit der Aufnahme eines Datums in die Kündigung erklärt, er werde nach diesem Zeitpunkt keine weitere Arbeitsleistung mehr annehmen.

3. Erhebung der Kündigungsschutzklage war wörtliches Angebot am 31.10.2009

Ein wörtliches Angebot ist aber erst mit der am 31.10.2009 zugestellten Kündigungsschutzklage erfolgt. Dieses Angebot wirkt nicht zurück. Danach hat AN für den gesamten Monat Oktober 2009 die Arbeitsleistung nicht wörtlich angeboten. Er hat bis dahin auch nicht gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2009 in anderer Weise protestiert.

hemmer-Methode: In dem vorliegenden Fall wird der Unterschied zwischen § 295 BGB und § 296 BGB sehr gut deutlich.

Da bei § 295 BGB der Zugangstermin des § 130 I BGB, also die Klagezustellung entscheidet, kann sich der Unterschied dahingehend auswirken, dass bei § 295 BGB der Annahmeverzug erst später beginnt.

4. Ergebnis

Da AG im Monat Oktober nicht im Annahmeverzug war, steht AN in diesem Monat kein Anspruch auf Bezahlung von Annahmeverzugslohn zu, sondern erst ab dem 01.11.2009.

D) Kommentar

(mty). Das Urteil des 5. Senats ist besser als das Urteil vom 01.09.2009.15

Der entscheidende Unterschied zwischen dem 2. und 5. Senat kann wie folgt zusammengefasst werden:

Nach Ansicht des 2. Senats kann eine ordentliche Kündigung bei Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist regelmäßig als Kündigung zum nächst zulässigen Termin ausgelegt werden. Nach Ansicht des 5. Senats ist eine derartige Regel empirisch nicht erforscht und daher eine Auslegung nur im Einzelfall zu bejahen.

Da eine Auslegung im vorliegenden Fall möglich war, hat sich der grundsätzliche Meinungsstreit nicht ausgewirkt.

Der Meinungsstreit wäre generell nicht von Bedeutung, wenn der 5. Senat nicht den Fehler machen würde, im Falle einer Unwirksamkeit der Kündigung die Vorschrift des § 4 S. 1 KSchG anzuwenden. § 4 S. 1 KSchG erfasst bereits von seinem Wortlaut her nicht die Geltendmachung der zu kurzen ordentlichen Kündigungsfrist. Der Arbeitnehmer will lediglich geltend machen, dass die Kündigung zu einem anderen Zeitpunkt wirkt. Mit dem Feststellungsantrag nach § 4 S. 1 KSchG wird hingegen beantragt, dass das Arbeitsverhältnis „nicht aufgelöst" ist. Die „Nichtauflösung" des Arbeitsverhältnisses entspricht aber nicht dem Klageziel desjenigen, der die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist rügt.

Hier ist das letzte Wort (leider) immer noch nicht gesprochen.

E) Zur Vertiefung

  • Zur ordentliche Kündigungsfrist des § 622 BGB

Hemmer/Wüst, Arbeitsrecht, Rn. 143 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Welche Rechtsfolgen löst die Nichteinhaltung der ordentlichen

    Kündigungsfrist aus?

  2. Wann ist das Angebot eines Arbeitnehmers zur Begründung des Annahmeverzugslohns entbehrlich?

  1. EuGH, Life & Law 4/2010, 240 (245 f.) = NZA 2010, 85 ff.

  2. BAG, Life & Law 2/2011, 92 ff. = NJW 2010, 3740 ff.

  3. BAG, Life & Law 2/2011, 92 ff. = NJW 2010, 3740 ff.

  4. BAG, Life & Law 7/2006, 456 ff. (2. Senat) = NZA 2006, 791 ff. BAG, NZA 2006, 1405 f. (6. Senat) Bender/Schmidt, NZA 2004, 358 [363]; Quecke, RdA 2004, 86 [97 f.], 100; Dollmann, BB 2004, 2073 [2077 f.]; Lakies, NJW 2004, 150 [155]; Raab, RdA 2004, 321 [326]; Palandt, § 622 BGB, Rn. 6.

  5. § 157 BGB kann nur analog angewendet werden, da die Kündigung kein Vertrag, sondern ein einseitiges Rechtsgeschäft ist. Aufgrund der Empfangsbedürftigkeit der Erklärung und der damit verbundenen Schutzwürdigkeit des Empfängers besteht aber eine vergleichbare Interessenlage.

  6. BAGE 37, 267 Quecke, BB 2004, 2073 [2077]; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 177.

  7. BAG, Life & Law 2/2011, 92 ff. (5. Senat) = NJW 2010, 3740 ff. Bader, NZA 2004, 65 [68].

  8. Ausdrücklich offengelassen wurde diese Frage vom 8. Senat des BAG.BAG, NJW 2009, 391 ff.

  9. BAG, NZA 2013, 101 ff.

  10. Vgl. BAG, NZA 2013, 101

  11. Vgl. dazu BAG, NZA 2007, 801 [803]

  12. BAG, NJW 2013, 2460 f. BAG, NZA 2012, 858 ff.

  13. BAG NZA 2008, 1180, 1182

  14. BAG, NZA 2008, 595 f.

  15. BAG, Life & Law 2/2011, 92 ff. = NJW 2010, 3740 ff.