Die Spritztour

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Strafrecht

von Life and Law am 01.04.2014

+++ Raub, § 249 I StGB +++ Räuberische Erpressung, §§ 253, 255 StGB +++ Nötigung, § 240 I StGB +++ Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b StGB +++

Sachverhalt: Rolf (R) schlägt den auf der Motorhaube seines Pkw sitzenden Nachbarn Norbert (N) nieder und macht mit dem Wagen eine kurze Spritztour. Nach einer Stunde stellt er den Pkw -- wie von Anfang an geplant -- wieder am Ausgangsort dem verdutzten N vor die Nase.

Bearbeitervermerk: Prüfen Sie die Strafbarkeit des R. Die §§ 223 ff. StGB sowie § 316a StGB sind nicht zu prüfen.

A) Sound

Der Fall hat als zentrales Problem die Abgrenzung der Tatbestände des Raubes und der räuberischen Erpressung zum Gegenstand. Es handelt sich hierbei um einen der zentralen Meinungsstreite des Vermögensstrafrechts, der vielfach in Klausuren abgeprüft wird. Machen Sie sich insofern unbedingt mit den gängigen Fallkonstellationen vertraut, in denen der Meinungsstreit ergebnisrelevant wird und prägen Sie sich die gängigen Argumentationsmuster für die Ansicht der Rechtsprechung und der h.M. in der Literatur ein. Regelmäßig lassen sich in einer Klausur hier beide Ansichten gut vertreten. Entscheiden Sie daher den Meinungsstreit in der Prüfung vornehmlich unter klausurtaktischen Gesichtspunkten.

B) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit des R nach dem StGB.

Strafbarkeit des R

In Betracht kommt zunächst eine Strafbarkeit wegen Raubes, § 249 I StGB.

I. Raub, § 249 I StGB

R könnte sich durch die Spritztour mit dem Auto des N wegen Raubes gem. § 249 I StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

R hat den N niedergeschlagen, also gegen ihn Gewalt angewendet und das Auto unter Einsatz dieses Nötigungsmittels weggenommen. Der objektive Tatbestand ist erfüllt.

2. Subjektiver Tatbestand

R handelte vorsätzlich mit Wissen und Wollen hinsichtlich des objektiven Tatbestandes.

Der subjektive Tatbestand des Raubes setzt darüber hinaus ein Handeln des Täters mit Zueignungsabsicht voraus. Zueignungsabsicht läge vor, wenn R den Wagen sich oder einem Dritten, wenn auch nur vorübergehend, aneignen wollte (Aneignungskomponente) und dabei zudem zumindest billigend in Kauf nahm, diesen dem N endgültig zu entziehen (Enteignungskomponente).

R wollte sich den Gebrauchswert des Autos vorübergehend einverleiben. Er wollte mit dem Wagen eine Spritztour machen, sodass die Aneignungsabsicht hier vorliegt.

Er hatte aber von Anfang an vor, dem N das Auto nach der Spritztour wieder zurückzubringen. Aufgrund dieses konkreten Rückführungswillens zum Zeitpunkt der Weg­nahmehandlung fehlt es an dem zumindest bedingten Vorsatz zur dauernden Enteignung des N. Vielmehr war der Vorsatz des R lediglich auf eine Gebrauchsanmaßung gerichtet. Folglich fehlt es am subjektiven Tatbestand.

hemmer-Methode: Anders wäre zu entscheiden, wenn R zum Zeitpunkt der Wegnahme den Entschluss gefasst hätte, das Fahrzeug nach der Fahrt irgendwo stehen zu lassen und so dem Zugriff Dritter preiszugeben, weil dann nicht gewährleistet wäre, dass N den Wagen zurückerhält.

3. Ergebnis

R hat sich nicht wegen Raubes gem. § 249 I StGB strafbar gemacht.

II. Räuberische Erpressung, §§ 253 I, II, 255 StGB

Zu prüfen ist ferner eine Strafbarkeit des R wegen räuberischer Erpressung gem. §§ 253 I, II, 255 StGB.

1. Objektiver Tatbestand

R hat N niedergeschlagen. Er hat damit Gewalt gegen eine Person in Form der vis absoluta angewandt.

Dadurch hat er erreicht, dass N die Wegnahme des Autos duldete. Er hat damit dem N auch einen Vermögensnachteil zugefügt, da dieser das Auto in der Zwischenzeit nicht benutzen konnte und außerdem ein Kraftstoffverbrauch eingetreten ist.

Nach Ansicht des BGH, der sich streng am Wortlaut des § 253 I StGB orientiert („Handlung, Duldung oder Unterlassung"), ist damit der objektive Tatbestand der §§ 253 I, II, 255 StGB, gleichzeitig aber auch der objektive Tatbestand des § 249 I StGB erfüllt. Der BGH sieht in § 249 I StGB einen Spezialfall der §§ 253 I, II, 255 StGB. Die §§ 253 I, II, 255 StGB seien also als Grunddelikt in § 249 I StGB enthalten. Da auch alle anderen Strafbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (der vorübergehende Besitz des Pkw ist ein Vermögensvorteil i.S.d. Erpressungstatbestandes), wäre R nach Auffassung des BGH aus §§ 253 I, II, 255 StGB zu bestrafen.

Nach der h.M. in der Literatur ist dagegen im vorliegenden Fall schon der objektive Tatbestand der §§ 253 I, II, 255 StGB nicht erfüllt. Erforderlich sei nämlich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Erpressung, dass der Genötigte eine Vermögensverfügung vornimmt, durch die der Vermögensnachteil herbeigeführt wird. Eine solche Verfügung ist aber dann ausgeschlossen, wenn der Täter den Vermögensnachteil durch eine Wegnahmehandlung selbst verursacht. Nach der Literatur kommt -- bei Anwendung von vis absoluta -- ein Fall der §§ 253, 255 StGB keinesfalls in Frage, da hierbei eine freiverantwortliche Vermögensverfügung von vornherein nicht denkbar ist.

Neben dem Wortlaut des § 253 StGB, der das Merkmal der Vermögensverfügung nicht enthält, und kriminalpolitischen Interessen spricht für die Ansicht des BGH, dass der Tatbestand der Erpressung bei den Nötigungsmitteln den Begriff der Gewalt wortgleich wie in § 240 StGB verwendet. I.R.d. Nötigung werden hierunter jedoch unstreitig beide Formen der Gewalt, also vis absoluta und vis compulsiva, erfasst. Die Ansicht der Literatur zwingt damit im Bereich der Erpressung zu einer engeren Auslegung eines wortgleichen Begriffs und führt damit innerhalb der §§ 240, 253 StGB zu gewissen Inkongruenzen.

Dennoch soll hier der h.L. aus systematischen und teleologischen Gründen gefolgt werden. Hierfür spricht zum einen der Charakter des § 253 StGB:

Es handelt sich bei diesem -- im Gegensatz zum fremdschädigenden Raub -- um ein Selbstschädigungsdelikt.

Die sich hier stellende Abgrenzungsfrage ist damit vergleichbar mit der Abgrenzung der §§ 242, 263 StGB voneinander.

Zum anderen deutet auch die Systematik des Gesetzes darauf hin, dass die §§ 253, 255 StGB nicht die leges generales zu § 249 StGB sein können, denn es wäre im StGB gesetzestechnisch einmalig, dass das Grunddelikt (§§ 253, 255 StGB) bezüglich der Rechtsfolge auf die Spezialnorm (§ 249 StGB) verweist. Außerdem wäre § 249 I StGB bei einer derartigen Auslegung letztlich überflüssig, da in den allermeisten Fällen zugleich der Tatbestand der räuberischen Erpressung erfüllt wäre. Schließlich richtet sich der Wille des Gesetzgebers nach dem klaren Wortlaut des § 249 I StGB auf die Privilegierung des ohne Zueignungsabsicht Handelnden (vgl. §§ 292, 248b StGB). Diese Privilegierung wird von der Rechtsprechung unterlaufen: Die räuberische Erpressung gem. §§ 253, 255 StGB verlangt eben keine Zueignungsabsicht. Bestrafte man somit den privilegierungswürdigen Täter über den Umweg des § 255 StGB letztlich doch aus dem Strafrahmen des § 249 StGB, so würde dadurch das ausdifferenzierte System der Wertstufenbildung im Bereich der Vermögensdelikte unterlaufen.

2. Ergebnis

Eine Strafbarkeit des R gem. §§ 253 I, II, 255 StGB scheidet daher aus.

III. Nötigung, § 240 I StGB

hemmer-Methode: Beachten Sie, dass die §§ 249 ff. StGB immer durch ein Nötigungs­element sowie einen vermögensstraf­rechtlichen Aspekt gekennzeichnet und daher als zweiaktige Delikte konzipiert sind.

Aus diesem Grund müssen beim Nichteingreifen dieser Delikte zumindest gedanklich immer noch § 240 StGB und §§ 242 ff. StGB geprüft werden.

1. Objektiver Tatbestand

R hat den auf der Motorhaube seines Pkw sitzenden N niedergeschlagen und damit durch Gewalt genötigt, die Wegnahme des Autos zu dulden.

2. Subjektiver Tatbestand

R handelte vorsätzlich mit Wissen und Wollen.

3. Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor. Die Tat des R war verwerflich i.S.d. § 240 II StGB.

4. Schuld

R handelte schuldhaft.

5. Ergebnis

R hat sich gemäß § 240 I, II StGB wegen Nötigung strafbar gemacht.

IV. Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs, § 248b I StGB

Zunächst müsste der Tatbestand verwirklicht sein.

1. Objektiver Tatbestand

R hat mit dem Pkw des N ein Kraftfahrzeug (vgl. § 248b IV StGB) gegen dessen Willen in Gebrauch genommen und als Fortbewegungsmittel benutzt.

2. Subjektiver Tatbestand

R handelte dabei vorsätzlich.

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Die Tat war rechtswidrig und R handelte schuldhaft.

4. Ergebnis

R hat sich somit gem. § 248b I StGB strafbar gemacht. Die Strafverfolgung ist gem. § 248b III StGB von der Stellung eines Strafantrages (vgl. §§ 77 ff. StGB) abhängig.

V. Konkurrenzen

§ 240 StGB und § 248b StGB stehen zueinander im Verhältnis der Idealkonkurrenz gem. § 52 StGB. Nach der ratio legis des § 248b StGB muss der gleichfalls vorliegende Diebstahl (§ 242 StGB) des im Tank befindlichen Benzins (Zueignung durch Verbrauch!) als mitbestrafte Begleittat zurücktreten.

C) Zur Vertiefung

  • Zur Abgrenzung Raub/räuberische Erpressung:

Hemmer/Wüst/Berberich, StrafR BT I, Rn. 200 ff.