Begründetheit der Anfechtungsklage / Aufhebung von Verwaltungsakten

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Öffentliches Recht

von Life and Law am 01.11.2013

+++ Aufhebung von Verwaltungsakten +++ Verhältnis zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht +++ §§ 48 f. VwVfG +++

Sachverhalt: S möchte in der Stadt W eine „Spielhölle" betreiben, in der er gewerbsmäßig Spielgeräte i.S.d. § 33i I Gewerbeordnung (GewO) aufstellt. Auf seinen Antrag erteilt ihm die zuständige Stadt am 14.01. die Erlaubnis. Danach erfährt die Stadt, dass S in den vergangenen drei Jahren vor Erteilung der Erlaubnis in zwei Fällen wegen Straftaten nach § 242 StGB rechtskräftig verurteilt worden ist. Mit Bescheid vom 05.05. des gleichen Jahres hebt sie die dem S erteilte Erlaubnis mit dem Hinweis auf § 33i II GewO i.V.m. § 33c II GewO auf. In der Begründung wird u.a. ausgeführt, dass das Interesse des S an dem Fortbestand der Erlaubnis zu berücksichtigen gewesen sei. Zudem sei man sich bewusst gewesen, dass S dadurch finanzielle Nachteile entstehen könnten, da er die angeschafften Spielgeräte bezahlen müsse und diese nunmehr nicht weiter wirtschaftlich nutzen könne. Dies stehe jedoch der Aufhebung nicht entgegen, da dem öffentlichen Interesse, dass Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit nur von zuverlässigen Personen aufgestellt werden dürften, Vorrang gegeben werden müsse. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass S sogar zweimal straffällig geworden sei.

S ist nicht damit einverstanden, dass er seine Spielhölle nicht weiter betreiben kann. Er ist der Ansicht, dass er ein Recht auf die Erlaubnis habe.

Frage: Ist nach erfolglosem Vorverfahren eine Klage des S erfolgreich?

A) Sound

Greift der Kläger die Aufhebung eines Verwaltungsakts an, so ist i.R.d. Begründetheit die Rechtsgrundlage des § 48 VwVfG oder des § 49 VwVfG zu prüfen.

B) Gliederung

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

II. Zulässigkeit der Klage

1. Statthafte Klageart:
Anfechtungsklage

2. Klagebefugnis § 42 II VwGO

3. Vorverfahren, § 68 I S. 1 VwGO

4. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

III. Begründetheit der Klage

Rechtmäßigkeit der Aufhebung:

1. Rechtsgrundlage der Aufhebung
§ 48 VwVfG oder § 49 VwVfG
: Ist die Erlaubnis rechtmäßig oder rechtswidrig?

a) Rechtsgrundlage der Erlaubnis: § 33i I S. 1 GewO.

b) Formelle Rechtmäßigkeit der Erlaubnis

c) Materielle Rechtmäßigkeit der Erlaubnis
Die Erlaubnis ist rechtswidrig, denn sie verstößt gegen § 33i II GewO. S war schon im Zeitpunkt der Erlaubniserteilung unzuverlässig.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Erlaubnis ist § 48 VwVfG.

2. Formelle Rechtmäßigkeit der Aufhebung

3. Materielle Rechtmäßigkeit der Aufhebung

a) Tatbestandliche Voraussetzungen des § 48 VwVfG

b) Rechtsfolge: Ermessen

IV. Ergebnis: Die Klage ist nicht erfolgreich.

C) Lösung

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Gem. § 40 I VwGO könnte der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da die streitentscheidenden Normen solche der GewO und des VwVfG sind und diese dem öffentlichen Recht angehören, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.

Diese ist nichtverfassungsrechtlicher Art, und es greift keine abdrängende Sonderzuweisung ein. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

II. Zulässigkeit der Klage

1. Statthafte Klageart

Eine Verpflichtungsklage ist gem. § 42 I VwGO statthaft, wenn der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt wird. Das Begehren des S könnte darauf gerichtet sein, eine neue gewerberechtliche Erlaubnis zu erhalten.

In Betracht kommt jedoch auch eine Anfechtungsklage. Dazu müsste die Aufhebung eines Verwaltungsakts i.S.d. § 35 VwVfG begehrt werden. Die Aufhebung der gewerberechtlichen Erlaubnis ist ein Verwaltungsakt.

Die Aufhebung der Aufhebung würde auch dazu führen, dass die dem S erteilte Erlaubnis „wiederauflebt" (§ 43 II VwVfG).

Entsprechen beide Klagearten dem Begehren des Klägers, so ist diejenige statthaft, die den einfacheren Weg zur Erreichung des Rechtsschutzziels darstellt. Die Anfechtungsklage hat schon Erfolg, wenn die Aufhebung rechtswidrig ist, während für die Verpflichtungsklage die Voraussetzungen für einen Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt vorliegen müssen.

Daher ist die Anfechtungsklage gegen die Aufhebung der Erlaubnis der einfachere Weg und damit die statthafte Klageart.

2. Klagebefugnis, § 42 II VwGO

S müsste gem. § 42 II VwGO geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts ist jedenfalls möglicherweise in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt. Die dem S erteilte gewerberechtliche Erlaubnis ist ein begünstigen der Verwaltungsakt.

Die Aufhebung dieses begünstigenden Verwaltungsakts ist demgemäß ein belastender Verwaltungsakt. Da S dessen Adressat ist, ist die Klagebefugnis gegeben.

3. Vorverfahren, § 68 I S. 1 VwGO

Das erforderliche Vorverfahren wurde ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt.

4. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Die Klagefrist des § 74 I S. 1 VwGO müsste eingehalten werden.

Von dem Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen (wie Zuständigkeit des Gerichts, Beteiligten- und Prozessfähigkeit, ordnungsgemäße Klageerhebung usw.) ist auszugehen.

III. Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, wenn sie sich gegen den richtigen Beklagten richtet (§ 78 VwGO), der angegriffene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 I S. 1 VwGO).

Richtiger Beklagter ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt.

hemmer-Methode: Beachten Sie, dass Sie diesen Prüfungspunkt in einigen Bundesländern bereits in der Zulässigkeit ansprechen.

Zu prüfen ist zudem die Rechtmäßigkeit der Aufhebung.

1. Rechtsgrundlage der Aufhebung

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Erlaubnis könnte § 48 VwVfG oder § 49 VwVfG sein. Spezialgesetzliche Vorschriften über die Aufhebung der gewerberechtlichen Erlaubnisse bestehen nicht. Dies richtet sich danach, ob der aufgehobene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist. Es ist daher zu prüfen, ob die Erlaubnis rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

hemmer-Methode: Wenn Sie eine Klage gegen die Aufhebung eines Verwaltungsakts prüfen, müssen Sie an dieser Stelle inzident die gesamte Rechtmäßigkeit des aufgehobenen Verwaltungsakts prüfen!

a) Rechtsgrundlage der Erlaubnis

Rechtsgrundlage der Erlaubnis ist § 33i I S. 1 GewO.

b) Formelle Rechtmäßigkeit der Erlaubnis

Die Stadt W war laut Sachverhalt für die Erteilung der Erlaubnis zuständig. Formelle Fehler sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.

c) Materielle Rechtmäßigkeit der Erlaubnis

Gem. § 33i II Nr. 1 GewO i.V.m. § 33c II GewO ist die Erlaubnis zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Gem. § 33c II S. 2 GewO fehlt die Zuverlässigkeit in der Regel, wenn er in den letzten drei Jahren u.a. wegen eines Diebstahls rechtskräftig verurteilt wurde.

S wurde in diesem Zeitraum sogar in zwei Fällen wegen eines Diebstahls (§ 242 StGB) verurteilt. Zwar ist § 33c II S. 2 GewO nur ein Regelbeispiel für die Unzuverlässigkeit. In besonderen Fällen kann daher trotz Vorliegens dieser Voraussetzungen die Zuverlässigkeit zu bejahen sein. Dafür liegen jedoch im Fall des S keine Anhaltspunkte vor.

Daher besaß S nicht die erforderliche Zuverlässigkeit für die Aufstellung von Spielgeräten. Die Erlaubnis hätte gem. § 33i II Nr. 1 GewO i.V.m. § 33c II S. 1 GewO nicht erteilt werden dürfen. Die dennoch erteilte Erlaubnis ist rechtswidrig wegen Verstoßes gegen § 33c II S. 1 GewO.

Zwischenergebnis: Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist § 48 VwVfG.

hemmer-Methode: Nach § 48 VwVfG ist die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts eine „Rücknahme", während § 49 VwVfG bei rechtmäßigen Verwaltungsakten die Aufhebung als „Widerruf" bezeichnet. „Aufhebung" ist der Oberbegriff zu Rücknahme und Widerruf. Da der aufgehobene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, kann im Folgenden statt von „Aufhebung" ent­sprechend der gesetzlichen Begrifflichkeiten auch von einer „Rücknahme" gesprochen werden.

2. Formelle Rechtmäßigkeit der Aufhebung

Zuständig für die Aufhebung eines Verwaltungsakts ist grundsätzlich die Behörde, die auch für den Ausgangsverwaltungsakt zuständig ist. Dies ist hier die Stadt W, vgl. oben.

hemmer-Methode: Fraglich ist, ob daneben auch die Erlassbehörde für die Rücknahme zuständig ist. Diese Frage spielt aber nur eine Rolle, wenn die unzuständige Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat.

Sollte vor der Aufhebung die gem. § 28 I VwVfG erforderliche Anhörung unterblieben sein, so ist dieser Fehler jedenfalls nach § 45 I Nr. 3 VwVfG durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt worden.

Formelle Fehler sind auch ansonsten nicht ersichtlich.

3. Materielle Rechtmäßigkeit der Aufhebung

Dies richtet sich nach § 48 VwVfG. Grundsatz ist dabei, dass gem. § 48 I S. 1 VwVfG rechtswidrige Verwaltungsakte aufgehoben werden können.

Bei der Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte sind gem. § 48 I S. 2 VwVfG zusätzlich die Absätze 2 bis 4 zu beachten.

a) Tatbestandliche Voraussetzungen des § 48 VwVfG

hemmer-Methode: Wie bei allen Ermessensvorschriften ist auch bei der Aufhebung von Verwaltungsakten nach §§ 48, 49 VwVfG zwischen den tatbestandlichen Voraussetzungen und der Rechtsfolge Ermessen zu unterscheiden. Prägen Sie sich diese Unterscheidung ein!

Insbesondere bei §§ 48, 49 VwVfG wird häufig die Prüfung des Ermessens übersehen!

Dabei unterscheidet § 48 VwVfG wiederum zwischen begünstigenden Verwaltungsakten, die eine einmalige oder laufende Geldleistung oder eine teilbare Sachleistung gewähren (§ 48 II VwVfG), und sonstigen Verwaltungsakten (§ 48 III VwVfG).

Die gewerberechtliche Erlaubnis an S ist ein begünstigender Verwaltungsakt. Die Erlaubnis stellt weder eine Geldleistung noch eine teilbare Sachleistung dar. Die Rücknahme richtet sich daher nach § 48 III VwVfG.

§ 48 III VwVfG legt jedoch nur fest, dass bei erfolgter Rücknahme u.U. der Vermögensnachteil des Betroffenen auszugleichen ist. § 48 III VwVfG schränkt daher die Möglichkeit der grundsätzlichen Rücknahme nach § 48 I S. 1 VwVfG nicht ein.

hemmer-Methode: Grundsätzlich kann nur in den Fällen des § 48 II VwVfG, also bei VAen über Geld- oder teilbare Sachleistungen, die Rücknahme ganz oder teilweise ausgeschlossen sein. In den Fällen des § 48 III VwVfG kommt dies nur in Betracht, wenn die Entschädigung ausnahmsweise zum Ausgleich des schutzwürdigen Vertrauens nicht genügt.

Da auch die Rücknahmefrist des § 48 IV VwVfG (ein Jahr) nicht überschritten war, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rücknahme vor.

b) Rechtsfolge: Ermessen

Sind demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 I S. 1 VwVfG erfüllt, so besteht ein Ermessen der Behörde, das sog. Rücknahmeermessen.

hemmer-Methode: Im Folgenden werden die speziellen Probleme des Rücknahmeermessens behandelt.

Dabei hat die Behörde gem. § 40 VwVfG, § 114 S. 1 VwGO das Ermessen entsprechend des Zwecks der Ermächtigung auszuüben.

Dabei sind alle ermessensrelevanten Aspekte zu berücksichtigen.

Bei der Aufhebung von Verwaltungsakten ist insbesondere das Vertrauen des Betroffenen in den Bestand des Verwaltungsakts zu berücksichtigen.

Im Fall des § 48 III VwVfG ist jedoch ebenfalls zu beachten, dass das Vertrauen des Betroffenen v.a. dadurch geschützt wird, dass finanzielle Nachteile durch den dort vorgesehenen Anspruch ausgeglichen werden können.

Hier hat die Behörde das ihr zustehende Ermessen ausgeübt. Sie hat auch den Vertrauensschutz zugunsten des S berücksichtigt. Insbesondere ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass sie trotz wirtschaftlicher Nachteile des S den VA aufgehoben hat. Denn diese sind ggf. i.R.d. § 48 III VwVfG auszugleichen.

Es sind auch keine Nachteile ersichtlich, die nicht durch eine Vermögensentschädigung auszugleichen sind und die deshalb bei einer fehlerfreien Ermessensausübung zu einem Absehen von der Rücknahme führen müssten.

Die Rücknahme der Erlaubnis ist rechtmäßig. Die Klage ist nicht begründet.

hemmer-Methode: Eine Prüfung, ob S in seinen Rechten verletzt ist, erübrigt sich daher.

IV. Ergebnis

Die Klage des S ist nicht erfolgreich.

D) Zusammenfassung

  • Bei der Aufhebung von Verwaltungsakten ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart. Der Verpflichtungsklage auf erneute Erteilung des aufgehobenen Verwaltungsakts fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
  • Die Rechtsgrundlage für die Aufhebung richtet sich danach, ob der aufgehobene Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig ist (§ 48 VwVfG oder § 49 VwVfG). Dessen Rechtmäßigkeit ist inzident zu prüfen.
  • Gem. § 48 I S. 1 VwVfG können rechtswidrige Verwaltungsakte grundsätzlich zurück­genommen werden.
  • § 48 VwVfG unterscheidet bei der Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte zwischen Verwaltungsakten bzgl. einer Geldleistung oder teilbaren Sachleistung, und sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten. Für die sonstigen Verwaltungsakte bleibt es bei dem Grundsatz der Rücknehmbarkeit gem. § 48 I S. 1 VwVfG.
  • Die Aufhebung von Verwaltungsakten nach den §§ 48, 49 VwVfG steht im Ermessen der Behörde. Dieses muss fehlerfrei ausgeübt werden. Bei Verwaltungsakten i.S.d. § 48 III VwVfG ist die Möglichkeit des Ausgleichs von Vermögensnachteilen i.R.d. Ermessens zu berücksichtigen. Wenn der Vertrauensschutz nicht durch eine Entschädigungszahlung ausgeglichen werden kann (immaterielle Schäden), muss die Behörde von einer Rücknahme absehen.

E) Vertiefung

Hemmer/Wüst, Basics Öffentliches Recht II, Rn. 120 ff.

Hemmer/Wüst, Grundwissen Verwaltungsrecht, Rn. 216 ff.