Zulässigkeit der Anfechtungsklage / Klagebefugnis: Drittanfechtung

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Öffentliches Recht

von Life and Law am 01.03.2014

+++ Drittanfechtungsklage +++ Verwaltungsakt mit Drittwirkung +++ Klagebefugnis +++

Sachverhalt: A und D sind Grundstücksnachbarn. A möchte in dem Gebäude auf seinem Grundstück eine Gaststätte einrichten und betreiben. Auf seinen Antrag hin erteilt ihm die zuständige Behörde die Gaststättenerlaubnis nach §§ 2, 4 GastG. D ist damit nicht einverstanden. Er ist der Ansicht, die Gaststättenerlaubnis sei rechtswidrig, da der Betrieb der Gaststätte eine unzumutbare Lärmbelästigung für ihn bedeuten würde.

Bearbeitervermerk: Ist eine Klage des D gegen die Gaststättenerlaubnis nach ordnungsgemäßer und erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens zulässig?

A) Sound

Will eine Person einen Verwaltungsakt angreifen, der an einen anderen gerichtet ist (Adressat), ist fraglich, unter welchen Voraussetzungen der Kläger klagebefugt gem. § 42 II VwGO ist.

B) Lösung

Zu prüfen ist die Zulässigkeit der Klage des D, soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 I VwGO eröffnet, da es sich um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen Gewerberechts, zu dem das GastG zählt, handelt. Diese ist nichtverfassungsrechtlicher Art und es ist keine abdrängende Sonderzuweisung ersichtlich.

II. Zulässigkeit der Klage

Zunächst gilt es, die statthafte Klageart zu ermitteln.

1. Statthafte Klageart

Die Anfechtungsklage ist gem. § 42 I Alt. 1 VwGO statthafte Klageart, wenn das Begehren des Klägers auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtet ist. Die aufgrund §§ 2, 4 GastG erteilte Gaststättenerlaubnis stellt einen VA i.S.d. § 35 VwVfG dar. D begehrt dessen Aufhebung. Daher ist die Anfechtungsklage statthaft.

2. Klagebefugnis

D müsste klagebefugt sein. Dazu ist gem. § 42 II VwGO erforderlich, dass er geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein.

a) Eine mögliche Rechtsverletzung besteht dann, wenn D Adressat eines belastenden Verwaltungsakts ist. In diesem Fall kann er zumindest in Art. 2 I GG verletzt sein.

Adressat der Gaststättenerlaubnis ist jedoch nur A. Dieser Verwaltungsakt ist lediglich an ihn gerichtet. Die Klagebefugnis des D kann daher nicht mit der „Adressatentheorie" begründet werden.

hemmer-Methode: Unerheblich ist dabei, ob der Verwaltungsakt auch D gegenüber bekannt gegeben wurde (§ 41 VwVfG). Dass D von der Gaststättenerlaubnis (mittelbar) betroffen wird und die Behörde sogar gem. § 41 I S. 1 VwVfG die Pflicht hatte, sie dem D bekanntzugeben, ändert daran ebenfalls nichts.

b) D als Dritter, der nicht Adressat des Verwaltungsakts ist, ist nur klagebefugt, wenn aus anderen Gründen die Möglichkeit der Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte besteht.

Solche subjektiv-öffentlichen Rechte eines Dritten können in den Rechtsnormen liegen, die bei dem Erlass des Verwaltungsakts zu beachten sind. Dies ist hier insbesondere § 4 I Nr. 3 GastG.

hemmer-Methode: Sie befinden sich in der Konstellation der sog. Drittanfechtungsklage. Diese ist immer dann gegeben, wenn nicht der Adressat eines Verwaltungsakts, sondern ein Dritter den Verwaltungsakt angreift. Typischerweise ist dann dieser Verwaltungsakt für den Adressaten begünstigend, während er für den Dritten belastend ist (Verwaltungsakt mit Drittwirkung). Die Klagebefugnis und das subjektiv-öffentliche Recht müssen in diesen Fällen üblicherweise nicht aus Grundrechten des Dritten, sondern vorrangig aus dem einfachen Recht begründet werden. Dabei kommen natürlich nur die Rechtsnormen in Betracht, die bei Erlass des Verwaltungsakts zu beachten waren.

Allerdings beinhalten Rechtsnormen zunächst und vorrangig objektives Recht, d.h. sie sind von der Behörde bei der Entscheidung über die Gaststättenerlaubnis zu beachten. Eine subjektiv-öffentliche Rechtsposition eines Dritten ist nicht ohne weiteres enthalten.

hemmer-Methode: Die Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Recht ist elementar für das Verständnis nicht nur der Drittanfechtung, sondern für das Verwaltungsrecht überhaupt! Die Problematik der Drittanfechtung (wie auch der sog. Drittverpflichtungsklage) ergibt sich überhaupt erst aufgrund dieser Differenzierung. Machen Sie sich klar, dass die öffentlich-rechtlichen Rechtsnormen, die das Verwaltungshandeln steuern, sich primär an die Behörde wenden. Der subjektiv-rechtliche Charakter muss positiv begründet werden, wenn er sich nicht schon direkt aus der Norm ergibt!

c) Nach der Schutznormtheorie hat eine öffentlich-rechtliche Vorschrift drittschützenden Charakter, wenn sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern zugleich den individuellen Interessen eines abgrenzbaren Personenkreises zu dienen bestimmt ist.

Ob und für welchen Personenkreis eine Rechtsnorm ein subjektives Recht vermittelt, muss daher durch Auslegung ermittelt werden.

§ 4 I Nr. 3 GastG schützt nach seinem Wortlaut zunächst nur das „öffentliche Interesse" und die „Allgemeinheit". Allerdings wird auf den Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen" des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Bezug genommen. Gem. § 3 I BImSchG ist dabei insbesondere die „Nachbarschaft" i.R.d. Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen zu berücksichtigen.

hemmer-Methode: Auf den Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen" wird in verschiedenen Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts verwiesen. Diese haben dann grundsätzlich drittschützenden Charakter. So z.B. § 35 III S. 1 Nr. 3 BauGB.

Durch die Bezugnahme auf § 3 I BImSchG verpflichtet § 4 I Nr. 3 GastG die Behörde, bei der Entscheidung über die Gaststättenerlaubnis den Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen besonders zu beachten. Unter Nachbarschaft ist dabei der Personenkreis zu verstehen, der im näheren räumlichen Umkreis von den Auswirkungen der Gaststätte (v.a. Lärm) betroffen werden kann.

Geschützte Personen sind dabei jedenfalls die benachbarten Grundstückseigentümer.

hemmer-Methode: Die Frage des Drittschutzes von Normen wird im Rahmen der Ausbildung v.a. im Baurecht relevant, sofern dies Prüfungsstoff in Ihrem Bundesland ist. Machen Sie sich jedoch klar, dass es sich nicht um ein baurechtliches Problem handelt, sondern um eine allgemeine verwaltungsrechtliche (und verwaltungsprozessrechtliche) Fragestellung. Die Schutznormtheorie kann für alle Gebiete des Verwaltungsrechts angewandt werden. Zudem stellt sich die gleiche Frage des subjektiv-öffentlichen Rechts bei der sog. Drittverpflichtungsklage, außerdem bei §§ 823 II, 839 BGB.

Als Grundstücksnachbar steht D aus § 4 I Nr. 3 GastG ein subjektiv-öffentliches Recht zu, das die Behörde bei der Gaststättenerlaubnis bei dessen Voraussetzungen zu beachten hat. Es besteht die Möglichkeit, dass D durch die Gaststättenerlaubnis in diesem Recht verletzt ist. D ist klagebefugt.

3. Vorverfahren

Das gem. § 68 I S. 1 VwGO erforderliche Vorverfahren wurde ordnungsgemäß und erfolglos durchgeführt.

4. Sonstiges

Die Klagefrist des § 74 I S. 1 VwGO müsste eingehalten werden.

Von dem Vorliegen der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen (wie Zuständigkeit des Gerichts, Beteiligten- und Prozessfähigkeit, ordnungsgemäße Klageerhebung usw.) ist auszugehen.

C) Ergebnis

Die Anfechtungsklage des D ist zulässig.

D) Zur Vertiefung

Hemmer/Wüst, Basics Öffentliches Recht II, Rn. 62 ff.

Hemmer/Wüst, Grundwissen Verwaltungsrecht, Rn. 88 ff.