Vertrauensschutz? - Nicht für Träger öffentlicher Verwaltung!

OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.3.2013 -- 8 LA 22/13, NVwZ-RR 2013, 584

von Life and Law am 01.11.2013

+++ Voraussetzungen der Rücknahme eines Verwaltungsaktes +++ Vertrauensschutz +++ Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung +++

Sachverhalt (vereinfacht): Die K, eine kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts, möchte ein Projekt durchführen, bei dem insbesondere mittelständische Unternehmen Beschäftigungsmodelle für ältere Arbeitnehmer entwickeln sollen. Der Leiter der K wird auf eine Ausschreibung aufmerksam, nach der der Bund Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) zur Verfügung stellt, um Projekte zu unterstützen, die die Entwicklung von Modellen zum „lebenslangen Lernen" zum Gegenstand haben.

Die K beantragt daher im Januar 2012 beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales Zuschüsse für das geplante Projekt. Das Ministerium bewilligt der K daraufhin im März 2012 Beihilfen in Höhe von insg. 75 % der notwendigen Ausgaben.

In der einschlägigen Rechtsgrundlage für die Zuwendungen heißt es hingegen u.a.:

„Die Zuwendung wird als nicht rückzahlbarer Zuschuss in Form einer Anteilfinanzierung zur Projektförderung gewährt. Die Förderung aus ESF-Mitteln darf max. 70 % der zuwendungsfähigen Ausgaben betragen."

Die Behörde bemerkt im August 2012, dass die bewilligten Zuschüsse den Höchstbetrag überschreiten. Daher hebt sie den Bewilligungsbescheid im November 2012 in Höhe von 5 % der Zuwendungen auf.

Die K ist der Meinung, die Aufhebung sei rechtswidrig. Schließlich habe sie auf den Bestand der Bewilligung vertraut und die gesamten Mittel bereits an die beteiligten Unternehmen weitergegeben.

War die Aufhebung rechtmäßig?

A) Sounds

1. Kommunale Selbstverwaltungskörperschaften und von diesen getragene Anstalten des öffentlichen Rechts als Träger öffentlicher Verwaltung können sich auf ein nach § 48 VwVfG schutzwürdiges Vertrauen in den (Fort-)Bestand eines rechtswidrigen Zuwendungsbescheides nicht berufen.

2. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der es einem Träger öffentlicher Verwaltung von vornherein verbietet, sich auf das Vertrauen in den Bestand eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes zu berufen.

B) Problemaufriss

Die Aufhebung von Verwaltungsakten ist ein Examensklassiker! Die vorliegende Konstellation bietet sich besonders gut als Teil einer Examensklausur an, weil Transferwissen und Argumentationsvermögen abgefragt werden kann. Die Verknüpfung von Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht wird im Examen immer wieder erwartet.

Im vorliegenden Fall geht es insbesondere um die Frage, inwieweit der verwaltungsrechtliche Vertrauensschutz vor dem Hintergrund staatsrechtlicher Grundsätze auch der öffentlichen Verwaltung zugutekommen kann.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Zuwendungsbescheides.

Nachdem diese Aufhebung einen Eingriff in die Rechte der K darstellt, bedarf es hierzu wegen des Vorbehalts des Gesetzes einer ausreichenden Rechtsgrundlage (I). Die Aufhebung müsste zudem formell (II) und materiell (III) rechtmäßig sein.

Anmerkung: In prozessualer Hinsicht wäre die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, weil die Aufhebung eines Verwaltungsaktes als actus-contrarius ebenfalls ein solcher ist. Die „Aufhebung der Aufhebung" führt zum Fortbestand des Ausgangsbescheides, vgl. § 43 II VwVfG. Eine Verpflichtungsklage auf Neuerlass des Ausgangsbescheides wäre zwar gleichfalls statthaft, würde aber am Rechtsschutzbedürfnis scheitern, da die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage rechtsschutzintensiver ist.

I. Rechtsgrundlage

Eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Zuwendungsbescheides ist nicht ersichtlich.

Daher sind die allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Verwaltungsakten im NVwVfG (Niedersächsisches VwVfG) heranzuziehen.

Anmerkung: Achten Sie stets auf die richtige Zitierweise der Normen. Ob das Landes-VwVfG oder das Bundes-VwVfG einschlägig ist, richtet sich danach, ob eine Landesbehörde oder eine Bundesbehörde gehandelt hat. Da vorliegend eine (niedersächsische) Landesbehörde gehandelt hat, war das NVwVfG zu zitieren.

Soweit es allerdings um die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO geht, wäre eigentlich das Bundes-VwVfG zu zitieren. Schließlich befinden Sie sich in der Prüfung der Voraussetzungen der VwGO, also Bundesrecht. Landesrecht darf grundsätzlich nicht zur Definition von Bundesrecht herangezogen werden! Allerdings erwarten viele Korrektoren von Ihnen auch an dieser Stelle die Zitierung des Landes-VwVfG, wenn eine Landesbehörde gehandelt hat.

Differenzierung Rücknahme/Widerruf

Das NVwVfG enthält mit den §§ 48 und 49 zwei unterschiedliche Rechtsgrundlagen für die Aufhebung von Verwaltungsakten. Die jeweilige Anwendbarkeit bestimmt sich dabei nach der Rechtmäßigkeit des Grund-VA. Für die Aufhebung eines rechtswidrigen VA (sog. Rücknahme) ist § 48 NVwVfG die richtige Rechtsgrundlage, während die Aufhebung eines rechtmäßigen VA (sog. Widerruf) auf § 49 NVwVfG zu stützen wäre.

Vorliegend geht der Zuwendungsbescheid in seinen Rechtsfolgen über den in der Rechtsgrundlage bestimmten Rahmen von 70 % der Gesamtkosten hinaus, sodass der Verwaltungsakt insoweit rechtswidrig ist.

Richtige Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist daher § 48 NVwVfG.

Anmerkung: In der Klausur kann hier durchaus ein Schwerpunkt liegen. Dann wird erwartet, dass Sie inzident die Rechtmäßigkeit des Grund-VA ausführlich gutachterlich prüfen. Hier sind die Informationen des Sachverhaltes jedoch so spärlich, dass eine kurze Feststellung der Rechtswidrigkeit genügt. Auch der Meinungsstreit, ob für eine Subvention eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, spielt hier keine Rolle, da eine solche Rechtsgrundlage laut Sachverhalt jedenfalls vorliegt.1

Streng genommen ist die Rechtswidrigkeit des Grund-VA erst Tatbestandsvoraussetzung des § 48 NVwVfG und somit Bestandteil der materiellen Rechtmäßigkeit. Es bietet sich dennoch an, diese Frage bereits im Rahmen der Rechtsgrundlage abschließend zu klären, da hiervon (wie gleich zu sehen sein wird) u.a. die Zuständigkeit der Behörde für die Aufhebung abhängt.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Über die Rücknahme eines Verwaltungsaktes entscheidet gem. § 48 V NVwVfG die nach § 3 NVwVfG für den Grund-VA örtlich zuständige Behörde. Der gleiche Grundsatz gilt für die sachliche Zuständigkeit.

Laut Sachverhalt hat bei Erlass des Grund-VA die zuständige Behörde gehandelt. Diese war somit auch für die Rücknahme zuständig.

Verfahrens- oder Formfehler sind nicht ersichtlich.

Somit ist die Rücknahme formell rechtmäßig.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist jedoch, ob die Rücknahme des Zuwendungsbescheides auch materiell rechtmäßig war.

Der Tatbestand des § 48 I S. 1 NVwVfG fordert zunächst einen rechtswidrigen Ausgangs-VA, der - wie oben festgestellt - vorliegt.

1. Differenzierung belastender / begünstigender Grund-VA

Zunächst ist zu differenzieren, ob Gegenstand der Rücknahme ein belastender oder begünstigender VA ist. Hiervon hängt gem. § 48 I S. 2 NVwVfG ab, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Während ein belastender VA ohne weitere Voraussetzungen nach billigem Ermessen der Behörde zurückgenommen werden kann, ist die Rücknahme eines begünstigenden VAs nur unter den Voraussetzungen der Absätze zwei bis vier des § 48 NVwVfG möglich.

Gemäß der Legaldefinition des § 48 I S. 2 NVwVfG ist ein begünstigender Verwaltungsakt ein solcher, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat. Da der Zuwendungsbescheid vorliegend das Recht zum Bezug von Zuwendungen begründet hat, liegt ein begünstigender Ausgangs-VA vor.

Eine Rücknahme ist demnach nur unter den besonderen Voraussetzungen der Absätze zwei bis vier des § 48 NVwVfG erlaubt.

2. Differenzierung nach Abs. 2: Gewährung einer einmaligen oder laufenden Geldleistung oder teilbaren Sachleistung?

In einem nächsten Schritt ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem Ausgangs-VA um einen solchen handelt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, vgl. § 48 II S. 1 NVwVfG. Für die Rücknahme dieser Verwaltungsakte gelten nämlich die strengen Voraussetzungen des § 48 II NVwVfG.

Anmerkung: Sowohl Abs. 2 als auch Abs. 3 des § 48 VwVfG dienen dem Vertrauensschutz -- aber auf völlig andere Art und Weise. Während in den Fällen des Abs. 2 der Vertrauensschutz zum Ausschluss der Rücknahme führt, vgl. S. 1 „darf nicht zurückgenommen werden", wird die Rücknehmbarkeit in Abs. 3 nicht eingeschränkt. Schutzwürdiges Vertrauen wird hier stattdessen durch die Zahlung einer Geldentschädigung ausgeglichen. Kurz: Abs. 2 gewährt Vertrauensschutz durch Bestandsschutz, Abs. 3 hingegen durch Vermögensschutz.

Das Konzept des § 48 III VwVfG versagt allerdings dann, wenn auf Seiten des Bürgers nur immaterielle Nachteile vorliegen, die nicht durch eine Geldentschädigung ausgeglichen werden können. Dies muss die Behörde im Rahmen ihres Rücknahmeermessens nach § 48 I S. 1 VwVfG berücksichtigen und ggf. im Einzelfall deshalb von einer Rücknahme absehen.

Da die Zuwendungen eine einmalige Geldleistung darstellen und der Zuwendungsbescheid diese gewährt, handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 48 II NVwVfG.

a) Vertrauensschutz

Solche Verwaltungsakte dürfen nach Abs. 2 S. 1 nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

kein Fall des Abs. 2 S. 3!

Das Vertrauen wäre auf keinen Fall schutzwürdig, läge ein Fall des § 48 II S. 3 NVwVfG vor. Hierfür ist allerdings nichts ersichtlich.

Regelschutz in den Fällen des Abs. 2 S. 2

Gem. § 48 II S. 2 NVwVfG ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Anmerkung: § 48 II S. 2 VwVfG enthält lediglich eine Regelvermutung und kein zwingendes Recht. Deshalb kann im Einzelfall die Schutzwürdigkeit des Vertrauens trotz des Verbrauchs der empfangenen Leistungen entfallen2

Nachdem die K die Zuwendungen bereits an die Unternehmen weitergegeben hat, hat sie die gewährte Leistung verbraucht. Von einem schutzwürdigen Vertrauen ist daher grundsätzlich auszugehen.

Problem: Ausschluss des Vertrauensschutzes?

Fraglich ist jedoch, ob sich in der vorliegenden Konstellation etwas anderes ergibt, weil es sich bei dem Adressaten des rechtswidrigen Zuwendungsbescheides um einen Träger öffentlicher Verwaltung handelt. Problematisch ist hierbei die Frage, ob sich die öffentliche Hand auf ein Vertrauen in rechtswidrige Zustände berufen darf.

Lösung des OVG Lüneburg

Nach Ansicht des OVG Lüneburg ist dies grundsätzlich ausgeschlossen. Die K könne sich als kommunale Anstalt öffentlichen Rechts, die als Träger öffentlicher Verwaltung öffentliche Aufgaben wahrnimmt, schon von vorneherein nicht auf den Vertrauensschutz nach § 48 II VwVfG berufen. Das Institut des Vertrauensschutzes sei in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 242 BGB im Verwaltungsrecht entwickelt worden, um den Staatsbürger unter gewissen Voraussetzungen im Vertrauen auf Maßnahmen der Verwaltung zu schützen. Eines solchen Schutzes bedürfe die öffentliche Verwaltung selbst nicht. Die Träger öffentlicher Verwaltung seien vielmehr an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden und können sich nicht auf den Fortbestand eines rechtswidrigen Zustands berufen. Dies gelte ohne Einschränkungen auch für kommunale Selbstverwaltungskörperschaften und für von diesen getragene Anstalten des öffentlichen Rechts, die als Glieder der mittelbaren staatlichen Verwaltung auch an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden seien.

Demnach liegt vorliegend kein schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten vor.

Anmerkung: Das OVG stellt im Anschluss noch klar, dass selbst wenn ein Vertrauensschutz nicht grundsätzlich versagt gewesen wäre, ein schutzwürdiges Vertrauen der K nicht bestanden hätte, weil aus der einschlägigen Rechtsgrundlage ersichtlich gewesen sei, dass die Beihilfe zu einem zu hohen Prozentsatz gewährt worden war. Damit legt das Gericht Beihilfeempfängern auch die grundsätzliche Prüfpflicht der Voraussetzungen auf.

b) Frist

Fraglich ist, ob für die vorliegende Rücknahme eine Fristbindung gem. § 48 IV NVwVfG bestand. Hiernach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen.

Problematisch ist, dass im vorliegenden Fall jedoch keine Tatsachen nachträglich erkannt wurden, sondern, dass die erlassende Behörde das einschlägige Recht falsch angewandt hat.

Es ist strittig, ob die Frist des § 48 IV NVwVfG auch bei solchen Rechtsanwendungsfehlern zu laufen beginnt.

Vom Wortlaut ist dieser Fall jedenfalls nicht erfasst, da hier nur von „Tatsachen" die Rede ist.

Insoweit kommt also nur eine analoge Anwendung der Norm in Betracht.

Anmerkung: Teilweise wird hier auch mit einer weiten Auslegung der Norm gearbeitet.3 Dies ist natürlich vertretbar. Dann müssten Sie das Tatbestandsmerkmal „Tatsache" so weit auslegen, dass hierunter auch eine falsche rechtliche Würdigung gefasst wird. Angesichts des klaren Wortlauts erscheint jedoch der Weg über eine analoge Anwendung sachgerechter. Im Ergebnis kommen beide Ansichten aber zur Anwendbarkeit des § 48 IV VwVfG.

Nachdem eine Regelung über die Fristgebundenheit der Rücknahme von Verwaltungsakten nach Rechtsanwendungsfehlern nicht besteht, liegt eine Regelungslücke vor. Diese Regelungslücke ist auch planwidrig, weil der Gesetzgeber diesen Fall nicht in Betracht gezogen hat.

Fraglich ist einzig, ob auch eine vergleichbare Interessenlage besteht. Dies ist nach Sinn und Zweck der Norm zu beurteilen. Die Fristgebundenheit der Rücknahme soll insbesondere den Adressaten des begünstigenden Verwaltungsakts in seinem Bestandsvertrauen nach einer bestimmten Zeit schützen. Für den Adressaten macht es aber keinen Unterschied, ob der Grund für die Rücknahme in der Kenntniserlangung über Tatsachen oder Rechtsanwendungsfehler liegt.4 Es kann nicht sein, dass bei einem Rechtsanwendungsfehler die Rücknahme überhaupt nicht fristgebunden ist.

Daher ist auch von einer vergleichbaren Interessenlage auszugehen, sodass § 48 IV NVwVfG analog auf diese Fälle anzuwenden ist.

Nachdem zwischen Kenntniserlangung von dem Rechtsanwendungsfehler und der Rücknahme vorliegend nur acht Monate liegen, wurde diese Frist jedoch gewahrt.

Anmerkung: Diese Problematik wurde vom OVG im vorliegenden Urteil nicht angesprochen, weil die Fristwahrung nicht problematisch war. Für die Klausur bietet sich jedoch dieser Fall geradezu an, auch dieses Problem abzuprüfen.

Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal die drei klassischen Problemfelder im Rahmen des § 48 IV VwVfG:

1. Wer ist Behörde i.S.d. § 48 IV VwVfG? Der zuständige Sachbearbeiter oder die Behörde?

2. Liegt eine Bearbeitungsfrist oder eine Entscheidungsfrist vor? Beginnt die Frist also bereits mit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides zu laufen (Bearbeitungsfrist) oder erst, wenn die Behörde alle weiteren rücknahmerelevanten Fakten wie bspw. den Vertrauensschutz ermittelt hat (Entscheidungsfrist, h.M.). Dies spielt im vorliegenden Fall keine Rolle, da die Jahresfrist in jedem Fall gewahrt ist.

3. Ist § 48 IV VwVfG auch bei Rechtsanwendungsfehlern anwendbar?

3. Rechtsfolge: Ermessen

Nachdem der Tatbestand der Rechtsgrundlage erfüllt ist, müsste die Behörde auch hinsichtlich der Rechtsfolge ermessensfehlerfrei gehandelt haben. Insoweit ist die Entscheidung gem. § 40 NVwVfG, § 114 S. 1 VwGO nur auf Ermessensfehler hin zu überprüfen.

Solche sind vorliegend nicht ersichtlich.

Anmerkung: Im Rahmen des § 48 II NVwVfG ist bereits auf Tatbestandsebene eine Interessenabwägung hinsichtlich des schutzwürdigen Vertrauens vorzunehmen. Hieraus folgt, dass in der Regel eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde vorliegt, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen entgegensteht, sog. intendiertes Ermessen.

4. Zwischenergebnis

Die Rücknahme war somit auch materiell rechtmäßig.

IV. Ergebnis

Die Rücknahme war rechtmäßig.

D) Kommentar

(mg). Im Kern überzeugt die Entscheidung. Es wäre nicht einzusehen, wenn die Rechtsordnung das Vertrauen eines Teils der Verwaltung selbst in von gerade der Verwaltung geschaffene rechtswidrige Zustände schützen würde.

Das OVG Lüneburg stellt auf diese Weise klar, dass von einem Träger öffentlicher Gewalt mehr Rechtskenntnis und Rechtstreue erwartet werden darf, als von Privaten.

Etwas anderes muss aber wohl dann gelten, wenn Empfänger der Leistung eine Selbstverwaltungskörperschaft wie eine Gemeinde ist. Diese kann sich gegenüber der unmittelbaren Staatsverwaltung auf den Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechts berufen und in diesem Rahmen damit auch schutzwürdiges Vertrauen gegenüber Staatsbehörden bilden.

E) Zur Vertiefung

  • Zur Aufhebung von Verwaltungsakten und dem Vertrauensschutz

Hemmer/Wüst, Verwaltungsrecht I, Rn. 452 ff.

F) Wiederholungsfrage

  1. Wie wird in den Fällen des § 48 III VwVfG das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsakts geschützt?

  1. Vgl. hierzu Hemmer/Wüst, Verwaltungsrecht I, Rn. 275 ff.

  2. Dies ist bspw. bei Subventionen, die gegen Art. 107 f. AEUV verstoßen, der Fall, vgl. Kopp/Ramsauer, § 48 VwVfG, Rn. 93; vgl. ausführlich Hemmer/Wüst, Europarecht, Rn. 340 ff.

  3. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (2009), S. 299.

  4. BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819