Rechtsprechungsübersicht Zivilrecht (1)

BGH, Versäumnisurteil vom 20.05.2014, X ZR 134/13 = NJW 2014, 2955 f.

von Life and Law am 01.12.2014

Reiserecht ist auf einen Vertrag, der allein eine Hotelbuchung betrifft, analog anzuwenden, wenn der Veranstalter diese Leistung in eigener Verantwortung und mit gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten wie bei einer Reise erbringen soll, zu der eine weitere Reiseleistung gehört.

Sachverhalt (abgewandelt und stark verkürzt): R bucht Anfang Dezember 2014 im DER Reisebüro für sich einen von der TUI angebotenen Hotelaufenthalt in New York (USA) mit vier Übernachtungen zum Gesamtpreis von 880,- €.

Den Flug nach New York organisierte R selbst, indem er diesen direkt bei der Lufthansa buchte.

Kommt wegen etwaiger Mängel des Hotels das Reisevertragsrecht zur Anwendung?

Lösung: Nach Ansicht des BGH gelten die §§ 651a ff. BGB bei der Buchung von nur einer Reiseleistung zwar nicht direkt, aber jedenfalls analog.

1. Eine unmittelbare Anwendung der §§ 651a ff. BGB scheidet aus, da R keine Gesamtheit von mehreren Reiseleistungen beim Veranstalter TUI gebucht hat.

2. Fraglich ist aber, ob eine analoge Anwendung der §§ 651a ff. BGB in Betracht kommt.

a) Vergleichbare Interessenlage

Eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts kommt u.U. dann in Betracht, wenn zwar keine Gesamtheit von Reiseleistungen geschuldet wird, sondern lediglich eine einzelne Leistung, die Interessenlage aber unter allen wesentlichen Gesichtspunkten derjenigen gleicht, die bei einem Vertrag über eine Gesamtheit von Reiseleistungen gegeben ist.

Fraglich ist aber im Einzelfall, wann die Interessenlage tatsächlich derjenigen des § 651a BGB gleicht, sodass die Analogie gerechtfertigt ist. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei der gesetzliche Begriff des Reiseveranstalters, sodass es auf den Begriff der „Veranstaltung" einer Reise ankommt. Auch die nur analoge Anwendung des Reisevertragsrechts setzt in erster Linie eine Reiseveranstaltung als Gegenstand der umstrittenen Vertragspflicht voraus. Zu klären ist also, was mit diesem Begriff „Veranstaltung" gemeint ist.

Die Veranstaltung einer Reise i.S.d. §§ 651a ff. BGB unterscheidet sich von einer Leistung im Zusammenhang mit einer sonstigen, nicht von einem Reiseveranstalter angebotenen Individualreise unbeschadet teilweiser Übereinstimmung in einem wesentlichen Punkt:

Eine Reiseveranstaltung als Gegenstand des Reisevertrags besteht nicht bloß in der Zurverfügungstellung von Teilleistungen, vielmehr umfasst sie über solche Leistungen hinaus die Gestaltung der Reise selbst. Der Veranstalter verspricht mit ihr eine bestimmte Gestaltung der Reise, zum Beispiel der Urlaubsreise. Er übernimmt in diesem Fall die Haftung für den Erfolg des Urlaubs, soweit dieser von seinen Leistungen abhängt.

Die zusätzliche Besonderheit an der Situation der §§ 651a ff. BGB ist, dass der Veranstalter von Pauschalreisen zwischen den Kunden und den Leistungsträger geschaltet ist, ohne nur Vermittler zu sein. Das Entscheidende ist also, dass einerseits -- anders als bei unmittelbarer Anmietung vom Eigentümer (bloßes Hotelzimmer) -- ein Dreiecksverhältnis vorliegt, andererseits in diesem Dreieck die Rolle des Anbieters aber über die bloße Vermittlung hinausgeht und eine eigene Schuld begründet.

Bei einem Vertrag, der nur die Buchung einer Ferienunterkunft bei einem Reiseveranstalter zum Gegenstand hat, gelten die Vorschriften der §§ 651a ff. BGB nach gefestigter Rechtsprechung des BGH jedenfalls dann analog, wenn der Veranstalter diese Leistung erkennbar in eigener Verantwortung erbringen soll und aus der Sicht eines durchschnittlichen Reisekunden sowie nach dem ihm unterbreiteten Angebot diese einzelne Reiseleistung mit gleichen oder ähnlichen Organisationspflichten wie bei einer Reise erbracht werden soll, bei der neben der Ferienunterkunft noch eine zweite Leistung wie zum Beispiel der Transport zum Reiseziel vereinbart worden ist.1

b) Planwidrige Regelungslücke

Soweit solche Verträge nicht unter §§ 651a ff. BGB fallen, liegt nämlich eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor. Dem Gesetzgeber ging es im Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz über den Reiseveranstaltungsvertrag vom 4. Mai 19792 in der Sache darum, den Reiseveranstaltungsvertrag als einen Vertrag mit gesteigerter Haftung und Verantwortung von dem Reisevermittlervertrag (Reisebüro) abzugrenzen. Hierbei wurde der zu regelnde Reiseveranstaltungsvertrag mit der Pauschalreise, bei der eine Gesamtheit von Leistungen geschuldet wird, gleichgesetzt und von der Vermittlung von einzelnen Leistungen abgegrenzt. Übersehen wurde hierbei, dass die wesentlichen Merkmale einer Reiseveranstalterreise auch dann vorliegen können, wenn nur eine einzelne Reiseleistung gebucht wird.

Ebenso wie der Veranstalter von Aufenthalten in Ferienunterkünften ist der Veranstalter von Pauschalreisen, der eine Gesamtheit von Leistungen erbringt, zwischen Kunden und Leistungsträger geschaltet. Beide erbringen Leistungen in eigener Verantwortung.

Für den Kunden macht es keinen Unterschied, ob er bei einem Veranstalter lediglich eine Ferienunterkunft als einzelne Reiseleistung oder eine Gesamtheit von Reiseleistungen bucht.

3. Aufgrund einer planwidrigen Lücke sind die §§ 651a ff. BGB daher analog anzuwenden.

Kommentar (ty): Auch Individualreisende bedienen sich der Eisenbahn, eines Hotels, eines Skilifts, einer Badeeinrichtung und dergleichen. Der Gegenstand der entsprechenden Verträge erschöpft sich dort in der Transportleistung, der Unterkunft, dem Beschäftigungsangebot. Dabei liegen sehr oft (Hotel) gemischte Verträge vor, bei denen ebenfalls verschiedenartige Leistungen kombiniert sind. Dies allein macht aber noch nicht das Wesen eines Reisevertrags aus. Das Wesen des Reisevertrags besteht in der Organisation der Reise in eigener Verantwortung durch einen Veranstalter.

Wenn also R von dem New Yorker Hotel begeistert ist und sich im nächsten Jahr wieder dazu entschließt, in diesem Hotel seinen New York-Aufenthalt zu verbringen, so liegt ein reiner Mietvertrag vor, wenn R bei dem Hotel direkt und nicht -- wie im vorliegenden Fall -- über einen Reiseveranstalter bucht.


  1. BGH, MDR 2013, 995 f. ; BGH, NJW 2013, 308 **; BGH, NJW 1992, 3158 ff..

  2. Vgl. BT-Drucks. 8/786; 8/2343