Rechtsprechungsübersicht Öffentliches Recht (8)

BVerwG, Urteil vom 11.09.2013 -- 6 C 25.12

von Life and Law am 01.10.2013

+++ Religionsfreiheit +++ Schwimmunterricht +++ Burkini +++

Sachverhalt (vereinfacht): Die elfjährige muslimische Schülerin S besucht seit dem Schuljahr 2011/2012 das X-Gymnasium in der Stadt F in Hessen. Im ersten Halbjahr des Schuljahres 2011/2012 wurde an dem Gymnasium in der von der S besuchten fünften Jahrgangsstufe Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen gemeinsam erteilt (sog. koedukativer Schwimmunterricht). Am Schwimmunterricht haben in der Vergangenheit auch Schülerinnen teilgenommen, die einen sog. Burkini oder eine sog. Haschema tragen, also eine Schwimmbekleidung, die zur Wahrung der muslimischen Bekleidungsvorschriften entwickelt worden ist und den Körper mit Ausnahme der Hände und des Gesichts bedeckt.

Die Eltern der S beantragten eine Befreiung vom Schwimmunterricht nach § 69 III des Hessischen Schulgesetzes. Sie führten aus, dass im Islam sportliche Betätigung jeder Art erlaubt und erwünscht sei. Dabei sollten aber die Grundregeln des Islam, im Fall des Schwimmunterrichts vor allem die Bekleidungsvorschriften, nicht verletzt werden. Insbesondere müsse der ganze Körper mit Ausnahme des Gesichts und der Hände bedeckt sein. Außerdem müsse ein Kopftuch getragen werden. Diese Vorschriften gingen direkt auf den Koran sowie auf die überwiegende Meinung der islamischen Rechtsgelehrten zurück. Deshalb sei es im Islam nicht erlaubt, dass Mädchen und Jungen an einem gemischten Schwimmunterricht teilnehmen. Nach Ablehnung des Antrags erhoben sie eine entsprechende Verpflichtungsklage.

Besteht ein Anspruch auf die begehrte Befreiung?

Lösung: Das BVerwG verneint einen solchen Anspruch und folgt damit im Ergebnis und in der Begründung dem VGH Kassel, das in der Berufungsinstanz die Klage bereits abgewiesen hatte (VGH Kassel, Urteil vom 28.09.2012, 7 A 1590/12 = Life & Law 8/2013, 610 ).

Ein Anspruch auf Befreiung setzt nach § 69 III HSchG einen besonderen Grund voraus, der hier allein darin liegen kann, dass der koedukative Schwimmunterricht der S unter Berücksichtigung derer Rechte aus Art. 4 GG nicht zumutbar ist.

Das Tragen eines Burkini ist der S nach Auffassung des BVerwG aber zumutbar, sodass auf andere, einfachere Art und Weise als durch eine Befreiung vom Schwimmunterricht der Konflikt zwischen den religiösen Interessen der S bzw. deren Eltern auf der einen Seite und den berechtigten Interessen des Staates an einem gerade auch koedukativen Schwimmunterricht gelöst werden kann. S hat im Verfahren vor dem BVerwG nicht hinreichend verdeutlichen können, dass und inwiefern die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht bei Anlegen eines Burkini die aus ihrer Sicht maßgeblichen muslimischen Bekleidungsvorschriften verletzt hätte.

Eine Befreiung war auch nicht deshalb geboten, weil sie im Schwimmunterricht den Anblick männlicher Mitschüler in Badekleidung hätte auf sich nehmen müssen. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter - einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung - konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind. Die Schulpflicht steht nicht unter dem Vorbehalt, dass die Unterrichtsgestaltung die gesellschaftliche Realität in solchen Abschnitten ausblendet, die im Lichte individueller religiöser Vorstellungen als anstößig empfunden werden mögen.

Die Gefahr zufälliger Berührungen mit männlichen Mitschülern kann durch eine entsprechend umsichtige Unterrichtsdurchführung seitens der Lehrer sowie durch eigene Vorkehrungen der Klägerin auf ein hinnehmbares Maß reduziert werden.

hemmer-Methode: Die Entscheidung des BVerwG ist -- wie schon die Vorgängerentscheidung des VGH Kassel -- weitgehend auf ein sehr positives Echo gestoßen. Es wird betont, dass die Entscheidung einen interessengerechten Ausgleich zwischen den religiösen Interessen der betroffenen muslimischen Schülerinnen einerseits und dem Integrationsauftrag des Staates andererseits darstelle. So schreibt bspw. die FAZ: **„**Auch muslimische Schülerinnen müssen am Schwimmunterricht teilnehmen. So hat es das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Gut so. Das Grundgesetz schützt zwar die Religionsfreiheit, hat aber auch einen Integrationsauftrag. Und dazu gehört, dass sich religiöse Minderheiten nicht abschotten." (http://www.faz.net/aktuell/politik/muslima-im-sportunterricht-integrationsauftrag-12569732.html).

Das kann man so sehen -- muss es aber nicht:

Zum einen zeigt die Praxis in vielen Fällen, dass die hehren Ziele nicht erreicht werden. So ist die Folge auf ähnliche Entscheidungen oft, dass die Schülerin trotz der richterlichen Entscheidung nicht am Unterricht teilnimmt, mit der Folge, dass sie im Sport bzw. Schwimmen die Note „6" erhält. Damit ist weder der Integration noch dem Interesse daran, dass möglichst alle Kinder schwimmen können sollen, genüge getan. Ein getrenntgeschlechtlicher Schwimmunterricht wäre allemal besser geeignet, zumal die Frage gestellt werden muss, ob Schwimmunterricht wirklich der Integration religiöser Minderheiten dienen soll.

Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Schule nicht in besonderem Maße auf die religiösen Belange der Schüler Rücksicht nehmen sollte. Das Argument, Art. 4 GG gebe kein Recht darauf, nicht mit den „Verhaltensgewohnheiten Dritter - einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung - konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind", überzeugt insoweit nur bedingt. An Orten außerhalb der Schule kann das der oder die Einzelne in viel größerem Umfang selbst steuern, welchen Einflüssen Dritter er sich aussetzen möchte, in der Schule hingegen ist er hierzu aufgrund der Schulpflicht gezwungen!