Rechtswidrig beseitigtes Baudenkmal? Dann ist es jetzt ja kein Denkmal mehr!

BVerwG, Urt. v. 12.12.2013, 4 C 15/12, NVwZ 2014, 454

von Life and Law am 01.11.2014

+++ Voraussetzungen der bauordnungsrechtlichen Beseitigungsanordnung +++ Denkmaleigenschaft als Versagungsgrund für die Baugenehmigung gem. § 35 II, III S. 1 Nr. 5 BauGB +++ Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens +++

Sachverhalt (vereinfacht): A ist Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Seeufergrundstücks in der Gemeinde Eching am Ammersee (Landkreis Landsberg am Lech; Regierungsbezirk Oberbayern). Auf diesem Grundstück befindet sich ein im Jahr 1900 erbautes eingeschossiges Landhaus im Norwegerstil mit Grassodendach. In diesem Gebäude lebte früher der berühmte Maler Hans Beat Wieland. Bereits im Jahr 1980 wurde das Gebäude in die Denkmalliste, Teil Baudenkmäler eingetragen. Im Jahr 2006 erhielt A die von ihm beantragte Baugenehmigung für den Umbau und die Sanierung der Kellerräume im bestehenden Wohnhaus und zur Errichtung einer aufgeständerten Terrasse, sowie zur Sanierung des Daches und zum Einbau von zwei zusätzlichen Dachgauben. Während der Bauphase führte die Bauaufsichtsbehörde eine Baukontrolle durch. Hierbei wurde bemerkt, dass A erheblich von den Vorgaben der Baugenehmigung abgewichen ist und das Gebäude bereits vollständig entkernt wurde, wodurch das Gebäude die Denkmaleigenschaft verloren hat.

Daraufhin sprach das Landratsamt Landsberg am Lech nach vorheriger Anhörung des A eine Beseitigungsanordnung gegen A aus, die diesem aufgab, das bereits teilweise sanierte Gebäude zu beseitigen. Zur Begründung führt die Behörde aus, das Vorhaben sei so, wie es A begonnen hatte auszuführen, sowohl formell als auch materiell rechtswidrig, da es Belange des Denkmalschutzes beeinträchtige. Gegen die Beseitigungsanordnung erhebt A fristgerecht Klage zum zuständigen Verwaltungsgericht.

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg? Für die Entkernung des Gebäudes wäre eine Baugenehmigung erforderlich gewesen.

A) Sounds

1. Auch wenn die Denkmaleigenschaft eines im Außenbereich belegenen Bauwerks durch eine ungenehmigte bauliche Maßnahme zerstört wird, kann die Genehmigungsfähigkeit der durchgeführten Maßnahmen jedenfalls nicht mehr am öffentlichen Belang des Denkmalschutzes (§ 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB) scheitern.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung der Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung ist der Zeitpunkt der diesbezüglichen behördlichen Entscheidung.

B) Problemaufriss

Im vorliegenden Fall hat der Eigentümer eines denkmalgeschützten Gebäudes die Denkmaleigenschaft durch eine wegen § 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB ungenehmigte Maßnahme selbst zerstört. Hiergegen schritt die Behörde mit einer repressiven Maßnahme (hier: einer Beseitigungsanordnung) ein. Im Rahmen der Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung kommt es nach ganz herrschender Meinung darauf an, ob das zu beseitigende Vorhaben nicht nur formell rechtswidrig, sondern auch materiell rechtswidrig ist, was jedenfalls der Fall ist, wenn es nicht genehmigungsfähig ist. Führt die Behörde als Begründung für die mangelnde Genehmigungsfähigkeit nun an, dass der öffentliche Belang des Denkmalschutzes berührt sei, so stellt sich die Frage, ob der Eigentümer paradoxer Weise davon profitieren darf, die Denkmaleigenschaft zwischenzeitlich durch rechtswidrige Zerstörung selbst beseitigt zu haben. Letztlich geht es hierbei um die Frage, ob für die Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung auf den Zeitpunkt des Beginns der Ausführung des Vorhabens oder auf die behördliche Entscheidung zur Beseitigungsanordnung oder gar erst auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen ist.

C) Lösung

Die Klage hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie in die Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts fällt (I), sie zulässig (II) und begründet (III) ist.

Anmerkung: Beachten Sie, dass hier ein dreistufiger Aufbau gewählt wurde, nachdem dies der inzwischen wohl h.M. entspricht. Vertretbar wäre es auch, einen nur zweistufigen Aufbau, bestehend aus (I.) Zulässigkeit und (II.) Begründetheit zu wählen. Sachgerechter ist jedoch die hier gewählte Lösung, in der die Entscheidungskompetenz des Gerichtes vor der Zulässigkeit der Klage geprüft wird. Hintergrund ist, dass bei fehlender Entscheidungskompetenz des Gerichtes (sei es weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist, oder das Gericht sachlich oder örtlich unzuständig ist) keine Abweisung der Klage als unzulässig erfolgt, sondern die Klage an das zuständige Gericht verwiesen wird, vgl. § 17a II GVG, der über § 83 VwGO auch für die sachliche und örtliche Zuständigkeit des VG gilt.

I. Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts

Zunächst muss die Entscheidung über die Klage in der Kompetenz des Gerichts liegen.

1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Hierfür muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Nachdem eine aufdrängende Sonderzuweisung nicht ersichtlich ist, richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach der Generalklausel des § 40 I VwGO. Voraussetzung ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art und dass keine abdrängende Sonderzuweisung besteht.

Die streitentscheidenden Normen sind vorliegend solche des öffentlichen Baurechts, insbesondere der Landesbauordnung, sodass schon nach der Subordinationstheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist diese auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Somit ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I VwGO eröffnet.

Anmerkung: An dieser Stelle dürfen Sie sich auch in der Klausur durchaus kurz fassen. Ein weiteres Ausbreiten der einschlägigen Theorien (Interessentheorie, Subordinationstheorie, modifizierte Subjektstheorie) ist in solch evidenten Fällen nicht nötig und kann unter Umständen sogar als mangelnde Schwerpunktsetzung negativ bewertet werden.

2. Zuständigkeit des Gerichts

Nachdem das Vorhaben im Gemeindegebiet der Gemeinde E in Oberbayern liegt, ist das VG München gem. § 52 I Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 II Nr. 1 (Bay)AGVwGO örtlich und gem. § 45 VwGO sachlich zuständig.

3. Zwischenergebnis

Die Entscheidungskompetenz des VG München ist eröffnet.

II. Zulässigkeit

Die Klage müsste auch zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehren, § 88 VwGO.

Vorliegend begehrt A die Aufhebung der Beseitigungsanordnung. Bei dieser handelt es sich um eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalls mit Außenwirkung, sodass ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG vorliegt.

Anmerkung: Bei der Frage, ob das BundesVwVfG oder das LandesVwVfG zu zitieren ist, wird grundsätzlich darauf abgestellt, ob eine Bundesbehörde oder (was in Klausuren meistens der Fall ist) eine Landesbehörde gehandelt hat. Hier wäre also grundsätzlich das BayVwVfG zu zitieren. Dogmatisch korrekt ist es jedoch, im Rahmen der Zulässigkeit stets das BundesVwVfG zu zitieren, weil Sie hier die VwGO und somit Bundesrecht anwenden.

Würden Sie das LandesVwVfG zitieren, so würden Sie dem Landesgesetzgeber die Befugnis einräumen, den Anwendungsbereich einer bundesrechtlichen Norm (hier: § 42 I VwGO) zu bestimmen. Dies ist aber nicht zulässig. Viele Korrektoren erwarten aber nach wie vor stets das Zitat des LandesVwVfG auch in der Zulässigkeit.

Statthafte Klageart zur Aufhebung von Verwaltungsakten ist die Anfechtungsklage i.S.d. § 42 I S. 1 Alt. 1 VwGO.

2. Klagebefugnis

A ist als Adressat eines ihn belastenden Verwaltungsakts auch klagebefugt i.S.d. § 42 II VwGO, weil er durch die belastende Wirkung des Verwaltungsakts zumindest in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt sein kann, sog. Adressatentheorie. Darüber hinaus kommt hier eine Verletzung der Eigentumsfreiheit des A nach Art. 14 I S. 1 GG in Betracht.

Anmerkung: Zur Begründung der Klagebefugnis reicht allein der Hinweis darauf, dass der Kläger Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes ist, nicht aus. Die Adressatentheorie besagt nur, dass in diesen Fällen jedenfalls eine Verletzung des Adressaten in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG (allgemeine Handlungsfreiheit) stets möglich ist. Eine mögliche Rechtsverletzung ist somit aber neben der Adressatenstellung immer mit zu nennen.

3. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Das nach § 68 I S. 1 VwGO erforderliche Vorverfahren entfällt in Bayern nach § 68 I S. 2 VwGO i.V.m. Art. 15 II BayAGVwGO. Die Klage ist laut Sachverhalt fristgerecht erhoben. Der Kläger ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und nach § 62 I VwGO auch prozessfähig.

4. Zwischenergebnis

Die Klage ist zulässig.

III. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist, der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, §§ 78 I, 113 I S. 1 VwGO.

1. Richtiger Beklagter

Richtiger Beklagter ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO der Rechtsträger der handelnden Behörde. Hier hat mit dem Landratsamt die untere Bauaufsichtsbehörde gehandelt. Da es sich bei Eching am Ammersee um eine kreisangehörige Gemeinde handelt, hat das Landratsamt als Staatsbehörde gehandelt, Art. 53 I S. 1 BayBO i.V.m. Art. 37 I S. 2 LKrO, Art. 54 I BayBO (Doppelfunktion des Landratsamts). Als Rechtsträger passivlegitimiert ist damit der Freistaat Bayern.

2. Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts

Als Verwaltungsakt, der in die Rechte des Adressaten eingreift, benötigt die Beseitigungsanordnung eine Rechtsgrundlage.

a) Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage für die bauordnungsrechtliche Beseitigungsanordnung ist Art. 76 S. 1 BayBO.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Sachlich zuständig ist vorliegend das Landratsamt Landsberg am Lech als Staatsbehörde, Art. 53 I S. 1 BayBO i.V.m. Art. 37 I S. 2 LKrO, Art. 54 I BayBO. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 3 I Nr. 1 BayVwVfG.

Verfahrens- und Formfehler sind nicht ersichtlich.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Im Tatbestand setzt Art. 76 S. 1 BayBO voraus, dass eine Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde und ein rechtmäßiger Zustand nicht auf andere Weise als durch Beseitigung hergestellt werden kann. Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist denkbar aufgrund formeller und materieller Illegalität.

Formelle Illegalität bedeutet, dass das Vorhaben ohne eine erforderliche Genehmigung errichtet wurde.

Anmerkung: Nur das Fehlen einer tatsächlich erforderlichen Genehmigung macht ein Vorhaben formell illegal. Ist ein Vorhaben genehmigungs- bzw. verfahrensfrei, kann es daher nicht formell illegal sein.

Materielle Illegalität bedeutet hingegen, dass das Vorhaben nicht mit den materiellen baurechtlichen Vorschriften im Einklang steht. Insoweit kommen sämtliche baurechtliche Normen und nicht nur die Vorschriften zur Genehmigungsfähigkeit nach Art. 68 I, 59 f. BayBO in Betracht.1

Anmerkung: Ein Vorhaben, das nicht genehmigungsfähig ist, ist stets materiell illegal. Der Umkehrschluss trifft hingegen nicht immer zu, weil nicht alle baurechtlichen Normen im Genehmigungsverfahren auch immer geprüft werden. Der Prüfungsumfang hängt wesentlich von der Art des Genehmigungsverfahrens ab. Im vereinfachten Genehmigungsverfahren etwa spielt fast ausschließlich Bauplanungsrecht eine Rolle. Hier kann ein Vorhaben also genehmigungsfähig sein, obwohl es gegen Bauordnungsrecht verstößt. Art. 55 II BayBO stellt insoweit klar, dass die materielle Illegalität im Sinne des Art. 76 S. 1 BayBO auch auf Vorschriften der BayBO gestützt werden kann.

Maßstab für Beseitigungsanordnung

Ginge man einzig von der Voraussetzung des Widerspruchs zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften aus, so würde es für eine Beseitigungsanordnung bereits ausreichen, wenn ein Vorhaben formell illegal ist. Damit liegt nämlich bereits ein Verstoß gegen solche öffentlich-rechtliche Vorschriften vor, die bestimmen, dass ein genehmigungspflichtiges Vorhaben erst errichtet werden darf, wenn die Genehmigung erteilt wurde, Art. 55 I, 68 V BayBO.

Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist aber, dass „nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können" als durch eine Beseitigungsanordnung. Ist aber ein Vorhaben materiell legal und somit auch genehmigungsfähig, so können rechtmäßige Zustände auf andere Weise, nämlich durch Genehmigungserteilung, hergestellt werden. Aus diesem Grunde ist eine Beseitigungsanordnung nur dann rechtmäßig, wenn das Vorhaben sowohl formell als auch materiell illegal ist.2

Anmerkung: Nach Art. 55 II BayBO kommt eine Beseitigungsanordnung letztlich sogar dann in Betracht, wenn das Vorhaben genehmigt, also formell legal ist, aber gegen solche Vorschriften verstößt, die im Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind.

formelle Illegalität

Die formelle Illegalität ist vorliegend gegeben, weil es sich um ein laut Bearbeitervermerk genehmigungspflichtiges Vorhaben handelt, für das keine Genehmigung erteilt wurde.

materielle Illegalität

Fraglich ist aber, ob das Vorhaben auch materiell illegal ist.

Mangels weiterer Angaben kommt hier lediglich ein Verstoß gegen Bauplanungsrecht in Betracht.

Verstoß gegen Bauplanungsrecht

Das Vorhaben des A stellt eine Änderung einer baulichen Anlage nach § 29 I BauGB dar, die auch die erforderliche bauplanungsrechtliche Relevanz i.S.d. § 1 VI BauGB aufweist.

Da das Vorhaben im Außenbereich liegt, richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB. Bei dem Wohnvorhaben handelt es sich um ein nichtprivilegiertes, sonstiges Vorhaben i.S.d. § 35 II BauGB, das unzulässig ist, soweit öffentliche Belange beeinträchtigt werden.

Beeinträchtigung öffentlicher Belange

Insoweit kommt ein Verstoß gegen § 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB in Betracht. Hiernach liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vor, wenn das Vorhaben Belange des Denkmalschutzes beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung der Belange des Denkmalschutzes liegt u.a. dann vor, wenn durch eine bauliche Maßnahme die Denkmaleigenschaft eines Gebäudes beseitigt würde.

Eine Beseitigung der Denkmaleigenschaft ist hier auch geschehen. Das Vorhaben wäre somit vor Beginn der Ausführung keinesfalls genehmigungsfähig gewesen. Anders stellt sich die Situation aber zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung dar, da hier bereits keine Denkmaleigenschaft mehr vorlag.

Auf welchen Zeitpunkt ist abzustellen?

Es stellt sich damit die Frage, auf welchen Zeitpunkt insoweit abzustellen ist. Grundsätzlich ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich.

BayVGH: vor Beginn der Ausführungsarbeiten

Die Vorinstanz, der VGH München, hatte die Beseitigungsanordnung für rechtmäßig gehalten, weil es für die Beurteilung der materiellen Illegalität im konkreten Fall auf den Zeitpunkt vor Beginn der Ausführungsarbeiten ankomme. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Zeitpunkt für die Genehmigungsfähigkeit vorverlegt, um dem Anliegen des Denkmalschutzes in § 35 III S. 1 Nr. 5 BauGB Rechnung zu tragen. Er entnimmt der Vorschrift, dass die eigenmächtige Beseitigung eines Baudenkmals nicht ohne Folgen für den Bauherrn bleiben dürfe. Damit führten in erster Linie Billigkeitserwägungen zu der vom VGH getroffenen Auslegung.

BVerwG: frühestens im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung

Das BVerwG hat entschieden, dass an den allgemeinen Grundsätzen festzuhalten sei, nach denen es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung ankommt.3 Das Gericht lässt zudem ausdrücklich offen, ob nicht im Rahmen der Beseitigungsanordnung sogar erst auf den Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung abzustellen sei. Begründet wird diese Möglichkeit damit, dass Art. 76 S. 1 BayBO bestimmt, dass eine Beseitigungsanordnung nur rechtmäßig ist, „wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können". Diese Bestimmung sei - im Hinblick auf Art. 14 I GG bzw. den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Ausfluss der verfassungsrechtlichen Dimension der Beseitigungsanordnung. Nach Ansicht des BVerwG könnte daher sogar zu prüfen sein, ob sich die Sach- und Rechtslage dergestalt verändert hat, dass die bauliche Anlage nunmehr genehmigungsfähig ist.

Hierauf kam es im vorliegenden Fall aber nicht an. Denn im Fall war bereits zum insofern frühest möglichen maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Beseitigungsanordnung die Denkmaleigenschaft des klägerischen Wohnhauses infolge seiner nahezu vollständigen Entkernung entfallen. Die Genehmigungsfähigkeit des Umbaus konnte damit nicht mehr am öffentlichen Belang des Denkmalschutzes in § 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB scheitern.

Der vom VGH vertretenen Ansicht, dass der maßgebliche Zeitpunkt vorzuverlagern sei, tritt das BVerwG entgegen. Das Bauplanungsrecht habe nicht die Aufgabe, rechtswidriges Verhalten zu sanktionieren. Dafür gäbe es andere rechtliche Instrumentarien. Werden bauliche Maßnahmen unter Verstoß gegen geltendes Recht, insbesondere ohne die hierfür erforderliche Baugenehmigung durchgeführt, könne dies auf der Grundlage entsprechender Ordnungswidrigkeitentatbestände in den Ländern (hier: Art. 79 I Nr. 8 BayBO) mit Geldbuße geahndet werden. Für den Fall der Beeinträchtigung oder Zerstörung eines Baudenkmals enthält zudem das Bayerische Denkmalschutzgesetz (BayDSchG) in Art. 23 I Nr. 2 einen entsprechenden Bußgeldtatbestand. Ferner ermächtigt Art. 15 III BayDSchG die Untere Denkmalschutzbehörde u.a. für den Fall, dass die Beseitigung oder Veränderung eines Baudenkmals ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt wurde, dazu, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zu verlangen, soweit dies noch möglich ist. Über Art. 15 IV BayDSchG ist der widerrechtlich Handelnde zudem - und unabhängig von der Verhängung einer Geldbuße - zur Wiedergutmachung des von ihm angerichteten Schadens bis zu dessen vollem Umfang verpflichtet.

Das gesetzgeberische Anliegen, das hinter § 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB steht, laufe damit - anders als der VGH meint - nicht leer. Die Vorschrift verdrängt die landesrechtlichen Bestimmungen nicht. Sie gewährleiste nur ein Mindestmaß an bundesrechtlich eigenständigem, von landesrechtlicher Regelung unabhängigem Denkmalschutz. Im Verhältnis zu den denkmalrechtlichen Vorschriften, die nach § 29 II BauGB unberührt bleiben, hat sie nur eine Auffangfunktion.

somit: Vorhaben im maßgeblichen Zeitpunkt genehmigungsfähig

Damit war das Vorhaben zum maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich der behördlichen Entscheidung, genehmigungsfähig. Hier bestand bereits keine Denkmaleigenschaft des Gebäudes mehr, sodass Belange des Denkmalschutzes nicht beeinträchtigt sein konnten. Die Beeinträchtigung weiterer öffentlicher Belange i.S.d. § 35 III S. 1 BauGB ist nicht ersichtlich.

Es konnten daher auf andere Weise als durch Beseitigungsanordnung, nämlich durch Genehmigungserteilung, rechtmäßige Zustände hergestellt werden.

Die Beseitigungsanordnung ist damit materiell rechtswidrig.

2. Rechtsverletzung

Durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt ist der Kläger auch in seinen Rechten aus Art. 14 I GG verletzt.

IV. Ergebnis

Die Klage hat Erfolg.

D) Kommentar

(mg). Die Entscheidung überrascht im ersten Moment. Hier scheint der Eigentümer, der absichtlich und rechtswidrig die Denkmaleigenschaft seines Gebäudes zerstört, besser gestellt als der Eigentümer, der sich an die denkmalschutzrechtlichen Vorschriften hält. Dies mag im Bereich des Baurechts auch zutreffen. Schließlich erhält der Bauherr „nachträglich" eine Baugenehmigung und darf seine Arbeiten ohne denkmalschutzrechtliche Einschränkungen zum Ende bringen. Dieses Ergebnis schien dem VGH München so paradox, dass er -- fernab von dogmatischen Grundsätzen -- eine Billigkeitsentscheidung fällte. Dem hat das BVerwG zu Recht eine Absage erteilt. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Handlung könne eben nicht flexibel verschoben werden.

Dies klingt zunächst nach wünschenswerter Rechtssicherheit, die das BVerwG aber postwendend wieder beseitigt, indem es in den Raum stellt und letztlich offenlässt, ob für die Beurteilung einer Beseitigungsanordnung vielleicht doch erst der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich sei. Hier wäre eine Entscheidung dieser Frage durchaus wünschenswert gewesen. Das BVerwG scheint hier tatsächlich zur letzteren Lösung zu tendieren. Dies würde aber bedeuten, dass der Bauherr sogar während des gerichtlichen Verfahrens noch die Möglichkeit hätte, die Denkmaleigenschaft seines Gebäudes auf rechtswidrige Weise zu zerstören, um so zu einem für ihn günstigen Ausgang des Verfahrens zu gelangen. Auch dieser Standpunkt ließe sich mit dem vom BVerwG angeführten Hinweis auf die Sanktionsmöglichkeiten des Denkmalschutzrechts vertreten, wenngleich die Befürchtungen, die der VGH München geäußert hatte, § 35 III S. 1 Nr. 5 Alt. 4 BauGB drohe leerzulaufen, nicht von der Hand zu weisen sind.

E) Zur Vertiefung

  • Zur Beseitigungsanordnung Hemmer/Wüst, Baurecht Bayern, Rn. 442 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Was versteht man unter „Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen

    Vorschriften" i.S.d. Art. 76 S. 1 BayBO?

  2. Wann ist ein Vorhaben formell illegal?

  1. Zur Frage, inwieweit eine zwischenzeitlich bestehende materielle Legalität einer Beseitigungsanordnung wegen hierdurch eintretenden Bestandschutzes entgegensteht, vgl. Grieger/Morawietz, Bestandsschutz im Baurecht, Life & Law 10/2011, 746, 748.

  2. Im Rahmen der Nutzungsuntersagung und Baueinstellungsverfügung wird dies anders gesehen, da hier keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, vgl. Grieger/Morawietz, Bestandsschutz im Baurecht, Life & Law 10/2011, 746, 752 f.

  3. So bereits BVerwG 4 B 161.92 = NVwZ 1993, 476.