Zurechnung nach § 166 BGB (analog): Beim Schuldner ja; beim Gläubiger nein -- jedenfalls bei der Verjährung ...

BGH, Urteil vom 23.01.2014, III ZR 436/12

von Life and Law am 01.05.2014

+++ Wissenszurechnung im Zusammenhang mit Verjährungsbeginn +++ Direkte und analoge Anwendung des § 166 I BGB +++ §§ 166 I, 199 I Nr. 2 BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht): V ist Verwalter mehrerer Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG). Über mehrere Jahre veruntreute er Gelder von den jeweiligen Konten der Wohnungseigentümergemeinschaften. Dies erfolgte dergestalt, dass er verschiedene Überweisungen zwischen den Konten der WEGen abwickelte und Teilbeträge dann jeweils auf seine Konten abzweigte.

Im Jahr 2006 überwies V vom Konto der X-WEG (im Folgenden X) auf das Konto der Y-WEG (im Folgenden Y) einen Betrag in Höhe von 10.000,- €, welchen er sodann von diesem Konto auf sein Konto überwies.

X erfuhr von diesem Vorgang im Jahr 2007. Im Jahr 2010 erhob X Klage gegen Y auf Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 10.000,- €.

Besteht ein durchsetzbarer Zahlungsanspruch von X gegen Y?

A) Sounds

1. Eine Wissenszurechnung eines Vertreters analog § 166 I BGB von anspruchsbegründenden Umständen i.S.d. § 199 I Nr. 2 BGB findet nicht statt.

2. Dies gilt auch dann, wenn sich der Anspruch zwar nicht gegen den Vertreter richtet, jedoch mit einem gegen ihn gerichteten Anspruch in einem so engen Verhältnis steht, dass auch hier die Befürchtung besteht, der Vertreter werde nicht zu einer sachgerechten Verfolgung des Anspruchs beitragen.

B) Problemaufriss

Mehrpersonenverhältnisse spielen im Examen eine große Rolle. Der Ersteller einer Klausur hat so die Möglichkeit, zusätzliche Fragestellungen in die Klausur einzubauen und somit bei der Punktevergabe zu differenzieren.

Themen wie Stellvertretung, Vertrag zu Gunsten Dritter, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter müssen dem Examenskandidaten geläufig sein.

Vorliegend befasst sich der BGH mit Zurechnungsproblemen. Die Thematik „Zurechnung" ist deshalb nicht ganz einfach zu erfassen, weil es im BGB verschiedene Zurechnungsnormen gibt, die jeweils einen anderen Regelungsbereich haben. Es muss danach differenziert werden, was zugerechnet werden soll:

Soll eine Willenserklärung zugerechnet werden, richtet sich dies nach den Voraussetzungen der Stellvertretung, § 164 I S. 1 BGB.

Soll eine Täuschung zugerechnet werden, ist § 123 II BGB zu beachten.

Geht es um Verschuldenszurechnung, ist § 278 BGB zu prüfen.1

Soll das deliktische Fehlverhalten eines Dritten zugerechnet werden, erfolgt dies gem. § 831 I S. 1 BGB. Hier wird nicht das Verschulden zugerechnet, sondern die unerlaubte Handlung eines Verrichtungsgehilfen.

Geht es um die Zurechnung von Kenntnis (Wissen), Kennenmüssen (schuldhafte Unkenntnis, vgl. § 122 II BGB) oder Irrtümern (Willensmängel), ist § 166 I BGB von zentraler Bedeutung. Ausweislich des Wortlauts ist die Vorschrift relevant, wenn es um die Wirkungen einer Willenserklärung geht. Klassischer Anwendungsfall ist hier der gutgläubige Eigentumserwerb (Wissenszurechnung) bzw. der Irrtum des Vertreters (Willensmangel).

Zu § 166 I BGB hat sich eine schwer überschaubare Analogiediskussion entwickelt. Es gibt an verschiedenen Stellen ein Bedürfnis für die Zurechnung der Kenntnis von Hilfspersonen, ohne dass diese Hilfspersonen eine Willenserklärung abgeben. So ist z.B. im Rahmen des § 990 BGB von Bedeutung, ob bei dem Realakt der Besitzerlangung die Bösgläubigkeit einer Hilfsperson zugerechnet werden kann. Nach h.M. ist dies analog § 166 I BGB der Fall, wenn die Hilfsperson nicht nur eine botenähnliche Stellung bekleidet, sondern grundsätzlich mit Vertreterbefugnissen ausgestattet ist.2

Vorliegend geht es im Kern um die Frage, ob § 166 I BGB im Rahmen der den Verjährungsbeginn regelnden Norm des § 199 I Nr. 2 BGB angewendet werden kann. Hier kann es von vorneherein wiederum nur um eine analoge Anwendung gehen, denn § 199 I Nr. 2 BGB regelt nicht die Wirkungen einer Willenserklärung, sondern die Frage nach der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob X einen durchsetzbaren Anspruch gegen Y auf Rückzahlung in Höhe von 10.000,- € hat. Da zwischen X und Y keine vertraglichen Beziehungen bestehen, kommen lediglich bereicherungsrechtliche Ansprüche in Betracht.

I. Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB

Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB

1. erlangtes Etwas

2. durch Leistung (Erfüllung einer vermeintlichen Verbindlichkeit)

3. ohne Rechtsgrund

4. kein Ausschluss gem. §§ 814, 817 S. 2 BGB

5. Umfang des Anspruchs, §§ 818 f. BGB

6. Verjährung des Anspruchs, §§ 195, 199 BGB

Möglicherweise kann X von Y Rückzahlung gem. § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB verlangen. Dann müsste Y ein vermögenswerter Vorteil durch Leistung der X zugeflossen sein.

1. Erlangtes Etwas

Im Überweisungsverkehr erfolgt die Zahlung durch Gutschrift auf dem Empfängerkonto. Erlangtes Etwas im bereicherungsrechtlichen Sinne ist zunächst ein Anspruch „auf Gutschrift", d.h. darauf, dass der überwiesene Betrag dem Konto des Empfängers gutgeschrieben wird, § 675t I BGB.

Ist der Betrag bereits gutgeschrieben worden, besteht der vermögenswerte Vorteil darin, Auszahlung des gutgeschriebenen Betrags verlangen zu können (Anspruch „aus der Gutschrift"). Anspruchsgrundlage dafür sind §§ 780, 781 BGB, da die einzelne Gutschrift nach h.M. ein abstraktes Schuldanerkenntnis darstellt.3

Vorliegend wurde der Geldbetrag dem Konto der Y gutgeschrieben, so dass von einem „Erlangten Etwas" auszugehen ist.

2. Durch Leistung

Fraglich ist jedoch, ob die Vermögensmehrung bei Y auf einer Leistung der X basiert. Da keine vertragliche Beziehung zwischen X und Y bestand und auch sonstige Verbindlichkeiten im Sachverhalt nicht erwähnt werden, scheidet eine Leistung jedoch aus. Denn das Vorliegen einer Leistung bestimmt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB analog.4 Aus der Sicht der Y erfolgte der Geldzufluss jedoch nicht zur Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit. Selbst wenn man auf X abstellt, ergibt sich vorliegend nichts anderes.

I. Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB

Anspruch aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB

1. erlangtes Etwas

2. in sonstiger Weise

3. auf dessen Kosten

4. ohne Rechtsgrund

5. Umfang des Anspruchs, §§ 818 f. BGB

6. Verjährung des Anspruchs, §§ 195, 199 BGB

Möglicherweise kann X von Y aber Rückzahlung gem. § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB verlangen.

Anmerkung: Wenn Sie den Aufbau der zwei Anspruchsgrundlagen miteinander vergleichen, fallen zwei Unterschiede auf. Das Merkmal „auf dessen Kosten" wird nur in Alt. 2 geprüft. Es dient der Ermittlung des Bereicherungsgläubigers. Dies ist derjenige, welcher spiegelbildlich zu dem Vermögenszufluss auf Empfängerseite einen Vermögensabfluss zu verzeichnen hat. Im Rahmen der Leistungskondiktion ergibt sich der Gläubiger des Anspruchs bereits aus der Definition der Leistung selbst. Der zweite Unterschied besteht darin, dass bei einer Nichtleistungskondiktion keine Ausschlussgründe geprüft werden. Die drei Ausschlussgründe §§ 814, 815, 817 S. 2 BGB gelten nur für Leistungskondiktionen. Sie stellen Konkretisierungen treuwidrigen Verhaltens dar. Den Vorwurf kann man von vorneherein nur jemandem machen, der bewusst agiert, was bei der Nichtleistungskondiktion nicht der Fall ist.

1. In sonstiger Weise auf Kosten der X

Die Vermögensverschiebung erfolgte auf Kosten der X, da der der Y gutgeschriebene Betrag dem Konto der X belastet wurde.

2. Ohne Rechtsgrund

Da ein Vertrag oder ein sonstiges eine Verbindlichkeit begründendes Schuldverhältnis zwischen X und Y nicht vorliegt, erfolgte die Vermögensverschiebung zudem ohne rechtlichen Grund.

Demnach ist der Tatbestand des § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB dem Grunde nach verwirklicht.

Anmerkung: Bitte bedenken Sie, dass dieser Anspruch nicht am Vorrang der Leistungsbeziehung scheitert. Die überweisende Bank verfolgt gegenüber dem Zahlungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern wird nur als „verlängerter Arm" des Überweisenden tätig. Eine Notwendigkeit, eine Rückabwicklung im Verhältnis der Bank zu Y vorzunehmen, ergibt sich auch nicht aus § 675u S. 1 u. 2 BGB. Dass der Überweisung keine Leistung der X zugrunde lag, ändert nichts an der Tatsache, dass die Überweisung durch X autorisiert war, § 675j I BGB, denn der WEG-Verwalter hat Vertretungsmacht, sodass er einem Zahlungsvorgang (wirksam) zustimmen kann.

Er überschreitet lediglich seine Befugnisse im Innenverhältnis, missbraucht also seine Vertretungsmacht. Das führt zu einer Haftung im Innenverhältnis, lässt die Wirksamkeit des Verhaltens im Außenverhältnis jedoch unberührt.

3. Umfang der Haftung

Gem. § 818 I BGB erfasst der Anspruch auf Herausgabe auch die gezogenen Nutzungen. Ist Bereicherungsgegenstand eine Geldforderung, schuldet demnach der Schuldner Herausgabe etwaiger Zinsen, die er auf den Geldbetrag erzielt hat.

Anmerkung: Sollten keine Zinsen erzielt worden sein, gibt es keine Haftung für schuldhaft nicht gezogene Zinsen, da es eine dem § 347 I S. 1 BGB entsprechende Norm im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht gibt. Lediglich im Falle einer verschärften Haftung ergäbe sich eine Haftung gem. §§ 819 I, 818 IV, 291 BGB. Sofern der Bereicherungsschuldner den Geldbetrag zur Schuldentilgung eingesetzt haben sollte, hätte er Nutzungen in Form von ersparten Kreditzinsen erzielt, welche er der Höhe nach ersetzen müsste. In der Regel wird der Bereicherungsgläubiger nicht wissen, was genau der Schuldner mit dem Geld angestellt hat. Insoweit besteht jedoch ein Auskunftsanspruch gem. § 242 BGB, der prozessual im Wege der Stufenklage gem. § 254 ZPO geltend gemacht werden kann.5

a) Entreicherung gem. § 818 III BGB?

Fraglich ist jedoch, ob sich Y auf Entreicherung berufen kann. V hatte den Geldbetrag laut Sachverhalt abgehoben, sodass ihr von der Vermögensmehrung nichts verbleibt. Da das Bereicherungsrecht lediglich eine Abschöpfungsfunktion hat, ist daher der Anspruch grundsätzlich gem. § 818 III BGB ausgeschlossen.

b) Verschärfte Haftung, §§ 819 I, 818 IV, 276 BGB

Von der Frage, ob Entreicherung eingetreten ist, ist diejenige zu trennen, ob sich der Schuldner auch darauf berufen kann. Dies ist dann nicht der Fall, wenn er verschärft haftet. „Verschärfte" Haftung meint, dass sich die Haftung nach den strengeren vertraglichen Grundsätzen richtet. Diese sind im Bereicherungsrecht gem. § 818 IV BGB dann anwendbar („allgemeine Vorschriften"), wenn entweder Rechtshängigkeit eingetreten ist oder aber der Schuldner bösgläubig ist, d.h. wenn er im Zeitpunkt der Entreicherung positive Kenntnis von dem fehlenden Rechtsgrund hatte, § 819 I BGB.

Y selbst wusste vorliegend nichts vom fehlenden Rechtsgrund. Sie selbst wusste nicht einmal von dem Zufluss des Geldes auf dem Konto. Die Bösgläubigkeit der Y könnte sich daher nur aus einer Zurechnung der entsprechenden Kenntnis des V ergeben. V wusste, dass es keine rechtliche Basis für die Überweisung gab, sodass das Geld bereicherungsrechtlich zurückzugewähren war.

Fraglich ist demnach, ob sich die Y die Kenntnis des V zurechnen lassen muss.

§ 166 I BGB analog

Als Zurechnungsnorm kommt vorliegend § 166 I BGB in Betracht. Zwar geht es im Zusammenhang mit § 819 I BGB nicht um die Abgabe einer Willenserklärung. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass eine vergleichbare Interessenlage vorliegt, sodass die Vorschrift analoge Anwendung findet.6

Nach § 166 I BGB muss derjenige, der sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen eines Vertreters bedient, es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Er kann sich nicht auf eigene Unkenntnis berufen. Aus diesem der Vorschrift des § 166 BGB innewohnenden allgemeinen Rechtsgedanken wird abgeleitet, dass sich -- unabhängig vom Vorliegen eines konkreten Vertretungsverhältnisses -- derjenige, der einen andern mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen muss.7

Vorliegend war V als Verwalter der organschaftliche Vertreter der Y, der für die Wohnungseigentümer im Rechtsverkehr handelte.

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht dadurch, dass V auch auf Seiten der X tätig geworden ist. Denn dadurch wird die Schutzwürdigkeit der Interessen der X nicht verringert. Die Haftungsverschärfung in § 819 I BGB hat ihren Grund darin, dass der Bereicherungsschuldner ab Kenntniserlangung von dem mangelnden Rechtsgrund auf die Rechtsbeständigkeit des Erwerbs nicht vertrauen darf und ihn daher gesteigerte Sorgfaltspflichten im Umgang mit dem Erlangten treffen.

Anmerkung: Konkret bedeutet dies Folgendes: § 818 III BGB fragt nicht danach, warum Entreicherung eingetreten ist; Voraussetzung ist nur, dass Entreicherung eingetreten ist. Würde diese Privilegierung trotz Bösgläubigkeit fortgelten, könnte der Bereicherungsschuldner im Extremfall sogar vorsätzlich den Vermögensverlust herbeiführen und würde dafür nicht haften. Ein ersichtlich unbilliges Ergebnis. Daher richtet sich die Haftung ab Bösgläubigkeit gem. §§ 819 I, 818 IV BGB nach den allgemeinen Vorschriften, also nach den Vorschriften des Vertragsrechts.

Der Bereicherungsschuldner kann ab Rechtshängigkeit bzw. Bösgläubigkeit gleichsam als „Verwahrer fremden Guts" angesehen werden. Die gesteigerten Sorgfaltspflichten des Bereicherungsschuldners finden ihre Begründung mithin in der von ihm erkannten Zuordnung des Erlangten zu einer fremden Vermögenssphäre. Sie bestehen damit unabhängig davon, wer auf Seiten des Bereicherungsgläubigers konkret in dessen Vermögen zum Vorteil des Bereicherungsschuldners eingegriffen hat.

Damit richtet sich die Haftung nach vertraglichen Grundsätzen. Konkret schuldet Y Rückzahlung eines Geldbetrages in Höhe von 10.000,- €. Nach den vertraglichen Regelungen entlastet die Tatsache, nicht zahlen zu können, nicht („Geld hat man zu haben"). Dies entspricht dem Rechtsgedanken des § 276 BGB, wonach derjenige, der ein Beschaffungsrisiko übernimmt, auch dann haftet, wenn er nicht schuldhaft gehandelt hat. Insoweit geht man bei Geldschulden von Beschaffungsschulden aus.

Damit besteht ein Anspruch der X gegen Y in Höhe von 10.000,- € aus § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB.

4. Durchsetzbarkeit: möglicherweise verjährt, § 214 I BGB

Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist.

Das ist dann nicht der Fall, wenn dem Schuldner eine Einrede zusteht und diese prozessual geltend gemacht wurde.

In Betracht kommt vorliegend die Einrede der Verjährung, § 214 I BGB. Zwar wurde im Jahr 2010 Klage erhoben, wodurch gem. § 204 I Nr. 1 BGB die Verjährung gehemmt wird. Das setzt jedoch voraus, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung (bzw. wegen § 167 ZPO: im Zeitpunkt der Anhängigkeit) nicht bereits Verjährung eingetreten war, d.h. die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war.

a) Grundsatz: Regelverjährung

Bereicherungsrechtliche Ansprüche unterliegen mangels eigenständiger Verjährungssystematik der Regelverjährung gem. § 195 BGB. Gem. § 199 I BGB beginnt die Regelverjährung mit Ende des Jahres zu laufen, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.

Der bereicherungsrechtliche Anspruch entsteht mit der Vermögensverschiebung, vorliegend also im Jahr 2006. Laut Sachverhalt hat die X aber erst im Jahr 2007 Kenntnis erlangt, sodass die Frist Ende 2007 beginnt und Ende 2010 abläuft. Die Klageerhebung im Jahr 2010 wäre demnach rechtzeitig erfolgt, d.h. die Verjährungsfrist wäre gehemmt worden.

b) Problem: Kenntniserlangung bei V maßgeblich?

Etwas anderes würde sich jedoch dann ergeben, wenn sich X die Kenntnis von V zurechnen lassen müsste. Dann lägen sowohl Entstehung des Anspruchs als auch Kenntniserlangung i.S.d. § 199 I Nr. 2 BGB im Jahr 2006, sodass bereits mit Ablauf des Jahres 2009 Verjährung eingetreten wäre.

Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des § 199 I Nr. 2 BGB ist grundsätzlich auf die Person des Gläubigers abzustellen.

Im Falle der gesetzlichen Vertretung muss sich allerdings der Vertretene das Wissen seines gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen.8

§ 166 I BGB gilt nicht analog

Demgegenüber ist die Kenntnis eines rechtsgeschäftlichen Vertreters für den Verjährungsbeginn regelmäßig unerheblich.9 § 166 BGB ist in diesem Bereich wegen des Zwecks der Verjährungsvorschriften nicht analog anwendbar. Maßgeblich soll die Kenntnis beim Anspruchsinhaber selbst sein. Ihm muss klar sein, dass die nicht rechtzeitige Geltendmachung eines Anspruchs zum Verlust von dessen Durchsetzbarkeit führen kann.

Ausnahme: Einschaltung eines Wissensvertreters

Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung in den Fällen eine Ausnahme zugelassen, in denen sich der Anspruchsteller eines sogenannten Wissensvertreters bedient. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn jemand, der einen Vertreter mit einem bestimmten Aufgabenkreis betraut und ihm in diesem Aufgabenkreis die Kenntnisnahme von Tatsachen überträgt, aus der inneren Geschäftsverteilung einem Dritten gegenüber den Einwand der Unkenntnis herleiten wollte. Der Anspruchsteller könnte auf diese Weise andernfalls den Beginn der Verjährungsfrist durch Einschaltung eines Wissensvertreters willkürlich hinauszögern. Zur Vermeidung eines solchen Ergebnisses hat die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, dass sich der Anspruchsinhaber das Wissen eines Dritten analog § 166 I BGB als eigenes Wissen zurechnen lassen muss, wenn er den Dritten mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten, insbesondere mit der Betreuung und Verfolgung der in Frage stehenden Ersatzforderung, in eigener Verantwortung betraut hat.10

Wesentlich ist dabei, dass die Erlangung der Kenntnis, die dem Anspruchsteller zugerechnet werden soll, zu dem Aufgabenkreis des Vertreters gehört, auch wenn dieser die zur Kenntnis genommenen Tatsachen nicht an den Vertretenen weitergibt.

Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen des § 199 I Nr. 2 BGB.11 Dementsprechend wäre es auch im Hinblick auf den Verjährungsbeginn i.S.d. § 199 I Nr. 2 BGB treuwidrig, wenn durch die Einschaltung eines Dritten als Wissensvertreter die Verjährung willkürlich hinausgezögert werden könnte.

Ausnahme von der Ausnahme: Anspruch richtet sich gegen Wissensvertreter selbst oder steht damit in untrennbarem Zusammenhang

Fraglich ist, ob diese Grundsätze auch auf den vorliegenden Fall übertragbar sind. Grundsätzlich war V von X mit der Wahrnehmung rechtsgeschäftlicher Interessen betraut worden.

Dem Anspruchsgegner kann es im Einzelfall nach Treu und Glauben aber verwehrt sein, sich auf die Wissenszurechnung eines Vertreters des Anspruchstellers zu berufen. Dies kommt unter anderem dann in Betracht, wenn sich der betreffende Anspruch gegen diejenige Person richtet, deren Wissen zugerechnet werden soll. In einem solchen Fall kann nicht erwartet werden, dass der Schuldner dafür sorgt, dass die Ansprüche gegen ihn selbst geltend gemacht werden.12

Anmerkung: In der Entscheidung des BGH ging es um einen Anspruch einer GmbH gegen ihren geschäftsführenden Alleingesellschafter, der später gepfändet wurde. Der BGH hat die Kenntnis von der Anspruchsentstehung des Gesellschafters der Gesellschaft nicht zugerechnet.13 Hier ist Schuldner der „Kenntnishabende". Das ist der Unterschied zum vorliegenden Fall! V mag zwar durch sein Verhalten auch einen deliktischen Anspruch gegen sich selbst begründet haben. Um diesen Anspruch geht es aber nicht, sondern um den bereicherungsrechtlichen Anspruch der von ihm vertretenen X gegen Y.

hier: nicht Anspruch gegen V relevant, aber enger Zusammenhang mit Ansprüchen gegen V

Fraglich ist, ob sich ein solcher Ausnahmefall auf Konstellationen beschränkt, in denen sich der Anspruch gegen den Wissensvertreter selbst richtet.

Möglicherweise kann eine Wissenszurechnung auch dann ausscheiden, wenn sich der Anspruch zwar gegen einen Dritten richtet (hier: Y), jedoch mit einem gegen den Wissensvertreter gerichteten Anspruch in einem so engen Zusammenhang steht, dass auch hier die Befürchtung besteht, der Vertreter werde nicht zu einer sachgerechten Verfolgung des Anspruchs beitragen.

Denn in einem solchen Fall ist der Vertreter einer vergleichbaren Interessenkollision ausgesetzt wie bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen sich selbst. Auch hier kann nicht erwartet werden, dass er für die Geltendmachung der Ansprüche des Vertretenen gegen den Dritten sorgt. Denn auch hier würde ihm zugleich die Geltendmachung eines Anspruchs gegen ihn selbst drohen.

V dann faktisch wie außenstehender Dritter zu behandeln

Der Y muss im vorliegenden Fall klar sein, dass V für den Fall der Anspruchsgeltendmachung durch X einen Regressanspruch durch sie, also Y, droht. Insoweit muss ihr klar sein, dass V nur „bei Gelegenheit der Vertretung" auf Seiten von X gehandelt hat, dieser also quasi wie ein unbeteiligter Dritter gegenübersteht.

Bei der unberechtigten Überweisung handelt es sich nämlich um eine Tatsache, deren Aufdeckung nicht nur zur Geltendmachung von Ansprüchen der X gegen Y, sondern auch zur Geltendmachung von Ansprüchen (von X oder Y) gegen V selbst hätte führen können. Dessen Situation war damit ohne weiteres mit derjenigen vergleichbar, in der sich der streitgegenständliche Anspruch unmittelbar gegen den Wissensvertreter selbst richtet. Auch vorliegend war daher nicht zu erwarten, dass V die Verfolgung des Bereicherungsanspruchs gegen Y in die Wege leiten oder auch nur zu ihr beitragen würde.

Das bereits im Jahr 2006 bei V vorhandene Wissen um die anspruchsbegründende Überweisung kann der X im Rahmen von § 199 I Nr. 2 BGB daher nicht zugerechnet werden.

Vielmehr war die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis der X i.S.d. § 199 I Nr. 2 BGB erst im Jahr 2007 gegeben. Die Ende 2010 eintretende Verjährung des Anspruchs der X wurde sodann gem. § 204 I Nr. 3 BGB durch die im Jahr 2010 erfolgte Klageerhebung rechtzeitig gehemmt.

III. Endergebnis

X hat einen durchsetzbaren Anspruch gegen Y auf Zahlung von 10.000,- €.

D) Kommentar

(cda). Die Ausführungen sind nur vermeintlich widersprüchlich: Der Y wird die Kenntnis von V zugerechnet, soweit es um die verschärfte Haftung gem. § 819 I BGB geht, der X indes nicht, soweit es um die Verjährung des Anspruchs geht. Einmal argumentiert der BGH sehr formal (bei § 819 I BGB), einmal mit praktischen Folgeüberlegungen zu Ansprüchen gegen V selbst. Der Grund liegt aber darin, dass es bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit keine andere Möglichkeit als die der Zurechnung gibt, weil andernfalls faktisch keine verschärfte Haftung aufgrund Bösgläubigkeit denkbar wäre, wenn nicht zugerechnet wird.

Die Verjährung eines Anspruchs hängt nicht ausschließlich von der Kenntnis ab. Auch kenntnisunabhängig ist die Verjährung eines Anspruchs denkbar.

Man wird die Rechtslage auch sicher anders beurteilen können, zumal es um eine Frage geht, die ausdrücklich gesetzlich nicht geregelt ist. Für die Klausur ist jedoch wie immer (nur) wichtig, die Problematik überhaupt zu erfassen und mit eigener Argumentation eine Lösung anzubieten.

Die Ausführlichkeit in der Darstellung, wie sie hier vom BGH praktiziert wird, kann von Ihnen in der Klausur selbstverständlich nicht erwartet werden.

E) Zur Vertiefung

  • Stellvertretungsrecht

Hemmer/Wüst, BGB AT I, Rn. 182 ff.

F) Wiederholungsfragen

1. Warum wird im Rahmen des § 819 I BGB § 166 I BGB analog angewendet?

2. Wann wird im Rahmen des § 199 I Nr. 2 BGB § 166 I BGB analog angewendet?


  1. In diesem Zusammenhang wird häufig § 31 BGB (analog) als Zurechnungsnorm benannt. Streng genommen ist dies nicht richtig, denn § 31 BGB (analog) rechnet nicht fremdes Verschulden zu, sondern sanktioniert eigenes Fehlverhalten des Vereins, welcher durch seine Organe handelt. § 31 BGB hat deshalb eine sehr große Bedeutung, weil die Norm auch auf GmbH und AG Anwendung findet und bei OHG, KG und GbR analog herangezogen wird.

  2. Eine Mindermeinung will in diesen Fällen § 831 BGB analog heranziehen aufgrund der Deliktsähnlichkeit der Haftung gem. §§ 989, 990 BGB. Dies ist allerdings nicht überzeugend, weil § 831 BGB keine Zurechnungsnorm, sondern eine eigenständige Anspruchsgrundlage darstellt. Zudem geht es um die Zurechnung von Kenntnis, also einer subjektiven Komponente der Haftung. § 831 BGB rechnet aber nur das deliktische Verhalten einer Person zu.

  3. Palandt, § 675f BGB, Rn. 28.

  4. Die Leistung selbst ist keine Willenserklärung, daher finden die Vorschriften nur analoge Anwendung.

  5. Palandt, § 812 BGB, Rn. 74.

  6. Palandt, § 819 BGB, Rn. 3.

  7. Vgl. bereits BGHZ 83, 293 ff.

  8. Palandt, § 199 BGB, Rn. 24.

  9. BGH, NJW 1993, 648 ff.

  10. Entwickelt wurde diese Rechtsprechung zu § 852 BGB in der Fassung vor der Schuldrechtsreform, NJW 1994, 1150 f.

  11. BGH, NJW 2013, 448 f.

  12. BGH, NJW-RR 2011, 832 f.

  13. Findet eine Kenntniserlangung nicht statt -- mag dies auf tatsächlichen Gründen basieren oder darauf, dass nicht zugerechnet werden kann --, müssen Sie an die Höchstfristen des § 199 II bis IV BGB denken.