Unwirksamer Prozessvergleich: Altes Verfahren fortsetzen oder neu klagen? Mitunter funktioniert beides!

BGH, Urteil vom 21.11.2013, VII ZR 48/12 NJW 2014, 394 ff.

von Life and Law am 01.03.2014

+++ Unwirksamer Prozessvergleich +++ Anforderungen an eine ordnungsgemäße Protokollierung +++ Anderweitige Rechtshängigkeit +++ §§ 160 III, 261 III Nr. 1 ZPO +++

Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht): U und B schlossen einen Werkvertrag über die Errichtung eines Gebäudes im Jahr 2004. U errichtete das Gebäude. Die Abnahme erfolgte am 31.10.2004.

In der Folgezeit kam es zu einer Auseinandersetzung wegen angeblicher Mängel hinsichtlich der Verklinkerung des Gebäudes. B führte mit Antragseinlegung vom 31.03.2005 gegen U ein selbstständiges Beweissicherungsverfahren durch, im Rahmen dessen durch Gutachter G weitestgehend die behaupteten Mängel festgestellt wurden. B klagte sodann mit Datum vom 31.03.2006 gegen U auf Vorschusszahlung sowie auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung weiterer Kosten.

Im Rahmen dieses Verfahrens kam es zum Abschluss eines Prozessvergleichs folgenden Inhalts:

„Der Beklagte verpflichtet sich, folgende, auf Seite 5 der Klageschrift vom 31.03.2006 unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Sachverständigen L in seinem im Verfahren XY erstatteten Gutachten vom 20.11.2005 aufgelisteten Mängel sach- und fachgerecht zu beseitigen:"

Das Gutachten wurde als Anlage nicht zu Protokoll genommen. Auch wurde es nicht vorgelesen und von den Parteien genehmigt.

In der Folgezeit führte U die im Vergleich benannten Arbeiten aus. B ist der Meinung, dass die Mängel nach wie vor vorhanden, die Beseitigungsarbeiten also nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Nach erneuter Begutachtung im Rahmen eines gesonderten Beweissicherungsverfahrens wurde erneut eine Klage auf Vorschusszahlung verbunden mit der Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung weiterer Kosten erhoben.

Ist die erneute Klage wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig, wenn die Wirksamkeit des Prozessvergleichs von den Parteien nicht in Frage gestellt wird?

A) Sounds

1. Der Rechtsstreit, in dem ein unwirksamer Prozessvergleich geschlossen wurde, ist nur dann fortzusetzen, wenn eine Partei die Wirksamkeit des Prozessvergleichs angreift und damit dessen prozessbeendigende Wirkung in Frage stellt.

2. Dementsprechend ist eine neue Klage, die den Streitgegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits umfasst, zulässig, wenn die Parteien die Beendigung des Ursprungsrechtsstreits durch den Vergleich nicht in Frage stellen.

3. Der Einwand, aufgrund der Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs müsse das Ursprungsverfahren fortgesetzt werden, ist eine verzichtbare prozessuale Rüge, die grundsätzlich vor Beginn der Verhandlung zur Hauptsache bzw. im Rahmen einer vom Gericht gesetzten Klageerwiderungsfrist vorzubringen ist.

B) Problemaufriss

Der Prozessvergleich ist eine Prozesshandlung mit Doppelnatur. Es ist zwischen den materiell-rechtlichen und den prozessualen Wirkungen zu differenzieren. In materiell-rechtlicher Hinsicht ordnen die Beteiligten die zwischen ihnen bestehende Rechtslage auf vertraglicher Basis neu. Der Vergleich ist insoweit ein durch gegenseitiges Nachgeben geprägter Vertrag, § 779 BGB.

Anmerkung: Die in § 779 BGB ausgedrückte Rechtsfolge stellt einen Spezialfall zu § 313 BGB dar. Es kommt dann, wenn man von unrichtigen Annahmen ausgeht, grundsätzlich also nicht nur zur Anpassung des Vertrags; der Vertrag ist vielmehr unwirksam.

In prozessualer Hinsicht wird der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich beendet. Gleichzeitig hat der Vergleich Titelfunktion, vgl. § 794 I Nr. 1 ZPO. Damit die dieser Doppelnatur entsprechenden Wirkungen ausgelöst werden, ist das Vorliegen sowohl der materiell-rechtlichen als auch der prozessualen Wirksamkeitsvoraussetzungen erforderlich. Materiell-rechtlich geht es vornehmlich um Fragen des BGB AT; die entsprechenden Willenserklärungen müssen wirksam sein.

Prozessual muss der Vergleich in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen werden, § 160 III Nr. 1 ZPO, er muss vorgespielt und genehmigt werden sowie unterzeichnet sein, §§ 162 I S. 1 u. 3, 163 ZPO.

Anmerkung: Gem. § 278 VI ZPO kann der Vergleichsinhalt auch im Beschlusswege vom Gericht festgestellt werden. Dies dann, wenn er außerhalb der mündlichen Verhandlung zustande gebracht wird. Umstritten ist in diesem Fall, ob der Vergleich auch die Wirkung des § 127a BGB hat, wenn Inhalt des Vergleichs z.B. die Verpflichtung ist, ein Grundstück zu übereignen. Zur Protokollierung i.S.d. Norm kommt es ja gerade nicht. Nach h.M. ist danach zu differenzieren, ob der Vergleich auf Initiative der Parteien zustande kommt oder auf der des Gerichts. Nur im letzteren Fall soll dieselbe Legitimationswirkung eintreten wie im Falle der Protokollierung, sodass § 127a BGB analoge Anwendung findet.1

Aufgrund der Doppelnatur bedingen sich die Wirkungen grundsätzlich gegenseitig. Ist der Vergleich materiell-rechtlich unwirksam, kann er auch die prozessualen Wirkungen nicht entfalten. Fehlen die formalen Voraussetzungen der obigen Normen, fehlt dem Vergleich grundsätzlich auch die materiell-rechtliche Wirkung. In diesem Fall kann sich allerdings durch Auslegung ergeben, dass der Vertrag materiell-rechtlich Bestand haben soll.

Vorliegend geht es um die Frage, wie sich die prozessuale Unwirksamkeit auf den Verfahrensfortgang auswirkt. Ein unwirksamer Prozessvergleich beendet den Rechtsstreit grundsätzlich nicht, sodass der Rechtsstreit im alten Verfahren fortzusetzen ist.2

Wie wirkt sich dieser Umstand auf eine gleichwohl erhobene erneute Klage in der Sache aus? Damit beschäftigt sich die vorliegende Entscheidung.

C) Lösung

Zu klären ist, ob der erneut erhobenen Klage die Rechtshängigkeit des alten Verfahrens entgegensteht. Gem. § 263 III Nr. 1 ZPO darf dieselbe Sache nicht Gegenstand verschiedener Verfahren sein. Damit sollen insbesondere widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden; es darf nicht sein, dass ein und dieselbe Angelegenheit mehrfach (rechtskräftig) entschieden wird.3 Daher steht einer erneuten Klage grundsätzlich die anderweitige Rechtshängigkeit entgegen; eine Abweisung als unzulässig ist die Folge.

I. Anderweitige Rechtshängigkeit aufgrund unwirksamen Vergleichs?

Fraglich ist, ob dieselbe Sache vorliegend anderweitig rechtshängig ist.

Dies setzt zunächst voraus, dass es noch ein anderes Verfahren gibt und in diesem Verfahren derselbe Streitgegenstand behandelt wird.

Von der Identität des Streitgegenstandes ist vorliegend auszugehen. Gegenstand auch der neuen Klage ist ein Streit über die mangelhafte Bauausführung.

Anmerkung: Anders läge der Fall dann, wenn es im Rahmen der versuchten Mängelbeseitigung zu weiteren, neuen Schäden gekommen wäre.

Denn nach dem herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmt sich der Gegenstand des Rechtsstreits nach dem Antrag und aus dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (= Klagegrund). Letzterer würde sich ändern, wenn erst im Rahmen der versuchten Mängelbeseitigung neue Schäden verursacht wurden. Vorliegend geht es aber darum, dass die ursprünglich vorhandenen Mängel noch nicht ordnungsgemäß behoben wurden. Der Gegenstand des zweiten Klageverfahrens deckt sich insoweit mit dem Gegenstand des ersten Verfahrens.

Fraglich ist jedoch, ob das alte Verfahren nicht zwischenzeitlich wirksam beendet wurde. Die Beendigung könnte durch den Abschluss des Prozessvergleichs in dem Verfahren eingetreten sein. Grundsätzlich beendet ein Prozessvergleich die Rechtshängigkeit. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Prozessvergleich wirksam zustande gekommen ist; und dies (aufgrund der Doppelnatur) sowohl in materiell-rechtlicher als auch in prozessualer Hinsicht.

1. Wirksamkeitsvoraussetzungen des Prozessvergleichs

Materiell-rechtliche Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Die Rechtshängigkeit kann aber nur dann entfallen, wenn die prozessualen Formvorschriften (§§ 160 III, 162 I S. 1 und 3, 163 ZPO) eingehalten werden. Der dementsprechend anzuwendende § 162 I ZPO verlangt, dass das den Vergleichsschluss enthaltende Protokoll den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen und von diesen zu genehmigen ist. Die Einhaltung dieser Förmlichkeiten muss im Protokoll selbst vermerkt werden. Auf dieser Grundlage entspricht es einer obergerichtlichen Rechtsprechung, dass Unterlagen, auf die in einem Vergleich Bezug genommen wird, als Anlage zu Protokoll zu nehmen, vorzulesen und von den Parteien zu genehmigen sind.

Bei Nichteinhaltung dieser Förmlichkeiten genüge der Vergleich nicht den prozessualen Voraussetzungen, sei deshalb unwirksam und beende den Rechtsstreit nicht.4

Der BGH lässt diese Einordnung, welche letztlich einhellig vertreten wird, im Ergebnis dahinstehen.

Denn jedenfalls stehe der Umstand der Unwirksamkeit des Prozessvergleichs nicht der Zulässigkeit einer erneuten Klage entgegen.

2. Problem: von Amts wegen oder nur auf Einrede zu berücksichtigen

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist das Verfahren, in welchem der Prozessvergleich geschlossen wurde, nur dann fortzusetzen, wenn die Wirksamkeit des Prozessvergleichs angegriffen und damit seine den Prozess beendigende Wirkung in Frage gestellt wird. Dementsprechend ist eine neue Klage, die den Streitgegenstand des ursprünglichen Rechtsstreits umfasst, dann zulässig, wenn die Parteien die Beendigung des Ursprungsrechtsstreits durch den Vergleich nicht in Frage stellen.5

Diese Sichtweise findet in der Literatur uneingeschränkte Zustimmung.6

Den Parteien steht es frei, übereinstimmend einen Zivilprozess als durch Vergleich beendet anzusehen unabhängig davon, ob dieser wegen prozessualer oder materiell-rechtlicher Mängel unwirksam ist.

Anmerkung: Einer Differenzierung danach, auf welcher rechtlichen Grundlage die Unwirksamkeit des Vergleichs beruht -- wie z.T. vertreten --, erteilt der BGH zu Recht eine Absage. Maßgeblich ist, ob die Parteien davon ausgehen, den Prozess beendet zu haben.

Da die Parteien die Beendigung des Ursprungsrechtsstreits durch den dort geschlossenen Vergleich zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt haben, ist die Wirksamkeit des Vergleichs nicht Gegenstand des Folgeprozesses und darf auch vom dortigen Gericht nicht hinterfragt werden.

Anmerkung: Dies ist der entscheidende Passus. Grundsätzlich wird die Zulässigkeit der Klage in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen geprüft. Dazu gehört auch die Frage anderweitiger Rechtshängigkeit. Das Gericht hat jedoch so lange keine Veranlassung, über diese Frage nachzudenken, bis die anderweitige Rechtshängigkeit vorgetragen wird. Die Vorinstanz hatte das Protokollierungsdefizit bei dem Abschluss des Vergleichs zum Anlass genommen, die Klage als unzulässig abzuweisen. Der BGH sieht dies anders:

Bei dem Einwand der Unwirksamkeit des Prozessvergleichs handelt es sich um einen verzichtbare prozessuale Rüge,7 die grundsätzlich vor Beginn der Verhandlung zur Hauptsache bzw. im Rahmen einer vom Gericht gesetzten Klageerwiderungsfrist vorzubringen ist.

Dies hat vorliegend nicht stattgefunden. Sollte der Einwand im weiteren Verlauf des Verfahrens noch erfolgen, wäre der Beklagte damit gem. §§ 282 III, 296 III ZPO präkludiert. Dementsprechend besteht jetzt für U keine Möglichkeit mehr, im Ursprungsverfahren wegen einer Unwirksamkeit des Vergleichs die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Denn das Ursprungsverfahren ist nach dem in der Verhandlung zur Hauptsache in diesem Rechtsstreit zum Ausdruck kommenden übereinstimmenden Willen der Parteien endgültig beendet.

Anmerkung: Mit dieser Anmerkung macht der BGH klar, dass der Beklagte bei nicht rechtzeitiger Rüge anderweitiger Rechtshängigkeit auch gar nicht mehr die Möglichkeit hätte, den alten Rechtsstreit fortzusetzen. Insoweit muss sich der Beklagte einmal und endgültig entscheiden, ob er die Unwirksamkeit des Vergleichs rügt -- und damit das alte Verfahren fortsetzt -, oder ob er dies nicht tut und damit gezwungen ist, sich im neuen Verfahren gegen die Inanspruchnahme zur Wehr zu setzen. Damit ist sichergestellt, dass es nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen in unterschiedlichen Verfahren kommen kann.

II. Endergebnis

Der Zulässigkeit der Klage steht der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit nicht entgegen, weil die Unwirksamkeit des Vergleichs nicht eingewendet worden ist.

D) Kommentar

(cda). Dass die anderweitige Rechtshängigkeit nur auf Rüge zu berücksichtigen ist, wird man nicht verallgemeinern können. Der BGH hat dies zwar nicht explizit erwähnt, aber aus den gewählten Formulierungen ergibt sich, dass es gerade in der Situation des unwirksamen Prozessvergleiches aufgrund des von beiden Seiten dokumentierten Willens, den alten Rechtsstreit zu beenden, darauf ankommt, dass die Unwirksamkeit auch geltend gemacht wurde. Anders dürfte der „klassische" Fall zu beurteilen sein, in dem der Kläger den Beklagten mit zwei Klagen an unterschiedlichen Gerichten überzieht. „Von Amts wegen" heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass das Gericht von sich aus Ermittlungen anstellt; aber allein das Inkenntnissetzen des Gerichts genügt in diesem Fall, die entsprechende juristische Schlussfolgerung zu ziehen. Das durfte das Gericht vorliegend nicht!

Da das Berufungsgericht zur Begründetheit der Klage keine Ausführungen gemacht hatte, wurde die Sache zurückverwiesen. Dabei hat der BGH bereits darauf hingewiesen, dass eine Nachholung der Rüge der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht mehr berücksichtigt werden dürfte, §§ 532 S. 2, 282 III, 296 III ZPO.

E) Background

In dem Fall ging es im weiteren Verlauf um eine interessante verjährungsrechtliche Fragestellung, die insbesondere für Referendare interessant sein dürfte und deshalb hier als „Background" dargestellt werden soll.

Verjährungsrechtliche Probleme

Die Erhebung der Klage führt gem. § 204 I Nr. 1 BGB zur Hemmung der Verjährung. Wird das Verfahren beendet, endet die hemmende Wirkung sechs Monate später, § 204 II BGB. Grundsätzlich beendet nur der wirksame Prozessvergleich das Verfahren, sodass das Datum des Abschlusses des Vergleichs maßgeblich für den Lauf der Sechs-Monats-Frist des § 204 II S. 1 BGB ist. Ein unwirksamer Prozessvergleich lässt die Rechtshängigkeit grundsätzlich nicht entfallen. In Konsequenz zu der unterbliebenen Rüge geht der BGH aber auch im Hinblick auf die materiell-rechtliche Wirkung von einer Prozessbeendigung aus, sodass § 204 II BGB eingreift. Für den Eintritt der Verjährung ist dann im Weiteren von Bedeutung, wann die erneute Klageerhebung erfolgt.

Beispiel: Erfolgt die Übergabe einer mangelhaften Kaufsache am 01.01.2011, tritt Verjährung der Mängelansprüche mit Ablauf des 01.01.2013 ein, § 438 I Nr. 3 BGB. Wird nun am 01.03.2012 Klage erhoben und das Verfahren durch (unwirksamen, aber nicht gerügten) Prozessvergleich am 01.06.2012 beendet, endet die hemmende Wirkung am 01.12.2012.

Insgesamt ist also der Zeitraum vom 01.03.2012 bis 01.12.2012 (also neun Monate) bei Berechnung der Verjährungsfrist auszuklammern.

Der Verjährungseintritt erfolgt damit zum 01.10.2013, wenn nicht vorher erneut Klage erhoben wird, so dass erneut die hemmende Wirkung des § 204 I Nr. 1 BGB eintritt.

Aber: Verpflichtet sich der Beklagte -- wie in der vorliegenden BGH-Entscheidung -- zur Beseitigung der vorhandenen Mängel, liegt darin ein Anerkenntnis i.S.d. § 212 I Nr. 1 BGB, das zum erneuten Beginn der Verjährung führt.

Ein Anerkenntnis i.S.d. Vorschrift ist das rein tatsächliche Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen des Anspruchs unzweideutig ergibt.8

Das Anerkenntnis ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine geschäftsähnliche Handlung, deren Rechtsfolgen unabhängig vom Willen des Schuldners und einer wirksamen (!) gerichtlichen Protokollierung eintreten.

Für den Beispielsfall bedeutet dies, dass die Verjährungsfrist mit Abschluss des Vergleichs neu in Gang gesetzt wird, so dass Verjährung mit Ablauf des 01.06.2014 eintritt.

Sie sehen, dass sich die Thematik des obigen Falles also nicht auf rein prozessualer Ebene abspielt, sondern eine weitere Relevanz im materiell-rechtlichen Bereich haben kann.

Bedenken Sie, dass die Problematik auch nur bei einem unwirksamen Vergleich besteht. Dieser hat keine Titelfunktion. Ist der Vergleich wirksam, besteht ein titulierter Anspruch, dessen Verjährung sich nach § 197 I Nr. 4 BGB richtet. Die Frist beträgt dann 30 Jahre, denn nur der wirksame Vergleich ist „vollstreckbar" i.S.d. Vorschrift.

Keine Verwirkung bei dreizehnjähriger Pause zwischen zwei Vollstreckungshandlungen

Mit Urteil vom 09.10.2013 hat der BGH entschieden, dass der Gläubiger einen rechtskräftig ausgeurteilten Zahlungsanspruch nicht allein dadurch verwirkt, dass er über einen Zeitraum von dreizehn Jahren keinen Vollstreckungsversuch unternimmt.9

Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche.10

Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH müssen daher zu dem reinen Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen.11

Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden.12

Hinzu kommt, dass es sich hier um titulierte Ansprüche handelt. Lässt ein Gläubiger seinen Anspruch durch Gerichtsurteil titulieren, gibt er bereits dadurch zu erkennen, dass er die Forderung durchsetzen will und sich dazu eines Weges bedient, der ihm dies grundsätzlich für die Dauer von 30 Jahren ermöglicht. Bei dieser Ausgangslage liegt die Annahme, ein anschließendes Ruhen der Angelegenheit könne bedeuten, der Gläubiger wolle den Anspruch endgültig nicht mehr durchsetzen, umso ferner.

Selbst wenn die Angelegenheit bei dem Gläubiger außer Kontrolle geraten und deshalb dreizehn Jahre lang unbeachtet geblieben ist, liegt hierin kein Umstand, aus dem ein Schuldner das Vertrauen gründen darf, ein titulierter Rechtsanspruch solle nicht mehr durchgesetzt werden.

Abgesehen davon ist der Schuldner nach etwaiger Erfüllung der Schuld keineswegs schutzlos. Er kann nicht nur eine Quittung beanspruchen (§ 368 BGB), sondern analog § 371 BGB auch den Titel selbst vom Gläubiger herausverlangen (vgl. dazu sogleich).

Anspruch auf Herausgabe eines
Vollstreckungstitels

Analog § 371 BGB besteht ein Anspruch auf Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung eines unter §§ 704, 794 ZPO fallenden Titels, wenn die Erfüllung der dem Titel zu Grunde liegenden Forderung zwischen den Parteien unstreitig ist.13

hemmer-Methode: Sofern der Schuldner den titulierten Anspruch erfüllt hat, muss er unbedingt darauf achten, dass ihm der Titel herausgegeben wird. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass noch Jahre später aus dem Titel vollstreckt wird und die erfolgte Bezahlung wegen „entsorgter" Kontoauszüge nicht mehr beweisbar ist. Unter Umständen ist der Gläubiger noch nicht einmal bösgläubig (z.B. wenn der Erbe einen Titel in den Nachlassunterlagen findet).

Ist die Erfüllung zwischen den Parteien streitig, ist eine auf § 371 BGB analog gestützte Klage nach gefestigter Rechtsprechung des BGH erfolgreich, wenn über eine Vollstreckungsabwehrklage rechtskräftig zu Gunsten des Herausgabeklägers entschieden worden ist.14

Das gilt auch dann, wenn der Titel noch zur Vollstreckung gegen einen weiteren Schuldner berechtigen könnte. Denn soweit mehrere Schuldner als Gesamtschuldner verurteilt sind und einer der Gesamtschuldner die Schuld beglichen hat, bleibt für den Gläubiger aufgrund der Gesamtwirkung der Erfüllung gem. § 422 I S. 1 BGB nichts mehr zu vollstrecken.

Soweit sie hingegen nach Kopfteilen verurteilt sind, sind so viele Ausfertigungen zu erteilen, wie Schuldner vorhanden sind; jede Ausfertigung ist insoweit nur mit der Klausel gegen je einen der Schuldner zu versehen.15 Der Schuldner kann in diesem Fall nur diejenige Ausfertigung herausverlangen, die mit der gegen ihn gerichteten Vollstreckungsklausel versehen ist.

F) Zur Vertiefung

  • Prozessvergleich

Hemmer/Wüst, ZPO I, Rn. 300 ff.

  • Zulässigkeit der Klage

Hemmer/Wüst, ZPO I, Rn. 137 ff.

G) Wiederholungsfragen

1. Was besagt die Doppelnatur des Prozessvergleichs?

2. Nur wann steht die Unwirksamkeit des Prozessvergleichs einer erneuten Klage entgegen?


  1. Für die Anwendbarkeit des § 14 I Nr. 8 TzBfG genügt nach Ansicht des BAG ein Vergleich gem. § 278 VI ZPO nicht, NZA 2012, 919 ff.

  2. Das ist nur dann anders, wenn der Vergleich zunächst wirksam ist und später aus materiell-rechtlichen Gründen mit ex-nunc-Wirkung scheitert (Rücktritt, Aufhebungsvertrag). In diesem Fall hat die Rechtshängigkeit in der Vergangenheit geendet. Über diese prozessbeendigende Wirkung können die Parteien nicht disponieren, so dass neu geklagt werden muss. Dies ist nur nach Ansicht des BAG anders. Zur Begründung werden hier prozessökonomische Erwägungen angestellt, vgl. zusammenfassend Th/P, § 794 ZPO, Rn. 34 f.

  3. Begehen Sie aber nicht den Kardinalfehler und stellen die Behauptung auf, dass einer erneuten Klage die Rechtskraft des Prozessvergleichs entgegenstehe. Der Prozessvergleich ist der Rechtskraft als Vertrag zwischen den Parteien nicht zugänglich. Es handelt sich nicht um eine gerichtliche Entscheidung! Der Vergleich verhindert lediglich auf materiell-rechtlicher Ebene, dass es zu einer (ersten) Sachentscheidung in einem neuen Verfahren kommt. Die Klage wäre in einem solchen Fall aber nicht unzulässig.

  4. OLG Hamm, BauR 2000, 1231 f. Zöller, § 794 ZPO, Rn. 9.

  5. BGHZ 86, 184 (187 f.)

  6. Th/P, § 794 ZPO, Rn. 36; Zöller, § 794 ZPO, Rn. 15a.

  7. Der klassische Fall der Zulässigkeitseinrede ist der Einwand mangelnder Kostenerstattung nach Klagerücknahme, § 269 VI ZPO. Wird die Klage nach Klagerücknahme erneut erhoben, kann bzw. muss der Beklagte den Einwand mangelnder Kostenerstattung vorbringen, um eine Abweisung als unzulässig zu erreichen. Gleiches gilt für das sog. Klagerücknahmeversprechen, welches seitens des Klägers dem Beklagten gegenüber außergerichtlich erklärt wird.

  8. Klassischer Fall für ein Anerkenntnis im Sinne des § 212 I Nr. 1 BGB ist die Drittschuldnererklärung gem. § 840 ZPO (vom BGH bislang offengelassen, NJW 1978, 1914 ). Erklärt der Drittschuldner die Existenz des Anspruchs des Schuldners gegen ihn, kann der Vollstreckungsgläubiger dies als Anerkenntnis i.S.d. § 212 I Nr. 1 BGB auffassen. Ein Schuldanerkenntnis i.S.d. § 780 BGB ist darin jedoch nicht zu erblicken, weil es dafür auf einen entsprechenden Rechtsbindungswillen ankommt. Dieser fehlt aber regelmäßig bei der Drittschuldnererklärung, weil der Drittschuldner -- erkennbar für den Gläubiger -- nur seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Abgabe der entsprechenden Erklärung nachkommt.

  9. BGH, WM 2014, 82 ff.

  10. BGH, NJW 1957, 1358

  11. BGH, NJW 1989, 836 BGH, NJW 2001, 1649 BGH, NJW 2003, 824 BGH, NJW 2010, 1074

  12. BGH, NJW 1965, 1532 BGH, NJW 2003, 824

  13. Palandt, § 371 BGB, Rn. 4.

  14. BGH, NJW 2009, 1671 

  15. Zöller/Stöber, 29. Aufl., § 724 ZPO, Rn. 12; Thomas/Putzo, § 724 ZPO, Rn. 11.