Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung beim Kaufvertrag und Auswirkung auf den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung

BGH, Urteil vom 04.04.2014, V ZR 275/12, BB 2014, 1743 ff.

von Life and Law am 01.10.2014

+++ Schadensersatz beim Grundstückskauf +++ Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung im Kaufvertragsrecht +++ Übertragung dieser Grundsätze auf das Schadensrecht +++ §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281, 439 III, 251 II BGB +++

Sachverhalt (verkürzt): K hat von V mit notariellem Vertrag ein mit einem Mietshaus bebautes Grundstück für 260.000,- € gekauft.

Nach der Übergabe stellte sich heraus, dass der Dachbereich vom Hausschwamm befallen war, dessen Beseitigung ein Sachverständiger auf mehrere Hunderttausend Euro schätzt.

Der Zeitwert des Grundstücks mit Schwammbefall beträgt ca. 500.000,- €. Ohne Schwammbefall würde er ca. 600.000,- € betragen.

Wegen dieser immensen Kosten verweigerte V die Nacherfüllung, woraufhin K Klage erhob.

In diesem (ersten) Prozess wurde zunächst die Schadensersatzpflicht des V dem Grunde nach festgestellt. Anschließend wurde V rechtskräftig zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 134.000,- € für die vom Gutachter geschätzten Sanierungskosten für die Holzbauteile und Balkenanlagen im Dachgeschoss und Dachverband verurteilt. Des Weiteren wurde auf Antrag des K rechtskräftig festgestellt, dass V zum Ersatz auch aller weiteren Schäden verpflichtet ist.

Für die Sanierung der vermieteten Wohnungen und der Fassade sowie für den während der Sanierung erlittenen Mietausfall entstanden dem K weitere Kosten bzw. Ausfälle in Höhe von 500.000,- €.

Kann K von V Schadensersatz in Höhe weiterer 500.000,- € verlangen?

A) Sounds

1. Stellen sich die zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten als unverhältnismäßig dar, so kann der Käufer von dem Verkäufer nur Ersatz des mangelbedingten Minderwerts der Sache verlangen.

2. Ob die Kosten unverhältnismäßig sind, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der in § 439 III BGB genannten Kriterien festzustellen.

3. Bei Grundstückskaufverträgen kann als erster Anhaltspunkt davon ausgegangen werden, dass die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, wenn sie entweder den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200 % des mangelbedingten Minderwerts übersteigen.

4. Für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit der Kosten kommt es auf den Beginn der Mängelbeseitigung durch den Käufer an. Stellt sich während deren Ausführung heraus, dass die Kosten höher als erwartet sind, steht dies einer Ersatzpflicht nur entgegen, wenn ein wirtschaftlich denkender Käufer die Arbeiten auch unter Berücksichtigung der bereits angefallenen Kosten nicht fortführen würde bzw. fortgeführt hätte.

B) Problemaufriss

Dieser bereits vereinfachte Fall ist gespickt mit prozessualen und materiell-rechtlichen Problemen, die den Fall sowohl für das Erste als auch das Zweite Staatsexamen äußerst attraktiv machen.

In prozessualer Hinsicht geht es um die Bindungswirkung der Feststellungen im Erstprozess für den Folgeprozess.

Der Kläger hatte in weiser Voraussicht im Wege der Klagehäufung (§ 260 ZPO) auch eine Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 II ZPO erhoben und so die Rechtskraftwirkung des Leistungsurteils erweitert. Diese Rechtskraftwirkung hätte das ebenfalls erstrittene Grundurteil nicht erreicht (vgl. Lösung).

In materiell-rechtlicher Hinsicht geht es um zwei Probleme:

(1) Wann ist die Nacherfüllung im kaufvertraglichen Mängelrecht unverhältnismäßig?

(2) Wie wirkt sich die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung auf den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus?

Die letzte Frage hat der BGH bereits zum Werkvertragsrecht dahingehend entschieden, dass der Besteller den mangelbedingten Schadensersatz wegen § 251 II BGB stets nur in Höhe der Verkehrswertminderung beanspruchen kann, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung zu Recht gem. § 635 III BGB als unverhältnismäßig verweigert hat.1 Dieses Ergebnis überträgt der BGH in dieser Entscheidung (zu Recht) auch auf das Kaufrecht.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob K gegen V ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von (weiteren) 500.000,- € zusteht.

I. Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I Alt. 2 BGB

Wenn der dem Käufer nach §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB zustehende Anspruch auf Nacherfüllung vom Verkäufer nicht erfüllt wird, steht dem Käufer ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zu.

K könnte daher von V Schadensersatz in Höhe von 500.000,- € verlangen, wenn die Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I Alt. 2 BGB vorliegen.

1. Grundvoraussetzungen des Anspruchs sind rechtskräftig festgestellt

Die Grundvoraussetzungen dieses Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung müssten dann nicht mehr geprüft werden, wenn diese gem. § 322 I ZPO rechtskräftig festgestellt sind.

a) Keine Rechtskraftwirkung durch das Grundurteil, § 304 ZPO

Durch das Grundurteil wurde im ersten Prozess festgestellt, dass die Voraussetzungen eines Anspruches auf Schadensersatz statt der Leistung dem Grunde nach vorliegen.

Dieses besondere Zwischenurteil (vgl. Überschrift des § 304 ZPO) schließt - obwohl es gem. § 304 II ZPO in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil fingiert wird, gegen welches Berufung und Revision statthaft sind - die erste Instanz nicht ab. Daher kann das Grundurteil nur i.S.d. § 705 ZPO formell, aber nicht materiell i.S.d. § 322 I ZPO rechtskräftig werden.

Die Frage der Schadenshöhe ist damit nämlich noch nicht entschieden und bleibt daher in der ersten Instanz anhängig.2 Für den weiteren (erstinstanzlichen) Prozess -- das sog. Betragsverfahren -- ist das Gericht zwar gem. § 318 ZPO an seine Feststellung dem Grunde nach gebunden.

Dieses Verfahren wurde vorliegend rechtskräftig mit dem Zahlungsurteil über 134.000,- € abgeschlossen.

Für einen Folgeprozess entfaltet das Grundurteil aber keinerlei Rechtskraftwirkung.

b) Auch keine Rechtskraftwirkung durch das Leistungsurteil

Durch das Leistungsurteil im ersten Prozess wurde V rechtskräftig zur Zahlung von 134.000,- € verurteilt.

Hierdurch ist aber nicht rechtskräftig entschieden, dass eine Schadensersatzpflicht des V gegenüber K besteht.

Nach § 322 I ZPO erwächst nämlich nur die Entscheidung über den Klageanspruch (Urteilsformel bzw. Tenor) in Rechtskraft. Nach ganz h.M. sind zwar präjudizielle Rechtsverhältnisse dem Urteil inzident zugrunde zu legen, jedoch haben diese über das konkrete Verfahren hinaus keine weiteren Wirkungen.

Die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, auf denen die Verurteilung beruht, und die Beurteilung des vorgreiflichen Rechtsverhältnisses (Entscheidungsgründe) erwachsen daher nicht in Rechtskraft.

hemmer-Methode: Bei einer Klageabweisung lautet der Tenor lediglich „Die Klage wird abgewiesen." Ob als unzulässig oder unbegründet, ergibt sich erst aus den Entscheidungsgründen.

Damit lässt einen der Tenor im Unklaren, ob die Klage unbegründet war und demnach ein in der Sache rechtskräftiges Urteil ergangen ist (sog. „Sachurteil") oder ob die Klage als unzulässig abgewiesen wurde (sog. „Prozessurteil") und damit nach Behebung des Zulässigkeitsmangels eine erneute Klage möglich ist. Daher darf man zur Ermittlung der Reichweite der Rechtskraft in die Entscheidungsgründe „spicken". Dies bedeutet aber nicht, dass die Entscheidungsgründe in Rechtskraft erwachsen.3

c) Aber Rechtskraftwirkung durch das Feststellungsurteil nach § 256 II ZPO

K hat im ersten Prozess aber zusätzlich auf Feststellung geklagt, dass V auch zum Ersatz aller weiteren Schäden verpflichtet ist.

Dabei handelte es sich um eine sog. Zwischenfeststellungsklage gem. § 256 II ZPO im Wege der Klagehäufung, § 260 ZPO.

hemmer-Methode: Einziger Zweck der Zwischenfeststellungsklage ist es, die gem. § 322 ZPO objektiv auf die tenorierte Entscheidung begrenzte Wirkung der Rechtskraft auszudehnen, um sich dies für eine Folgeprozess fruchtbar zu machen.

Inzident festgestellte Rechtsverhältnisse haben nämlich über das konkrete Verfahren hinaus keine weiteren Wirkungen (s.o.). Ein späterer Rechtsstreit derselben Parteien über andere - auf das vorgreifliche Rechtsverhältnis bezogene - Ansprüche könnte mithin ohne weiteres abweichend beurteilt werden. Wenn nun aber ohnehin eine rechtliche Vorfrage vom Gericht geklärt werden muss, entspricht es den Grundsätzen der Prozessökonomie, sich diese Entscheidung für etwaige Folgeprozesse zunutze zu machen.

Was bereits einmal entschieden ist, braucht nicht immer wieder in nachfolgenden Rechtsstreitigkeiten in Frage gestellt werden. So spart man sich Zeit, Arbeit und Kosten.

Aus diesem Grund wird bei einer Zwischenfeststellungsklage auf die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des rechtlichen Interesses nach § 256 I ZPO verzichtet und diese durch die Vorgreiflichkeit für die Entscheidung über den Klageanspruch ersetzt.4

Bei einem Zwischenfeststellungsurteil gem. § 256 II ZPO handelt es sich -- anders als bei § 304 ZPO -- nicht nur um ein bzgl. der Rechtsmittel fingiertes, sondern tatsächlich um ein „echtes" Endurteil, welches die erste Instanz abschließt.

Die Reichweite des Feststellungsurteils ergibt sich aus dem Umfang der Rechtskraft. Diese reicht gemäß § 322 I ZPO so weit, wie über den Feststellungsantrag entschieden worden ist.

Nach dem Tenor des Feststellungsurteils ist V verpflichtet, dem K die weiteren Schäden zu ersetzen, welche darauf zurückzuführen sind, dass das Objekt mit Hausschwamm befallen ist.

In einem Folgeprozess sind daher Gerichte an die Feststellung der Schadensersatzpflicht gebunden und können nicht mehr anders entscheiden.

Anmerkung: Im Originalfall hat der Käufer seine Ansprüche abgetreten. Auch dies ändert nichts an der Rechtskraftwirkung. Obwohl Urteile grds. nur „inter partes" wirken, ordnet § 325 I ZPO eine Rechtskrafterstreckung für und gegen den Rechtsnachfolger an.

Zwischenergebnis: Damit steht die Schadensersatzpflicht des V fest und muss daher nicht mehr geprüft werden.

Zu prüfen sind daher lediglich die konkrete Schadenshöhe und die anzuwendende Art der Schadensberechnung.5

2. Schadensberechnung

Im Rahmen des sog. „kleinen" Schadensersatzes kann der Käufer entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder -- als sog. Deckungsgeschäft -- den Ersatz der Mängelbeseitigungskosten verlangen.6

Der mangelbedingte Minderwert beträgt im vorliegenden Fall lediglich 100.000,- €, da der Zeitwert des Grundstücks mit Schwammbefall ca. 500.000,- € und ohne Schwammbefall ca. 600.000,- € beträgt.

Die Mängelbeseitigungskosten belaufen sich hingegen auf insgesamt 634.000,- €, nämlich die bereits rechtskräftig zugesprochenen 134.000,- € hinsichtlich der Dachkonstruktion und die 500.000,- € für die übrigen Sanierungskosten und Mietausfälle.

Zwischenergebnis: Damit kann K grds. als Schadensersatz die Zahlung von 500.000,- € verlangen.

3. Begrenzung des Schadens auf den mangelbedingten Minderwert wegen Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung?

Das Wahlrecht des K, statt des mangelbedingten Minderwerts den Ersatz der Sanierungskosten zu verlangen, könnte aber dann nicht mehr bestehen, wenn V sich zu Recht darauf berufen hätte, dass für ihn die Nacherfüllung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist.

Fraglich ist, wie sich eine etwaige Unverhältnismäßigkeit des Nacherfüllungsaufwandes auf den Anspruch auf Schadensersatz auswirkt.

aa) Kein Entfallen des Anspruchs

Der Anspruch auf Schadensersatz wegen Mängeln der Kaufsache ist nach allgemeiner Meinung auch dann gegeben, wenn der Verkäufer zu Recht nach § 439 III BGB einwendet, sie nicht beseitigen zu müssen, weil dies nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.

Das ergibt sich eindeutig aus § 440 BGB, wonach es zur Entstehung des Schadensersatzanspruchs grundsätzlich einer Fristsetzung nicht bedarf, wenn der Käufer die Nacherfüllung gemäß § 439 III BGB verweigert.

bb) Evtl. Reduzierung der Nacherfüllungs-kosten auf einen angemessen Betrag

Man könnte auf die Idee kommen, den Anspruch auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten der Höhe nach auf einen angemessenen Betrag zu reduzieren.

Der BGH lehnt im vorliegenden Fall eine derartige Beschränkung des Schadensersatzes ab.

Der BGH hat dies zwar für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs im Wege der Rechtsfortbildung zur Herstellung eines richtlinienkonformen Ergebnisses angenommen (siehe Anmerkungskasten oben).

Die Voraussetzungen für eine derartige Beschränkung der Ersatzpflicht sind im vorliegenden Zusammenhang jedoch nicht gegeben. Bei dem hier in Rede stehenden Vertrag handelt es sich weder um einen Verbrauchsgüterkauf, noch ist eine Regelungslücke gegeben.

cc) Nur Ersatz des mangelbedingten Minderwertes analog § 251 II S. 1 BGB

Der Schadensersatzanspruch könnte aber bei Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB in analoger Anwendung des § 251 II S. 2 BGB auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts der Kaufsache beschränkt sein.

hemmer-Methode: Eine direkte Anwendung des § 251 II S. 1 BGB scheidet aus, da nicht der Schadensersatzanspruch in Form der Naturalrestitution unverhältnismäßig ist, sondern allenfalls der Nacherfüllungsanspruch.

Kann der Verkäufer die Nachbesserung nach § 439 III BGB verweigern, ist es folgerichtig, ihn schadensersatzrechtlich nicht für einen Teil der Mängelbeseitigungskosten einstehen zu lassen, sondern den Schadensersatz auf die Höhe der Differenz des Wertes der Kaufsache in mangelfreiem und in mangelhaftem Zustand zu beschränken.7

Die für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 251 II S. 1 BGB maßgebenden Kriterien entsprechen jenen, die bei der nach § 439 III BGB gebotenen Prüfung des unverhältnismäßigen Nacherfüllungsaufwands heranzuziehen sind.8

Grund ist der mit § 439 III BGB beabsichtigte Schutz des Verkäufers. Der Verkäufer, der die Mängelbeseitigung wegen unverhältnismäßiger Kosten verweigern darf, kann nicht im Wege des Schadensersatzes verpflichtet sein, diese Kosten zu tragen. Der Umstand, dass der Schadensersatzanspruch anders als der Nacherfüllungsanspruch ein Vertretenmüssen des Verkäufers voraussetzt, führt zu keiner anderen Beurteilung.

Zwischenergebnis: Nach Ansicht des BGH könnte K in analoger Anwendung des § 251 II S. 1 BGB daher nur Ersatz des mangelbedingten Minderwerts der Sache verlangen, wenn die Nacherfüllung für V mit unverhältnismäßigen Kosten i.S.d. § 439 III BGB verbunden wäre.

Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 439 III BGB vorliegen.

4. Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung gem. § 439 III BGB

Fraglich ist, ob dem V die Nacherfüllung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist, § 439 III BGB.

hemmer-Methode: Bei § 439 III BGB handelt es sich um eine kaufrechtliche Sonderregelung, die für die berechtigte Leistungsverweigerung eine niedrigere Schwelle aufstellt als § 275 II BGB.

Grund für diese niedrigere Schwelle ist, dass der Verkäufer zumindest schon mal eine -- wenn auch mangelhafte -- Leistung erbracht hat. § 275 II BGB hat daher neben § 439 III BGB praktisch keinen eigenständigen Anwendungsbereich.

Die eigentliche Bedeutung des § 275 II BGB im Rahmen der Nacherfüllung besteht darin, dass bei der Abwägung i.R.d. § 439 III BGB auch ein etwaiges Vertretenmüssen des Verkäufers berücksichtigt werden muss, vgl. § 275 II S. 2 BGB.9

Die Unverhältnismäßigkeit kann sich aus dem Vergleich zur Nachlieferung als zweiter Nacherfüllungsmöglichkeit (relative Unverhältnismäßigkeit) oder daraus ergeben, dass die Mängelbeseitigung für sich allein betrachtet unverhältnismäßige Kosten verursacht (absolute Unverhältnismäßigkeit).

a) Relative Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung vorliegend nicht denkbar

Zunächst sind die Kosten der gewählten Art der Nacherfüllung mit denen der anderen Art der Nacherfüllung zu vergleichen.

Sofern die Kosten der gewählten Art (deutlich) höher sind als die der anderen, scheidet die gewählte Art der Nacherfüllung schon deswegen als unverhältnismäßig aus (sog. „relative Unverhältnismäßigkeit").

Die Grenze der „relativen Unverhältnismäßigkeit" ist umstritten, wird aber nach überwiegender Meinung bei ca. 10 % gezogen.10

Da eine Nachlieferung bei einem Grundstückskauf (Unikat) nicht möglich ist, kommt ein interner Kostenvergleich zwischen Nachlieferung und Nachbesserung und damit ein Fall der relativen Unverhältnismäßigkeit nicht in Betracht.

b) Absolute Unverhältnismäßigkeit

Daher muss nun geprüft werden, ob die absolute Grenze der Unverhältnismäßigkeit überschritten ist.

Anmerkung: Eine absolute Unverhältnismäßigkeit der einzig in Betracht kommenden Nacherfüllungsart führt dazu, dass der Verkäufer die Nacherfüllung insgesamt verweigern darf (vgl. § 439 III S. 3 HS 2 BGB).

Beim Verbrauchsgüterkauf, der einen Verkauf einer beweglichen Sache von einem Unternehmer (§ 14 BGB) an einen Verbraucher (§ 13 BGB) voraussetzt (vgl. § 474 I S. 1 BGB), verstößt das in § 439 III BGB dem Verkäufer eingeräumte Recht, die einzig mögliche Art der Abhilfe wegen ihrer absoluten Unverhältnismäßigkeit zu verweigern, gegen Art. 3 III UA 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Nach Ansicht des EuGH bleibt der Verkäufer trotz unverhältnismäßiger Kosten also zur Nacherfüllung verpflichtet. Andererseits schließt es Art. 3 III der Richtlinie aber nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf einen Betrag beschränkt wird. Der Verkäufer soll also einen Teil der Nacherfüllungskosten auf den Käufer umlegen dürfen, wenn diese unverhältnismäßig hoch sind. Der Käufer kann also auch bei unverhältnismäßigem Aufwand vom Verkäufer die Nacherfüllung verlangen, wenn er im Gegenzug einen Teil dieser Kosten übernimmt. Er kann sich aber für Minderung oder Rücktritt entscheiden, wenn er sich nicht teilweise an den Kosten beteiligen will.11

Dies hat der BGH mit Urteil vom 21.12.2011 bestätigt.12 Hält der Verkäufer dem Nacherfüllungsanspruch des Käufers einredeweise entgegen, dass er diesem stattdessen die Kosten der Nacherfüllung in Höhe eines angemessenen Betrags erstattet, hat der Käufer nach § 440 S. 1 Var. 3 BGB die Möglichkeit, entweder sich an den Kosten zu beteiligen oder eine angemessene Minderung des Kaufpreises bzw. die Vertragsauflösung zu verlangen. Zur Lösung dieser europarechtlichen Vorgabe enthält § 440 S. 1 Var. 3 BGB eine entsprechende Regelung. Danach bedarf es der für die Geltendmachung von Rücktritt (und Schadensersatz statt der Leistung) im Regelfall notwendigen Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist.

Die Vorschrift, die über § 441 I S. 1 BGB auch auf die Minderung Anwendung findet, kommt auch dann zur Anwendung, wenn die Nacherfüllung mit erheblichen Unannehmlichkeiten für den Verbraucher verbunden ist.

§ 439 III S. 2 BGB hebt als bei der Prüfung der (absoluten) Unverhältnismäßigkeit zu berücksichtigende Umstände den Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels hervor.

Unerheblich ist danach der Kaufpreis, sodass ein von dem Käufer erzielter günstiger Kaufpreis nicht dazu führt, dass die Grenze der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskosten früher erreicht wird, als dies bei einem höheren, dem Wert der Sache in mangelfreiem Zustand entsprechenden Kaufpreis der Fall wäre.13

Anmerkung: Der Kaufpreis ist eine Frage der ausgehandelten Äquivalenz und beeinflusst damit nicht die Frage, in welchem Umfang dem Unternehmer eine Nacherfüllung zugemutet werden kann.

Wo die prozentualen Grenzen der Unverhältnismäßigkeit liegen, wird nicht einheitlich beurteilt. Verschiedentlich wird für die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit an den Wert der Kaufsache in mangelfreiem Zustand angeknüpft und hiervon ausgehend der Versuch unternommen, Grenzwerte zu bilden.

aa) Eine Ansicht sieht die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten, wenn die Kosten der Ersatzlieferung oder der Nachbesserung 150 % des Werts der Sache in mangelfreiem Zustand betragen14. Dieser Wert soll nur dann gelten, wenn der Verkäufer den Mangel nicht zu vertreten hat. Liegt Vertretenmüssen vor, sind ihm noch höhere Nacherfüllungskosten zuzumuten.

Ist die 150 %-Grenze eingehalten, müsse noch ein weiteres Korrektiv beachtet werden, wenn der Mangelunwert nicht den Wert der Sache in mangelfreiem Zustand erreicht, d.h. wenn die mangelhafte Sache noch einen Restwert hat. Zu fragen ist dann nach der Bedeutung des Mangels. Dies erfolgt durch einen Vergleich des Mangelunwerts der Sache mit den Kosten der Nachbesserung. Hierdurch soll verhindert werden, dass ein Mangel, der den Wert der Sache nur unerheblich mindert, unzumutbar hohe Nacherfüllungskosten hervorruft. Die Grenze der Unverhältnismäßigkeit ist bei 200 % des Mangelunwerts überschritten.

bb) Teilweise wird die Grenze beim mangelbedingten Minderwert gezogen und diese bei Verschulden des Verkäufers erhöht.15

Ist der Käufer wahlweise zur Geltendmachung des großen Schadensersatzes berechtigt, wird vertreten, dass die den Aufwand für eine Ersatzbeschaffung übersteigenden Mängelbeseitigungskosten nur liquidiert werden können, wenn ein besonderes Interesse an der Herstellung der Mangelfreiheit gerade an dem einmal geleisteten Objekt besteht.16

cc) Nach der überwiegend vertretenen Ansicht wird folgende Regel vorgeschlagen:17

Hat der Verkäufer die Lieferung der mangelhaften Sache nicht zu vertreten, so dürfen die Kosten der Nacherfüllung nicht mehr als 100 % des Wertes der Kaufsache in mangelfreiem Zustand betragen.

Hat der Verkäufer dagegen die Lieferung der mangelhaften Sache zu vertreten, so wird die Grenze bei 130 % bis 150 % gezogen.

Eine Differenzierung aufgrund des Vertretenmüssens wird damit begründet, dass § 439 III BGB als Ausprägung des in § 275 II S. 2 BGB formulierten allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu betrachten ist und damit das Vertretenmüssen ein beachtliches Abwägungskriterium für den Umfang der Nacherfüllung darstellt.

dd) Der BGH lehnt in dieser Entscheidung die Festlegung von Grenzwerten ab und verweist jeweils auf die Gesamtumstände des Einzelfalls.18

Bei der Prüfung, ob eine absolute Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung vorliegt, ist eine Bewertung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich.

Starre Grenzwerte können diese umfassende Interessenabwägung nicht ersetzen. Allerdings bieten Grenzwerte in Form einer Faustregel einen ersten Anhaltspunkt und dienen damit der Rechtssicherheit.19

(1) Ausgangspunkt: Wert in mangelfreiem Zustand

Bei Grundstückskaufverträgen kann als erster Anhaltspunkt davon ausgegangen werden, dass die Nacherfüllung wegen unverhältnismäßiger Kosten dann verweigert werden kann, wenn sie entweder den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200 % des mangelbedingten Minderwerts übersteigen.

Ausgangspunkt ist § 439 III S. 2 BGB, der für die Prüfung der Unverhältnismäßigkeit den Wert der Sache in mangelfreiem Zustand und die Bedeutung des Mangels hervorhebt.

(2) Keine Übertragung der für Kfz-Schäden entwickelten 130 %-Grenze

Die Rechtsprechung des BGH, wonach die Kosten einer Kraftfahrzeugreparatur in Höhe von bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes ersatzfähig sind, ist auf den vorliegenden Regelungszusammenhang nicht zu übertragen.

Sie beruht im Wesentlichen auf der Anerkennung eines besonderen Integritätsinteresses des geschädigten Eigentümers eines Kraftfahrzeugs, das nur durch die Reparatur des ihm vertrauten Fahrzeugs befriedigt werden kann.20

Demgegenüber ist im Rahmen der unmittelbaren Anwendung des § 251 II S. 1 BGB in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Gebäudeschäden,21 Bodenkontaminationen22 oder der Beschädigung von Bäumen und Gehölzen23 aufgrund der das Schadensrecht beherrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise auf die Gesamtbewertung von Gebäude und Grundstück als sich wechselseitig beeinflussende Wertfaktoren abzustellen ist. In diesen Fällen wird regelmäßig der Verkehrswert des Grundstücks als Grenze angesehen, bis zu der Schadensersatz verlangt werden kann.

Auch wenn sich die Rechtsprechung zu Beschädigungen eines Grundstücks auf einen Schadensersatzanspruch wegen Lieferung einer mangelhaften Immobilie grundsätzlich nicht übertragen lässt,24 ist ein solcher Rückgriff im Rahmen der entsprechenden Anwendung des § 251 II S. 1 BGB ausnahmsweise zulässig und auch geboten.

Übersteigen die Mängelbeseitigungskosten den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand, stehen sie grundsätzlich in keinem wirtschaftlich vernünftigen Verhältnis mehr zu dem dadurch herbeigeführten Erfolg.

In einem solchen Fall widerspräche es Treu und Glauben (§ 242 BGB), dessen besondere Ausprägungen §§ 251 II S. 1, 439 III BGB darstellen, wenn der Käufer diese Aufwendungen dem Verkäufer in Form der Mängelbeseitigung anlasten könnte.25

(3) Aber: Verkehrswert des mangelfreien Grundstücks nicht allein entscheidend

Der Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand bietet jedoch nicht stets einen geeigneten Anhaltspunkt. Liegen z.B. Mängel vor, die sich nur auf das Gebäude, nicht aber auf Grund und Boden auswirken, stellt der Wert des mangelfreien Grundstücks unter Umständen kein ausreichendes Kriterium zur Begrenzung der Mängelbeseitigungskosten unter dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit dar.

Da § 439 III S. 2 BGB auf die Bedeutung des Mangels abstellt und diese sich in dem mangelbedingten Minderwert des Grundstücks niederschlägt, bildet auch dieser Wert einen geeigneten Anhaltspunkt für eine Eingrenzung. Mängelbeseitigungskosten, die mehr als 200 % des mangelbedingten Minderwerts betragen, werden in der Regel nicht mehr als verhältnismäßig anzusehen sein.26

Allerdings geben die genannten Werte nur einen ersten Anhaltspunkt für die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung. Maßgeblich bleibt eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls.

Bei dieser ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit der Verkäufer den Mangel zu vertreten hat.

In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei vorsätzlichen Pflichtverletzungen27 oder sonstigem schweren Verschulden28 dem Schuldner auch sonst unverhältnismäßige Aufwendungen zuzumuten sind.

Anmerkung: Wie weit dies im Einzelfall gehen kann, bedurfte im vorliegenden Fall ebenso wenig der Entscheidung wie die Frage, ob ein besonderes Interesse des Käufers an der Nacherfüllung zu berücksichtigen ist. V haftet vorliegend nicht wegen des arglistigen Verschweigens eines Mangels; auch ist ein besonderes Interesse des K an einer Nacherfüllung weder festgestellt noch geltend gemacht worden.

(4) Übertragung auf den vorliegenden Fall

Da das Gesamtobjekt im mangelhaften Zustand einen Zeitwert von 500.000,- € hat und der Zeitwert des Gesamtobjekts ohne Mangel bei ca. 600.000,- € liegt, beträgt der mangelbedingte Minderwert ca. 100.000,- €.

Die Mängelbeseitigungskosten betragen hingegen mehr als das sechsfache und übersteigen den mangelbedingten Minderwert um deutlich mehr als 200 %.

Zwischenergebnis: Nach Ansicht des BGH sind die für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten (absolut) unverhältnismäßig.

II. Ergebnis

Da für V die Mängelbeseitigung mit unverhältnismäßigen Kosten verbunden war, konnte er diese gem. § 439 III BGB zu Recht verweigern.

Der Schadensersatzanspruch beschränkt sich daher auf den Ersatz des mangelbedingten Minderwerts, sodass K von V lediglich 100.000,- € verlangen kann.

Dass dem K bereits 134.000,- € zugesprochen wurden, ist zwar falsch, aber bereits rechtskräftig entschieden.

Hinsichtlich der geltend gemachten 500.000,- € wäre eine weitere Klage vollumfänglich unbegründet.

D) Kommentar

(ty). Der BGH befasst sich ausführlich und überzeugend mit der Frage der Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung und lässt sich nicht auf prozentuale Grenzwerte festlegen.

Diese geben zwar -- so der BGH -- eine gewisse Orientierungshilfe, machen aber eine Abwägung der Einzelfallumstände nicht entbehrlich. Eine eindeutige Absage erteilt der BGH der Ansicht, welche die zum Kfz-Schadensrecht entwickelte 130 %-Grenze auf die Fälle des § 439 III BGB bzw. § 635 III BGB außerhalb des Kfz-Schadensrechts übertragen möchte.

Als gefestigt kann inzwischen die Rechtsprechung angesehen werden, dass in analoger Anwendung des § 251 II S. 1 BGB bei Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung Schadensersatz nur in Höhe des mangelbedingten Minderwerts verlangt werden kann.

E) hemmer-background

Der hemmer-background befasst sich mit der für die Lösung des Falles nicht mehr relevanten Frage der Vorteilsanrechnung.

Anmerkung: Lesen Sie hierzu ausführlich Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 200 ff.

I. Voraussetzungen der Vorteilsanrechnung

Mitunter sind Fallkonstellationen denkbar, in denen das schädigende Ereignis dem Geschädigten außer einem Schaden auch einen Vorteil bringt. Hier stellt sich dann die Frage, ob sich dieser Vorteil auf den Schadensersatzanspruch mindernd auswirkt.

Bei der Schadensermittlung durch Vermögensvergleich mittels der Differenzhypothese scheinen alle durch das Schadensereignis hervorgerufenen Vorteile den Schaden automatisch zu mindern. Das würde bisweilen zu unhaltbaren Ergebnissen führen, wenn z.B. durch das Schadensereignis veranlasste freiwillige Spenden Dritter den Schädiger von seiner Schadensersatzpflicht entlasteten.

Deshalb muss vor dem Vermögensvergleich eine wertende Entscheidung darüber stattfinden, welche Posten in die Vergleichsrechnung eingestellt werden dürfen und welche nicht.

Voraussetzungen der Vorteilsanrechnung

1. Kausalität des schadensstiftenden Ereignisses für den erlangten Vorteil (sog. „äußerer Zusammenhang")

a) Äquivalenz

b) Adäquanz (str.)

2. Kongruenz von Vorteil und Schaden (sog. „innerer Zusammenhang")

Der Schaden muss die Kehrseite (das Spiegelbild) des Schadens sein

Testfrage: Ist der Vorteil ohne den konkreten Schaden überhaupt denkbar?

Beispiel: S zündet das unter Denkmalschutz stehende Haus des G an. Dabei wird das gesamte Mobiliar zerstört.

Durch Wegfall der Beschränkungen des Denkmalschutzes ist das „nackte" Grundstück nach dem Brand mehr wert als das Haus.

Kurzlösung:

(1.) Das schadensstiftende Ereignis (Anzünden des Hauses) war kausal sowohl für den Schaden (zerstörtes Mobiliar) als auch den Vorteil (Wegfall des Denkmalschutzes).

(2.) Allerdings besteht kein innerer Zusammenhang zwischen Schaden und Vorteil. Der Vorteil beruht nämlich auf der Zerstörung des Hauses, wohingegen der Schaden auf der Zerstörung des Mobiliars beruht. Konsequenz: Der Schaden wird voll ersetzt, eine Vorteilsanrechnung findet nicht statt.

3. Billigkeitskontrolle, § 242 BGB:

a) Im Vordergrund steht die Vermeidung einer unbilligen Entlastung des Schädigers!

Vorteilsanrechnung verneinen!

b) Im Vordergrund steht die Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung des
Geschädigten!

Vorteilsanrechnung bejahen!

Testfrage: Was ist das geringere Übel?

Beispiel: Zündelbeispiel wie oben. Jetzt verlangt G aber Schadensersatz für das zerstörte Gebäude, das wegen des Wegfalls des Denkmalschutzes weniger wert war als das jetzt „nackte" Grundstück.

Kurzlösung:

(1.) Äußerer Zusammenhang (Zündeln ist kausal für Schaden und Vorteil) (+), s.o.

(2.) Auch der innere Zusammenhang besteht, da der Vorteil (Wegfall des Denkmalschutzes) nur deshalb besteht, weil auch der Schaden (Zerstörung des Hauses) eingetreten ist.

M.a.W.: Der Vorteil wäre ohne den konkreten Schaden gar nicht denkbar!

(3.) Billigkeitsüberprüfung, § 242 BGB:

Eine Vorteilsanrechnung wäre für den Schädiger eine unbillige Entlastung. Der Geschädigte wird auch nicht ungerechtfertigt bereichert, da er durch den Neubau des Hauses wieder Kosten hat. Die Bejahung eines Schadens ist daher billig.

Ergebnis: Keine Vorteilsanrechnung!

II. Übertragung auf den vorliegenden Fall

Wenn die Kosten der Schwammbeseitigung im vorliegenden Fall ersatzfähig gewesen wären, käme eine Anspruchskürzung im Wege der Vorteilsanrechnung in Betracht.

1. Ohnehin erforderliche bzw. vom Käufer geplante Sanierung

Wenn im Zuge der Mängelbeseitigung Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, welche vom Käufer im Rahmen einer ohnehin erforderlichen oder vom Käufer vorgesehenen Sanierung auch bei einer mangelfreien Leistung durchgeführt worden wären, und diese zu einer Wertsteigerung des Grundstücks führen würden, müsste man diesen Vorteil (ersparte Aufwendungen) schadensmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen.

Nach dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot soll der Geschädigte nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde.29

Im Kaufrecht führt dies dazu, dass der Käufer einer mangelhaften Sache grundsätzlich nicht besser stehen darf, als er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung stünde.30

Der Vorteilsausgleich beruht auf dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und erfordert eine wertende Betrachtung.

Schadensmindernd zu berücksichtigen sind jedoch nur solche Vorteile, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, sodass sie dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unbillig entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtung gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (sog. innerer Zusammenhang).31

Diese Voraussetzungen liegen regelmäßig vor, soweit der Geschädigte durch die Schadensbeseitigung eigene Aufwendungen erspart.32

Im vorliegenden Fall führte nach den gerichtlichen Feststellungen die Beseitigung des Schwammbefalls dazu, dass auch Sanierungsarbeiten durchgeführt werden, welche ohnehin geplant waren. Die dadurch ersparten eigenen Aufwendungen muss sich K von den Mängelbeseitigungskosten, welche den gesamten zur Mängelbeseitigung erforderlichen Betrag umfassen, abziehen lassen. Für K wäre es nämlich ein unverdienter Vorteil, wenn er die ohnehin vorgesehenen Sanierungsarbeiten teilweise auf Kosten der Beklagten durchführen könnte.

2. Abzug „neu für alt" bei Wertsteigerungen ohne aus sonstigen Gründen erforderliche Sanierung

Eine Vorteilsanrechnung kann auch in Betracht kommen, soweit die Kosten der Schwammbeseitigung nicht für Maßnahmen anfallen, welche dem Käufer im Rahmen einer ohnehin vorgesehenen Sanierung durchgeführt werden sollten.

Wenn nämlich die mangelbedingte Sanierung zu einer Wertsteigerung des Grundstücks führt, muss dieser Vorteil „neu für alt" zum Abzug gebracht werden.

Da der Schwammbefall nicht auf das Dachgebälk beschränkt war, sondern sich vom Dach über alle Etagen bis in den Keller ausgebreitet hat, müssen zur Schwammbeseitigung auch Küchen und Bäder zerstört und wieder aufgebaut sowie Elektro-, Klempner- und Fliesenarbeiten durchgeführt werden.

Der Schaden besteht in den erforderlichen Sanierungskosten sowie den zwischenzeitlichen Mietausfällen während der Sanierung.

Da es aber durch die Sanierung eindeutig zu einer Wertsteigerung des gesamten Gebäudes kommt, muss dieser Vorteil im Wege eines Abzuges „neu für alt" auf den Schaden angerechnet werden.

hemmer-Methode: Der Abzug „neu für alt" stellt einen Sonderfall der Vorteilsanrechnung dar, weil hier der Vorteil für den Geschädigten nicht schon durch das schädigende Ereignis, sondern erst im Zuge der Naturalrestitution entsteht.

Folglich liegt hier eigentlich kein echter Fall der Vorteilsausgleichung vor. Vielmehr handelt es sich um einen bloßen Abzugsposten innerhalb der Schadensberechnung.

Die Rechtsprechung des BGH und die Literatur sehen hierin allerdings eine Fallgruppe der Vorteilsanrechnung, sodass Sie dies im Examen natürlich auch so machen können bzw. im Zweiten Staatsexamen auch sollten.

F) Zur Vertiefung

  • Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT 1, Rn. 172 ff. BGH, Life & Law 04/2012, 239 ff.
  • Vorteilsanrechnung/Abzug „neu für alt" Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 200 ff.

G) Wiederholungsfragen

1. Woraus ergibt sich, dass trotz Vorliegens der Einrede gem. § 439 III BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden kann?

2. Welche Auswirkungen hat § 439 III BGB auf den Umfang des Schadensersatzanspruchs?


  1. Life & Law 2013, 537 ff. = NJW 2013, 370 ff.

  2. Vgl. hierzu Riehm, JuS 2014, 822 (823).

  3. BGH, NJW 2008, 2716

  4. Vgl. dazu BGH, Life & Law 03/2007, 172 ff. = NJW 2007, 82 f.

  5. Riehm, JuS 2014, 822 (823).

  6. BGHZ 193, 326 ff.

  7. Zum Werkvertragsrecht BGH, Life & Law 2013, 537 ff. = NJW 2013, 370 ff.

  8. BGH, Life & Law 2013, 537 ff. = NJW 2013, 370 ff.

  9. Vgl. hierzu Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT 1, Rn. 173.

  10. Vgl. hierzu Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT 1, Rn. 176a; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rn. 446

  11. EuGH, Life & Law 08/2011, 537 ff. = NJW 2011, 2269 ff.

  12. BGH, Life & Law 04/2012, 239 ff.

  13. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 777 (779) OLG Braunschweig, NJW 2003, 1053, 1054 Ball, NZV 2004, 217 (223)

  14. Ansicht von Bitter/Meidt, Nacherfüllungsrecht und Nacherfüllungspflicht des Verkäufers im neuen Schuldrecht, ZIP 2001, 2114 - 2124 (2121 f.).

  15. Schultz, Zu den Kosten der Nacherfüllung beim Kauf, 2005, 182 ff.; Ackermann, JZ 2002, 378 (382 ff.).

  16. MüKo, 6. Auflage, § 281 BGB, Rn. 130; Erman, 13. Auflage, § 281 BGB, Rn. 30.

  17. Vgl. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, Rn. 448 - 452, Huber, Die Nacherfüllung im neuen Kaufrecht, NJW 2002, 1004 (1008); Reinking, ZfS 2003, 57, 62; Tiedtke/Schmitt, DStR 2004, 2060 (2064); Palandt, § 439 BGB, Rn. 16a; AG Menden, NJW 2004, 2171 (2172).

  18. So bereits BGH, Life & Law 04/2012, 239 ff. = NJW 2012, 1073 ff. so auch Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht, 2002, Kapitel 5 Rn. 158; Henssler/Graf von Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, 2. Aufl., § 439 Rn. 27; Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt, Das neue Schuldrecht, 2002, S. 384, 386.

  19. BGH, NJW 2009, 1660

  20. BGH, NJW 2005, 1108, 1109

  21. BGHZ 102, 322 (326) BGH, NJW-RR 1990, 1303 (1305) OLG Düsseldorf, MDR 2012, 85 OLG Bamberg, ZfS 2011, 445 (446) OLG Frankfurt am Main, OLGR 2006, 16 (17) OLG Hamm, OLGR 1998, 358 (361)

  22. BGH, NZM 2010, 442

  23. BGHZ 196, 111

  24. BGHZ 193, 326

  25. BGH, NJW 2006, 2399 (2401) BGH, NJW 1976, 235, 236

  26. BGH, NJW 2009, 1660

  27. BGH, NZM 2010, 442 BGH, NJW 1988, 699 (700); BGHZ 62, 388 (394)

  28. BGH, NJW 1970, 1180 (1181) BGHZ 59, 365 (368)

  29. BGHZ 173, 83

  30. BGH, NJW-RR 2013, 825

  31. BGH, NJW-RR 2004, 79 (80) BGHZ 173, 83

  32. Palandt, 73. Auflage, vor § 249 BGB, Rn. 93.