Unterschrift auf Notepad als Urkunde?

OLG Köln, Beschluss vom 01.10.2013 -- III-1 RVs 191/13

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Urkundenfälschung, § 267 StGB +++ Urkundeneigenschaft elektronischer Dokumente +++ Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 StGB +++ Verletzung des Postgeheimnisses, § 206 StGB +++ Sachbeschädigung, § 303 StGB +++

Sachverhalt (leicht abgewandelt und ergänzt): A ist Kurierfahrer bei einem privaten Paketzustellunternehmen. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung fühlt er sich immer häufiger damit überfordert, die Pakete rechtzeitig auszuliefern. An einem besonders stressigen Tag beschließt er, 47 bis dahin noch nicht zugestellte Pakete zunächst „verschwinden zu lassen", um sie in der Folgezeit nach und nach den Empfängern zu übergeben. Damit dieses Verhalten nicht auffällt, unterzeichnete er für jedes Paket in seinem elektronischen Lesegerät, einem sogenannten Notepad, die dort vorbereitete Empfangsbescheinigung jeweils mit dem Namen des entsprechenden Empfängers. Dazu benutzte er einen Stift, mit dem auf der Benutzeroberfläche des Notepads in derselben Weise geschrieben werden kann wie mit einem Kugelschreiber auf Papier. Hierbei entsteht als sichtbare Datei eine Unterschrift des angeblichen Paketempfängers, die in dem Lesegerät gespeichert und in diesem jederzeit wieder abgerufen bzw. von diesem ausgedruckt werden kann. Durch sein Vorgehen wollte A erreichen, dass in dem elektronischen Buchungssystem des Unternehmens, an dessen Zentrale er die Daten jeden Abend bei Dienstschluss übermittelt, die jeweiligen Pakete als zugestellt ausgebucht werden. Bereits am Abend des selben Tages erkennt A, dass 47 Pakete zu viele sind, um sie zusätzlich auszuliefern. Daher entschließt er sich, 20 Pakete im Müll zu „entsorgen". Die weiteren 27 Pakete stellt er in der Folgezeit tatsächlich nach und nach zu.

Wie hat sich A nach dem StGB strafbar gemacht? §§ 263a, 268 StGB sind nicht zu prüfen.

A) Sounds

1. Wesentliches Merkmal einer Urkunde ist die dauerhafte Verkörperung einer Gedankenerklärung. Wird eine Empfangsbestätigung auf einem Touchscreen oder Notepad erzeugt und dort digital archiviert, so handelt es sich bei dem elektronischen Ablieferbeleg nicht um eine Urkunde, da das digitale Dokument nur im Speicher oder auf dem Bildschirm existiert, aber nicht auf einem Gegenstand dauerhaft verkörpert ist.

2. Auch bei einem möglichen Ausdruck auf Papier liegt keine Urkunde vor, da es sich hierbei lediglich um eine Kopie des elektronisch gespeicherten Dokuments handelt.

B) Problemaufriss

Urkundendelikte gehören aufgrund einer Vielzahl von Auslegungs- und Subsumtionsproblemen im Zusammenhang mit dem Begriff der Urkunde zu den schwierigsten Tatbeständen des StGB. Da sie sich gleichzeitig wunderbar in komplexe Fallgestaltungen einbauen lassen, besitzen sie eine große Examensrelevanz.1 Der vorliegende Fall beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Urkunde auch im Zeitalter der Digitalisierung die stoffliche Fixierung einer Gedankenerklärung erfordert, oder ob hierauf in Hinblick auf die voranschreitende technische Entwicklung verzichtet werden kann. Im Examen könnte dieser Fall sehr gut mit Eigentums- und Vermögensdelikten kombiniert werden, etwa §§ 242, 246, 263, 263a StGB.

C) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit des A nach dem StGB.

I. § 267 I Var. 1 u. 3 StGB

A könnte sich zunächst wegen Urkundenfälschung gem. § 267 I Var. 1 und 3 StGB strafbar gemacht haben.

Schema: Urkundenfälschung,
§ 267 StGB

I. Objektiver Tatbestand

1. Tatobjekt: Urkunde

  • Verkörperte Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion)
  • Beweiseignung und -bestimmung (Beweisfunktion)
  • Ausstellererkennbarkeit (Garantiefunktion) 2. Tathandlungen
  • Herstellen einer unechten Urkunde
  • Verfälschen einer echten Urkunde
  • Gebrauchen einer unechten oder verfälschten Urkunde II. Subjektiver Tatbestand
  • Vorsatz bzgl. objektivem Tatbestand
  • Handeln zur Täuschung im Rechtsverkehr (dolus directus 2. Grades

    ausreichend)

    III. Rechtswidrigkeit IV. Schuld V. Ggf. Regelbeispiele, § 267 III StGB

Dazu müsste er durch das Unterzeichnen auf dem Lesegerät mit den Namen der Empfänger eine unechte Urkunde hergestellt und diese durch die nachfolgende Weiterleitung an die Zentrale gebraucht haben.

1. Tatobjekt: Urkunde

Urkunden sind verkörperte Gedankenerklärungen, die ihren Aussteller erkennen lassen und zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt sind.2

Mit seiner Unterschrift auf dem Lesegerät bestätigt der Unterzeichner, dass er das an ihn auszuliefernde Paket erhalten hat. Er gibt somit eine Gedankenerklärung ab, welche sowohl dazu geeignet als auch gerade dazu bestimmt ist, Beweis darüber zu erbringen, dass ein Paket zugestellt wurde, wann dies geschah und wer es entgegennahm. Durch die Unterschrift wird auch der Urheber der Gedankenerklärung deutlich. Fraglich ist somit allein die hinreichende Verkörperung (Perpetuierung) des Gedanken. Erforderlich ist die feste und dauerhafte Verbindung mit einer Sache.3 Im vorliegenden Fall liegt eine solche zwar nicht vor, da die geleistete Unterschrift zunächst auf dem Notepad gespeichert und als Datei an die Zentrale des Paketunternehmens gesendet wird und somit optisch „verschwindet". Allerdings besteht die jederzeitige Möglichkeit, sie aufzurufen oder auch auszudrucken und damit dauerhaft sichtbar auf Papier zu manifestieren. Unter Würdigung der technischen Entwicklung könnte man überlegen, den Urkundenbegriff des § 267 StGB weit auszulegen, um den vorliegenden Fall hierunter zu subsumieren.

Allerdings ist die dauerhafte optische Wahrnehmbarkeit der Gedankenerklärung gerade Inhalt der Perpetuierungsfunktion. Gespeicherte Daten sind hingegen nur vorübergehend, nämlich während ihres Aufrufs, sichtbar, und nicht dauerhaft verkörpert. Selbst beim nachträglichen Ausdruck einer Datei liegt keine Urkunde vor, da es sich hierbei lediglich um die Kopie eines elektronisch gespeicherten Dokuments handelt.4 Für eine Ablehnung der Urkundeneigenschaft bei fehlender Perpetuierung spricht zudem, dass ansonsten eine Abgrenzung zu § 269 StGB, der das Fälschen beweiserheblicher Daten unter Strafe stellt, kaum sinnvoll möglich wäre.

A hat durch die Unterschriften somit keine unechten Urkunden hergestellt.

2. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Urkundenfälschung gem. § 267 I Var. 1 u. 3 StGB strafbar gemacht.

II. § 269 I StGB

Es könnte jedoch eine Strafbarkeit wegen der Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 I Var. 1 u. 3 StGB, gegeben sein.

Anmerkung: § 269 StGB dient dazu, computerspezifische Strafbarkeitslücken im Bereich der Urkundendelikte zu schließen.5 Der Tatbestand (und damit auch dessen Prüfung) orientiert sich an § 267 StGB; so entspricht das Speichern beweiserheblicher Daten dem Herstellen einer unechten und das Verändern von Daten dem Verfälschen einer echten Urkunde. Lediglich die Verkörperung der Gedankenerklärung ist gerade nicht erforderlich.

1. Objektiver Tatbestand

Indem er auf dem Notepad unterschrieb, könnte A zunächst beweiserhebliche Daten so gespeichert haben, dass bei ihrer Wahrnehmung unechte Urkunden vorliegen.

Daten im Sinne dieser Vorschrift sind codierte Informationen, die nicht unmittelbar visuell wahrnehmbar gespeichert sind.6 Sie müssen zudem beweiserheblich sein, also dem Nachweis rechtlich erheblicher Tatsachen dienen, und einen bestimmten Aussteller erkennen lassen. Die auf dem Notepad erzeugten und gespeicherten Unterschriften dienen dem Nachweis des Paketzugangs; erkennbare Aussteller sind die Paketempfänger. Da diese jedoch nicht mit dem tatsächlichen Aussteller übereinstimmen, lägen, bei stofflicher Fixierung der Erklärungen, unechte Urkunden vor.

Da A die Unterschriften bei Dienstschluss an die Zentrale weitergeleitet hat, hat er zudem die Tatvariante des Gebrauchens gefälschter beweiserheblicher Daten verwirklicht.

2. Subjektiver Tatbestand

Hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale handelte A mit dolus directus 1. Grades. Zudem müsste er zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt haben. In Anlehnung an § 267 StGB reicht auch hier direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades) aus. Nach § 270 StGB handelt der Täter auch dann zur Täuschung im Rechtsverkehr, wenn er die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung im Rechtsverkehr bezweckt. Zumindest letzteres liegt hier vor.

Anmerkung: Hintergrund des § 270 StGB ist, dass nur ein Mensch „getäuscht" werden kann und beim Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen eine menschliche Kontrolle der Daten zwar zumeist nicht stattfindet, aber durch die Beeinflussung der Datenverarbeitung ein täuschungsgleicher Effekt erzielt wird.

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

Schließlich handelte A auch rechtswidrig und schuldhaft.

4. Ergebnis

A hat sich damit wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gem. § 269 I Var. 1 u. 3 StGB strafbar gemacht.

III. § 206 II Nr. 2 StGB

Zudem könnte A sich wegen Verletzung des Postgeheimnisses gem. § 206 II Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben.

hemmer-Methode: Auch wenn § 206 StGB nie Schwerpunkt einer Klausur sein wird, sollte man ihn nicht übersehen.

Als Beschäftigter eines Zustelldienstes ist A tauglicher Täter. Indem er einen Teil der nichtzugestellten Pakete im Müll entsorgte und den Rest erst nach und nach an die Empfänger zustellte, hat er die dem Unternehmen zur Übermittlung anvertrauten Sendungen auch unterdrückt. Außerdem handelte er vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Verletzung des Postgeheimnisses gem. § 206 II Nr. 2 StGB strafbar gemacht hat.

IV. § 303 I StGB

Schließlich könnte hinsichtlich der weggeworfenen Pakete auch eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung, § 303 I StGB gegeben sein.

hemmer-Methode: Wenn der Täter die Sache nicht eigenhändig zerstört oder beschädigt, sondern wie hier bloß wegwirft, muss § 303 StGB von der zumeist straflosen Sachentziehung abgegrenzt werden. Eine Sachbeschädigung liegt in diesen Fällen nur dann vor, wenn die Entziehung in unmittelbarer Folge zu einer Beschädigung oder Vernichtung der Sache führt.

Müllcontainer werden üblicherweise regelmäßig geleert, ihr Inhalt wird dann entweder verbrannt oder zum Verrotten auf eine Mülldeponie verbracht. In beiden Fällen führt das Wegwerfen der Pakete unmittelbar zu ihrer Vernichtung. Dies nahm A zumindest billigend in Kauf. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Sachbeschädigung gem. § 303 I StGB strafbar gemacht hat.

V. Konkurrenzen

Den Entschluss, 47 noch nicht zugestellte Pakete zunächst „verschwinden" zu lassen, hat A für alle Pakete gemeinsam gefasst, sodass hier aufgrund einer natürlichen Handlungseinheit von einer Tat auszugehen ist. Gleiches gilt für die Verletzung des Postgeheimnisses sowie für das Wegwerfen von 20 Paketen. Hinsichtlich der entsorgten Pakete erfolgten die Verletzung des Postgeheimnisses sowie die Sachbeschädigung durch eine Handlung, sodass hier von Tateinheit auszugehen ist. A hat sich daher wegen Fälschung beweiserheblicher Daten gem. § 269 I Var. 1 u. 3 StGB sowie wegen Sachbeschädigung, § 303 I StGB, in Tateinheit mit einer Verletzung des Postgeheimnisses gem. § 206 II Nr. 2 StGB strafbar gemacht.

D) Kommentar

(bb). Die dem Fall zugrunde liegende Entscheidung eignet sich gut, das Verhältnis von § 267 StGB (Tatobjekt: Urkunde) und §§ 269, 270 StGB (Tatobjekt: beweiserhebliche Daten) herauszuarbeiten und daher als Klausurvorlage.

Als weiteres Tatobjekt kommen bei den Urkundendelikten technische Aufzeichnungen in Betracht, vgl. § 268 StGB. Hierbei handelt es sich im Kern um Aufzeichnungen, die durch ein technisches Gerät selbsttätig bewirkt werden (vgl. die Legaldefinition in § 268 II StGB). Hierdurch sollen Strafbarkeitslücken geschlossen werden, wenn nach der Verkehrsauffassung kein menschlicher Aussteller ermittelbar ist. Allerdings ist es in aller Regel möglich, bei umfassender Gesamtwürdigung Erklärungen von technischen Geräten den hierfür konkret verantwortlichen Personen im Rechtsverkehr zuzuordnen.

So wird etwa ein Parkticket, welches von einem Parkautomaten erzeugt wird, herkömmlicherweise dem Aufsteller des Automaten zugeordnet. In diesen Fällen liegt dann bereits eine Urkunde i.S.v. § 267 StGB vor. Der tatbestandliche Anwendungsbereich des § 268 StGB ist dann bei systematischer Auslegung bereits nicht eröffnet bzw. tritt nach anderer Auffassung in solchen Fällen wegen seines subsidiären Auffangcharakters hinter § 267 StGB zurück.

E) Zur Vertiefung

  • Zu den Urkundendelikten

Hemmer/Wüst, Strafrecht BT II, Rn. 240 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Was ist unter einer verkörperten Gedankenerklärung zu verstehen und

    wann liegt eine solche vor?

  2. Worin unterscheidet sich § 269 StGB von § 267 StGB?

  1. Zu den wichtigsten Problemen im Bereich der Urkundendelikte vgl. Berberich/Dunker, Life & Law 2012, 57 ff.

  2. Vgl. BGHSt 3, 85; 4, 285; 13, 239; 16, 96; 18, 66

  3. Vgl. Lackner/Kühl, § 267 StGB, Rn. 6.

  4. Vgl. Tunn, Versicherungsrecht 2005, 1646 (1650).

  5. Vgl. Fischer, § 269 StGB, Rn. 2.

  6. Vgl. Fischer, § 269 StGB, Rn. 4.