Schadensersatz aus c.i.c. bei Rücknahme eines bindenden Angebots! „Ergebnis hui, Begründung pfui"; oder: „Warum Begriffe wie positives bzw. negatives Interesse nur bedingt helfen"

OLG Köln, Beschluss vom 21.07.2014, Az.: 11 U 10/14

von Life and Law am 01.12.2014

+++ Rücknahme eines bindenden Angebots +++ Vorvertragliche Pflichtverletzung +++ Schadensersatzanspruch aus c.i.c. +++ §§ 280 I, 311 II BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt): V hatte mit Bindungsfrist bis zum 20.12.2014 dem Bauunternehmer K im Oktober 2014 angeboten, für diesen Fertigbetonteile anzufertigen.

Im November schloss K mit D einen Vertrag, in welchem sich K zur Errichtung eines Freizeitparks verpflichtete. Für die Durchführung des Vertrags war K auf die von V herzustellenden Fertigbetonteile angewiesen.

Am 01.12.2014 erklärte V gegenüber K den „Rücktritt vom Vertragsangebot".

Da K nicht mit den Fertigbetonteilen beliefert wurde, konnte er seinen Vertrag zur Errichtung des Freizeitparkes für D nicht erfüllen. Der zwischen K und D geschlossene Vertrag wurde aufgehoben und D vergab die Arbeiten an einen anderen Unternehmer. Dadurch entging K ein Gewinn von 90.000,- €.

K verlangt daraufhin von V Schadensersatz in Höhe von 90.000,- €.

Zu Recht?

A) Skizze

B) Sounds

1. Nimmt ein Lieferant (= Verkäufer) sein bindendes Angebot zurück, ohne sich dies bei Angebotsabgabe vorbehalten zu haben, liegt darin eine Verletzung vorvertraglicher Pflichten.

2. Erhält der Auftraggeber (= Käufer) aufgrund der Angebotsrücknahme einen Auftrag nicht, muss der Lieferant dem Auftraggeber den hierdurch entstandenen Schaden in voller Höhe ersetzen.

C) Problemaufriss

Der recht übersichtliche Fall befasst sich mit der Frage einer vorvertraglichen Pflichtverletzung und der damit verbundenen Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen, §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB (c.i.c.).

Auf Tatbestandsebene liefert der Fall keine größeren Schwierigkeiten.

Das eigentliche Problem, weswegen der Fall in der Life & Law besprochen wird, betrifft die Rechtsfolgenseite. Konkret geht es um die Frage, ob bei der c.i.c. nur das negative oder in besonders gelagerten Fälle auch das positive Interesse verlangt werden kann.

Das OLG Köln folgt der Rechtsprechung des BGH und bejaht im vorliegenden Fall einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses.

Das Ergebnis ist richtig, aber die Begründung hierzu ist wenig überzeugend.

Solche Urteile führen nur dazu, dass der Jurastudent zu viele Einzelheiten versucht auswendig zu lernen und dabei dann nicht mehr die einfachsten Grundlagen versteht. Letztlich scheitern die meisten Studenten im Staatsexamen an ganz einfachen Problemen.

D) Lösung

Fraglich ist, ob K von V Schadensersatz in Höhe von 90.000,- € wegen entgangenen Gewinns nach §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB verlangen kann.

I. Anspruch auf Schadensersatz aus c.i.c. gem. §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB

In Betracht kommt zunächst ein Anspruch auf Schadensersatz wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung.

1. Vorvertragliches Schuldverhältnis, § 311 II Nr. 1 BGB

V hat dem K die Fertigung von Fertigbetonteilen angeboten. Damit bestanden zwischen den Parteien Vertragsverhandlungen, sodass gem. § 311 II Nr. 1 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen ist.

hemmer-Methode: Bei dem sich anbahnenden Vertrag handelt es sich um einen Vertrag über die Lieferung herzustellender beweglicher Sachen. Gem. § 651 BGB würde daher das Kaufrecht Anwendung finden (sog. Werklieferungsvertrag1).

Der Einordnung als bewegliche Sache im Sinne des § 651 BGB steht nicht entgegen, dass die Fertigbetonteile dazu bestimmt sind, zu einer Anlage zusammengesetzt und dann auf einem Grundstück fest installiert zu werden. Maßgeblich ist, ob die Sachen im Zeitpunkt der Lieferung beweglich sind.2

Nach Ansicht des OLG Nürnberg3 soll die Vorschrift des § 651 BGB aber im rein unternehmerischen Rechtsverkehr - also außerhalb des Endkundenvertriebs - einschränkend auszulegen sein. Außerhalb des Endkundenvertriebs komme die verbraucherschützende Zwecksetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nämlich nicht zur Anwendung, sodass eine Einschränkung zulässig und geboten sei.

Nach Ansicht des BGH4 ist das Kaufrecht hingegen auf sämtliche Verträge mit einer Verpflichtung zur Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen anzuwenden, also auch auf solche Verträge zwischen Unternehmern. Der Gesetzgeber wollte eine starke Vereinfachung des Rechts über die Werklieferung, die für sämtliche Verträge der in § 651 BGB bezeichneten Art gelten soll.

Dem Gesetz kann auch keine Beschränkung derart entnommen werden, dass lediglich Verträge über die Lieferung von typischen Massengütern oder zum Verbrauch bestimmter Güter erfasst sein sollten. Der Wortlaut des § 651 BGB und die dargestellten Motive geben dafür nichts her.

2. Pflichtverletzung, § 241 II BGB

Der mit Schreiben vom 01.12.2014 erklärte „Rücktritt" vom Angebot stellt eine gegenüber K relevante Verletzung vorvertraglicher Pflichten i.S.d. § 241 II BGB dar.

V hatte in diesem Angebot ausdrücklich erklärt, sich bis zum 20.12.2014 an das Angebot zu binden. Durch diese Bindung ist ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis mit beiderseitigen Rücksichtnahmepflichten nach § 241 II BGB entstanden, deren Verletzung eine Haftung nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsschluss begründet.5

Durch die Rücknahme des Angebots bzw. den insoweit erklärten „Rücktritt" hat V die in seinem Angebot selbst festgelegte Bindung missachtet und sich hiervon losgesagt. Diese Lossagung war dem V nicht vorbehalten gewesen.

3. Kausaler Schaden

Fraglich ist, ob dem K hierdurch ein kausaler Schaden entstanden ist.

Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese gem. § 249 I BGB grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen tatsächlichen Vermögenslage mit einer hypothetischen Vermögenslage zu beurteilen.6

Die Differenz zwischen hypothetischer Vermögenslage und tatsächlicher Vermögenslage ist das sog. „Interesse".

hemmer-Methode: Der Begriff Interesse kommt aus dem Lateinischen und heißt wörtlich „Dazwischensein" bzw. „inter-esse".

Bei der Frage nach der hypothetischen Vermögenslage kommt es darauf an, wie man die Hypothese formuliert.

Entweder man fragt (positiv) danach, wie der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung stünde und ermittelt so das positive Interesse.

Oder es wird (negativ) gefragt, wie der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis stünde und ermittelt so das negative Interesse.

hemmer-Methode: Im ersten Semester lernt der Student das negative Interesse im Zusammenhang mit § 122 I BGB und § 179 II BGB kennen.

Bereits an dieser Stelle werden oft die Weichen für die Zukunft falsch gestellt, weil diese Normen etwas Einzigartiges regeln. Sie beschränken das negative Interesse der Höhe nach auf das positive Interesse. Viele Studenten glauben nun, dass das beim negativen Interesse ein allgemeingültiger Grundsatz sei.

Das Gegenteil ist richtig: Außer in §§ 122 I, 179 II BGB wird das negative Interesse nämlich der Höhe nach nicht beschränkt!

Außerdem werden die meisten Studenten dadurch verwirrt, dass der Begriff des negativen Interesses häufig auch noch Vertrauensschaden genannt wird. Diese beiden Begriffe meinen aber im Ergebnis ein und dasselbe.

Beim Vertrauensschaden wird der Geschädigte so gestellt, wie er stehen würde, wenn er nicht („negativ") auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hätte.

Diese Definition ist identisch mit der allgemeinen Definition des negativen Interesses, bei welchem der Geschädigte so gestellt wird, wie er stehen würde, wenn es das haftungsbegründende Ereignis nicht („negativ") gegeben hätte. Beim Vertrauensschaden ist das haftungsbegründende Ereignis also das nicht wirksame Zustandekommen des Vertrags.

Merke: Der Vertrauensschaden ist ein Unterfall des negativen Interesses.7

Tipp: Merken Sie sich lieber die allgemeine Definition des negativen Interesses. Bei einer Haftung aus § 823 I BGB (z.B. wegen einer Körper- oder einer Eigentumsverletzung) passt nämlich die Formulierung, dass der Geschädigte so gestellt wird, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut hätte, überhaupt nicht.

Dennoch kommen solche Formulierungen selbst in Examensklausuren regelmäßig vor. Dies ist der Beleg dafür, dass oft die einfachsten Dinge

  • sprich die „Basics der Basics" - nicht richtig verstanden werden.

a) Nach Ansicht des OLG Köln (so auch BGH) soll ausnahmsweise das positive Interesse ersetzt werden

Dieser Schaden liegt nach Ansicht des OLG Köln darin, dass K aufgrund der Rücknahme des bindenden Angebots des V den Auftrag des D zur Errichtung eines Freizeitparkes nicht hat durchführen können mit der Folge, dass ihm ein Gewinn in Höhe von 90.000,- € entgangen ist.

Dieser entgangene Gewinn ist als positives Interesse von V dem K zu ersetzen.

Für eine Beschränkung des Ersatzes auf das negative Interesse (Vertrauensschaden) besteht in den Fällen des unberechtigten Widerrufes eines bindenden Vertragsangebotes kein Grund.

Soweit in den Fällen gescheiterter Vertragsverhandlungen die Haftung aus c.i.c. auf das negative Interesse beschränkt wird, geschieht dies im Hinblick auf den Grundsatz der negativen Vertragsfreiheit des Pflichtigen, der sich auch gegenüber dem die Schadensersatzpflicht begründenden Vertrauensschutz der anderen Partei dahin auswirkt, dass lediglich der Ausgleich des Vertrauensschadens zu gewähren ist.8

Dafür besteht aber keine Veranlassung, wenn der Pflichtige eine privatautonome Willenserklärung abgegeben hat, von der er anschließend pflichtwidrig abrückt.

Ein bindendes Angebot räumt dem Berechtigten eine Rechtsposition ein, die einer vertraglichen Option gleichkommt, für deren Verletzung der Pflichtige nach vertraglichen Grundsätzen auf den vollen Ersatz des positiven Interesses haftet.

Davon geht auch die höchstrichterliche Rechtsprechung aus. So hat der BGH im Falle der Abschlussverweigerung trotz bindenden Vertragsangebotes angenommen, dass der Geschädigte den Schaden geltend machen kann, der ihm durch diese Pflichtverletzung, also dadurch entstanden sei, dass der Vertrag nicht mit dem sich pflichtwidrig verhaltenden Bieter zustande gekommen war, sondern ein anderer Bieter beauftragt werden musste.9

Dies ist aber ebenso wie der entgangene Gewinn aus dem beabsichtigen Vertrag ein Schaden, der nur dadurch eingetreten ist, dass der Pflichtige den Abschluss des Vertrags pflichtwidrig vereitelt hat, mithin - anders als der unter das negative Interesse fallende entgangene Gewinn aus einen Drittgeschäft10 - eine Form des positiven Interesses.

Anmerkung: Auch der BGH geht davon aus, dass der Schadensersatz bei einer Haftung aus c.i.c. grundsätzlich auf das negative Interesse gerichtet ist. Dies schließe aber nach Ansicht des BGH, welchem das OLG Köln in der vorliegenden Entscheidung folgt, nicht aus, dass „ausnahmsweise" auch das Interesse an der Erfüllung eines nicht zustande gekommenen Vertrags zu ersetzen ist, wenn der Vertrag ohne die c.i.c. zustande gekommen wäre.

b) Überzeugender: Bei der c.i.c. wird nur das negative Interesse ersetzt; dieses kann aber einmal mit dem positiven Interesse identisch sein

Überzeugender ist es, bei der c.i.c. immer nur das negative Interesse zu ersetzen.

Das positive Interesse ist der sog. Nichterfüllungsschaden. Der Geschädigte wird gestellt, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde.

Ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses setzt also stets ein Schuldverhältnis mit Erfüllungspflichten voraus.

Im vorvertraglichen Schuldverhältnis bestehen gem. § 311 II BGB aber nur nicht leistungsbezogene Schutz- und Rücksichtnahmepflichten.

c) Ermittlung des negativen Interesses

Fraglich ist, wie das negative Interesse zu bestimmen ist, welche beiden Vermögenslagen also miteinander verglichen werden müssen.

Das negative Interesse wird auch häufig Vertrauensschaden genannt (vgl. hemmer-Methode auf der vorhergehenden Seite).

Stellt man den K so, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte, so könnte man evtl. zu dem Ergebnis kommen, dass K in diesem Fall keinen Vertrag mit D geschlossen hätte.

Genau hier liegt aber der Fehler. Beim negativen Interesse soll der K richtiger Weise so gestellt werden, wie er ohne (also negativ) das haftungsbegründende Ereignis stünde.

hemmer-Methode: Man denkt sich die Pflichtverletzung (so bei § 280 BGB) oder die schädigende Handlung (so bei § 823 BGB) einfach weg, man streicht sie quasi. Nichts anderes bedeutet der Begriff „negativ".

Die entscheidende Frage lautet beim negativen Interesse also: Wie stünde K ohne die Pflichtverletzung des V?

Die Pflichtverletzung lag in der Rücknahme des bindenden Angebots. Denkt man sich genau diese Pflichtverletzung weg, hätte V sein bindendes Angebot gerade nicht zurückgenommen. Damit hätte K das Angebot noch annehmen können und dadurch einen vertraglichen Erfüllungsanspruch gegen V gehabt. In diesem Fall hätte K von V die Erfüllung des Vertrags verlangen und daraufhin auch seinen Verpflichtungen gegenüber D nachkommen können.

Beim Vertrauensschaden bzw. beim negativen Interesse ist das haftungsbegründende Ereignis also das nicht wirksame Zustandekommen des Vertrags aufgrund der pflichtwidrigen Rücknahme des bindenden Angebots des V.

Subsumiert man diese Hypothese sauber durch, kommt man zum selben Ergebnis wie das OLG Köln oder der BGH: Ohne schädigende Handlung hätte K den Gewinn aus dem Geschäft mit D realisieren können. Der Schaden beläuft sich also auf exakt denselben Betrag, nämlich die 90.000,- €.

c) Zwischenergebnis

Der entgangene Gewinn in Höhe von 90.000,- € ist daher der zu ersetzende Schaden.

Dabei handelt es sich aber richtigerweise nicht um das positive, sondern um das negative Interesse, das in der Höhe mit dem positiven Interesse lediglich zufälligerweise identisch ist.

hemmer-Methode: Hätte K das Angebot des V schon angenommen und würde V dann nicht liefern, so könnte K Ersatz des entgangenen Gewinns nach §§ 280 I, III, 281 BGB verlangen. Dabei würde es sich dann um den Nichterfüllungsschaden, also das positive Interesse handeln, das mit dem negativen Interesse im hier zu besprechenden Fall eben identisch ist.

Für die Frage, ob Ersatz geschuldet ist, kann es nicht auf den Zufall ankommen, ob das bindende Angebot schon angenommen worden war oder der Schuldner sein Angebot vertragswidrig vorher zurückzieht.

II. Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I, II BGB

Ein Anspruch auf Schadensersatz aus Delikt gem. § 823 BGB scheidet aus.

1. Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB entfällt mangels Verletzung eines absolut geschützten Rechts.

K hat einen reinen Vermögensschaden erlitten. Das Vermögen ist aber kein von § 823 I BGB absolut geschütztes Recht.

Anmerkung: Beachten Sie, dass im öffentlichen Recht der Eigentumsbegriff des Art. 14 GG sehr viel weiter ist als der des Zivilrechts.

Zwar unterfällt das Vermögen als solches auch im Öffentlichen Recht nicht dem Schutz des Art. 14 I GG. Allerdings gehört jede konkrete Vermögensposition des Zivilrechts wie z.B. Forderungen oder Geschäftsanteile zum Eigentum, während im Zivilrecht nur an körperlichen Gegenständen, sprich Sachen (vgl. § 90 BGB), der Eigentumsschutz besteht. Aufgrund des umfassenden Schutzes jeder einzelnen Vermögensposition konnte das BVerfG bislang offen lassen, ob das im Zivilrecht als sonstiges Recht i.S.d. § 823 I anerkannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auch im Rahmen des Art. 14 I GG eine Eigentumsposition darstellt.

2. Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 II BGB entfällt mangels Verletzung eines Schutzgesetzes.

III. Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB

Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB könnte in Betracht kommen, wenn V zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hätte.

Der Nachweis von zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz lässt sich dem knappen Sachverhalt nicht eindeutig entnehmen. Jedenfalls dann, wenn sich V im Rechtsirrtum befunden hätte, sein Angebot zurückziehen zu dürfen, läge lediglich ein Fall von (u.U. grober) Fahrlässigkeit vor, was für die Bejahung eines Anspruches aus § 826 BGB gerade nicht genügt.

IV. Endergebnis

K kann von V Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns aus c.i.c. gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II BGB i.V.m. § 249 I BGB in Höhe von 90.000,- € verlangen.

E) Kommentar

(mty). Das OLG Köln und der BGH versuchen ohne Not, bei der c.i.c. ausnahmsweise einen Anspruch auf Schadensersatz auf das positive Interesse zu begründen.

Eine schlichte Subsumtion des § 249 I BGB hätte gereicht, um zum richtigen Ergebnis zu kommen. Das Ergebnis stimmt also, weil im vorliegenden Fall das negative Interesse und das positive Interesse gleich hoch sind. Dennoch sollte man in so einem Fall nicht vom positiven Interesse sprechen.

Wäre der Begriff des positiven Interesses in der Entscheidungsbegründung nicht gefallen, wäre dieser wirklich überschaubare Fall nicht in der Life & Law besprochen worden.

Die Begriffe positives und negatives Interesse lernt jeder Student bereits im ersten Semester kennen. Die wenigsten Juristen können damit aber wirklich etwas anfangen, weil sie die Begriffe einfach nie verstanden haben.

Schuld hieran ist aber am wenigsten der Student oder Referendar. Verantwortlich hierfür sind Juristen, die mangels Verständnis für eine Materie diese Begriffe als Selbstzweck verstehen und irgendwann im Namen des Volkes Recht sprechen.

F) hemmer-background

Der hemmer-background befasst sich daher aus gegebenem Anlass mit der Frage, wie man mit den unterschiedlichen Schadensbegriffen in der Klausur umzugehen hat.

I. Subsumtion des § 249 I BGB

Es wäre alles ganz einfach, wenn man sich nur auf die Subsumtion des Gesetzestextes von § 249 I BGB beschränken würde.

Nach der Differenzhypothese des § 249 I BGB ist der Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der zum Schadensersatz führende Umstand nicht eingetreten wäre.

Man vergleicht die gegenwärtige Vermögenslage mit derjenigen, die hypothetisch bestünde, wenn der schadensbegründende Umstand nicht eingetreten wäre. Diese Differenz der beiden Vermögenslagen ist das sog. Interesse.

hemmer-Methode: Dies klingt so, als ob § 249 I BGB das negative Interesse definieren würde. Im Folgenden wird aber deutlich werden, dass sowohl das negative als auch das positive Interesse unter § 249 I BGB subsumiert werden können.

II. Abgrenzung zwischen positivem und negativem Interesse

Die Abgrenzung zwischen positivem und negativem Interesse ist letztlich ganz einfach.

Das positive Interesse wird immer dann ersetzt, wenn der Schaden durch die Nichterfüllung oder die nicht ordnungsgemäße Erfüllung entstanden ist. Daher wird ja auch der Begriff „Erfüllungsschaden" als Synonym für das positive Interesse verwendet.

Beim positiven Interesse muss es sich also um eine Anspruchsgrundlage auf Schadensersatz handeln, bei welcher die Haftungsbegründung an die nicht ordnungsgemäße Erfüllung anknüpft.

Auch hierfür kann auf die Differenzhypothese des § 249 I BGB zurückgegriffen werden.11 Man muss als schädigende Handlung die nicht ordnungsgemäße Erfüllung heranziehen und anschließend folgende Frage stellen:

Wie stünde der Geschädigte, wenn es nicht zu der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung gekommen wäre?

Aufgrund dieser doppelten Verneinung wird der Geschädigte also so gestellt, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stehen würde. Genau diese positiv formulierte Hypothese war der Namensgeber für den Begriff des „positiven" Interesses.

Bleibt zum Schluss nur noch die Frage zu klären, woran man eine Anspruchsgrundlage auf Ersatz des positiven Interesses erkennt.

Anwendungsfälle sind zum Beispiel die Vorschriften, in denen das Gesetz vom Schadensersatz statt der Leistung spricht wie in §§ 281, 282, 283 BGB.

Bei § 311a II BGB handelt es sich ebenfalls um einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung, der auf das positive Interesse gerichtet ist. Dogmatisch ist dies freilich falsch, da es wegen § 275 BGB bei anfänglicher Unmöglichkeit nie einen Erfüllungsanspruch gab. Es handelt sich also um eine Fiktion.

Das positive Interesse wird auch von Anspruchsgrundlagen gewährt, die -- wie bis 31.12.2001 üblich -- vom Schadensersatz wegen Nichterfüllung sprechen (z.B. §§ 523 II S. 1, 524 II S. 2, 651f I BGB bzw. § 376 I S. 1 HGB).

Unangenehm ist die Vorschrift des § 536a BGB, die nur von Schadensersatz spricht. Auch hier handelt es sich aber eindeutig um einen Anspruch, der auf das positive Interesse gerichtet ist, da der haftungsbegründende Umstand der Mangel der Mietsache ist. Sanktioniert wird die mangelhafte Leistung und damit wiederum die nicht ordnungsgemäße Erfüllung durch den Vermieter. Der Mieter soll so gestellt werden, wie er bei ordnungsgemäßer, sprich mangelfreier Leistung stünde.

III. Verhältnis zu weiteren Begrifflichkeiten

Im Mängelrecht, insbesondere beim Kauf- und beim Werkvertrag, kommt man als Begriffsjurist zum nächsten Problem: Ist der Mangelfolgeschaden eigentlich das positive oder das negative Interesse?

Es geht ja schließlich um das Integritätsinteresse und nicht um das Äquivalenzinteresse. Das Integritätsinteresse wird aber doch grds. vom Deliktsrecht ersetzt und dort gibt es denknotwendig nur das negative Interesse. Die deliktische Haftung knüpft nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung an. Daher stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungs- bzw. positiven Interesse von vornherein nicht.

Das gilt für die deliktische Haftung grundsätzlich auch dann, wenn sie neben einer vertraglichen Schadensersatzpflicht besteht.

Im Kaufrecht beispielsweise wird der Mangelfolgeschaden aber nach §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB als Schadensersatz neben der Leistung ersetzt. Ist das jetzt das negative oder das positive Interesse?

Richtig ist Folgendes: Es handelt sich konsequenterweise um das positive Interesse, da der Schaden durch die nicht ordnungsgemäße Erfüllung eingetreten ist.

Im Reisevertragsrecht und im Mietvertragsrecht ist die Anspruchsgrundlage für den Mangelschaden und alle Mangelfolgeschäden die Vorschrift des § 651f BGB bzw. des § 536a I BGB.

Der Umstand, dass im kaufrechtlichen und im werkvertraglichen Mängelrecht der Mangelfolgeschaden als Schaden neben der Leistung gem. § 280 I BGB i.V.m. § 437 Nr. 3 BGB bzw. § 634 Nr. 4 BGB ersetzt wird, ändert im Ergebnis nichts daran, dass es sich um einen Schaden handelt, der kausal auf der nicht ordnungsgemäßen Leistung beruht.

Mit anderen Worten: Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung ist stets ein Fall des positiven Interesses.

Der Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung kann ein Unterfall des positiven Interesses sein, wenn es sich um einen Begleitschaden infolge nicht ordnungsgemäßer Erfüllung handelt (wie z.B. im Mängelrecht).

Wird hingegen eine Schutzpflicht i.S.d. § 241 II BGB verletzt, so ist der dadurch eintretende Schaden neben der Leistung ein Fall des negativen Interesses.

Schadensersatz neben der Leistung kann also sowohl ein Teil des positiven Interesses als auch ein Fall des negativen Interesses sein.

IV. Mangelfolgeschaden als deliktischer Anspruch

Definiert man im Rahmen des deliktischen Anspruches das negative Interesse, so wird der Käufer so gestellt, wie er ohne die schädigende Handlung stünde. Das war die Lieferung der mangelhaften Sache. In diesem Fall wäre es nicht zum Schaden an anderen Rechtsgütern gekommen.

Letztlich ist es wie im hier besprochenen Fall so, dass ein Mangelfolgeschaden an anderen Rechtsgütern im Vertragsrecht als positives Interesse und im Deliktsrecht als negatives Interesse ersetzt wird, weil beide Definitionen den Schaden (zufälligerweise) erfassen.

hemmer-Methode: Begriffe wie Schadensersatz statt oder neben der Leistung, Äquivalenz- oder Integritätsinteresse, positives oder negatives Interesse, Mangel- oder Mangelfolgeschaden kann und will kein vernünftiger Mensch verstehen.

Versuchen Sie nicht, diese Begriffe isoliert zu sehen und schablonenhaft zu lernen. Dies wird sich nämlich bald als Wahndelikt bzw. als untauglicher Versuch erweisen.

Zur Ungeeignetheit dieser Begriffe vgl. zuletzt Tyroller/Fürbass*,* „Schadensersatz statt oder neben der Leistung; oder: Warum helfen Begriffe wie Äquivalenz- bzw. Integritätsinteresse nicht weiter?", Life & Law 09/2014, 686 ff.

V. Merkhilfe für die Klausur

1. Subsumieren Sie einfach § 249 I BGB. Dies ist schon alles. Es geht lediglich um die Frage, was der durch die schädigende Handlung kausal herbeigeführte Schaden ist.12

Es muss gefragt werden, wie der Geschädigte stünde, wenn es nicht zu dem haftungsbegründenden Umstand gekommen wäre.

Beim negativen Interesse lautet die Frage: Wie stünde der Geschädigte, wenn es nicht zur Pflichtverletzung bzw. deliktischen Handlung gekommen wäre.

Beim positiven Interesse lautet die Frage: Wie stünde der Geschädigte, wenn es nicht zu der nicht ordnungsgemäßen Erfüllung gekommen wäre. Aufgrund dieser doppelten Verneinung wird der Geschädigte also so gestellt, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stehen würde. Und genau das wird letztlich positives Interesse genannt.

M.a.W: Minus mal Minus gibt Plus!

2. Im Deliktsrecht und bei der c.i.c. wird denknotwendigerweise nur das negative Interesse ersetzt, weil es weder im Deliktsrecht noch im vorvertraglichen Bereich einen Anspruch auf Erfüllung gibt.

3. Es gibt aber Fälle, in denen (zufällig) eine Schadensposition sowohl von der Definition des positiven als auch des negativen Interesses erfasst wird.

Im Deliktsrecht und der c.i.c. bleibt es aber dabei, dies negatives Interesse zu nennen.

4. Genau dies ist letztlich der Beleg dafür, dass die bloßen Begriffe positives und negatives Interesse nur Worthülsen sind, die ohne Verständnis des § 249 I BGB nur zur Verwirrung beitragen.

G) Zur Vertiefung

  • Positives und negatives Interesse

Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht I, Rn. 42 ff.

Hemmer/Wüst, Schadensersatzrecht III, Rn. 178 ff.

  • Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (c.i.c.)

Hemmer/Wüst, Schuldrecht AT, Rn. 195 ff.

H) Wiederholungsfragen

1. Definieren Sie die Begriffe positives und negatives Interesse!

2. Gibt es bei der c.i.c. eine Haftung auf das positive Interesse?


  1. Zu diesem Begriff vgl. auch die Überschrift von § 381 HGB.

  2. Hinweis: Mit § 651 BGB sollte die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umgesetzt werden. Verbrauchsgüter im Sinne dieser Richtlinie sind bewegliche körperliche Gegenstände mit Ausnahme von bestimmten, näher bezeichneten Gütern, Art. 1 II lit. b Verbrauchsgüterkaufrichtlinie. Es ist nicht erkennbar, dass Verträge über die Lieferung von Bauteilen vom Geltungsbereich dieser Richtlinie im Hinblick darauf ausgenommen sein sollten, dass die Teile später in ein Bauwerk eingefügt werden; vgl. dazu auch Schumann, ZGS 2005, 250 (251 m.w.N.); Rudolph, Die Abgrenzung zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht gemäß § 651 BGB, S. 82 ff.

  3. OLG Nürnberg, IBR 209, 80

  4. BGH, Life & Law 11/2009, 726 ff. = NJW 2009, 2877 ff.

  5. BGH NZBau 2006, 390 = WM 2006, 247 Staudinger, § 145 BGB, Rn. 25 und 36; MüKo, 6. Aufl., § 145 BGB, Rn. 20; Palandt, 73. Aufl., § 145 BGB, Rn. 3.

  6. BGHZ 98, 212, 217 BGHZ 86, 128, 130 BGHZ 99, 182, 196 BGH, NJW 2000, 2669, 2670

  7. Palandt, Vorb. v. § 249 BGB, Rn. 16 und 17.

  8. Palandt, § 311 BGB, Rn. 55.

  9. BGH, NZBau 2006, 390

  10. BGH, NJW 1998, 2900

  11. Strittig; a.A. z.B. Riehm, JuS 2014, 822 ff.

  12. Ähnlich Lorenz, Die Haftungsausfüllung bei der c.i.c., NJW 1999, 1001 f.; Lorenz hält dort zwar auch an den Begriffen positives und negatives Interesse fest, erklärt aber, dass es um eine reine Kausalitätserwägung im Rahmen der Subsumtion des § 249 I BGB geht.