Rechtsprechungsübersicht Zivilrecht (11)

BGH, Urteil vom 23.10.2013, VIII ZR 402/12, WuM 2013, 729 ff.

von Life and Law am 01.02.2014

Für die Frage der Verjährung von Ersatzansprüchen des Vermieters setzt die Rückerlangung der Mietsache außer der Übertragung des Besitzes an der Wohnung vom Mieter an den Vermieter die Kenntnis des Vermieters von der Besitzaufgabe voraus.

Sachverhalt (verkürzt und abgewandelt): M hat von V eine Wohnung gemietet.

Das Mietverhältnis wurde mit Wirkung zum 31.12.2009 wirksam gekündigt. M zog aus der Wohnung aus und übergab am 20.12.2009 den Wohnungsschlüssel an die im gleichen Haus wohnende Hauswartin H. Diese war eine Angestellte des V. Die H war aber nicht bevollmächtigt, für V Willenserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen.

Kenntnis von der Schlüsselübergabe an H erlangte V erst im Januar 2010.

Am 30.06.2010 wird dem M ein Mahnbescheid zugestellt, mit welchem V von M Schadensersatz für Beschädigungen der Mietwohnung verlangt. M beruft sich auf Verjährung.

Sind die Ansprüche des V gegen M aus §§ 280 I, 535 BGB bzw. aus § 823 BGB verjährt?

Lösung: Nach Ansicht des BGH sind die Ansprüche des V gem. §§ 280 I, 535 BGB bzw. aus § 823 BGB nicht nach § 548 I BGB verjährt, sodass dem M die Verjährungseinrede des § 214 I BGB nicht zusteht.

hemmer-Methode: Grundsätzlich unterliegen deliktische Ansprüche der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Der Beginn richtet sich nach § 199 I BGB, wobei die Höchstfristen des § 199 II, III BGB zu beachten sind. Allerdings bestünde die Gefahr, dass bei Anwendung der allgemeinen Verjährungsfrist auf den zu § 280 I BGB in Konkurrenz stehenden Anspruch aus § 823 I BGB die Wertung des § 548 I BGB unterlaufen würde. Die Beschädigung der Mietsache stellt regelmäßig auch gleichzeitig eine Eigentumsverletzung dar. Wäre nun der Anspruch aus § 280 I BGB verjährt und unterläge der Anspruch aus § 823 I BGB nicht auch dieser kurzen Verjährungsfrist, würde die Intention der Vorschrift, möglichst schnell Klarheit über bestehende Ansprüche aus dem alten Mietverhältnis zu erlangen, nie erreicht werden können. Dementsprechend wird auch hier § 548 I BGB angewendet.

I. Nach § 548 I S. 1 und S. 2 BGB beginnt die sechsmonatige Verjährungsfrist für die Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache in dem Zeitpunkt, in dem er die Mietsache zurückerhält. Die Beendigung des Mietvertrags zum 31.12.2009 ist nicht Voraussetzung für den Beginn der kurzen Verjährung. Andererseits ist der Vermieter nicht dazu verpflichtet, die Mietsache jederzeit - sozusagen „auf Zuruf" - zurückzunehmen, etwa wenn der Mieter kurzfristig auszieht und den Schlüssel zur Wohnung an den Vermieter zurückgeben will.1

1. Zweck des § 548 BGB ist es, zeitnah zur Rückgabe der Mietsache eine möglichst schnelle Klarstellung über bestehende Ansprüche im Zusammenhang mit dem Zustand der Mietsache zu erreichen.2

Das bedeutet zum einen, dass der Vermieter in die Lage versetzt werden muss, sich durch Ausübung der unmittelbaren Sachherrschaft ungestört ein umfassendes Bild von den Mängeln, Veränderungen und Verschlechterungen der Mietsache zu machen.

Zum anderen ist es erforderlich, dass der Mieter den Besitz vollständig und eindeutig aufgibt, wobei der Vermieter hiervon Kenntnis erlangen muss.3 Ohne Kenntnis von der Besitzaufgabe des Mieters an der Wohnung, etwa durch Rückgabe der Wohnungsschlüssel an den Vermieter oder seinen Bevollmächtigten, ist der Vermieter grundsätzlich nicht in der Lage, den Zustand der Wohnung zu prüfen. Die Rückerlangung der Mietsache im Sinne von § 548 I S. 2 BGB setzt mithin außer der Übertragung des Besitzes an der Wohnung vom Mieter an den Vermieter die Kenntnis des Vermieters von der Besitzaufgabe voraus.4

2. Die Voraussetzungen des § 548 I BGB lagen im vorliegenden Fall nicht vor.

a) In der Rückgabe der Wohnungsschlüssel von M an die als Besitzdienerin i.S.d. § 855 BGB anzusehende Hauswartin am 20.12.2009 liegt zwar die erforderliche vollständige und unzweideutige Besitzaufgabe. Soweit die Hauswartin also im Besitz von Schlüsseln war, übte sie die Sachherrschaft über die Wohnungen im Rahmen ihres weisungsgebundenen Angestelltenverhältnisses mit Wissen und Willen der Vermieter als Besitzdienerin für V aus.

b) Dies allein reicht jedoch für die Rückgabe der Wohnung im Sinne von § 548 I S. 2 BGB nicht aus. V ist damit nämlich noch nicht in die Lage versetzt worden, sich durch die nunmehr erlangte unmittelbare Sachherrschaft ein Bild vom Zustand der Wohnung machen zu können. Denn V selbst hatte keine Kenntnis von der Wohnungsrückgabe.

V muss sich nicht die Kenntnis von der Schlüsselübergabe an die Hauswartin H analog § 166 I BGB zurechnen lassen. Für eine analoge Anwendung von § 166 I BGB zur Kenntniserlangung durch einen Besitzdiener ist kein Raum. Dies setzt voraus, dass H als „Wissensvertreterin" des V eingesetzt worden ist.5

hemmer-Methode: § 166 I BGB kann nicht direkt angewendet werden, da es sich bei der Rückgabe der Wohnung um einen Realakt (Besitzerlangung) handelt. Die Problematik ist daher vergleichbar mit der Zurechnung der Bösgläubigkeit eines Besitzdieners bzw. Besitzmittlers i.R.d. § 990 I S. 1 BGB.6

Die Frage, ob ein Hauswart oder ein Hausmeister eine zum Empfang der Schlüssel berechtigte Person ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Insbesondere kommt es auf die konkrete Ausgestaltung seiner Tätigkeit an, also ob er allgemein oder für den konkreten Fall vom Vermieter mit der Rücknahme der Wohnung beauftragt ist.7 Die Kenntnis des Hauswarts von der Rückgabe der Wohnungsschlüssel ist dem Vermieter oder der ihn vertretenden Hausverwaltung nur dann zuzurechnen, wenn der Hauswart konkret damit beauftragt ist, die Wohnungsschlüssel zum Zweck der Übergabe der Wohnung entgegenzunehmen. Ansonsten erhält der Vermieter durch die Schlüsselrückgabe an den Hauswart zwar die Sachherrschaft über die Wohnung zurück. Er ist jedoch mangels Kenntnis davon nicht in der Lage, sich daraufhin ein umfassendes Bild vom Zustand der Wohnung zu machen.

II. Daraus folgt, dass sich V die Kenntnis der Hauswartin H von der Schlüsselrückgabe nur dann zurechnen lassen muss, wenn M mit Einwilligung des V die Wohnungsschlüssel an H herausgeben sollte oder durfte.

Da H im vorliegenden Fall lediglich angestellte Hausmeisterin war, aber keinerlei Vollmacht hatte, ist davon auszugehen, dass H zur Rücknahme der Wohnungsschlüssel nicht „bevollmächtigt" war. Das Wissen der H ist dem V daher nicht analog § 166 I BGB zuzurechnen, sodass mangels Kenntnis des V von der Schlüsselrückgabe die Verjährung des § 548 I BGB nicht zu laufen begann.

Ergebnis: Die Ansprüche des V auf Schadensersatz sind daher nicht verjährt.


  1. BGH, Life & Law 3/2012, 182 ff. = NJW 2012, 144 ff. BGH, NJW 2006, 1588 ff.

  2. BGH, NJW 2011, 2717 ff. BGH, NJW 2011, 1866 ff.

  3. BGH, NJW 2006, 2399 BGH, NJW 2004, 774 ff.

  4. OLG München, ZMR 2010, 285, 286

  5. Zu den Voraussetzungen vgl. BGH, NJW 2005, 365 ff.

  6. Vgl. dazu Hauptkurs Sachenrecht, Fall 1.

  7. Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 11. Aufl., § 546 BGB, Rn. 62.