Rechtsprechungsübersicht Öffentliches Recht

BVerwG, Beschluss vom 19.02.2014, 4 B 40/13

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Unbeplanter Innenbereich +++ „Organische Siedlungsstruktur" +++ § 34 BauGB +++

Sachverhalt (vereinfacht): B beantragt eine Baugenehmigung für sein Grundstück. Dieses ist von allen Seiten her von Bebauung umgeben, die hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung eine gewisse Regelmäßigkeit aufweist. Hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauweise ist hingegen keinerlei Einheitlichkeit festzustellen. Er geht davon aus, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 I BauGB richtet.

Zu Recht?

Lösung: § 34 I BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus.

Das Merkmal „im Zusammenhang bebaut" fordert eine („tatsächlich") aufeinanderfolgende, eben zusammenhängende Bebauung.

Ortsteil ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Die organische Siedlungsstruktur erfordert dabei nicht, dass es sich um eine nach Art und Zweckbestimmung einheitliche Bebauung handeln müsste. Auch eine unterschiedliche, ja u.U. sogar eine in ihrer Art und Zweckbestimmung gegensätzliche Bebauung kann einen Ortsteil bilden. Ebenso wenig kommt es auf die Entstehungsweise der vorhandenen Bebauung an. Erforderlich ist auch nicht, dass die Bebauung einem bestimmten städtebaulichen Ordnungsbild entspricht, eine bestimmte städtebauliche Ordnung verkörpert oder als eine städtebauliche Einheit in Erscheinung tritt.

Die organische Siedlungsstruktur umfasst (nur) das, was in Entgegensetzung zur unerwünschten Splittersiedlung dem inneren Grund für die Rechtsfolge des § 34 BauGB entspricht, nämlich die nach der Siedlungsstruktur angemessene Fortentwicklung der Bebauung innerhalb des gegebenen Bereiches. An einer solchen Angemessenheit fehlt es beispielsweise bei einer Anhäufung von behelfsmäßigen Bauten. Auch eine völlig regellose Bebauung kann die Annahme einer organischen Siedlungsstruktur ausschließen.

Hieraus folgt unmittelbar, dass einer Bebauung nach tatrichterlicher Würdigung im Einzelfall auch dann die organische Siedlungsstruktur fehlen kann, wenn sie zwar hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung einen Rahmen vorgibt, hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen und der Bauweise hingegen optisch wahrnehmbare Merkmale, die eine gewisse Regelmäßigkeit oder einen Plan erkennen lassen, nicht feststellbar sind. In einem solchen Fall ist eine Fortentwicklung der Bebauung vom Gesetz gerade nicht gewollt.

Das BVerwG fasst diese Ausführungen in folgendem Leitsatz zusammen:

Einer Bebauung kann die organische Siedlungsstruktur fehlen, wenn sie zwar hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung einen Rahmen vorgibt, hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksflächen und der Bauweise hingegen optisch wahrnehmbare Merkmale, die eine gewisse Regelmäßigkeit oder einen Plan erkennen lassen, nicht feststellbar sind.

hemmer-Methode: Die Abgrenzung zwischen § 34 BauGB und § 35 BauGB gehört zu den Klassikern einer baurechtlichen Examensklausur. Diese Abgrenzung ist v.a. im Hinblick auf die jeweilige Rechtsfolge auch von immenser praktischer Bedeutung: Während im unbeplanten Innenbereich nach § 34 I BauGB das Bauen grundsätzlich zulässig ist, ist im Außenbereich von der grundsätzlichen Unzulässigkeit eines Bauvorhabens auszugehen. Eine Ausnahme macht § 35 BauGB lediglich für die privilegierten Vorhaben nach Absatz 1.