Rechtsprechungsübersicht Öffentliches Recht OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2013, 9 U 23/12

OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2013, 9 U 23/12

von Life and Law am 01.10.2014

+++ Feindliches Grün +++ Enteignungsgleicher Eingriff +++ Rechtsfolge +++

Sachverhalt (vereinfacht): Am 26.05.2009 kam es gegen 22:00 Uhr auf einer Kreuzung in E zu einem Verkehrsunfall. Die Klägerin K befuhr mit ihrem Pkw die F-Straße in Richtung Innenstadt, während Unfallgegnerin G von rechts auf der K-Straße auf die Kreuzung mit der F-Straße zufuhr. Im Bereich der Kreuzung befindet sich eine Ampelanlage. Die Verkehrsregelung durch Lichtzeichen der Ampeln wird normalerweise abends um 22:00 Uhr ausgeschaltet. Nach dem Ausschalten sind die Ampeln auf der - dann bevorrechtigten - K-Straße dunkel, während die Ampeln auf der untergeordneten F-Straße dann normalerweise auf gelbes Blinklicht umgeschaltet haben. Die Beweisaufnahme vor dem zuständigen Landgericht ergibt, dass K zunächst mit ihrem Fahrzeug vor der Kreuzung angehalten hat, da die Ampel für sie „rot" zeigte. Die Ampel ist dann auf „grün" umgesprungen, sodass K mit ihrem Fahrzeug in die Kreuzung eingefahren ist. Ein gelbes Blinklicht, welches nach dem Umschalten der Ampelanlage gegen 22:00 Uhr zu erwarten gewesen wäre, hat es beim Einfahren der Klägerin in die Kreuzung nicht gegeben. G ist gleichzeitig in die Kreuzung eingefahren, weil aus ihrer Richtung die Ampel bereits ausgeschaltet (dunkel) war. Im Bereich der Kreuzung kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge, wodurch am Pkw der K ein Sachschaden entstand.

K verlangt von dem beklagten Land als Rechtsträger der Straßenverkehrsbehörde Erstattung der ihr entstandenen Unkosten, nämlich 300,- € Selbstbehalt ihrer Kaskoversicherung, 120,67 € vorgerichtliche Anwaltskosten und 150,- € Selbstbehalt in ihrer Rechtsschutzversicherung. Die Rechtsschutzversicherung habe sie in Anspruch genommen, um sich in einem gegen sie eingeleiteten Bußgeldverfahren zu verteidigen.

Zu Recht?

Lösung: Das beklagte Land haftet grundsätzlich aus enteignungsgleichem Eingriff.

Die Rechtsfigur des enteignungsgleichen Eingriffs ist gewohnheitsrechtlich anerkannt. Der Staat haftet, wenn ein Bürger durch eine rechtswidrige Maßnahme des Staats unmittelbar geschädigt worden ist. Diese Grundsätze kommen insbesondere dann zum Tragen, wenn ein Verkehrsunfall durch die Fehlfunktion einer Ampelanlage („feindliches Grün") verursacht wird. Denn das Grün einer Ampel bedeutet das Gebot: „Der Verkehr ist freigegeben." Dies ist rechtswidrig, wenn zur gleichen Zeit für den Querverkehr eine widersprechende Anordnung gilt (vgl. BGH, NJW 1987, 1945).

„Feindliches Grün" in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn der Verkehr für zwei sich kreuzende Straßen gleichzeitig durch „Grün" der jeweiligen Ampel freigegeben ist. Vielmehr handelt es sich auch dann um „feindliches Grün"", wenn lediglich auf der untergeordneten Straße das Lichtzeichen „Grün" leuchtet, während auf der bevorrechtigten Straße die Ampelanlage ausgeschaltet ist. Denn auch dann besteht eine widersprüchliche und damit rechtswidrige Verkehrsregelung, weil der Verkehr gleichzeitig auf der untergeordneten Straße durch das Lichtzeichen „grün" freigegeben ist, während er auf der kreuzenden Straße - bei ausgeschalteter Ampel - durch das Verkehrszeichen freigegeben ist, welches den Vorrang anordnet.

Die Haftung des beklagten Landes aus enteignungsgleichem Eingriff ist verschuldensunabhängig. Es ist daher ohne Bedeutung, ob und inwieweit den Mitarbeitern der zuständigen Straßenverkehrsbehörde eine für den Fehler der Ampelanlage ursächliche Pflichtverletzung zur Last fällt.

Bei feindlichem Grün handelt es sich um eine Anordnung im Straßenverkehr, für welche die Straßenverkehrsbehörde zuständig ist. Rechtsträger dieser Behörde ist im vorliegenden Fall das beklagte Bundesland, sodass dieses auch passivlegitimiert ist.

Bei einem enteignungsgleichen Eingriff schuldet der Staat grundsätzlich keinen Ersatz sämtlicher adäquat verursachten Schäden. Vielmehr ist wie bei einer Enteignung nur eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Dabei wird der Substanzverlust, der an einem bestimmten Rechtsgut des Geschädigten entstanden ist, ausgeglichen. Die Entschädigung kann in einem derartigen Fall bemessen werden im Minderwert des beschädigten Fahrzeugs oder in den Reparaturkosten, die zur Wiederherstellung des Fahrzeugs erforderlich sind. Der überwiegende Teil des Substanzverlustes ist für die K durch die Leistung ihrer Kaskoversicherung ausgeglichen worden. Ihr ist allerdings ein Selbstbehalt der Kaskoversicherung von 300,- € verblieben. Dieser Betrag stellt sich damit als ein Teil des Substanzverlustes dar, den das beklagte Land auszugleichen hat.

Das beklagte Land ist allerdings nicht verpflichtet, K den Betrag von 150,- € zu erstatten, den sie als Selbstbehalt ihrer Rechtsschutzversicherung für ihre Verteidigung im Bußgeldverfahren aufgewendet hat. Unkosten für die Verteidigung im Bußgeldverfahren haben nichts mit dem Substanzverlust zu tun, der an dem im Eigentum der Klägerin befindlichen Fahrzeug entstanden ist. Es handelt sich vielmehr um Folgekosten des Verkehrsunfalls. Folgekosten sind bei einem enteignungsgleichen Eingriff - anders als im Schadensersatzrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs - jedoch nur in engen Grenzen ersatzfähig, nämlich wenn es sich um Folgeschäden handelt, welche durch die Enteignung bzw. durch den enteignungsgleichen Eingriff „unmittelbar und zwangsnotwendig" begründet wurden (vgl. BGHZ 55, 294, 296). Die Aufwendungen für die Verteidigung im Bußgeldverfahren sind (nur) eine mittelbare Folge des Verkehrsunfalls und daher bei einem enteignungsgleichen Eingriff nicht ersatzfähig.

hemmer-Methode: Das „feindliche Grün" ist ein Klassiker des deutschen Staatshaftungsrechts. Das OLG greift in der vorliegenden Entscheidung insoweit auf eine gefestigte Rechtsprechung zurück und präzisiert diese v.a. im Hinblick auf die Rechtsfolge. Ein weiteres Hauptproblem des Falles, das für die Fallgruppe des feindlichen Grüns typisch ist, ist die Frage der Beweisbarkeit. Die Beweislast für das feindliche Grün liegt bei demjenigen, der Ansprüche geltend macht. Er muss die Ampelfehlschaltung beweisen, was sich im Einzelfall als schwierig erweisen wird!