Rechtsprechungsübersicht Öffentliches Recht (4)

BVerfG, Urteil vom 18.03.2014, 2 BvR 1390/12 u.a.

von Life and Law am 01.04.2014

+++ ESM-Vertrag +++ Demokratieprinzip +++ Beteiligung des Parlaments +++ Art. 38 S. 1 GG

Sachverhalt (vereinfacht): Die Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion versuchten der (zunächst) Griechenland- und (dann) Eurokrise u.a. durch Finanzhilfen entgegenzutreten. Hierzu wurde die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsmechanismus („Euro-Rettungsschirm") beschlossen, der sich aus zwei Komponenten zusammensetzen sollte: dem auf eine Verordnung gestützten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Bereits seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union - über den diesen „Euro-Rettungsschirm" hinaus - einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Hierzu wurde der ESMV geschlossen (Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus). Die Zustimmungsgesetze nach Art. 59 II GG hierzu wurden am 29. Juni 2012 sowohl vom Deutschen Bundestag als auch vom Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Hiergegen wendeten sich verschiedene deutsche Staatsbürger mit Verfassungsbeschwerden zum BVerfG. Im Rahmen eines Eilverfahrens hat das BVerfG die grundsätzliche Vereinbarkeit des ESM mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 38 I S. 1 GG bereits festgestellt.1

Wie wird das BVerfG nunmehr in der Hauptsache entscheiden?

Lösung: Das BVerfG bestätigt den ESM-Vertrag, genauer das Zustimmungsgesetz zu diesem nach Art. 59 II GG auch in der Hauptsacheentscheidung. Da der Eilentscheidung des BVerfG bereits eine umfassende rechtliche Prüfung vorausging und das BVerfG sich im Jahre 2012 nicht auf eine summarische Prüfung beschränkte, war diese Entscheidung zu erwarten. Das BVerfG wiederholt in seiner Begründung letztlich seine Argumentation aus dem Jahr 2012: Grundsätzlich kann das Wahlrecht des einzelnen Bürgers aus Art. 38 I S. 1 GG auch dadurch verletzt werden, dass sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung derart entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können. Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist ein Kernrecht des Parlaments. Das Budgetrecht stellt insofern ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar. Zum einen dient das Budgetrecht als Instrument umfassender parlamentarischer Regierungskontrolle. Zum anderen wird durch das Haushaltsrecht die herausgehobene Stellung des Parlaments im Verhältnis zu den anderen Verfassungsorganen betont. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplanes liegt nach Art. 110 II GG ausschließlich beim Gesetzgeber.

Allein dass der Bundestag eine erhebliche Verbindlichkeit eingeht, verletzt nicht dessen Budgetrecht. Dies geschieht gerade in Wahrnehmung des Budgetrechts. Dass die Verbindlichkeit so hoch wäre, dass künftige Bundestage keinerlei finanziellen Spielraum mehr hätten, also deren Budgethoheit verletzt würde, lässt sich bei einem Vergleich zwischen der höchstmöglichen Verpflichtung aus dem ESM, 190 Mrd. €, und der Gesamthöhe der deutschen Staatsverbindlichkeiten, sicherlich nicht behaupten. Entscheidend für die Wahrung des Budgetrechts des Parlaments ist, dass die Gesamthöhe der deutschen Verbindlichkeit nur durch den deutschen Bundestag und nicht einseitig durch die Organe des ESM erhöht werden kann. Die entscheidende Aussage des BVerfG lautet: „Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages setzt voraus, dass der Legitimationszusammenhang zwischen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem Parlament unter keinen Umständen unterbrochen wird."

hemmer-Methode: Der ESM als nationaler Teil der Eurorettung ist damit erwartungsgemäß „durch". Das Thema Euro-Rettung bleibt aber wirtschaftlich und juristisch spannend, vgl. den OMT-Beschluss des BVerfG vom 14.01.2014 2 BvR 2728/13 = Life&Law 2014, Heft 4!


  1. BVerfG, Urteil vom 12.09.2012, 2 BvR 1390/12 = Life&Law 2012, Heft 11.