Mehrkosten aus Deckungskauf sind ein Schaden statt der Leistung! Erfüllung darf man daher nicht auch noch verlangen!

BGH, Urteil vom 03.07.2013, VIII ZR 169/12

von Life and Law am 01.10.2013

+++ Deckungskauf +++ Mehrkosten +++ Schadensersatz statt neben der Leistung +++ §§ 280 I, II, 286 BGB +++ §§ 280 I, III, 281 BGB +++

Sachverhalt (vereinfacht und verkürzt): K kaufte am 31.10.2007 bei V zwei Millionen Liter Biodiesel EN 14214 zu einem Preis von 66,-  € pro 100 Liter.

Die Lieferungen sollten in der Zeit vom 16.04.2008 bis 30.09.2008 erfolgen. In den Monaten April und Mai 2008 lieferte V insgesamt 350.000 Liter Biodiesel an K. Mit Schreiben vom 04.06.2008 teilte V dem K mit, dass sein Lieferant in Insolvenz gefallen sei und die Lieferungen an ihn eingestellt habe. Ihm sei es daher nur noch möglich, Biodiesel zu viel höheren Tagespreisen einzukaufen. Daher werde er, V, auch nicht mehr länger an K liefern.

Da ein Erfüllungsverlangen des K von V ernsthaft und endgültig verweigert wurde, klagte K gegen V auf Erfüllung des Vertrages.

Außerdem deckte sich K bis 30.09.2008 mit Diesellieferungen unterschiedlicher Lieferanten ein. K musste für diese Lieferungen 500.000,- € mehr aufwenden, als er bei Belieferung durch V aufgrund des Kaufvertrags hätte aufwenden müssen.

Im Prozess auf Erfüllung wurde V verurteilt, an K die noch ausstehenden 1.650.000 Liter Biodiesel Zug um Zug gegen Zahlung zu liefern. V nahm daraufhin die Lieferungen wieder auf.

Kann K von V Schadensersatz für die Mehrkosten aus dem Deckungskauf verlangen?

A) Sounds

1. Mehrkosten eines Deckungskaufs des Käufers sind nicht als Verzögerungsschaden nach §§ 280 I, II, 286 BGB ersatzfähig.

2. Es handelt sich um einen an die Stelle der Leistung tretenden Schaden, den der Gläubiger nur unter den Voraussetzungen von §§ 280 I, III, 281 BGB und somit nicht neben der Vertragserfüllung beanspruchen kann.

B**) Problemaufriss**

In den § 280 I bis III BGB werden drei verschiedene Schadensersatzarten unterschieden: Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 III BGB), Verzögerungsschäden (§ 280 II BGB) und Ersatz sonstiger Schäden.

Aus § 280 III BGB ergibt sich, dass § 280 I BGB nur die Fälle des Schadensersatzes erfasst, in denen der Schadensersatzanspruch neben die Primärleistungspflicht tritt, nicht an deren Stelle.

hemmer-Methode: Deshalb spricht man bei § 280 I BGB auch vom Schadensersatz neben der Leistung (sog. „Begleitschaden").

Die drei Schadensersatzarten sind strikt zu trennen, da sie jeweils unter unterschiedlichen Voraussetzungen ersetzt werden.

Zum Schadensersatz statt der Leistung gehören alle Schadensposten, deren Ersatz an die Stelle des Erfüllungsanspruches treten würde, sodass sie funktional als Leistungsersatz anzusehen sind. Die Primärleistung wird nicht mehr erbracht, stattdessen hat der Schuldner Schadensersatz zu leisten.

Zum Schadensersatz neben der Leistung gehören alle sonstigen Schadensposten, die auch nicht durch die ordnungsgemäße Leistung beseitigt werden können. Daher werden diese Schäden auch als Begleitschäden bezeichnet. Der Ersatz dieser sog. Begleitschäden setzt als Auffangtatbestand nur eine vom Schuldner zu vertretende Pflichtverletzung voraus, vgl. § 280 I BGB.

Zum Ersatz des Verzögerungsschadens gehören solche Schäden, die durch eine verspätete Leistung entstehen und durch eine nachträgliche Leistung nicht mehr beseitigt werden können. Verzögerungsschäden werden gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Schuldnerverzugs ersetzt.

hemmer-Methode: Beim Verzugsschaden nach §§ 280 I, II, 286 BGB handelt es sich daher um einen spezialgesetzlich geregelten Sonderfall des Schadensersatzes neben der Leistung.

Wie Schadensersatz neben und statt der Leistung voneinander abzugrenzen sind, ist in der Literatur seit dem 01.01.2002 sehr umstritten.

1. Abgrenzung nach dem Wortlaut „Schadensersatz statt der Leistung"

Grenzt man nach dem Wortlaut „statt der Leistung" ab und versteht dies i.S.v. „statt der Primärleistung", würde nur der mangelbedingte Minderwert der Sache (ggf. der Reparaturaufwand) unter den Schadensersatz statt der Leistung fallen.1

Für die Zuordnung zu § 280 I BGB (Schadensersatz neben der Leistung) bzw. zu §§ 280 I, III, 281, 283 BGB bzw. § 311a II BGB (Schadensersatz statt der Leistung) sei immer die Kontrollfrage zu stellen, ob beide Ansprüche (Schadensersatz und Erfüllung) nebeneinander bestehen können (Schadensersatz neben der Leistung bzw. Begleitschaden), bzw. ob der geltend gemachte Schaden durch eine ordnungsgemäße Nacherfüllung behoben werden könnte (Schadensersatz statt der Leistung).2

2. Abgrenzung nach positivem und negativem Interesse

Nach der amtlichen Begründung des Gesetzes soll der Begriff Schadensersatz statt der Leistung an die Stelle des bisherigen Begriffs des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung, also des positiven Interesses treten.

Danach wäre Schadensersatz statt der Leistung dann zu gewähren, wenn es um das Interesse des Käufers daran geht, eine vollwertige, zum vorausgesetzten Gebrauch taugliche Sache zu erhalten („Äquivalenzinteresse" bzw. sog. „Mangelschaden").

Zum Schadensersatz neben der Leistung würden dann all diejenigen Schäden gehören, die der Käufer an anderen Rechtsgütern (und Vermögen) als der Kaufsache dadurch erleidet, dass er diese im Vertrauen auf ihre Mangelfreiheit in Betrieb genommen hat („Integritätsinteresse" bzw. sog. „Mangelfolgeschaden").

3. Abgrenzung nach Sinn und Zweck der Nachfristsetzung

Die bereits weit verbreitete wohl herrschende Ansicht nähert sich dem Problem aus teleologischer Sicht.3 Demnach komme es bei den entsprechenden Schadensposten darauf an, ob das Erfordernis der Nachfristsetzung sinnvoll sei oder nicht.

Der typische Begleitschaden an sonstigen Rechtsgütern fällt also weiterhin unter § 280 I BGB, da dieser durch die Nacherfüllung nicht behoben würde.

Demnach wäre Schadensersatz statt der Leistung natürlich der Minderwert der Sache und auch die evtl. Reparaturkosten.

Problematisch wird die Anwendung aber beim Nutzungsausfallschaden. Tritt dieser noch innerhalb des Fristablaufs ein, so hätte er nicht durch fristgerechte Nacherfüllung verhindert werden können.

In diesem Fall fällt der Ersatz des Nutzungsausfallschadens also unter § 280 I BGB. Ein Nutzungsausfallschaden nach Fristablauf wäre hingegen nach dieser Abgrenzungsmethode dem § 281 BGB zuzuordnen.

4. Abgrenzung nach dem Zeitpunkt des Ersatzverlangens

Nach einer weiteren Ansicht erfolgt die Abgrenzung konsequent nach der Definition, dass Schadensersatz statt der Leistung all die Schäden umfasst, deren Entstehung durch eine (gedachte) Erfüllung im Zeitpunkt des Ersatzverlangens noch verhindert worden wäre.4

Alle Schäden davor sollen unter § 280 I BGB fallen. Die Abgrenzung wird damit quasi zeitlich vollzogen.5

Mit anderen Worten: Ein und derselbe Schaden kann, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt er geltend gemacht wird, Schadensersatz statt der Leistung oder Schadensersatz neben der Leistung sein.

hemmer-Methode: Am Beispiel des entgangenen Gewinns bedeutet dies Folgendes:

a) Solange der Gewinn noch realisierbar ist, handelt es sich um einen Schadensersatz statt der Leistung.

b) Ab dem Zeitpunkt, in welchem der Gewinn nicht mehr realisierbar ist, weil die Verkaufsmöglichkeit nicht mehr besteht (Saisonartikel bei abgelaufener Saison), ist der Gewinn Bestandteil des Schadensersatzes neben der Leistung (oft in Form des Verzögerungsschadens).6

Der BGH hat sich zur generellen Frage, wie Schadensersatz neben und statt der Leistung abzugrenzen sind, noch nicht abschließend geäußert.

Anmerkung: Als geklärt gilt zumindest die Frage, nach welchen Grundsätzen der mangelbedingte Betriebsausfallschaden zu ersetzen ist. Zu unterscheiden sind dabei drei Fälle:

1. Fall: Der Käufer erleidet infolge der mangelhaften Lieferung einen Nutzungsausfall

Nach der Rechtsprechung liegt ein Schadensposten neben der Leistung vor. Selbst wenn der Verkäufer nacherfüllt, bleibt der Nutzungsausfallschaden bestehen; der bereits endgültig entgangene Gewinn lässt sich nicht rückwirkend erzielen, er ist unwiederbringlich verloren.

Anspruchsgrundlage für den Ersatz des Schadens sind nach Ansicht des BGH die §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB und nicht §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 286 BGB, da kein Verzugsschaden, sondern ein mangelbedingter Folgeschaden vorliegt.

Der Verkäufer wird vor einer verspäteten Mängelanzeige des Käufers ausreichend über § 254 II S. 1 BGB geschützt.7

2. Fall: Der Käufer erleidet infolge der Verzögerung der Nacherfüllung einen Nutzungsausfall

Auch hier stellt der Nutzungsausfallschaden einen Schadensposten neben der Leistung dar.

Kausal hierfür war die Verzögerung der Nacherfüllung, sodass als Anspruchsgrundlage die §§ 280 I, II, 286 BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB heranzuziehen sind.

3. Fall: Der Käufer erleidet nach erklärtem Rücktritt bis zur Ersatzbeschaffung einen Nutzungsausfall

Nach Ansicht des BGH liegt ab jetzt ein Schadensposten statt der Leistung vor. Mit Erklärung des Rücktritts erlischt der Leistungsanspruch des Käufers; daher sind alle Schäden für die Zeit nach Erklärung des Rücktritts schon sprachlich zwingend Schäden statt der Leistung.

Nach wirksam erklärtem Rücktritt gibt es keine Leistungspflicht mehr; für Schäden danach kann es daher auch keinen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung geben.

Anspruchsgrundlage sind daher die §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I BGB.8

In der hier zu besprechenden examensrelevanten Entscheidung entscheidet der BGH zum ersten Mal seit der Schuldrechtsmodernisierung die umstrittene Frage, ob die Mehrkosten aus einem Deckungsgeschäft als Schaden neben oder statt der Leistung ersetzt werden.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob K von V Schadensersatz für die Mehrkosten aus dem Deckungskauf verlangen kann.

I. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, II, 286 BGB

K könnte gegen V ein Anspruch auf Schadensersatz für die Mehrkosten aus dem Deckungskauf unter dem Gesichtspunkt des Verzögerungsschadens zustehen.

1. Schuldverhältnis

Zwischen V und K ist ein wirksamer Kaufvertrag über die Lieferung von Biodiesel zustande gekommen. Ein Schuldverhältnis im Sinne des § 280 I BGB liegt damit vor.

2. Pflichtverletzung

Da V seiner Lieferpflicht nicht nachkam, hat er seine Pflicht zur Leistung aus dem Schuldverhältnis verletzt.

3. Keine Widerlegung des vermuteten Vertretenmüssens, § 280 I S. 2 BGB

Fraglich ist, ob V aufgrund des Umstandes, dass er wegen der Insolvenz seines Lieferanten selbst nicht beliefert wurde, gem. § 280 I S. 2 BGB das vermutete Vertretenmüssen widerlegen kann.

Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wobei sich jedoch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme eines Beschaffungsrisikos, auch eine strengere Haftung ergeben kann.

Zu beachten ist, dass im vorliegenden Fall eine Gattungsschuld vorlag, da V mit dem Biodiesel EN 14214 einen nur der Gattung nach bestimmten Leistungsgegenstand zu erbringen hatte. Gattungsschulden sind Beschaffungsschulden. Da V durch die Eingehung einer Gattungsverpflichtung das Beschaffungsrisiko übernommen hat, liegt es an ihm, sich die Ware zu beschaffen. Tut er das nicht, hat er die Nichtleistung zu vertreten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es auf seinem Verschulden beruht, die Ware von Dritten nicht beschaffen zu können.

Andererseits hat auch der zur Beschaffung verpflichtete Gattungsschuldner nicht jede Nichtleistung automatisch zu vertreten; maßgeblich ist der Umfang des übernommenen Beschaffungsrisikos. Es ist durch Auslegung -- hilfsweise unter Heranziehung der allgemeinen Verkehrsanschauung -- zu ermitteln, welche Leistungshindernisse der zur Beschaffung verpflichtete Gattungsschuldner noch zu überwinden hat und welche nicht.

hemmer-Methode: So ist z.B. bei einer schweren Krankheit oder einer Freiheitsentziehung nicht mehr davon auszugehen, dass diese Umstände noch unter das übernommene Risiko fallen.

In diesen außerhalb des allgemeinen Beschaffungsrisikos liegenden Fällen muss also das Verschulden des Schuldners i.S.v. Vorsatz oder Fahrlässigkeit festgestellt werden.9

Im vorliegenden Fall hat sich ein typisches, der Gattungsschuld immanentes Beschaffungsrisiko realisiert, sodass sich V nicht exkulpieren kann.

Anmerkungen: Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit keiner dieser Fragen befasst, sondern einzig und allein die Abgrenzung problematisiert, ob ein Schaden neben oder statt der Leistung vorliegt.

Im Examen können Sie sich das natürlich nicht erlauben!

4. Vorliegen des Schuldnerverzugs, §§ 280 II, 286 BGB

Des Weiteren müssten die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs vorliegen, §§ 280 I, II, 286 BGB.

Dem Sachverhalt lässt sich nicht explizit entnehmen, ob K den V gemahnt hat. Zwar steht die Klageerhebung einer Mahnung gleich, § 286 I S. 2 BGB. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob K vor oder nach Klageerhebung den Deckungskauf getätigt hat.

Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an, da vorliegend die Mahnung aufgrund der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung des V ohnehin entbehrlich war, § 286 II Nr. 3 BGB.

Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen auf Ersatz des Verzugsschadens liegen daher grds. vor.

5. Problem: Sind die Mehrkosten aus einem Deckungskauf ein verzugsbedingter Schaden neben der Leistung oder ein Schadensposten statt der Leistung?

Fraglich ist aber, ob es sich bei den Mehrkosten aus einem Deckungsgeschäft tatsächlich um einen Verzögerungsschaden handelt oder um einen nur nach §§ 280 I, III, 281 BGB ersatzfähigen Schaden statt der Leistung.

Diese Frage ist seit Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002 in der Literatur umstritten und vom BGH höchstrichterlich bislang noch nicht geklärt.

a) Ansicht der Vorinstanz und Teilen der Literatur

Nach Ansicht der Vorinstanz und Teilen der Literatur werden die Kosten eines Deckungskaufs als Verzögerungsschaden eingeordnet, wenn der Käufer das Deckungsgeschäft vor dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs tätigt.

Gegenstand des Schadensersatzes statt der Leistung sei allein derjenige Schaden, der durch das endgültige Ausbleiben der Leistung verursacht werde, etwa wenn der Käufer nach dem erklärten Rücktritt oder nach dem Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung einen Deckungskauf vornehme.

Die Einordnung als Verzögerungsschaden führt allerdings nach dieser Auffassung nicht dazu, dass der Käufer die Mehrkosten des Deckungsgeschäfts ohne weiteres neben dem Erfüllungsanspruch geltend machen kann.

aa) Ansicht von Faust

Nach Ansicht von Faust ist ein Deckungsgeschäft, das der Gläubiger vornimmt, solange er noch Erfüllung verlangen kann, im Rahmen des Anspruchs auf Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung nicht zu berücksichtigen.10

Der Gesetzgeber habe in den §§ 280 bis 283 BGB ein Regelwerk geschaffen, das die Interessen von Gläubiger und Schuldner zum Ausgleich bringen solle, und dabei entschieden, dass eine Liquidierung des Vertrags, aufgrund derer der Gläubiger sich anderweitig eindecken könne und müsse, erst mit der Erklärung des Rücktritts, dem Verlangen von Schadensersatz statt der Leistung oder dem Eintritt von Unmöglichkeit stattfinde.

Diese Wertung dürfe nicht dadurch überspielt werden, dass dem Gläubiger ermöglicht werde, sich schon zuvor einzudecken und dann die Folgen dieses Geschäfts auf den Schuldner zu verlagern. Daher sei grundsätzlich anzunehmen, dass der Verursachungsbeitrag des Gläubigers durch die vorzeitige Vornahme des Deckungsgeschäfts den Verursachungsbeitrag des Schuldners, der in der Verzögerung der Leistung liege, so stark überwiege, dass der Schadensersatzanspruch aus §§ 280 I, II, 286 BGB gemäß § 254 BGB vollständig ausgeschlossen sei.

bb) Ansicht von Lorenz

Lorenz sieht den Kern der Problematik in der Kausalitätsfrage.11

Der Schaden beruhe nicht unmittelbar auf der Verzögerung der noch möglichen Leistung, sondern es trete durch die Vornahme des Deckungsgeschäfts eine Handlung des Geschädigten selbst dazwischen. Erst diese verursache den Verzögerungsschaden. Damit liege ein sogenannter schadensrechtlicher Herausforderungsfall, also ein Fall psychisch vermittelter Kausalität vor.

Kausalität sei demnach nur dann zu bejahen, wenn der Geschädigte sich „herausgefordert" fühlen dürfe, ein endgültiges Deckungsgeschäft vorzunehmen. Dies sei dann der Fall, wenn zum Zeitpunkt der Vornahme des Deckungsgeschäfts die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung vorlägen und eine vom Käufer gesetzte Nachfrist bereits abgelaufen sei. Denn ab diesem Zeitpunkt müsse der Käufer zur Befriedigung seines Erfüllungsinteresses nicht mehr auf den Verkäufer zurückgreifen.12

cc) Ansicht der Vorinstanz

Die Vorinstanz (LG Kiel) bejahte den Anspruch des K auf Ersatz des Verzögerungsschadens gem. §§ 280 I, II, 286 BGB, da diese Mehrkosten nicht entstanden wären, wenn V rechtzeitig geleistet hätte.13

K sei auch nicht gehindert, neben der Erfüllung den Ersatz seines Verzögerungsschadens zu verlangen.

b) Ansicht der h.L.

Nach der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Ansicht können die Mehrkosten eines Deckungsgeschäfts grundsätzlich nur einen Schaden statt der Leistung darstellen und daher nur unter den Voraussetzungen von §§ 280 I, III, 281 BGB geltend gemacht werden.14

Verlange der Käufer die Erstattung der Kosten eines Deckungskaufs, mache er keinen Begleitschaden wegen Verzögerung der Leistung geltend, sondern einen Schaden wegen Ausbleibens der geschuldeten Leistung. Ein Deckungskauf sei eine endgültige Ersetzung der ursprünglich erwarteten Leistung durch eine gleichwertige andere; der Schaden ersetze funktional die Leistung, so dass ein Schaden statt der Leistung vorliege.

Beschaffe sich der Gläubiger die geschuldete Leistung am Markt, stelle er genau den Zustand her (und zwar in Natur), der bei einer Naturalleistung des Schuldners bestünde.

Teilweise wird darauf abgestellt, dass zur Abgrenzung zwischen dem Schadensersatz statt der Leistung und dem Schadensersatz „neben der Leistung" zu fragen sei, ob eine Nacherfüllung den eingetretenen Schaden beseitigt hätte. Der wesentliche Unterschied zwischen dem einfachen Schadensersatz und dem Schadensersatz statt der Leistung liege darin, dass letzterer grundsätzlich erst nach erfolglosem Ablauf einer Frist zur Nacherfüllung verlangt werden könne. Für die Abgrenzung zwischen beiden Schadensarten sei daher maßgeblich, ob der betreffende Schaden durch die Nacherfüllung beseitigt würde. Sei dies der Fall, liege ein Schadensersatz statt der Leistung vor, da dem Verkäufer die Gelegenheit gegeben werden müsse, den Vertrag doch noch zu erfüllen.

c) Ansicht des BGH

Der BGH folgt der letztgenannten Auffassung.

Mehrkosten eines eigenen Deckungskaufs des Käufers sind nicht als Verzögerungsschaden nach §§ 280 I, II, 286 BGB ersatzfähig. Denn bei derartigen Kosten handelt es sich nicht um einen Verzögerungs- oder Begleitschaden, sondern um einen Schaden, der an die Stelle der Leistung tritt und den der Gläubiger deshalb nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB und somit nicht neben der Vertragserfüllung beanspruchen kann.

II. Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 281 BGB

Fraglich ist, ob K den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Kosten des Deckungskaufs auf §§ 280 I, III, 281 BGB stützen kann.

1. Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB liegen vor

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung lagen zunächst vor.

Weil V die Vertragserfüllung ernsthaft und endgültig verweigert hatte, bedurfte es vor der Vornahme des Deckungsgeschäfts der an sich erforderlichen Fristsetzung ausnahmsweise nicht, § 281 II Alt. 1 BGB.

2. Problem: V hat seine Leistung aufgrund des Urteils erbracht

Möglicherweise ist K aber daran gehindert, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen, weil er von V nach wie vor Erfüllung verlangt hat und V dieser Verpflichtung aufgrund seiner Verurteilung hierzu auch nachgekommen ist.

a) Grundsatz: Wahlrecht

Grundsätzlich hat der Gläubiger auch die Wahl, ob er Schadensersatz statt der Leistung verlangt oder auf Vertragserfüllung besteht.

Auch lässt das Erfüllungsverlangen des Gläubigers grundsätzlich dessen Befugnis unberührt, wieder zu einem Schadensersatzanspruch statt der Leistung überzugehen.15

§ 263 II BGB ist nicht anwendbar, da die Vorschriften zur Wahlschuld nicht passen; insbesondere ist die Anwendung des § 264 II BGB nicht interessengerecht.

Das Erlöschen des ius variandi bestimmt sich im Falle der hier vorliegenden sog. „elektiven Konkurrenz" im Einzelfall nach § 242 BGB.

b) Erfüllung und Schadensersatz statt der Leistung nicht nebeneinander möglich

Wie der Wortlaut von § 281 I BGB schon sagt, kann der Gläubiger nur alternativ Schadensersatz statt der Leistung verlangen.

Der Gläubiger kann daher - selbstverständlich - nicht beides verlangen. Deshalb erlischt der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung, wenn er statt der Leistung Schadensersatz verlangt (§ 281 IV BGB). Umgekehrt schließt auch die Erfüllung, auf die K den V erfolgreich in Anspruch genommen hat, einen Anspruch auf Erstattung von (Mehr-)Kosten eines zuvor getätigten eigenen Deckungsgeschäftes aus.

III. Ergebnis

Ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 281 BGB besteht nicht. Zwar lagen die anspruchsbegründenden Voraussetzungen vor, jedoch ist die Geltendmachung eines Anspruches auf Schadensersatz nicht neben der Vertragserfüllung möglich.

D) Kommentar

(mty). Das Ergebnis des BGH ist überzeugend begründet und im Ergebnis zwingend richtig.

Wäre K neben der erfolgreich geltend gemachten Vertragserfüllung berechtigt, zusätzlich einen Anspruch auf Erstattung der Mehrkosten des eigenen Deckungskaufs zu verlangen, so würde er zum Nachteil des V quasi so gestellt werden, als könnte er die bestellte Dieselmenge zu dem vertraglich vereinbarten Preis doppelt verlangen.

Dieses „Spiel"16 ließe sich beliebig oft fortsetzen, sodass V auch die Kosten eines dritten, vierten etc. Deckungskaufs bezahlen müsste.

Dadurch wird deutlich, dass die Kosten des Deckungskaufs des K, der an die Stelle der von V geschuldeten Leistung tritt, nicht neben dieser Leistung als Verzögerungsschaden geltend gemacht werden können.

Das Ergebnis des LG Kiel, das als Vorinstanz dem V den Anspruch auf Schadensersatz neben der zusätzlich geforderten Erfüllung zusprach, ist daher offensichtlich verfehlt.

Interessant ist auch die prozessuale Problematik, die sich in diesem Kontext stellen kann: Verklagt der Gläubiger den Schuldner auf Leistung und verlangt dann während des Prozesses Schadensersatz statt der Leistung aus dem Deckungsgeschäft, so hat dies wegen § 281 IV BGB erledigenden Charakter. Eine Verurteilung zur Leistung darf dann nicht mehr erfolgen, da die Klage auf Leistung nun wegen § 281 IV BGB unbegründet ist. Der klagende Gläubiger muss dann den Rechtsstreit für erledigt erklären.17

Anmerkung: Die Examensrelevanz der Entscheidung ist groß.

Nehmen Sie diese Entscheidung zum Anlass, sich mit der Abgrenzung Schadensersatz neben statt der Leistung vertraut zu machen!

E) Zur Vertiefung

  • Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 281

Hemmer/Wüst, Schuldrecht AT,18 Rn. 346 ff. und 351 ff.

F) Wiederholungsfragen

1. Warum ist die Unterscheidung zwischen Schadensersatz statt neben der Leistung wichtig?

2. Warum sind die Mehrkosten eines Deckungskaufs nur unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes statt der Leistung nach §§ 280 I, III, 281 BGB ersatzfähig?


  1. Dass zumindest diese Posten unter § 281 BGB fallen, ist unstrittig, vgl. Palandt, § 280 BGB, Rn. 18 m.w.N.

  2. Vgl. dazu Reischl, „Grundfälle zum neuen Schuldrecht", JuS 2003, 250 [25]; Bredemeyer, „Zur Abgrenzung der Schadensarten bei § 280 BGB", ZGS 2010, 71 ff.; Ostendorf, „Die Abgrenzung zwischen Schadensersatz statt und neben der Leistung", NJW 2010, 2833 ff.

  3. Lorenz/Riehm, Rn. 185 f.; Haas / Medicus / Rolland / Schäfer / Wendland, Das neue Schuldrecht, Kap. 5, Rn.  235 f. So wohl auch und lesenswert: U. Huber, Festschrift für Schlechtriem, S. 521 ff. [525 ff.].

  4. Müko, § 280 BGB, Rn. 66 - 71, § 281 BGB, Rn. 1 ff. und Rn. 108 ff. sowie § 286 BGB, Rn. 117 ff.

  5. Müko, § 280 BGB, Rn. 67.

  6. Vgl. hierzu Lorenz, Schuldrechtsreform 2002: „Problemschwerpunkte drei Jahre danach", NJW 2005, 1889, 1891.

  7. Vgl. dazu BGH, Life & Law 10/2009, 649 ff. = NJW 2009, 2674 ff.

  8. Vgl. dazu BGH, Life & Law 10/2010, 503 ff.

  9. Palandt, § 276 BGB, Rn. 32.

  10. Faust, Festschrift Huber, 2006, S. 239, 256; ähnlich Klöhn, JZ 2010, 46, 47.

  11. Lorenz, Festschrift Leenen, 2012, 147, 160 ff.

  12. Lorenz, Festschrift Leenen, 2012, 147, 168.

  13. LG Kiel, Urteil vom 18.03.2011, Az.: 16 O 24/10

  14. Erman, § 437 BGB, Rn. 13; MüKo, § 286 BGB, Rn. 118; Staudinger, § 280 BGB, E 39 und E 5; Staudinger, § 286 BGB,Rn. 176; NK-BGB/Dauner-Lieb, § 280 BGB, Rn. 65; Palandt, § 286 BGB, Rn. 41; Prütting/Wegen/Weinreich, § 280 BGB, Rn. 32; BeckOK-BGB/Unberath, § 286 BGB, Rn. 69; Grigoleit/Riehm, AcP 203 (2003), 727, 737; Kaiser in Festschrift Westermann, 2008, S. 351, 352; Ady, ZGS 2003, 13, 15; Tiedtke/Schmitt, BB 2005, 615, 617; Haberzettl, NJW 2007, 1328, 1329; Ostendorf, NJW 2010, 2833, 2838.

  15. BGH, NJW 2006, 1198 f. Tyroller, „Darf der Käufer eine angebotene mangelhafte Sache zurückweisen? Und was passiert, wenn der Gläubiger nach Ablauf der gesetzten Nachfrist i.R.d. §§ 281 I, 323 I BGB nicht gestaltet (sog. „Schwebelage")?", in Life & Law 9/2005, 641 ff.

  16. So Geisler, jurisPR-BGHZivilR 16/2013, Anm. 1

  17. Im vorliegenden Fall ließ sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, wann genau vom Gläubiger Schadensersatz verlangt wurde.

  18. Bis zur 7. Auflage hieß das Skript Schuldrecht I.

Weitere Artikel zu Zivilrecht