Lieber ein Autogramm mehr! Formwirksamkeit eines aus mehreren Seiten bestehenden Testaments

OLG Köln, Beschluss vom 14.02.2014, I-2 Wx 299/13

von Life and Law am 01.12.2014

+++ Privatschriftliches Testament +++ Formwirksamkeit +++ Unterschrift +++ §§ 2247 I, 125 BGB +++

Sachverhalt (leicht abgewandelt): Am 12.09.2012 verfasste der verwitwete Erblasser handschriftlich ein Schriftstück (im weiteren S1), das er mit „Mein Testament" überschrieb und in dem er seine Tochter A als Alleinerbin einsetzte und u.a. zugunsten seines Enkelkindes T Geldvermächtnisse anordnete. Dieses Blatt trägt keine Unterschrift des Erblassers.

Außerdem liegt ein weiteres Schriftstück (im weiteren S2) vor. Darauf findet sich in der Mitte, mit Kugelschreiber umrandet, folgender maschinengeschriebener, mit Lücken versehener Text:

„Mein letzter Wille!

Für den Fall meines Todes setze ich meine Tochter A ........... als Alleinerbin ein.

Euskirchen, den ................ "

Die Lücken sind handschriftlich ausgefüllt worden. Es lautet insgesamt daher wie folgt:

„Mein letzter Wille!

Für den Fall meines Todes setze ich meine Tochter A, geborene M, geboren am 13.07.1958, als Alleinerbin ein

Euskirchen, den 12.09.2012, 14:20"

Handschriftliche Unterschrift

A geht davon aus, infolge dieser Schreiben Alleinerbin zu sein. Die Schreiben hat sie zusammengeheftet in den Unterlagen des Erblassers vorgefunden. Das Schriftstück S2 ist dabei vor das Schriftstück S1 „getackert" worden. Sie ist der Auffassung, es handele sich um ein einheitliches Testament, sodass die Unterschrift auf allen Seiten des Testaments entbehrlich sei.

B, der Bruder der A, geht hingegen vom Eingreifen der gesetzlichen Erbfolge aus. Das handschriftliche Schreiben vom 12.09.2012 sei nicht unterschrieben, das andere Schreiben sei nicht handgeschrieben. Durch das Zusammenheften beider Schreiben sei keine einheitliche Urkunde entstanden. Die vorhandene Unterschrift schließe nicht beide Schreiben als Gesamtheit ab.

Wie ist die Rechtslage? Weitere Geschwister neben A und B existieren nicht.

A) Sounds

1. Eine einmalige Unterschrift auf einem Blatt einer aus mehreren miteinander nicht verbundenen Blättern bestehenden Niederschrift kann nur dann das Erfordernis einer Unterschrift im Sinne von § 2247 I BGB bezüglich aller Blätter erfüllen, wenn sie inhaltlich ein Ganzes bilden sowie eine einheitliche Willenserklärung enthalten und die Unterschrift diese Willenserklärung abschließt.

2. Der textliche Zusammenhang muss unzweifelhaft sein.

3. Dieser inhaltliche Zusammenhang kann nicht allein dadurch hergestellt werden, dass der Erblasser mehrere Schriftstücke zusammenheftet.

B) Problemaufriss

Das Erbrecht gehört in nahezu allen Bundesländern bereits im Ersten Staatsexamen zum Prüfungsstoff. Auch wenn Klausuren sich hier meist auf Grundzüge beschränken, gehört die Formwirksamkeit des Testaments dennoch zum absoluten Examensstandard.

Die hier streitgegenständliche Problematik -- ein Testament besteht aus mehreren Seiten, ist aber nur auf der letzten Seite unterschrieben -- gehört dabei zu den absoluten Klassikern.

Ein ähnlich relevantes Problem stellt die Formwirksamkeit von Nachträgen dar. Jedenfalls dann, wenn dieser eine eigene, gegenüber dem ursprünglichen Testament neue Verfügung enthält, muss der Nachtrag neu, gesondert unterzeichnet werden.1

C) Lösung

Nach der gesetzlichen Erbfolge wären A und B je zur Hälfte Erben des Erblassers, § 1924 I, IV BGB. Die gesetzliche Erbfolge greift aber nur ein, wenn keine wirksame letztwillige Verfügung vorliegt, vgl. § 1937 BGB, sodass es entscheidend auf die Wirksamkeit der Verfügungen vom 12.09.2012 ankommt.

An der Höchstpersönlichkeit der Verfügungen, §§ 2064 f. BGB,2 sowie an der Testierfähigkeit,3 § 2229 I BGB, bestehen keine Zweifel. Fraglich ist allein die Formwirksamkeit des Testaments, § 2247 I BGB.

I. Anforderungen des § 2247 BGB

§ 2247 I BGB setzt eine eigenhändig ge- und unterschriebene Erklärung des Erblassers für die Formwirksamkeit eines Testaments voraus.

Die Angaben von Ort und Datum sind hingegen nur „Soll-Vorgaben" (vgl. § 2247 II BGB), deren Fehlen grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit des Testaments führt.

Anmerkung: Etwas anderes gilt dann, wenn sich gerade aus dem fehlenden Datum oder der fehlenden Ortsangabe Zweifel an der Wirksamkeit der Verfügung ergeben, vgl. § 2247 V BGB.

Ein solcher Fall liegt bspw. dann vor, wenn mehrere sich inhaltlich widersprechende Testamente vorliegen, von denen zumindest eines nicht datiert ist. Da das später errichtete Testament das widersprechende frühere Testament nach § 2258 BGB widerruft, kommt es entscheidend auf die zeitliche Reihenfolge der Errichtung an. Lässt sich diese nicht anderweitig klären, ist das undatierte Testament nach § 2247 V BGB unwirksam.

II. Vorliegender Fall

Im vorliegenden Fall liegen zwei Schriftstücke vor, die beide auf den 12.09.2012 datiert sind.

1. Formwirksamkeit des Schriftstücks S1

Dem handgeschriebenen Schreiben des Erblassers S1 vom 12.09.2012 fehlt die Unterschrift.

Die Unterzeichnung hat grundsätzlich am Schluss der Urkunde zu erfolgen. Sie soll das Testament räumlich abschließen, um spätere Zusätze auszuschließen. Sie kann durch Zeugenbeweis über die Urheberschaft des Textes und die Ernstlichkeit der Erklärung nicht ersetzt werden. Die Unterschriftsleistung ist zwingendes Gültigkeitserfordernis, von dem aus Gründen der Rechtssicherheit keine Ausnahmen gemacht werden können. Sie garantiert die Ernstlichkeit der letztwilligen Verfügung. Nur die Unterschrift gibt die Gewähr für den Abschluss des Testaments durch den Erblasser.

Es genügt, wenn die Unterschrift sich in einem solchen räumlichen Verhältnis und Zusammenhang mit dem Text befindet, dass sie die Erklärung nach der Verkehrsauffassung als abgeschlossen deckt. Das kann auch der Fall sein, wenn sie neben dem Text angebracht ist, etwa aus Platzmangel, oder auf der Rückseite, die durch einen Hinweis auf der Vorderseite mit dem Text verbunden ist.

Anmerkung: Sachliche Zusätze unter der Unterschrift sind gesondert zu unterschreiben. Die Unterschrift unter ein anderes gleich lautendes Schriftstück genügt nicht. Eine früher bei Bankformularen verbreitete „Oberschrift" ist keine formwirksame Unterschrift.

Da das Schriftstück S1 keinerlei Unterschrift des Erblassers trägt, ist es jedenfalls für sich alleine kein formwirksames Testament, § 125 I BGB.

2. Formwirksamkeit des Schriftstücks S2

Das Schriftstück S2 ist zwar eigenhändig unterschrieben, allerdings in weiten Teilen per Maschine geschrieben.

Eine eigenhändige Niederschrift ist aber zwingend vorgeschrieben und unerlässlich, um die Echtheit des Testaments aufgrund der individuellen Merkmale, die die Handschrift eines jeden Menschen aufweist, überprüfen zu können. Der Erblasser muss den gesamten Wortlaut des Testaments selbst schreiben. Eine mechanische Schrift, d.h. z.B. eine Schreibmaschinenschrift, eine Fotokopie, ein Computerausdruck oder eine E-Mail scheiden aus.

Anmerkung: Die Vorschrift des § 2247 I BGB ist eindeutig -- sodass es überrascht, wie viele Testamente in der Wirklichkeit daran scheitern, dass sie nicht geschrieben, sondern getippt werden!

Dies würde nur dann ausreichen, wenn der Erblasser das getippte bzw. ausgedruckte Dokument einem Notar zur Verwahrung übergibt, §§ 2231 Nr. 1, 2232 BGB.

nur teilweise handgeschrieben

Wurde das Testament -- wie hier -- nur teilweise eigenhändig geschrieben, im Übrigen mit der Schreibmaschine, und unterschrieben, kann der eigenhändige, formgerecht abgefasste Teil dann gültig sein, wenn er für sich einen abgeschlossenen Sinn ergibt und der Erblasserwille nicht entgegensteht.

Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden, weil die handschriftlich eingesetzten Teile der Erklärung, nämlich ein Geburtsdatum, ein Geburtsname, ein Datum und eine Unterschrift für sich keinen Sinn ergeben.

Allein aufgrund der handschriftlich eingesetzten Elemente ist nicht einmal erkennbar, ob es sich um eine letztwillige Verfügung handelt, erst recht ist nicht ersichtlich, welchen Inhalt sie haben soll.

3. Beide Schriftstücke als einheitliche, zusammengehörende Erklärung?

Weder das Schriftstück S1 noch das Schreiben S2 sind für sich genommen wirksame Testamente.

Eine formwirksame letztwillige Verfügung liegt damit nur dann vor, wenn beide Schriftstücke als einheitliches Testament gesehen werden können -- das Schriftstück S2 als die Unterschrift unter die eigenhändig geschriebene letztwillige Verfügung S1.

a) Grundsatz zum aus mehreren Seiten bestehenden Testament

Besteht ein Testament aus mehreren nicht untrennbar miteinander verbundenen Blättern, die erkennbar in engerem Zusammenhang stehen und eine einheitliche Willenserklärung enthalten, genügt eine Unterschrift auf dem letzten Blatt*,* wenn die Zusammengehörigkeit der einzelnen Blätter erkennbar ist, etwa auf Grund einer Nummerierung mit Seitenzahlen, eines fortlaufenden Textes oder des Schreibmaterials.

Der Erblasser kann das von ihm als früheres Testament Niedergeschriebene ganz oder zum Teil zum Bestandteil eines neuen Testaments machen. Aus der Gesamturkunde muss aber hervorgehen, dass die einzelnen Blätter ein einziges untrennbares Ganzes sein sollen, somit eine einheitliche Willenserklärung enthalten. Dabei ist die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Bestandteile des Testaments ohne Bedeutung. Das Gesetz verlangt keine Einheit der Errichtungshandlung.

Stehen jedoch einzelne lose Blätter in keinem inneren Zusammenhang und ist nur ein Blatt unterschrieben, so stellt nur dieses ein wirksames Testament dar, während die nicht unterschriebenen Blätter keine gültigen Testamente sind. So ist beispielsweise die Verbindung der Einlageblätter in einem Ringbuch mit Mechanismus zum Öffnen deshalb nicht ausreichend, um die einzelnen Blätter als einheitliche letztwillige Verfügung anzusehen. 4

Anmerkung: Einen Sonderfall des aus mehreren Seiten bestehenden Testaments stellt die Unterschrift auf dem Briefumschlag dar. Hier ist es entscheidend, ob Inhalt und Umschlag eine einheitliche Erklärung darstellen, ob der Umschlag gleichsam die letzte Seite der Erklärung darstellt.5

Für eine entsprechende Einheit der Dokumente S1 und S2 spricht, dass der Erblasser die Schriftstücke wohl zusammengeheftet hat und so zu erkennen gegeben hat, dass ihm zum einen die Bedeutung der Unterschrift bewusst war und er zum anderen beide Dokumente als einheitliche Erklärung verstanden haben wollte.

b) Hier kein inhaltlicher Zusammenhang

Andererseits fehlt es hier an dem inhaltlichen Zusammenhang der beiden Blätter. Sie sind inhaltlich kein Ganzes. Sie sind weder nummeriert noch enthalten sie einen fortlaufenden Text.

Sie enthalten vielmehr jeweils für sich ein vollständiges Testament, wobei sich der Inhalt der beiden Blätter nicht ergänzt, sondern sich teilweise inhaltlich wiederholt. Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass der Inhalt eines der beiden Blätter den Inhalt des anderen Blattes ergänzt, konkretisiert oder fortführt.

Dieser inhaltliche Zusammenhang ist auch nicht dadurch hergestellt worden, dass der Erblasser die beiden Schriftstücke zusammengeheftet hat. Zum einen steht schon nicht sicher fest, dass es der Erblasser war, der die Heftung der beiden Schreiben vom 12.09.2012 vorgenommen hat.

Anmerkung: Hier liegt ein Hauptproblem in der Realität. In aller Regel gibt es nur wenige Zeugen, die bei der Testamentserrichtung anwesend waren. Insoweit sind die Beweisanforderungen an eine Heftung durch den Erblasser selbst nicht zu hoch anzusetzen. Wenn sich das geheftete Dokument bis zum Schluss in den Unterlagen des Erblassers befunden hat, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Erblasser die Heftung selbst vorgenommen hat. Hier lauert freilich bereits das nächste Beweisproblem. Laut Sachverhalt steht fest, dass A die Dokumente geheftet in den Unterlagen des Erblassers gefunden hat. Tatsächlich könnte es A bereits schwerfallen, dies zu beweisen.

Selbst wenn es der Erblasser gewesen sein sollte, der das maschinengeschriebene Testament vom 12.09.2012 (S2) und das nicht unterschriebene handgeschriebene Testament vom 12.09.2012 (S1) zusammengeheftet haben sollte, ist dadurch kein einheitliches Testament errichtet worden.

Die Unterschrift auf dem maschinengeschriebenen Testament schließt den handgeschriebenen Text schon deshalb nicht ab, weil das maschinengeschriebene Testament vor das handgeschriebene Testament ohne Unterschrift geheftet worden ist. Es kann sich daher allenfalls um eine grundsätzlich nicht ausreichende „Oberschrift" handeln.

Es ist zwar anerkannt, dass die Unterschrift auf einem fest verschlossenen Briefumschlag, in dem das Testament aufbewahrt wird, ausnahmsweise die fehlende Unterschrift auf dem Schriftstück selbst ersetzen kann, wenn sie mit dem Testamentstext in einem so engen inneren Zusammenhang steht, dass sie sich nach dem Willen des Erblassers und der Verkehrsauffassung als äußere Fortsetzung und Abschluss der einliegenden Erklärung darstellt und der Unterschrift keine selbständige Bedeutung zukommt.

Ob diese Fallkonstellation auf den Fall übertragen werden kann, in dem sich die Unterschrift -- wie hier - auf einem mit dem Testament fest verbundenen vorangestellten Blatt befindet, kann dahinstehen, weil der Unterschrift im vorliegenden Fall eine selbstständige Bedeutung zukommt, weil sie nämlich das maschinengeschriebene Testament abschließen soll.

Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Unterschrift auf dem maschinengeschriebenen Testament auch das dahinter geheftete handgeschriebene Testament abschließen soll. Eine solche Unterschrift ist mit einer Unterschrift auf einem Briefumschlag, die allein die in dem Briefumschlag enthaltenen Erklärungen abschließen soll, nicht vergleichbar, weil ihr eine eigenständige Bedeutung zukommt.

III. Ergebnis

Mangels Vorliegens einer formwirksamen letztwilligen Verfügung greift die gesetzliche Erbfolge ein, sodass A und B Erben zu je ½ sind.

D) Kommentar

(mg). Eine sehr interessante und zugleich überzeugend begründete Entscheidung, die hier zum Zwecke der Übersichtlichkeit um die weniger prüfungsrelevanten Beweisfragen im Einzelfall entschlackt wurde.

Völlig unstreitig ist dabei, dass das Schriftstück S1 mangels Unterschrift für sich alleine kein wirksames Testament sein kann. Für das Dokument S2 ist dies schon nicht mehr so eindeutig, da hier eine zum Teil geschriebene und unterschriebene Erklärung vorliegt. Allerdings ist der eigenhändig geschriebene Teil für sich alleine keine nachvollziehbare verständige Verfügung von Todes wegen, sodass auch dieser Teil der Entscheidung zwingend erscheint.

Am interessantesten ist die Frage, ob S1 und S2 aber nicht als einheitliche zusammenhängende Erklärung gewertet werden können. Auch hier überzeugt die Begründung des OLG. Ob die Dokumente eine einheitliche Erklärung darstellen, ist bereits nach ihrem Inhalt zumindest zweifelhaft.

Im Ergebnis kann dies dahingestellt bleiben, da die Unterschrift auf S2 schon aufgrund der Reihenfolge der Heftung nicht auch die Unterschrift unter S1 sein kann.

E) Background

Mit der Formwirksamkeit einer letztwilligen Verfügung musste sich auch das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 08.10.2013, 2 W 80/13 auseinandersetzen.

Hier wurde nach dem Tod eine Karte vorgelegt, auf der sich zwei Aufkleber befanden. Auf dem ersten Aufkleber hatte der Erblasser handschriftlich geschrieben „Meine Haupterbin ist Maria". Auf dem zweiten Aufkleber befand sich die handschriftliche Unterschrift des Erblassers, die sich allerdings auf den Nachnamen des Erblassers beschränkte.

Nach der überzeugenden Auffassung des OLG liegt hierin kein wirksames Testament. Zum einen fehlt es bereits am Testierwillen, zum anderen ist die Form des § 2247 I BGB nicht gewahrt:

Für das Vorliegen und die Wirksamkeit eines eigenhändigen Testaments ist zwar weder eine ausdrückliche Bezeichnung als Testament erforderlich, noch stehen die Verwendung ungewöhnlichen Schreibmaterials und eine ungewöhnliche Gestaltung der Annahme eines Testaments grundsätzlich entgegen, jedoch sind diese Umstände in die Prüfung, ob überhaupt eine Erklärung mit Testierwillen vorliegt, sorgfältig einzubeziehen.

Die vorliegende Karte enthält keine Überschrift, die das Schriftstück als letztwillige Verfügung kennzeichnet, wie zum Beispiel „Testament", „Letzter Wille" oder „Letztwillige Verfügung". Weiter fehlt es an einer genauen Bezeichnung der vermeintlichen „Haupterbin". Diese ist lediglich mit einem Vornamen aufgeführt, was das Risiko späterer Probleme bei ihrer Ermittlung in sich birgt. Sodann ist die vermeintliche Erbin als „Haupterbin" bezeichnet, einer Erbenstellung, die das Gesetz so nicht kennt und die es nach der allgemeinen Lebenserfahrung nahelegt, dass es weitere Begünstigte des Nachlasses geben müsste.

Es findet sich auch keine Erklärung dafür, dass der Erblasser, der unter keinerlei zeitlichem Druck stand, diese extrem ungewöhnliche Art der Testamentserrichtung wählte. Er musste vielmehr davon ausgehen, dass die von ihm gewählte Form geeignet wäre, Zweifel an dem „Testament" zu begründen. Dies gilt insbesondere aufgrund der Verwendung zweier Aufkleber, die jederzeit manipuliert werden konnten. Weitere Indizien gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens sind die Umstände, dass die Angabe über den Ort der Ausstellung ebenso fehlt wie der Vorname des Erblassers. Dies sind zwar gemäß § 2247 BGB lediglich „Sollangaben", soweit die Angaben fehlen, ist jedoch eine besonders sorgfältige Prüfung des Testierungswillens angezeigt.

Jedenfalls fehlt es an der gemäß §  2247 BGB erforderlichen eigenhändigen Unterschrift. Als Abschluss der Urkunde muss die Unterschrift am Schluss des Textes stehen, den Urkundentext also räumlich abschließen, um ihn damit vor nachträglichen Ergänzungen und Zusätzen zu sichern. Der Aufkleber mit der Aufschrift „Meine Haupterbin ... " ist überhaupt nicht unterzeichnet. Der zweite Aufkleber mit der Unterschrift hat keinen erkennbaren Bezug zum ersten Aufkleber. Zwischen beiden Aufklebern findet sich sogar ein geringer räumlicher Abstand. Der Umstand, dass es sich um zwei separate Aufkleber handelt, führt dazu, dass keinerlei Schutz gegen eine etwaige Manipulation besteht. Dem zweiten Aufkleber kann somit nicht die Funktion der für eine Testierung notwendigen Unterschrift beigemessen werden.

F) Zur Vertiefung

  • Formwirksamkeit eines Testaments

Hemmer/Wüst, Erbrecht, Rn. 158 ff.

G) Wiederholungsfragen

1. Unter welchen Voraussetzungen genügt eine Unterschrift auf einem Briefumschlag?

2. Müssen Nachträge neu, gesondert unterschrieben werden?


  1. BayObLGZ 1974, 440 -- 443 vgl. hierzu auch BayObLG, FamRZ 2004, 1141 - 1143 = Life & Law 04/2005, 230 - 233: Die Unwirksamkeit des postscriptum führt über § 139 BGB zur Unwirksamkeit des gesamten Testaments! Diese Entscheidung ist bereits wegen § 2085 BGB äußerst fragwürdig.

  2. Hemmer/Wüst, Erbrecht, Rn. 52 ff.

  3. Hemmer/Wüst, Erbrecht, Rn. 50 ff.

  4. OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2012, I-15 W 420/11

  5. BayObLG, ZEV 2003, 26 f. = Life & Law 02/2003, 89 - 91.