Kein Abhandenkommen bei unmittelbarem Mitbesitz

BGH, Urteil vom 13.12.2013, V ZR 58/13

von Life and Law am 01.04.2014

+++ Voraussetzungen gutgläubigen Eigentumserwerbs an beweglichen Sachen +++ Anforderungen an die Gutgläubigkeit +++ Abhandenkommen bei Mitbesitz +++ §§ 932, 935 BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht): A ist Alleineigentümer eines Pkw, welcher von ihm und seiner Frau F genutzt wird. Als A ein Darlehen aufnehmen möchte, verlangt der Kreditgeber K als Sicherheit den Pkw. Vorab soll eine Bewertung durch einen Sachverständigen erfolgen. Daraufhin schickt K den X zu A, um den Wagen zur Bewertung abzuholen. A händigte X das Fahrzeug nebst Originalpapieren aus. Aus ungeklärten Umständen gelangte das Fahrzeug in den Besitz des Gebrauchtwagenhändlers H, wo es unter Vorlage der Originalpapiere von G erworben wird.

Kann A von G Herausgabe verlangen?

A) Sound

Eine bewegliche Sache kommt dem mitbesitzenden Eigentümer nicht im Sinne von § 935 I BGB abhanden, wenn er selbst den unmittelbaren Besitz ohne Willen des eigentumslosen Mitbesitzers freiwillig aufgibt.

B) Problemaufriss

Der Fall beschäftigt sich mit einer klassischen Variante des gutgläubigen Eigentumserwerbs. Klausurrelevant ist der Fall schon deshalb, weil neben dem Abhandenkommen bereits bei der Gutgläubigkeit des Erwerbers genau geprüft werden muss, welche Anforderungen an die Gutgläubigkeit beim Erwerb eines Pkw vom Nichtberechtigten gestellt werden.

Im Kern beschäftigt sich der BGH mit einer Frage zum Abhandenkommen, die bislang nicht entschieden worden war. Für ein Abhandenkommen ist stets auf den unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes abzustellen. Ist der Eigentümer selbst unmittelbarer Besitzer, kommt es auf ihn an, § 935 I S. 1 BGB. Ist er nur mittelbarer Besitzer, etwa weil er die Sache vermietet hat, ist für ein Abhandenkommen auf den Mieter abzustellen, § 935 I S. 2 BGB. Gibt der Mieter die Sache freiwillig weiter, liegt kein Abhandenkommen beim Eigentümer vor. Dieser verliert zwar seinen mittelbaren Besitz; es kommt aber stets auf den unfreiwilligen Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft an.

Anmerkung: Hat der Eigentümer überhaupt keinen Besitz, kann ihm die Sache nach h.M. nicht abhandenkommen. Der Eigentümer ist dann auf schuldrechtliche Ersatzansprüche beschränkt (§§ 816 I S. 1, 989, 990, 687 II BGB i.V.m. § 678 BGB).

Ist neben dem Eigentümer noch jemand anderes unmittelbarer Besitzer (hier die Frau), stellt sich die Frage, ob von einem Abhandenkommen gesprochen werden kann, wenn der mitbesitzende Eigentümer die Sache freiwillig weggibt.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob A von G Herausgabe verlangen kann.

I. Anspruch aus § 985 BGB

Ein Anspruch auf Herausgabe könnte sich aus § 985 BGB ergeben.

Herausgabeanspruch aus § 985 BGB

1. Anspruchsteller ist Eigentümer

2. Anspruchsgegner ist Besitzer

3. Besitzer hat kein Recht zum Besitz, § 986 BGB (aus Vertrag, dinglichem Recht, abgeleitet)

4. Durchsetzbarkeit, insbesondere § 1000 BGB

A müsste Eigentümer sein. Ursprünglich war er Eigentümer. Er hat das Eigentum nicht an K verloren. Zwar war im Verhältnis zu K eine Sicherungsübereignung geplant (§§ 929 S. 1, 930 BGB). Aber diese sollte erst nach erfolgter Überprüfung des Fahrzeugs stattfinden. Dazu ist es laut Sachverhalt nicht gekommen.

1. Eigentumsverlust des A an G?

Möglicherweise hat A das Eigentum aber im Zuge einer Übereignung des Händlers H an G verloren.

Grundtatbestand des § 929 S. 1 BGB (+); Problem: fehlende Berechtigung des H

Der Grundtatbestand des § 929 S. 1 BGB liegt vor. H und G haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. Dem G wurde das Fahrzeug auch übergeben.

Anmerkung: Auch wenn dies vorliegend nicht von Bedeutung ist: Machen Sie sich die Anforderungen an eine Übergabe nach § 929 S. 1 BGB klar. Der Veräußerer muss jedwede Besitzposition verlieren und der Erwerber muss auf Veranlassung des Veräußerers Besitz erlangen. Dies muss nicht zwingend unmittelbarer Besitz sein. Die Erlangung mittelbaren Besitzes genügt. Dies ist der wesentliche Unterschied zur Übergabe im schuldrechtlichen Sinne, wie er z.B. in §§ 433 I S. 1, 446 BGB zu verstehen ist. Hier kommt es grds. auf die Verschaffung der tatsächlichen Sachherrschaft an.

Problematisch ist jedoch die Berechtigung des H. Berechtigt ist der Eigentümer und derjenige, der vom Eigentümer zur Verfügung im eigenen Namen ermächtigt wurde (§ 185 I BGB) bzw. kraft Gesetzes zur Verfügung im eigenen Namen befugt ist, z.B. der Insolvenzverwalter gem. § 80 InsO.

Laut Sachverhalt ist die Sache aufgrund ungeklärter Umstände in den Besitz des H gelangt. Dafür, dass zuvor eine Übereignung an H stattgefunden hat (durch wen auch immer), ergeben sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

Da dem H demnach die Berechtigung fehlte, ist zu prüfen, ob G den Pkw gutgläubig erwerben konnte.

Gutgläubigkeit des G

Grundsätzlich wird die Gutgläubigkeit des Erwerbers vermutet. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 932 I S. 1 BGB („es sei denn"). Für den Ausnahmefall der Bösgläubigkeit müssen Umstände vorliegen, aus denen sich für den Erwerber berechtigte Zweifel an der Eigentümerposition des Veräußerers ergeben. Gem. § 932 II BGB schadet insoweit nur grobe Fahrlässigkeit.

Vorliegend hat sich G bei der Veräußerung die Papiere zeigen lassen (Teil II der Zulassungsbescheinigung, früher: Kfz-Brief). Fraglich ist, ob sich dem G deshalb Zweifel am Eigentum des H aufdrängen mussten, weil dieser nicht in den Papieren eingetragen war.

Grundsätzlich steht das Eigentum an den Fahrzeugpapieren gem. § 952 II BGB analog dem Eigentümer des Fahrzeugs zu. Daher darf der Erwerber davon ausgehen, dass derjenige, der die Papiere hat, auch Eigentümer des Fahrzeugs ist. Etwas anderes gilt jedoch grundsätzlich dann, wenn die Papiere den Veräußerer nicht ausweisen. Dann ist das Vorlegen der Papiere kein hinreichender Indikator für das Eigentum am Pkw.

Etwas anderes gilt aber beim Erwerb vom Gebrauchtwagenhändler. In einem solchen Fall ist nicht verwunderlich, dass der Veräußerer nicht in den Fahrzeugpapieren eingetragen ist. Denn ein Händler nimmt nach Erwerb eines Fahrzeugs keine Umschreibung auf sich selbst vor. Dadurch hätte der Pkw einen weiteren Vorbesitzer, was sich grundsätzlich wertmindernd auswirken würde.

Sofern keine weiteren Umstände hinzutreten, aus denen sich Zweifel am Eigentum des Veräußerers ergeben müssen -- wie etwa ein sehr niedriger Kaufpreis --, ist daher grundsätzlich von der Gutgläubigkeit des Erwerbers auszugehen, selbst wenn der Händler nicht in den Papieren eingetragen ist. Da zudem die Originalpapiere vorgelegt wurden, ist von der Gutgläubigkeit des G auszugehen.

Abhandenkommen, § 935 BGB?

Ein gutgläubiger Erwerb scheidet aber dann aus, wenn der Pkw dem A gestohlen worden, verloren gegangen, oder sonst abhanden gekommen ist, § 935 I S. 1 BGB.

Unterschlagung durch Besitzdiener?

Ein Abhandenkommen liegt dann vor, wenn der Eigentümer den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verliert. A hat allerdings dem X das Fahrzeug freiwillig ausgehändigt.

Etwas anderes könnte sich aber ergeben, wenn X Besitzdiener des A sein sollte. Dann könnte in der (wohl vorliegenden) Unterschlagung durch den Besitzdiener X ein Abhandenkommen bei A selbst angenommen werden.

Ein unfreiwilliger Besitzverlust kann eintreten, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache nach Maßgabe von § 855 BGB durch einen Besitzdiener ausübt und dieser die Sache ohne den Willen des Eigentümers einem Dritten überlässt.1

Besitzdienerstellung des X (-)

Fraglich ist jedoch, ob X als Besitzdiener des A angesehen werden kann. Besitzdiener ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des Anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden, das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen.2

Im Verhältnis zu A kann ein solches Abhängigkeitsverhältnis aber schon deshalb nicht angenommen werden, weil X von K zu A geschickt worden war. Auch wenn A dem X faktisch hätte Anweisungen im Hinblick auf den Umgang mit dem Fahrzeug geben können, würde dies für eine Besitzdienerstellung nicht ausreichen. Denn maßgeblich für die Qualifikation einer Person als Besitzdiener ist die Frage, ob der Besitzherr im Falle der Nichtbefolgung einer Weisung auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse in der Lage ist, die Weisung dann zwangsweise durchzusetzen. Daran fehlt es vorliegend.

Anmerkung: A hatte sich noch darauf berufen, der X sei zu behandeln wie der Kaufinteressent einer Probefahrt, wo nach überwiegender Meinung davon ausgegangen wird, dass dieser Interessent Besitzdiener sei. Das hat der BGH abgelehnt mit dem überzeugenden Argument, dass der A sich mit der Aushändigung der Fahrzeugpapiere jeder Einwirkungsmöglichkeit begeben hat, und dies freiwillig.

Eine andere Frage diskutiert der BGH allerdings nicht: Sollte der X Besitzdiener von K (!) gewesen sein, könnte ein Abhandenkommen gem. § 935 I S. 2 BGB vorliegen. Mit der Aushändigung des Pkw an X hätte K unmittelbaren Besitz zunächst erlangt und infolge der nachfolgenden Unterschlagung wiederum unfreiwillig verloren. Dazu macht der BGH allerdings keine Ausführungen. Bei Lektüre des Sachverhalts des Originals gewinnt man ohnehin den Eindruck, dass eine genaue Klärung der tatsächlichen Umstände nicht stattgefunden hat. Offensichtlich war nicht genau klar, ob X selbst oder erst K unterschlagen hatte. Um den Blick für das nun folgende Problem nicht zu verstellen, haben wir diese Diskussion jedoch aus der Lösung herausgehalten.

Abhandenkommen aufgrund unfreiwilligen Besitzverlustes auf Seiten der F?

Möglicherweise kann ein Abhandenkommen aber damit gerechtfertigt werden, dass die F ihren unmittelbaren Mitbesitz unfreiwillig verloren hat, als ihr Mann A den Pkw dem X aushändigte.

Grundsätzlich ist anerkannt, dass der gutgläubige Erwerb des Alleineigentums an einer in unmittelbarem Besitz mehrerer Mitbesitzer stehenden Sache, die einem Mitbesitzer abhandenkommt, ausscheidet.

Diskutiert wurde diese Konstellation bislang allerdings nur in Fällen, in denen die Mitbesitzer der Sache auch Miteigentümer sind,3 und für den Fall, dass der Mitbesitzer, der sich oder einem Dritten den Alleinbesitz an der Sache verschafft, selbst nicht deren Eigentümer ist.4

Anmerkung: Die letzte Variante taucht nicht zuletzt im Verhältnis der Ehegatten zueinander auf. Veräußert ein Ehegatte einen Haushaltsgegenstand des anderen Ehegatten an einen Dritten, wird diskutiert, ob § 1369 BGB analoge Anwendung findet und somit die Übereignung an den Dritten an diesem absoluten Verfügungsverbot scheitert. Die Analogiefrage stellt sich aber häufig bereits deshalb nicht, weil man in einem solchen Fall davon ausgeht, dass der andere Ehegatte (und Eigentümer) seinen unmittelbaren Mitbesitz unfreiwillig verloren hat, sodass die Wirksamkeit der Übereignung bereits an § 935 BGB scheitert5

Wortlaut des § 935 BGB (-)

Hier geht es aber weder um die eine noch um die andere Fallgestaltung, sondern darum, dass der Dritte den Besitz von dem Mitbesitzer erlangt, in dessen Alleineigentum die Sache steht.

Orientiert man sich am Wortlaut, so ist § 935 I S. 1 BGB vorliegend nicht einschlägig. Die Vorschrift schließt den gutgläubigen Erwerb für den Fall, dass der Eigentümer unmittelbarer Besitzer ist, nur dann aus, wenn die Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist, § 935 I S. 1 BGB. Gerade das ist aber nicht der Fall. Sofern der Eigentümer nur mittelbarer Besitzer ist (was wiederum nicht der Fall ist), würde es auf den unmittelbar besitzenden Nichteigentümer ankommen. Der Verlust des Mitbesitzes der F erfüllt demnach weder den Tatbestand des Satzes 1 noch den des Satzes 2 der Vorschrift.

analoge Anwendung?

In Betracht kommt daher allenfalls eine analoge Anwendung, was jedoch neben einer unbeabsichtigten Lücke im Gesetz nach einer vergleichbaren Interessenlage verlangen würde. Die Vorschrift will den Eigentümer vor einem Eigentumsverlust schützen in den Fällen, in denen er den unmittelbaren Besitz nicht freiwillig aufgibt. Der unfreiwillige Besitzverlust entwertet nämlich den unmittelbaren Besitz und die an ihn geknüpfte Eigentumsvermutung gem. § 1006 BGB als Grundlage des gutgläubigen Erwerbs. Das ist in den bisher diskutierten Fallgestaltungen nicht anders. Erlangt der Erwerber ohne Willen des Eigentümers den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer, dem die Sache nicht gehört, verliert ihr Eigentümer den Besitz jedenfalls unfreiwillig. Ist der Mitbesitzer zugleich Miteigentümer, verlieren zwar nicht alle Miteigentümer den Besitz unfreiwillig, wohl aber die Miteigentümer, die dem Dritten den Besitz nicht (mit-)verschafft haben.

keine Vergleichbarkeit der Interessenlage

In beiden Fallgestaltungen wäre die Anwendung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb nicht zu rechtfertigen. Beide Fälle werden von Wortlaut und Zweck des § 935 BGB erfasst.

Das Problem, welches die Vorschrift des § 935 BGB bewältigen soll, stellt sich dagegen nicht, wenn der Dritte den unmittelbaren Besitz von einem Mitbesitzer erlangt, dem die Sache allein gehört. Der Eigentümer gibt in diesem Fall seinen unmittelbaren Besitz an der Sache zu Gunsten eines Dritten freiwillig ganz auf und verschafft diesem damit den unmittelbaren Besitz, an den wiederum § 1006 BGB die Vermutung für dessen Eigentum knüpft. Es gibt deshalb keinen sachlichen Grund, ihn vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs zu schützen. Dass die Regelung in § 935 BGB auf diesen Fall keine Anwendung findet, entspricht dem Plan des Gesetzes und dem Zweck der Vorschrift. Daran ändert es nichts, dass die Mitbesitzerin vorliegend die F war, und sie diesen Mitbesitz unfreiwillig verloren hat. Denn die Vorschrift des § 935 BGB dient primär nicht dem Besitzschutz, sondern dem Schutz des Eigentümers, der sich nicht freiwillig von der Sache getrennt hat. Diese Intention trifft auf den Verlust des unmittelbaren Besitzes bei F nicht zu.

Für die Geltung oder Nichtgeltung der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb kommt es nach § 935 I BGB allein darauf an, ob der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verlieren. Auf welcher Grundlage die maßgeblichen Besitzverhältnisse beruhen, spielt dagegen für die Geltung des Verkehrsschutzes keine Rolle.

auch Besitzschutz erfordert kein anderes Ergebnis

Daher kann für eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 935 BGB auch nicht ins Feld geführt werden, dass im anderen Fall der Schutz des Mitbesitzers unvollständig wäre. Selbst wenn dem so wäre, kann für eine Verbesserung dieses Besitzschutzes nicht eine Vorschrift analog herangezogen werden, die den Schutz des Besitzes gar nicht primär intendiert.

Im Übrigen ist schon zweifelhaft, ob der Schutz des Mitbesitzes überhaupt unvollständig ist. Dem eigentumslosen Mitbesitzer stehen gegen den Eigentümer die materiell-rechtlichen Ansprüche auf Verschaffung oder Wiederverschaffung des Mitbesitzes aus dem Rechtsverhältnis zu, auf Grund dessen er den Mitbesitz erlangt hat. Außerdem stehen ihm die allgemeinen possessorischen Ansprüche zu, die bei der vollständigen Entziehung des Mitbesitzes durch § 866 BGB nicht ausgeschlossen sind.

Anmerkung: Die Vorschrift des § 866 BGB schließt den Besitzschutz also nur für den Fall aus, dass man sich über die Grenzen des Besitzes streitet.

Auch wenn der Schutz des Mitbesitzers gegenüber dem mitbesitzenden Eigentümer unzureichend sein sollte, bedeutet das nicht, dass gerade die Vorschrift des § 935 BGB planwidrig lückenhaft ist. Lückenhaft ist in einer solchen Situation vielmehr die Vorschrift, deren Zweck die Bewältigung des unzureichend geregelten Problems ist. Das wäre hier allenfalls § 866 BGB, nicht aber § 935 BGB.

unterschiedliche Schutzrichtung von § 866 BGB und § 935 BGB

Nur die erstgenannte Vorschrift befasst sich mit dem Schutz des Mitbesitzers. Die Vorschrift des § 935 BGB befasst sich dagegen mit dem Schutz des Eigentümers vor den Folgen des gutgläubigen Erwerbs bei einem unfreiwilligen Besitzverlust. Regelungsthema der Vorschrift ist damit der Schutz des Eigentümers, nicht der Schutz des Besitzers. Dass diese Vorschrift nicht lückenhaft sein kann, wenn der Schutz der Mitbesitzer untereinander unzureichend sein sollte, zeigt sich an den Rechtsfolgen einer entsprechenden Anwendung auf die Entziehung des Mitbesitzes durch den mitbesitzenden Eigentümer. Die Vorschrift schlösse zwar den gutgläubigen Erwerb des Eigentums an der Sache durch einen Dritten aus und verhindert, dass der Besitz an der Sache endgültig verlorengeht. Davon würde aber nur der Eigentümer profitieren. Für den eigentumslosen Mitbesitzer wäre nichts gewonnen. Er bliebe für die Wiederbeschaffung des Mitbesitzes auf die materiell-rechtlichen und possessorischen Ansprüche verwiesen, die ohnehin bestehen.

Nach alledem steht dem gutgläubigen Erwerb des G die Vorschrift des § 935 BGB weder in direkter noch in analoger Anwendung entgegen. Damit hat A sein Eigentum an G verloren.

II. Endergebnis

A hat keinen Anspruch auf Herausgabe gegen G aus § 985 BGB. Auch weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

D) Kommentar

(cda). In der obigen Ausführlichkeit kann man eine Argumentation in der Klausur freilich nicht verlangen. Der BGH begründet (außergewöhnlich) umfassend und überzeugend, dass § 935 BGB vorliegend nicht einschlägig sein kann. Die Vorschrift würde zweckentfremdet, wenn sie auch im vorliegenden Fall eingreifen würde. Dass die F unfreiwillig ihren unmittelbaren Mitbesitz verloren hat, mag sein; das darf aber nicht dazu führen, dass A sein Eigentum behält, obwohl er die Sache freiwillig weggegeben hat und daher nach dem Schutzzweck der Vorschrift nicht schutzwürdig ist.

In der Klausur wäre wohl damit zu rechnen, dass noch nach Ansprüchen gegen den Händler gefragt wird. Dieser hat eine Sache veräußert, welche ihm nicht gehörte. Damit kommt es jedenfalls zur Anwendung von § 816 I S. 1 BGB, weil es für diese Vorschrift nicht darauf ankommt, ob der Nichtberechtigte überhaupt wusste, als Nichtberechtigter zu agieren. Daneben wäre an Ansprüche aus §§ 989, 990 BGB sowie aus angemaßter Eigengeschäftsführung zu denken, vgl. § 687 II BGB, wobei jeweils die Bösgläubigkeit bzw. die positive Kenntnis des H problematisch sein dürfte.

E) Zur Vertiefung

  • Gutgläubiger Erwerb beweglicher Sachen

Hemmer/Wüst, Die 50 wichtigsten Fälle Sachenrecht I, Fälle 35 bis 41.

G) Wiederholungsfragen

1. Wie wird der Eigentümer einer beweglichen Sache vor dem gutgläubigen Erwerb eines Dritten geschützt, wenn er nur mittelbarer Besitzer ist?

2. Warum kommt es beim gutgläubigen Erwerb eines Kfz von einem Händler nur darauf an, dass dieser die Originalpapiere vorlegen kann, nicht aber darauf, dass er auch in den Papieren eingetragen ist?


  1. OLG  Köln, MDR 2006, 90

  2. OLG Stuttgart, WM 2009, 1003

  3. BGH, NJW 1995, 2097

  4. OLG München, MDR 1993, 918

  5. Relevanz hat die Frage nach einer analogen Anwendung des § 1369 BGB in diesen Fällen daher insbesondere im Hinblick auf den schuldrechtlichen Vertrag, denn die Vorschrift steht auch der Wirksamkeit des schuldrechtlichen Vertrags entgegen (vgl. Wortlaut). Sollte es also um vertragliche Ansprüche gehen, wäre die Analogiediskussion insoweit fallentscheidend. Auf dinglicher Ebene wird die analoge Anwendung des § 1369 BGB relevant, wenn ein Ehegatte den Besitz zuvor freiwillig aufgegeben hat (z.B. durch endgültigen Auszug aus der Ehewohnung).