Kann ein Anspruch verjähren, bevor er entsteht? Im Mietrecht schon ...

BGH, Urteil vom 08.01.2014, XII ZR 12/13; NJW 2014, 920 ff.

von Life and Law am 01.05.2014

+++ Übernahme der Instandhaltung durch den Mieter +++ Anspruch auf Schadensersatz bei Nichtdurchführung der Arbeiten +++ Verjährung des Anspruchs +++ §§ 280 I, III, 281, 548 BGB +++

Sachverhalt (abgewandelt und vereinfacht): M und V schlossen im Jahr 1999 einen Gewerbemietvertrag. In dem Vertrag war u.a. Folgendes vereinbart:

„2. Der Mieter ist verpflichtet, alle Unterhaltungs- und Instandhaltungsarbeiten einschließlich der Außenanlagen auszuführen ....

3. Soweit bei Beendigung des Mietverhältnisses die vorstehenden Verpflichtungen entsprechende Arbeiten ausstehen, sind diese vor Rückgabe der Mietsache fachgerecht auszuführen."

Das Mietverhältnis endete sodann aufgrund wirksamer Kündigung zum 31.03.2009. Die Rückgabe der Grundstücke erfolgte im Oktober 2009, ohne dass erforderlich gewordene Arbeiten verrichtet worden waren. Im November 2009 verklagte V den M auf Zahlung eines Vorschusses zur Verrichtung der erforderlichen Arbeiten, hilfsweise auf die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 350.000,- €. Der Betrag wird dabei von V auf ein vorgerichtliches Gutachten gestützt, wo die Kosten grob auf den Betrag in Höhe von 350.000,- € geschätzt wurden.

In der Folgezeit setzte V dem M eine Frist zur Vornahme der Arbeiten, führte diese nach fruchtlosem Fristablauf selbst durch. Sodann wurde der Hauptantrag fallen gelassen. Mit der Klage begehrt V nun „nur noch" die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von tatsächlich angefallenen 400.000,- €.

M beruft sich auf Verjährung.

Ist die Klage des V gegen M begründet?

A) Sounds

1. Die kurze Verjährungsfrist des § 548 I BGB gilt auch für die Ansprüche des Vermieters auf Erfüllung der vom Mieter vertraglich übernommenen Instandhaltungs- und Instandsetzungspflicht und auf Schadensersatz wegen deren Nichterfüllung.

2. Die Verjährungsfrist eines wegen Nichterfüllung der vertraglich übernommenen Instandsetzungs- und Instandhaltungspflicht auf §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB gestützten Schadensersatzanspruchs beginnt gem. § 548 I S. 2 BGB bereits mit der Rückgabe der Mietsache zu laufen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Anspruch zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden ist.

3. Eine wirksame Klageerhebung hemmt die Verjährung auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung von der Sachbefugnis (Aktivlegitimation) abgesehen noch nicht alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, etwa eine für einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB erforderliche Fristsetzung noch fehlt.

B) Problemaufriss

Der Fall bringt im Ergebnis nichts Neues. Alle in den Leitsätzen benannten Aussagen wurden vom BGH bereits zuvor entschieden. Allerdings ist die Kombination dieser Probleme in einem einzigen Fall neu. Insoweit handelt es sich um eine für das Examen typische vielschichtige Problematik.

Die Thematik könnte im Examen auch mit einem Wohnraummietverhältnis abgeprüft werden. Insbesondere bietet sich dort an, die hier relevanten Fragen mit der Zulässigkeit einer Schönheitsreparaturklausel zu verbinden. Unterstellt, die Klausel ist wirksam, besteht ebenfalls eine Leistungspflicht des Mieters, welcher er grundsätzlich spätestens bei Beendigung des Mietverhältnisses nachkommen muss.

Im Wohnraummietverhältnis wäre es allerdings nicht zulässig, die (komplette) Instandhaltung auf den Mieter abzuwälzen. Sogar bei Kleinreparaturen kann der Mieter nur zur Kostentragung in bestimmtem Umfang verpflichtet werden, nicht aber zu deren Vornahme. Unabhängig von einer AGB-rechtlichen Betrachtung verstieße eine derartige Regelung bereits gegen § 536 IV BGB, wonach eine abweichende Regelung im Hinblick auf die Mietminderung nicht zulässig ist. Faktisch käme die Überwälzung der Instandhaltung aber dem Ausschluss einer Minderung gleich. Denn wenn der Mieter für die Vornahme von Instandhaltungsarbeiten verantwortlich wäre, könnte er bei deren Nichtvornahme nicht mindern.

Im Geschäftsraummietrecht geht der BGH demgegenüber allerdings von der Wirksamkeit der Übertragung auf den Mieter aus.

C) Lösung

Die Klage ist begründet, wenn V gegen M ein durchsetzbarer Anspruch auf Schadensersatz zusteht.

I. Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB

Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB

1. Schuldverhältnis

2. Nichterbringung einer fälligen Leistung

3. Ablauf einer gesetzten Frist bzw. Entbehrlichkeit der Fristsetzung

4. Keine Widerlegung der Vermutung des Vertretenmüssens

5. Einredefreiheit

Zwischen den Parteien besteht ein Schuldverhältnis in Form eines Mietvertrags.

1. Leistungspflicht im Hinblick auf Instandhaltung?

§ 281 I S. 1 BGB verlangt die Nichterbringung einer fälligen Leistung. Als Leistungspflicht kommt vorliegend die im Mietvertrag enthaltene Verpflichtung in Betracht, anfallende Instandhaltungsarbeiten durchführen zu müssen. Die Fälligkeit der Arbeiten wäre jedenfalls nach Ziffer 3 des Vertrags eingetreten.

Fraglich ist jedoch, ob die Klausel wirksam ist. Nach dem gesetzlichen Leitbild ist der Vermieter verpflichtet, die entsprechenden Arbeiten durchzuführen, § 535 I S. 2 BGB. Danach hat der Vermieter die Sache nicht nur im vertragsgemäßen Zustand zu übergeben, sondern auch während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Da diese Verpflichtung im Vertrag auf den Mieter abgewälzt wurde, ist zu klären, ob dieser Vertragspassus wirksam ist.

Dabei ist vorliegend von einer individualvertraglichen Übertragung auf den Mieter auszugehen.

Anmerkung: Im Wohnraummietrecht ist die Übertragung der Instandhaltungspflicht unzulässig. Die Unzulässigkeit ergibt sich dabei bereits aus § 536 IV BGB, sodass es auf die Frage, ob die Übertragung individualvertraglich oder durch AGB erfolgt, gar nicht ankommt.1 Lediglich die Übertragung von Schönheitsreparaturen auf den Mieter ist grundsätzlich zulässig.2

Im Gewerberaummietrecht ist die Übertragung der Instandhaltungspflicht auf den Mieter als zulässig anerkannt.3

Die Übertragung erfolgt grundsätzlich als Ausgleich für eine geringere Mietzahlung, sodass die Übertragung auch im Interesse des Mieters liegt.4

2. Ablauf einer gesetzten Frist zur Leistung bzw. Entbehrlichkeit

Laut Sachverhalt wurde M von V nach Auszug eine Frist zur Vornahme der Arbeiten gesetzt; diese ist fruchtlos verstrichen.

Anmerkung: Vertretbar ist es in Fällen wie dem vorliegenden auch, von der Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 281 II Alt. 1 BGB auszugehen. Im Auszug ohne Vornahme der Arbeiten in Kenntnis der Verpflichtung zur Durchführung könnte man eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung erblicken.5

3. Einredefreiheit bzgl. Leistungsanspruch? Ggf. Verjährung gem. § 548 I BGB i.V.m. § 214 I BGB

Möglicherweise ist der Anspruch des V gegen M aber bereits verjährt, § 214 I BGB. Für den Anspruch aus § 281 I S. 1 BGB ist die Einredefreiheit erforderlich. Bereits das Bestehen einer Einrede führt grundsätzlich dazu, dass der Tatbestand nicht verwirklicht ist. Denn bei Bestehen einer Einrede kann dem Schuldner der Vorwurf der Nichtleistung nicht gemacht werden, weil er die Leistung dann nicht erbringen muss.

Anmerkung: Verwechseln Sie diesen Grundsatz nicht mit dem prozessualen Grundsatz, dass Einreden nicht von Amts wegen berücksichtigt werden. Vor Gericht müsste sich M -- vorausgesetzt, Verjährung ist überhaupt eingetreten -- auf die Verjährung berufen, damit sie berücksichtigt würde. Hintergrund ist letztlich der, dass der Inhaber einer Einrede ja die Wahl hat, ob er die Leistung erbringen möchte oder nicht; der Anspruch bleibt trotz Einrede erfüllbar. Das Gericht würde dieses Wahlrecht aber verletzen, wenn eine Einrede bei Vorliegen ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen automatisch berücksichtigt würde. Das Gericht würde im Übrigen die richterliche Neutralität verletzen. Da sich M vorliegend vor Gericht auf Verjährung berufen hat, bleiben die vorstehenden Erwägungen für den konkreten Fall ohne Relevanz.

Fraglich ist zunächst, welche Verjährungsfrist für den vorliegenden Fall einschlägig ist.

Der grundsätzlich dem Mieter zustehende Anspruch aus § 535 I S. 2 BGB unterliegt der Regelverjährung, §§ 195, 199 I BGB.

a) Anwendbarkeit des § 548 I BGB

Etwas anderes könnte sich aber nach Beendigung des Mietverhältnisses und Rückgabe der Mietsache ergeben.

Hier bestimmt § 548 I S. 1 BGB, dass die Ersatzansprüche des Vermieters „wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache" in sechs Monaten verjähren.

Fraglich ist, ob die Durchführung von Instandhaltungs- bzw. setzungsarbeiten auch unter § 548 I BGB fallen.

Die Regelung des § 548 I BGB soll zwischen den Parteien des Mietvertrags eine rasche Auseinandersetzung gewährleisten und eine beschleunigte Klarstellung der Ansprüche wegen des Zustands der überlassenen Sache bei Rückgabe erreichen. Die Rechtsprechung hat den Anwendungsbereich des § 548 BGB vor diesem Hintergrund weit ausgedehnt. So unterfallen unter anderem Ansprüche auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Mietsache ebenso der kurzen Verjährung des § 548 BGB wie Ansprüche wegen einer vertraglich übernommenen Instandsetzungs- und Instandhaltungspflicht.

b) Rechtzeitige Hemmung

Da vorliegend bereits einen Monat nach Rückgabe der Mietsache geklagt wurde, ist die Verjährungsfrist des § 548 I S. 1 BGB jedoch rechtzeitig gehemmt worden, § 204 I Nr. 1 BGB.6

Da eine Widerlegung des vermuteten Vertretenmüssens dem Sachverhalt nicht zu entnehmen ist, ist der Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB gegeben. Im Hinblick auf die Schadenshöhe ist von einem Betrag in Höhe von 400.000,- € auszugehen.

4. Verjährung des Schadensersatzanspruchs?

Von der Frage, ob der Leistungsanspruch verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar als Tatbestandsvoraussetzung i.S.d. § 281 I S. 1 BGB war, ist die Frage zu trennen, ob der Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 I, III, 281 BGB selbst verjährt war. Diese Frage ist prozessual auch deshalb von Bedeutung, weil sich M auf Verjährung berufen hat, sodass das Gericht sich mit den Voraussetzungen auseinanderzusetzen hat.

Nach überzeugender Rechtsprechung des BGH unterfällt auch der Schadensersatzanspruch des Vermieters, der seinen Grund darin hat, dass der Mieter die Mietsache als solche zwar zurückgeben kann, diese sich aber nicht in dem bei Rückgabe vertraglich geschuldeten Zustand befindet, der Regelung des § 548 I S. 1 BGB.

Anmerkung: Grundsätzlich unterliegt ein Anspruch auf Schadensersatz der Regelverjährung, wobei die in § 199 I bis III BGB geregelten Besonderheiten zu beachten sind. Vorliegend greift aber § 548 BGB ein. In dem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Hemmung der Verjährung bzgl. des Leistungsanspruchs selbst nicht dazu führt, dass automatisch auch eine Hemmung im Hinblick auf den Ersatzanspruch eintritt. Denn maßgeblich für eventuelle prozessuale Fragen ist stets der Streitgegenstand, den der Kläger durch Klageerhebung zum Gegenstand des Rechtsstreits erhebt!

a) Verjährungsbeginn

Fraglich ist, welcher Zeitpunkt für den Verjährungsbeginn maßgeblich ist. Grundsätzlich ist nicht das Ende des Mietvertrags maßgeblich, sondern gem. § 548 I S. 2 BGB die Rückgabe der Mietsache.7 Grund dafür ist, dass sich der Vermieter erst ab diesem Zeitpunkt Klarheit über den Zustand der Mietsache und damit über das Bestehen etwaiger Ausgleichsansprüche gegenüber dem Mieter verschaffen kann.

Anmerkung: In diesem Zusammenhang kann in der Klausur die Problematik eingebaut werden, dass bei Rückgabe der Wohnung die Schlüssel nicht dem Vermieter selbst ausgehändigt werden, sondern einem Hauswart bzw. Hausmeister. Diese Personen sind grds. Besitzdiener, sodass eine Rückgabe der Wohnung unzweifelhaft stattgefunden hat. Fraglich ist jedoch, ob die Kenntnis des Hauswarts dem Vermieter zugerechnet werden kann, sodass schon im Moment der Überlassung der Schlüssel an den Hauswart die Verjährung zu laufen beginnt, § 548 I S. 2 BGB. Eine Zurechnung über § 166 I BGB direkt scheidet aus, da die Rückgabe nicht durch Willenserklärungen erfolgt. Für eine analoge Anwendung ist Voraussetzung, dass die Hilfsperson grundsätzlich im rechtsgeschäftlichen Bereich tätig wird. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.8

Demnach begann die Verjährung vorliegend im Oktober 2009.

Fraglich ist, ob sich etwas anderes möglicherweise daraus ergibt, dass der Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I S. 1 BGB in diesem Zeitpunkt noch gar nicht entstanden war; denn grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs erst dann, wenn er überhaupt entstanden ist.

Im Rahmen der Regelverjährung stellt der Gesetzgeber deshalb auf die Entstehung für den Beginn der Verjährung ab, § 199 I Nr. 1 BGB. Gleiches gilt für Ansprüche i.S.d. § 201 BGB. Auch für Ansprüche, die nicht der Regelverjährung unterliegen, ist gem. § 200 BGB maßgeblich für den Lauf der Verjährungsfrist die Entstehung, sofern nichts anderes bestimmt ist.

Der BGH geht jedoch zutreffend davon aus, dass in § 548 I S. 2 BGB vorliegend etwas anderes bestimmt ist.9 Daher kann der Anspruch wegen Nichterfüllung der vom Mieter vertraglich übernommenen Instandhaltungspflicht bereits verjährt sein, bevor die gemäß § 281 I S. 1 BGB erforderliche Fristsetzung durch den Vermieter erfolgt ist.

b) Hemmung gem. § 204 I Nr. 1 BGB

Fraglich ist, ob dies auch vorliegend der Fall ist.

Etwas anderes könnte sich daraus ergeben, dass die Frist des § 548 I S. 1 BGB rechtzeitig gehemmt wurde. Die Klageerhebung im November 2009 erfolgte zwar innerhalb der Sechs-Monats-Frist; allerdings war nur der Hilfsantrag auf die Zahlung von Schadensersatz gerichtet.

Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BGH allerdings irrelevant. Zwar entscheidet sich häufig erst im Laufe des Prozesses, ob die Bedingung für das Eingreifen des Hilfsantrags eintreten wird. Maßgeblich für die prozessuale Wirkung der Rechtshängigkeit ist aber auch dann der Zeitpunkt der Klageerhebung.10

Problem: bei Klageerhebung noch keine Anspruchsentstehung

Problematisch erscheint allerdings, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung möglicherweise noch nicht alle Tatbestandsvoraussetzungen des materiell-rechtlichen Anspruchs, auf den der Hilfsantrag gestützt wurde, vorlagen. Insbesondere fehlte es noch am Setzen einer Frist zur Vornahme der Arbeiten.

Unabhängig von der Frage, ob eine Fristsetzung nicht sowieso gem. § 281 II Alt. 1 BGB entbehrlich war, kommt es auf die Frage des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Klageerhebung jedoch nicht entscheidend an.

Nach § 204 I Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch die Erhebung einer Leistungsklage gehemmt. Dem liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass der Gläubiger durch aktives Betreiben seines Anspruchs seinen Rechtsverfolgungswillen so deutlich macht, dass der Schuldner gewarnt wird und sich auf eine Erfüllung auch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist einstellen muss.

Anmerkung: Diese Erwägung des BGH ist in der Praxis von entscheidender Bedeutung, weil eine konkrete Schadenssumme nach Ablauf von sechs Monaten häufig noch gar nicht bekannt sein wird. Merke also: Dass der Anspruch auf Schadensersatz noch gar nicht entstanden ist, wirkt sich verjährungsrechtlich einerseits negativ für den Vermieter aus (Verjährung beginnt gleichwohl zu laufen), andererseits aber auch positiv (Hemmung tritt durch Klageerhebung gleichwohl ein).

nur Wirksamkeit der Klageerhebung Voraussetzung für Hemmung

Dabei ist zwar nur die wirksam erhobene Klage geeignet, die Verjährung zu hemmen, weil die unwirksame Klage, die insbesondere den Mindestanforderungen des § 253 II ZPO nicht entspricht, nicht als Klage im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann.

Anmerkung: Wichtig daher: Ein bestimmter Klageantrag muss gestellt werden, auch wenn die endgültige Schadenssumme noch nicht beziffert werden kann. Andernfalls kommt es zu einer sog. „a limine Abweisung" der Klage, denn ein bestimmter Klageantrag ist sog. echte Prozessvoraussetzung!

Im Gegensatz dazu löst aber eine wirksame Klageschrift die Hemmung aus, gleich ob sie unzulässig oder unbegründet ist. Denn auch sie macht für den Schuldner den Rechtsverfolgungswillen des Gläubigers deutlich.11 Nach ständiger Rechtsprechung entfaltet die wirksame Klageerhebung ihre verjährungshemmende Wirkung daher auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung von der Sachbefugnis (Aktivlegitimation) abgesehen noch nicht alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.12

Nach alledem kann durch Klageerhebung die Verjährung eines noch nicht entstandenen Anspruchs gehemmt werden.

c) Umfang der Hemmung

Fraglich ist, ob sich die hemmende Wirkung nur auf die zunächst hilfsweise geltend gemachten 350.000,- € bezieht oder auf die letztlich geltend gemachten 400.000,- €. Grundsätzlich bestimmt sich die Reichweite der Hemmung wiederum nach dem konkret geltend gemachten Streitgegenstand, der nicht nur durch den Lebenssachverhalt, sondern auch durch den konkret gestellten Antrag bestimmt wird.

So ist anerkannt, dass sich die Hemmung im Rahmen einer sog. verdeckten Teilklage, d.h. einer solchen, bei der weder für die Beklagtenseite noch für das Gericht erkennbar ist, dass die bezifferte Forderung nicht den Gesamtschaden abdeckt, nur auf den geltend gemachten Anspruch im beantragten Umfang bezieht.

Etwas anderes gilt für die Anwendung des § 204 I Nr. 1 BGB auf Schadensersatzansprüche aber, wenn mit der Klage von Anfang an ein bestimmter Anspruch in vollem Umfang geltend gemacht wird und sich dann Umfang und Ausprägung des Klageanspruchs ändern, nicht aber der Anspruchsgrund. Der Schadensersatzkläger klagt dann nicht eine Geldsumme, sondern den Schaden ein und unterbricht damit die Verjährung der Ersatzforderung in ihrem betragsmäßig wechselnden Bestand.

Anmerkung: Die Diktion des BGH ist nicht unproblematisch: Im Zusammenhang mit der Hemmung der Verjährung von „Unterbrechung" zu sprechen, mag nach der Schuldrechtsreform akzeptabel sein; vorher stand der Begriff juristisch für das, was man heute unter „Neubeginn" der Verjährung i.S.d. § 212 BGB versteht. Und das ist von der Rechtsfolge her nicht identisch mit der Hemmung der Verjährung!

Für die endgültige Bemessung des Schadens ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend, aufgrund derer das Urteil ergeht, sodass dem Umfang der Verjährungswirkung daher durch den ursprünglich bezifferten Leistungsantrag keine Grenzen gezogen werden.

Aufgrund der Tatsache, dass vorliegend der zunächst geltend gemachte Betrag in Höhe von 350.000,- € auf ein außergerichtliches Gutachten gestützt und klar gemacht wurde, dass dem eine grobe Schätzung zugrundeliegt, sind die Anforderungen vorliegend gewahrt. Allen Beteiligten wurde dadurch hinreichend deutlich gemacht, dass eine Konkretisierung später noch erfolgen würde.

Demnach ist die Verjährung bezogen auf den kompletten Betrag in Höhe von 400.000,- € gehemmt worden.

II. Endergebnis

Der Anspruch auf Schadensersatz ist damit in vollem Umfang durchsetzbar, sodass die Klage begründet ist.

D) Kommentar

(cda). Die Entscheidung des BGH überzeugt in Ergebnis und Begründung. Sie bietet ein lehrreiches Beispiel dafür, wie materiell-rechtliche und prozessuale Fragestellungen ineinandergreifen. Der Fall könnte so „eins zu eins" als Examensklausur gestellt werden.

E) Zur Vertiefung

  • Zur Einrede der Verjährung

Hemmer/Wüst, BGB AT III, Rn. 651 ff.

F) Wiederholungsfragen

1. Warum ist die Entstehung eines Anspruchs, der der kurzen Verjährung des § 548 I S. 1 BGB unterliegt, keine Voraussetzung für die Hemmung der Verjährung gem. § 204 I Nr. 1 BGB?

2. Warum ist für den Verjährungsbeginn gem. § 548 BGB nicht die Entstehung des Anspruchs, sondern die Rückgabe der Mietsache maßgeblich?


  1. Palandt, § 536 BGB, Rn. 2 m.w.N.

  2. Zum Umfang dessen, was unter den Begriff „Schönheitsreparaturen" fällt, vgl. Palandt, § 535 BGB, Rn. 41.

  3. BGH, NJW 2002, 2383f.

  4. Missverständlich insoweit die Kommentierung bei Palandt, § 535 BGB, Rn. 32, wo nicht klargestellt wird, dass zwischen Geschäftsraummiete und Wohnraummiete differenziert werden muss. Das BGH-Urteil, welches dort in Bezug genommen wird (NJW 2002, 2383), bezieht sich auf Geschäftsraummiete und wurde auch vom BGH in der vorliegenden Entscheidung erwähnt.

  5. Angenommen wurde dies sogar bereits im Wohnraummietrecht bei Auszug des Mieters ohne Durchführung der Schönheitsreparaturen, BGH, NZM 2010, 403 Insoweit könnte man vorliegend mit einem „Erst-recht-Schluss" argumentieren.

  6. Beachten Sie, dass es in Examensklausuren und auch in der Praxis gerade bei kurzen Verjährungsfristen sehr häufig zur Anwendung des § 167 ZPO kommt. Denn gerade bei kurzen Fristen wird ein Kläger diese häufig bis zum Schluss ausreizen wollen bzw. müssen. Dann ist für die Verjährung nicht die Zustellung der Klage gem. §§ 253 I, 261 ZPO relevant, sondern die Anhängigkeit bei Gericht, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Vgl. zu dieser wichtigen Vorschrift Hemmer/Wüst, ZPO I, Rn. 107 ff.

  7. Das gilt auch dann, wenn die Rückgabe bereits vor Beendigung des Mietverhältnisses erfolgt, vgl. BGH, Life & Law 2006, 596 ff. = BGH, NJW 2006, 1588

  8. BGH, Life & Law 2/2014 (kompakt) = WuM 2013, 729 ff. Ein vergleichbares Problem stellt sich im Rahmen der Bösgläubigkeit gem. § 990 BGB, wenn die Besitzerlangung durch einen Besitzdiener erfolgte. Nur soweit der Besitzdiener generell den Status eines Vertreters hat, kann dessen Bösgläubigkeit dem Besitzer analog § 166 I BGB zugerechnet werden. Nach einer anderen Ansicht soll hier eine Zurechnung über § 831 BGB analog erfolgen. Da die Vorschrift allerdings keine subjektiven Aspekte zurechnet, ist dieser Ansatz nicht überzeugend.

  9. BGH, a.a.O.

  10. BGH, NJW 1997, 3164 f.

  11. BGH, NJW-RR 1994, 514 f.

  12. BGH, NJW-RR 2003, 784