Gebührenfrei studieren in Bremen!? Nur, wenn du ein Bremer bist, alle anderen zahlen!

BVerfG, Beschluss vom 08. Mai 2013, 1 BvL 1/08

von Life and Law am 01.02.2014

+++ Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren +++ Gleichheitssatz +++ Recht auf diskriminierungsfreien Hochschulzugang +++ Art. 3 I, 12 I, 20 I, 28 I GG, §§ 2 I, 3 I, 6 S. 1, 2, 7 BremStKG +++

Sachverhalt: Die §§ 2 I, 3 I, 6 S. 1 des Bremischen Studienkontengesetzes (BremStKG) enthalten eine Regelung, nach der Studierende mit Wohnsitz bzw., soweit mehrere Wohnungen bestehen, mit Hauptwohnsitz in Bremen, nach der Einschreibung ein Studienkonto mit einem Guthaben von vierzehn Semestern erhalten. Nach Ablauf des vierzehnten Semesters wird für jedes weitere Semester eine Studiengebühr von 500,- € erhoben. Studenten mit Wohnsitz außerhalb Bremens erhalten nach der Regelung lediglich ein Guthaben von zwei Semestern, müssen also bereits ab dem dritten Semester die Studiengebühr von 500,- € bezahlen. § 6 S. 2 BremStKG und § 7 BremStKG enthalten außerdem für Einzelfälle Ausnahmetatbestände und Härtefallregelungen, nach denen unabhängig vom Wohnsitz Studiengebühren u.U. gestundet bzw. ermäßigt werden können oder von ihnen gänzlich befreit werden kann.

Das Land Bremen verfolgt mit diesen Regelungen zum einen das Ziel, die Studierenden zu einem effizienten und zügigen Studium anzuhalten. Zum anderen soll die mit Hilfe der Studiengebühren gesteigerte Finanzkraft eine angemessene und wettbewerbsfähige Ausstattung der Hochschulen gewährleisten. Eine Differenzierung nach dem Wohnsitz der Studenten rechtfertige sich aus der Tatsache, dass der Zuzug von Studenten nach Bremen und ein damit begründeter Wohnsitz die Einnahmen des Landes im Rahmen des Länderfinanzausgleichs erhöhen. Studenten mit einem Wohnsitz in Bremen trügen daher bereits ausreichend zu einer stärkeren Finanzkraft und einer damit einhergehenden Verbesserung der Studienbedingungen bei. Von allen anderen Studenten müsse dieser Beitrag in Form von Studiengebühren gefordert werden. Zudem müsse es schon grundsätzlich möglich sein, Einheimische gegenüber Auswärtigen zu privilegieren, schließlich sei dies im Kommunalrecht bei der Benutzung gemeindlicher öffentlicher Einrichtungen doch auch möglich.

Student S, der deutscher Staatsbürger ist, seinen Wohnsitz außerhalb Bremens hat und im zweiten Semester Jura studiert, kämpft derzeit um das Bestehen der Anfängerhausarbeit. Zu allem Überfluss erhält er auch noch einen Gebührenbescheid von seiner Bremer Universität mit der Aufforderung, 500,- € für das kommende Semester zu zahlen. Gegen diesen Bescheid erhebt S Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht. Dieses hält wie S die beschriebenen Regelungen für verfassungswidrig, setzt das Verfahren deshalb aus und legt das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vor.

Wie wird das BVerfG über den zulässig gestellten Antrag auf konkrete Normenkontrolle entscheiden? Es ist davon auszugehen, dass eine Erhöhung der Einwohnerzahl die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich tatsächlich erhöht. Das BremStKG ist formell verfassungsgemäß.

A) Sounds

1. Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG und dem Sozialstaatprinzip der Art. 20 I, 28 I S. 1 GG begründen ein derivatives (abgeleitetes) Teilhaberecht auf freien und gleichen Zugang zum Hochschulstudium für all diejenigen, die die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen.

2. Allgemeine Studiengebühren sind mit diesem Teilhaberecht aus Art. 12 I, 3 I GG grundsätzlich vereinbar, solange sie nicht prohibitiv (abhaltend, behindernd) wirken und sozial verträglich ausgestaltet sind, wobei die Verfassung nicht den Ausgleich jeglicher sozialen, insbesondere ökonomischen, Ungleichheit gebietet, die ihre Ursache auch in der familiären, sozialen oder individuellen Herkunft haben kann.

3. Eine Regelung, die bei der Auferlegung von Studiengebühren nach der Wohnung zugunsten von Landeskindern unterscheidet, verstößt gegen das Teilhaberecht aus Art. 12 I, 3 I GG, weil sie den danach notwendigen freien und gleichen Hochschulzugang in einem bundesweit zusammenhängenden System ohne hinreichenden Sachgrund beeinträchtigt.

B) Problemaufriss

Obwohl zum heutigen Zeitpunkt, mit Ausnahme des Landes Niedersachsen, kein Bundesland mehr „Studiengebühren" für ein Erststudium erhebt,1 sind diese immer noch Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen.

Anmerkung: Das Bundesland Bremen erhob wie viele andere Bundesländer „Studiengebühren". In Bayern hingegen mussten Studenten „Studienbeiträge" zahlen. Was nun? Da Gebühren für eine konkrete Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung zu zahlen sind, während Beiträge für die bloße abstrakte Nutzungsmöglichkeit erhoben werden, dürfte der Begriff „Studienbeitrag" richtig sein. Schließlich werden bzw. wurden diese Abgaben von jedem immatrikulierten Studenten erhoben, unabhängig davon, ob dieser die Universität im jeweiligen Semester auch nur eine Minute besucht, an nur einer einzigen Vorlesung teilnimmt oder irgendeine sonstige Leistung der Universität tatsächlich in Anspruch nimmt.

Im vorliegenden Fall ging es jedoch nicht um den „Standard-Fall" der Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren im Allgemeinen.2 Zwar hat sich das BVerfG hierzu auch geäußert. Im Kern ging es jedoch um die Frage, ob die Erfüllung des Gebührentatbestandes an den Wohnsitz der Studierenden anknüpfen darf oder ob hierin ein Verstoß gegen das Grundgesetz liegt. Entscheidend für diese Frage ist letztlich, welche Anforderung der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG an die Ausgestaltung der einzelnen Regelungstatbestände stellt und wann eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem gerechtfertigt ist.

C) Lösung

Das BVerfG erklärt die vorgelegten Regelungen nach §§ 82 I, 78 S. 1 BVerfGG für nichtig, wenn der Antrag auf konkrete Normenkontrolle zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

Der Antrag ist laut Bearbeitervermerk zulässig.

Anmerkung: Zur Wiederholung des Zulässigkeitsaufbaus eines konkreten Normenkontrollantrags können Sie sich an nachfolgendem Schema orientieren.

Zulässigkeit eines konkreten Normenkontrollantrags zum BVerfG nach Art. 100 I GG i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG3

I. Statthaftigkeit

  • Formelles, nachkonstitutionelles Gesetz II. Vorlageberechtigung
  • Deutsche Gerichte III. Überzeugung von der Nichtigkeit
  • Vorrang der verfassungs- bzw. bundesrechtskonformen Auslegung
  • Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit genügen nicht IV. Entscheidungserheblichkeit
  • Unbedingte Auswirkung auf das Urteil nötig!
  • Auswirkungen auf Entscheidungsformel (Tenor) und nicht nur auf Entscheidungsgründe!

Anmerkung: Interessant an der Entscheidung i.R.d. Zulässigkeit war, dass das Land Bremen die in Rede stehenden Regelungen als Reaktion zu der Vorlage des VG an das BVerfG bereits im Jahre 2010 aufgehoben hatte, im Zeitpunkt der Entscheidung durch das BVerfG also kein verfassungswidriger Zustand mehr bestand.

Gleichwohl war hierdurch keine Erledigung mangels tauglichen Vorlagegegenstandes eingetreten, da die Regelungen nach wie vor den Rechtsgrund für den an den Kläger adressierten Gebührenbescheid bildeten.

II. Begründetheit

Der Normenkontrollantrag wäre begründet, wenn die in Frage stehenden Regelungen gegen das Grundgesetz verstoßen würden, §§ 82, 78 BVerfGG.

1. Verstoß gegen Art. 11 GG

Die Regelungen könnten gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 I GG verstoßen.

a) Eröffnung des Schutzbereichs

Fraglich ist, ob der sachliche Schutzbereich des Art. 11 I GG eröffnet ist.

Art. 11 I GG gewährleistet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnung zu nehmen.4 Der Schutzbereich ist vorliegend deshalb betroffen, da für Studierende der Universität Bremen die Wahl eines Wohnsitzes außerhalb von Bremen eine nachteilige Rechtsfolge mit sich bringt.5

b) Eingriff in den Schutzbereich

Das BremStKG greift in dieses Recht nicht im klassischen Sinne sein, da sie kein finales Verbot eines Aufenthaltswechsels beinhaltet.

faktischer, mittelbarer Eingriff?

Allerdings können auch nur mittelbare und faktische Beeinträchtigungen der Wahl des Wohnorts einen Eingriff in die Freizügigkeit darstellen, wenn sie in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen.6 Für den Bereich der Festsetzung von Abgaben ist aber regelmäßig die Qualität eines Eingriffs zu verneinen, solange die Abgaben keine ähnliche Wirkung wie ein striktes Verbot des Nehmens von Aufenthalt oder Wohnsitz haben.7

Die Erhebung von Studiengebühren von 500,- € im Semester entfaltet aber keine vergleichbare Wirkung.

c) Zwischenergebnis

Ein Verstoß gegen Art. 11 I GG scheidet aus.

Anmerkung: Das BVerfG spricht Art. 11 GG in seiner Entscheidung mit keiner Silbe an, obwohl das VG in seinem Antrag ausdrücklich von der Unvereinbarkeit der Normen mit Art. 11 GG ausgeht. Diesen „Luxus" sollten Sie sich im Examen nicht erlauben.

2. Verstoß gegen Art. 12 I GG in seiner Funktion als Abwehrgrundrecht

Die Erhebung von Studiengebühren könnte generell mit Art. 12 I GG in seiner Funktion als Abwehrgrundrecht unvereinbar sein.

Anmerkung: In den folgenden Ausführungen liegt kein Schwerpunkt des vorliegenden Falles. Sie dienen primär der Wiederholung gewisser „Standards" i.R.d. Art. 12 GG, insbesondere dem Umgang mit der Drei-Stufen-Theorie in der Klausur.

a) Eröffnung des Schutzbereichs

Der Schutzbereich des Art. 12 I GG müsste eröffnet sein.

Art. 12 I GG schützt als einheitliches Grundrecht die freie Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte sowie die freie Berufsausübung, da sich Wahl und Ausübung des Berufs begrifflich nicht sinnvoll voneinander trennen lassen.8 So stellt die Berufsausübung die sich stetig wiederholende Manifestierung der Berufswahl dar. Ausbildungsstätte sind private oder öffentliche Einrichtungen, die Kenntnisse und Fertigkeiten für bestimmte Berufe oder Berufsgruppen vermitteln und über das Angebot allgemeiner Bildung hinausgehen.9

Die Universität Bremen ist eine solche Ausbildungsstätte. Da S deutscher Staatsangehöriger ist, kann er sich auf Art. 12 GG berufen.

Sowohl der persönliche als auch der sachliche Schutzbereich sind somit eröffnet.

b) Eingriff

In diesen Schutzbereich wird hier auch eingegriffen, da die allgemeinen Studiengebühren eine belastende Regelung sind, die unmittelbar die geschützte Tätigkeit in der Ausbildungsstätte betreffen,10 bzw. durch die der weitere Bildungs- und Lebensweg des Betroffenen negativ beeinflusst wird.11 Deshalb wohnt der Maßnahme auch eine zumindest objektiv berufsregelnde Tendenz inne.12

Allgemeine Studiengebühren stellen einen Eingriff auf Ebene der Berufsausübung dar. Sie gestalten die Studienbedingungen in bestimmter Weise aus, treffen aber nicht vergleichbar einer Berufswahlregelung Bestimmungen über den Zugang zum Hochschulstudium.13 Dies folgt daraus, dass Studierende, die über ausreichende eigene Mittel zur Zahlung der Studiengebühren nicht verfügen, gleichwohl Zugang zum Studium bekommen, z.B. durch die Inanspruchnahme gesetzlich garantierter Studiengebührendarlehen oder durch Erlass bzw. Stundung der Studiengebühren im Einzelfall.

hemmer-Methode: Vertretbar ist es auch, eine Einordnung des Eingriffs in eine der drei Stufen erst im Rahmen der Schranken-Schranken vorzunehmen, da die Einordnung erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung, genauer der Frage nach der Erforderlichkeit einer Maßnahme, relevant wird.

c) Schranke

Art. 12 I S. 2 GG regelt einen Schrankenvorbehalt, der wegen des einheitlich verstandenen Grundrechts der Berufsfreiheit sowohl für die Berufswahl als auch für die Berufsausübung gilt. Die aufgrund dieses Schrankenvorbehalts erlassenen Regelungen müssten formell und materiell verfassungsmäßig sein.

Von der formellen Verfassungsmäßigkeit des BremStKG ist laut Bearbeitervermerk auszugehen.

Anmerkung: Bei der Überprüfung der formellen Verfassungsgemäßheit müssen Sie zwischen Bundes- und Landesgesetzen differenzieren. Während Sie bei einem Bundesgesetz hier sowohl die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 70 ff. GG als auch das Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG prüfen, sind Sie bei einem Landesgesetz auf die Prüfung der Gesetzgebungskompetenz beschränkt. Das Gesetzgebungsverfahren ist in der jeweiligen Landesverfassung geregelt, die für das BVerfG kein Prüfungsmaßstab ist. Soweit das vorlegende Gericht das Gesetzgebungsverfahren für mangelhaft hält, muss es die Norm damit (auch) dem jeweiligen Landesverfassungsgericht vorlegen!

Auch an der materiellen Verfassungsmäßigkeit bestehen grundsätzlich keine Zweifel.

d) Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit

Fraglich ist allein, ob die angegriffenen Regelungen der Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit gerecht werden.

hemmer-Methode: Bei deren Prüfung sind nach der „Drei-Stufen-Theorie" differenzierende Anforderungen zu stellen, je nachdem, auf welcher Stufe der Eingriff erfolgt.14 Unterschieden werden folgende Eingriffsstufen:

  1. Stufe: Berufsausübungsregeln

Zulässig bei vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls

  1. Stufe: Subj. Zulassungsbeschränkungen

Zulässig zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter

  1. Stufe: Obj. Zulassungsbeschränkungen

Nur zulässig zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter.

Die Prüfung des legitimen Zwecks und der Geeignetheit weisen keine Besonderheiten auf. Die Erforderlichkeitsprüfung findet modifiziert in Form der Subsidiaritätsprüfung zwischen den einzelnen Stufen statt. I.R.d. Angemessenheit wird geprüft, ob die jeweiligen Maßnahmen die an sie gestellten Anforderungen erfüllen.

legitimer Zweck

Die von dem Land Bremen geregelten Studiengebühren verfolgen den legitimen Zweck, die Studienbedingungen an Universitäten zu verbessern und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen zu fördern sowie die Studierenden zu einem effizienten Studium mit dem Ergebnis kürzerer Studienzeiten anzuhalten.

Geeignetheit

Allgemeine Studiengebühren sind ein Mittel, das zur Erreichung des Zwecks tauglich und daher geeignet ist.

Erforderlichkeit

Es dürfte kein milderes Mittel einer niedrigeren Stufe bzw. kein milderes Mittel auf gleicher Stufe geben, das in gleich effektiver Weise geeignet wäre, das angestrebte Ziel zu verfolgen.

Da die Erhebung von Studiengebühren einen Eingriff in die Berufsausübung, also auf der 1. Stufe darstellen (vgl. oben), kommt eine Maßnahme im Bereich einer niedrigeren Stufe nicht in Betracht. Auch im Übrigen sind keine milderen Mittel ersichtlich, die in gleicher Weise geeignet erscheinen, den legitimen Zweck zu verfolgen.

Angemessenheit i.e.S.

Das zu erreichende Ziel und die hierfür in Kauf genommene Belastung des Bürgers dürfen nicht außer Verhältnis stehen. Da die allgemeinen Studiengebühren einen Eingriff auf Ebene der Berufsausübung darstellen (1. Stufe), fällt eine Abwägung bereits zu Gunsten des zu erreichenden Ziels aus, sofern es sich hierbei um vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls handelt, da in einem solchen Fall lediglich in den Randbereich des Art. 12 GG eingegriffen wird.

Der Erhebung von Studiengebühren als solche liegt das legitime Gemeinwohlanliegen zugrunde, die Leistungsfähigkeit und Effizienz der Lehre an den Hochschulen des Landes zu sichern und durch kürzere Studienzeiten die Kosten für die Allgemeinheit zu begrenzen. Die Höhe der Studiengebühren von 500,- € pro Semester stellt hierzu keine unzumutbare, außer Verhältnis stehende Beeinträchtigung dar, zumal durch Ausnahmetatbestände und Härtefallklauseln im Einzelfall unverhältnismäßige Belastungen verhindert werden.15

e) Zwischenergebnis

Eine Verletzung des Art. 12 I GG in seiner Funktion als Abwehrgrundrecht liegt nicht vor.

3. Verstoß gegen Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I, 20 I, 28 I S. 1 GG

Die §§ 2 I, 3 I, 6 S. 1 BremStKG könnten jedoch gegen das aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I, 20 I, 28 I S. 1 GG abgeleitete Teilhaberecht an staatlichen Leistungen verstoßen. Schafft der Staat mit öffentlichen Mitteln Studienangebote, so muss er einen gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu ihnen gewährleisten.16

hemmer-Methode: Es handelt sich hierbei letztlich um eine Prüfung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 I GG, bei der die Bedeutung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG in besonderem Maße zu berücksichtigen ist. Deshalb sollten Sie sich in der Klausur an folgendem Prüfungsschema des Art. 3 I GG orientieren:

Prüfungsschema zu Art. 3 I GG17

I. Ausscheiden besonderer Gleichheitssätze, somit Anwendbarkeit von > Art. 3 I GG

II. Darstellung der ungleich behandelten Vergleichsgruppe unter > begründeter Nennung der Obergruppe

**III. Vorliegen eines ausreichenden Differenzierungsgrundes**
  • Vorliegen eines Differenzierungsgrundes
  • „Neue Formel" des BVerfG: Bei personenbezogenen Differenzierungen keine bloße Willkürkontrolle, sondern eine darüber hinausgehende, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Prüfung sachgerechter Rechtfertigungsgründe unter Berücksichtigung der Wechselwirkung der Grundrechte

a) Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem

Zu prüfen ist, ob durch §§ 2 I, 3 I, 6 S. 1 BremStKG wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Die zu vergleichende Obergruppe sind vorliegend alle Studenten einer Bremer Universität.

Bereits durch die generelle Erhebung von Studiengebühren wird der Zugang zu den Universitäten für finanzschwächere Studenten weitaus spürbarer beeinträchtigt, als für Studenten aus wohlhabenden Elternhäusern.

Zum anderen werden nur auswärtigen Studierenden zwischen dem dritten und dem vierzehnten Semester Gebühren auferlegt, wohingegen Studenten mit einem Wohnsitz in Bremen bis zum Ablauf des vierzehnten Semesters gebührenfrei studieren können.

Anmerkung: Unterschiedliche Regelungen in verschiedenen Bundesländern und damit verbundene Ungleichbehandlungen der Bürger sind verfassungsrechtlich nicht nur möglich, sondern sogar gewollt, da die Ermöglichung von Vielfalt ein wesentliches Element des Bundesstaatsprinzips ist. Deshalb ist der Gleichheitssatz nicht anwendbar, wenn es um eine Ungleichbehandlung durch Regelungen verschiedener Kompetenzträger geht. Vorliegend geht es aber gerade um eine Ungleichbehandlung auswärtiger und einheimischer Bürger durch denselben Landesgesetzgeber und damit denselben Kompetenzträger.

Eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem liegt damit vor.

b) Vorliegen eines Differenzierungsgrundes - Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Für beide Formen der Ungleichbehandlung müssten sachgerechte Gründe vorliegen, die -- da es um eine personenbezogene Ungleichbehandlung geht -- auch den Anforderungen der sog. „Neuen Formel" gerecht werden müssen.

aa) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung, die auf unterschiedlicher Finanzkraft der Studenten beruht

Eine Beeinträchtigung des Teilhaberechts von sozial und finanziell schlechter gestellten Studenten könnte durch den Zweck der Studiengebühren, die Studienbedingungen an den Universitäten und damit deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und Studierende zu einem effizienten und zügigen Studium anzuhalten, gerechtfertigt sein.

Dieses Ziel dürfte allerdings auch nicht außer Verhältnis stehen zu den Belastungen einkommensschwacher Studenten, wobei unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG grundsätzlich ein strenger Rechtfertigungsmaßstab gelten muss.18

Aus dem Teilhaberecht folgt jedoch nicht automatisch ein Anspruch auf Kostenfreiheit des Hochschulstudiums. Zwar verpflichtet Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG den Gesetzgeber, im Bereich des Hochschulzugangs für die Wahrung gleicher Bildungschancen zu sorgen, d.h. er muss Auswahl und Zugang nach sachgerechten, auch für die Benachteiligten zumutbaren Kriterien regeln.19 Die Verfassung gebietet aber nicht den Ausgleich jeglicher sozialen, insbesondere ökonomischen, Ungleichheit, die auch in der familiären oder sozialen Herkunft der Ausbildungswilligen ihre Ursache haben kann.20 Eine unzumutbare und damit unverhältnismäßige Benachteiligung einkommensschwacher Studenten durch Studiengebühren liegt deshalb erst dann vor, wenn diese eine unüberwindliche soziale Barriere vor dem Hochschulzugang errichten und eine soziale Durchlässigkeit nicht gewährleistet ist, die Studiengebühren also prohibitiv wirken und nicht sozial ausgestaltet sind.21

Obwohl eine Studiengebühr i.H.v. 500,- € eine spürbare Belastung für Studenten darstellen kann, ist nicht bereits von einer erdrückenden und prohibitiven Wirkung auszugehen. Darüber hinaus gewährleisten Ausnahmetatbestände und Härtefallklauseln im vorliegenden Fall den Hochschulzugang besonders benachteiligter Studenten.

bb) Zwischenergebnis

Eine Ungleichbehandlung, die aus der unterschiedlichen Finanzkraft der Studenten resultiert, ist daher gerechtfertigt.

cc) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung auswärtiger Studenten

Fraglich ist aber, ob auch die Ungleichbehandlung auswärtiger Studenten gerechtfertigt ist.

Zugehörigkeitsstatus als Rechtfertigung

Insoweit ist zweifelhaft, ob allein der Wohnsitz oder der Hauptwohnsitz und der hieraus folgende Zugehörigkeitsstatus zum Land Bremen als Rechtfertigungsgrund dienen kann.

Dies soll nach Ansicht des BVerfG aufgrund der Besonderheiten des geregelten Sachbereichs vorliegend ausscheiden. Landesrechtliche Regelungen im Bereich des Hochschulwesens haben eine spezifische, gesamtstaatliche Dimension, die besondere Rücksichtnahme der Länder untereinander verlangt. Berührt der geregelte Lebenssachverhalt das Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang über die Ländergrenzen hinaus, so sind einseitige Begünstigungen nach dem BVerfG nur unter gesteigerten Anforderungen an ihre Rechtfertigung zulässig.22 Das Hochschulwesen ist ein solches bundesweit zusammenhängendes System, da nicht alle Studiengänge überall angeboten werden und daher eine Nutzung der Ausbildungskapazitäten über die Ländergrenzen hinweg erforderlich ist.23

Anmerkung: Genau hierin liegt der Unterschied zu kommunalen Privilegierungen wie z.B. Art. 21 BayGO. Hier sind es naturgemäß überwiegend Einheimische, die die Nutzung gemeindlicher Einrichtungen begehren.

Allein der Zugehörigkeitsstatus scheidet daher als Rechtfertigungsgrund aus.

unterschiedliche Inanspruchnahme des Studienangebots

Eine unterschiedliche Inanspruchnahme der Studienleistungen, zu deren Ausgleich eine Gebührendifferenzierung dienen könnte, ist nicht ersichtlich.

Auswärtige Studierende verursachen weder höhere Kosten als Studenten mit einem Wohnsitz in Bremen, noch genießen sie größere Vorteile aus den von einer bremischen Hochschule angebotenen Leistungen.

erhöhte Mittel im Rahmen des Finanzausgleichs als Rechtfertigung

Fraglich ist, ob das Ziel des Landes Bremen, Studierende zu einer Wohnsitznahme in Bremen zu veranlassen, um so erhöhte Mittel im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zu erhalten, als Rechtfertigung für eine ungleiche Behandlung dienen kann.

Zwar trifft es zu, dass das Land Bremen im Rahmen des Finanzausgleichs mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, je mehr Einwohner das Land vorweisen kann. Deshalb mag es aus Sicht des Landes Bremen nachvollziehbar sein, dass es Studienleistungen lieber einem Studenten mit Wohnsitz in Bremen anbietet, als einem auswärtigen Studenten. Ein sachgerechter Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung läge jedoch nur dann vor, wenn dieser in einem Sachzusammenhang mit dem Ziel der Studiengebühren, also der Finanzierung der Hochschulen stünde.24 Das wäre der Fall, wenn die Einnahmen aus dem Finanzausgleich zweckgebunden wären für die Finanzierung der Hochschulen. Aus §§ 4 ff., 11 I, II FAG25 ergibt sich aber, dass alle Zuweisungen in den Haushalt des Landes Bremen fließen und in der Regel der Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs dienen. Somit fehlt es am Sachzusammenhang zwischen den Finanzausgleichsmitteln als allgemeine Einnahmen des Landeshaushalts und der Studiengebühr für Auswärtige. Weder können daher konkrete Beträge aus dem Bremer Haushalt Studierenden mit Wohnung in Bremen zugeordnet werden, noch kann ein Fehlbetrag den Studierenden ohne Wohnung in Bremen zugeordnet werden.26

dd) Zwischenergebnis

Die Regelungen, nach denen nur auswärtige Studenten ab dem dritten Semester Studiengebühren zahlen müssen, sind deshalb nicht durch sachgerechte Gründe gerechtfertigt. Sie verstoßen gegen das Teilhaberecht auf freien und gleichen Hochschulzugang aus Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I, 20 I, 28 I S. 1 GG und sind daher verfassungswidrig.

III. Endergebnis

Da der Antrag auf konkrete Normenkontrolle zulässig und begründet ist, wird das BVerfG die §§ 2 I, 3 I, 6 S. 1 BremStKG gem. §§ 82 I, 78 S. 1 BVerfGG für nichtig erklären.

D) Kommentar

(mg). Eine für das Examen durchaus interessante Entscheidung. Aufgrund der zusätzlichen Differenzierung zwischen einheimischen und auswärtigen Studenten beschränkt sich die Prüfung nicht auf die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit allgemeiner Studiengebühren. Dem Aufgabensteller steht mit der Prüfung des Teilhaberechts, das sich aus einer Zusammenschau mehrerer Grundrechte ergibt, ein zusätzliches reizvolles Problem zur Notendifferenzierung zur Verfügung.

Inhaltlich ist die Entscheidung des BVerfG überzeugend und in sich schlüssig. Das Gericht weist zu recht darauf hin, dass eine Rechtfertigung einer Studiengebühr nur für auswärtige Studenten nicht mit dem Argument erhöhter Einnahmen für einheimische Studenten i.R.d. Finanzausgleichs gelingen kann. Diesem muss nämlich der Einwand entgegengehalten werden, dass die Studienplätze für Studenten mit Wohnsitz in Bremen in diesem Fall von dritter Seite - nämlich den Geberländern des Finanzausgleichs - mitfinanziert würden. Im Ergebnis liefe das auf den Versuch hinaus, aus einer Zuwendung von außen eine Studiengebühr für auswärtige Studenten zu legitimieren. Was der bayerische Ministerpräsident von einem solchen Versuch hält, lässt sich angesichts der Tatsache, dass er den Finanzausgleich als solchen vom BVerfG gekippt sehen möchte, sicherlich erahnen.

Ob das Studieren in Bremen in Zukunft umsonst ist, hat das BVerfG nicht entschieden. Wenn es aber gebührenfrei sein soll, dann jedenfalls für alle!

E) Zur Vertiefung

  • Zu Art. 3 GG

Hemmer/Wüst, Staatsrecht I, Rn. 177 ff.

F) Wiederholungsfrage

  1. Welche Kernaussagen trifft das BVerfG in seiner Drei-Stufen-Theorie?

  1. 1 Auch Bremen hat zum Wintersemester 2010/2011 die hier in Rede stehenden Regelungen angeglichen, sodass nunmehr allen Studenten ausnahmslos ein Guthaben von vierzehn Semestern zusteht. Bremen reagierte damit auf das vorliegende, vom Verwaltungsgericht Bremen eingeleitete Vorlageverfahren zum BVerfG.

  2. Hierzu vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1272 ff. , BayVerfGH, Urteil vom 28. Mai 2009 - Vf. 4-VII-07

  3. Hemmer/Wüst, Staatsrecht II, Rn. 26 ff.

  4. Baldus, Beck´scher OK, Art. 11 GG, Rn. 2.

  5. So jedenfalls das vorlegende VG Bremen.

  6. BVerfGE 110, 177/191

  7. BVerfG, NVwZ 2010, 1022/1025

  8. Apothekenurteil des BVerfG, BVerfGE 7, 377 ff. , seitdem st. Rspr und h.M. in der Lit.

  9. Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 12 GG, Rn. 94.

  10. Vgl. Jarass/Pieroth, a.a.O., Rn. 97.

  11. BVerfGE 58, 257 ff.

  12. BVerfG, DVBl. 2004, 705 = Life & Law 2004, 696 ff.

  13. Vgl. BVerwG, NVwZ 2011, 1272 ff.

  14. Vgl. u.a. BVerfGE 7, 377 ff.

  15. So bereits BVerwGE 134, 1 ff. = NVwZ 2009, 1562 ff. sowie BVerwG, Urt. v. 15.12.2010, 6 C 10/09 = NVwZ 2011, 1272 ff.

  16. Hierzu grundlegend BVerfGE 33, 303 ff. = NJW 1972, 1561 ff.

  17. Ausführlich hierzu Hemmer/Wüst, Staatsrecht I, Rn. 177 ff.

  18. BVerfGE 33, 303 ff.

  19. So das BVerfG in der hier zu Grunde liegenden Entscheidung m.w.N.

  20. So bereits BVerwGE 134, 1 ff. = NVwZ 2009, 1562 ff.

  21. BVerwG, Urt. v. 15.12.2010, 6 C 10/09 = NVwZ 2011, 1272 ff.

  22. So das BVerfG in der hier zugrunde liegenden Entscheidung.

  23. BVerfGE 33, 303 ff.

  24. So zu recht das BVerfG in der zugrunde gelegten Entscheidung.

  25. Diese sind im Sartorius Ergänzungsband enthalten und müssten Ihnen deshalb im Examen abgedruckt werden.