Erheblichkeit der Pflichtverletzung

BGH, Urteil vom 28.05.2014, VIII ZR 94/13

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Rücktritt +++ Erheblichkeit der Pflichtverletzung +++ § 323 V S. 2 BGB +++

Sachverhalt (leicht abgewandelt): Autohändler V hat an K einen Neuwagen zum Preis von 30.000,- € verkauft. Das Fahrzeug wurde am 19.09.2013 übergeben.

Eine Woche nach der Übergabe machte K die Mangelhaftigkeit der Einparkhilfe (Fehler der akustischen Warnfunktion) geltend und suchte deshalb wiederholt das Autohaus des V auf.

Mit als „letzter Nachbesserungsversuch" überschriebenem Schreiben vom 04.12.2013 rügte K nochmals die oben genannte Mangelhaftigkeit der Einparkhilfe und setzte dem V erfolglos eine Frist zur Mängelbeseitigung bis zum 11.01.2014.

Ein daraufhin von K beauftragter Sachverständiger stellte fest, dass die Sensoren der Einparkhilfe in falscher Höhe und mit falschem Abstand zueinander eingebaut worden sind, dieser Mangel nach wie vor vorhanden ist und sich die Kosten der Mängelbeseitigung auf 1.950,- €, also auf 6,5 % des Neuwagenpreises belaufen.

Daraufhin erklärte K mit Schreiben vom 03.03.2014 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Kann K von V die Rückzahlung des Kaufpreises verklangen?

A) Sounds

1. Die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 V S. 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls.

2. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.

B) Problemaufriss

Im Mittelpunkt des Falles steht die Frage, ob der Rücktritt vom Kaufvertrag wegen objektiver Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen ist.

§ 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB verweist bei Vorliegen eines Sachmangels auf die den Rücktritt von ge­genseitigen Verträgen betreffende Vorschrift des § 323 BGB. Nach § 323 V S. 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflicht­verletzung unerheblich ist, das heißt, wenn der Mangel geringfügig ist.

Dabei ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Käufers abzustellen.1

hemmer-Methode: Die Vorschrift des § 323 V S. 2 BGB enthält eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung des § 323 I BGB, die dem Gläubiger bei einer Pflichtverletzung des Schuldners generell ein Rücktrittsrecht einräumt.

Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis liegt eine Abwägung der Interessen des Gläubigers und des Schuldners zugrunde. Während der Gesetzgeber bei einer mangelhaften Leistung grundsätzlich dem Rückabwicklungsinteresse des Gläubigers den Vorrang einräumt, soll dies ausnahmsweise bei einer unerheblichen Pflichtverletzung nicht gelten, weil das Interesse des Gläubigers an einer Rückabwicklung bei nur geringfügigen Vertragsstörungen in der Regel gering ist, wohingegen der Schuldner oft erheblich belastet wird.

Daher überwiegt in diesen Fällen ausnahmsweise das Interesse des Schuldners am Bestand des Vertrags.

Rechtslage bis 31.12.2001

Nach der bis zum 31.12.2001 geltenden Rechtslage kamen gem. § 459 I S. 2 BGB a.F. Gewährleistungsansprüche des Käufers bei einer unerheblichen Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit der Sache nicht in Betracht, sofern der Verkäufer keine Eigenschaft zugesichert hatte.

Als unerheblich im Sinne dieser Vorschrift wurde ein Mangel insbesondere dann angesehen, wenn er mit unerheblichem Aufwand und in kurzer Zeit behoben werden kann.

Hiervon ausgehend wurde in Rechtsprechung und Literatur im Allgemeinen ein Mangel ab einer Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit (§ 459 I S. 2 BGB a.F.) von drei bis vier Prozent als nicht mehr unerheblich angesehen.

Rechtslage seit dem 01.01.2002

In dem mit Wirkung zum 01.01.2002 reformierten Schuldrecht hat sich die Rechtslage etwas geändert.2

Im Gegensatz zur früheren Rechtslage dient die Erheblichkeitsschwelle in § 323 V S. 2 BGB nicht mehr dazu, dem Käufer hinsichtlich des Mangels alle Mängelrechte zu versagen. Selbst bei unerheblichen Mängeln besteht ein Nacherfüllungsanspruch, das Recht zur Minderung (vgl. § 441 I S. 2 BGB) sowie - falls der Verkäufer den Mangel zu vertreten hat - der Anspruch auf Schadensersatz.

Lediglich das Recht zum Rücktritt und der Anspruch auf Schadensersatz statt der ganzen Leistung sind gem. § 323 V S. 2 BGB bzw. § 281 I S. 3 BGB ausgeschlossen.

Der BGH hat bislang bzgl. der Mängelbeseitigungskosten ausdrücklich offen gelassen, ab welchem Prozentsatz des Kaufpreises bei einem behebbaren Mangel die Geringfügigkeitsgrenze in der Regel überschritten und deshalb nicht mehr von einer unerheblichen Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB auszugehen ist.3

Der BGH hat allerdings ausgeführt, dass jedenfalls Mängel, deren Beseitigung Aufwendungen von nur knapp einem Prozent des Kaufpreises erfordern, ohne Zweifel als unerheblich im Sinne des § 323 V S. 2 BGB einzustufen sind, sodass auf sie ein Rücktritt nicht gestützt werden kann.4

Weil die Unerheblichkeit des Mangels nach heutiger Rechtslage nicht mehr zum Totalverlust der Mängelrechte führt, sondern nur noch die „Vertragsliquidation" ausgeschlossen wird, ist in Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte umstritten, ob die zu § 459 I S. 2 BGB a.F. entwickelten Schwellenwerte nicht „nach oben korrigiert" werden müssen.

Mit dieser Frage befasst sich nun erstmals der BGH.

C) Lösung

Zu prüfen ist, ob K von V die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen kann.

I. Anspruch aus § 346 I BGB i.V.m. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 I BGB

K könnte von V gem. § 346 I BGB Zug-um-Zug (§§ 348, 320 I, 322 I BGB) gegen Rückübereignung und Rückgabe des Pkw die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, wenn er vom Kaufvertrag wirksam zurückgetreten wäre.

In Betracht kommt ein Rücktritt vom Vertrag gem. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 I BGB wegen des erfolglosen Ablaufs einer von K gesetzten angemessenen Nacherfüllungsfrist.

hemmer-Methode: Vermeiden Sie es, vom „Rücktritt wegen eines Mangels" zu sprechen, da der Käufer wegen eines Mangels allein nicht zurücktreten kann.

Die relevante Pflichtverletzung, die einen Käufer zum Rücktritt berechtigt, ist die Nichtbehebung des Mangels, sei es, weil diese unmöglich ist (§§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 BGB) oder sei es, weil der Verkäufer den Mangel nicht (erfolgreich) behebt (§§ 437 Nr. 2, 323 I BGB).

Wenn die Fristsetzung entbehrlich ist, so sind die Umstände, die hierzu geführt haben, der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die zum Rücktritt berechtigende Pflichtverletzung.

Die relevante Pflichtverletzung für den Rücktritt sind folglich kumulativ das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang und dessen Nichtbehebung durch den Verkäufer.

Voraussetzung für ein Rücktrittsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB wäre das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang und dessen Nichtbeseitigung durch den Verkäufer.

Voraussetzungen des Rücktritts nach §§ 437 Nr. 2, 323 BGB:

  • Rücktrittserklärung, § 349 BGB
  • wirksamer KV (= gegenseitiger Vertrag)
  • Sachmangel bei Gefahrübergang, § 434 BGB
  • erfolgloser Fristablauf einer gesetzten angemessenen Nachfrist bzw. Entbehrlichkeit, §§ 323 II, 326 V, 440 BGB
  • keine Unerheblichkeit der Pflichtverletzung i.S.v. § 323 V S. 2 BGB
  • kein Ausschluss nach § 323 VI BGB
  • kein Ausschluss des Rücktrittsrechts wegen Verjährung des Nacherfüllungsanspruches, §§ 438 IV, 218 I S. 1 BGB
  • Rechtsfolge: Rückabwicklung Zug-um-Zug, §§ 348, 320 I, 322 I BGB

Mit Schreiben vom 03.03.2014 hat K den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, § 349 BGB. Damit könnte sich der Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt haben (§§ 346 ff. BGB), wenn K ein Rücktrittsrecht zustehen würde.

Fraglich ist, ob die Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 2, 323 BGB vorliegen.

1. Vorliegen eines Sachmangels bei der Übergabe, § 434 I BGB

Zunächst müsste die Kaufsache einen Mangel bei Gefahrübergang aufweisen, §§ 437, 434 I, 446 BGB.

Da eine Soll-Beschaffenheit des Pkw hinsichtlich der Einparkhilfe nicht vereinbart wurde, wäre der Pkw gemäß § 434 I S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BGB nur dann frei von Sachmängeln, wenn er sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (Nr. 1) und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist, und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Nr. 2).

Wenn die Sensoren der Einparkhilfe eines Fahrzeugs in falscher Höhe und mit falschem Abstand zueinander eingebaut sind und deshalb die Einparkhilfe immer wieder akustische Warnsignale ohne erkennbares Hindernis abgibt, weist der Kaufgegenstand keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist, und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.

Damit war der Pkw gem. § 434 I S. 2 Nr. 2 BGB mangelhaft.

2. Angemessene Fristsetzung zur Nacherfüllung, §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB

Das Recht des Käufers, vom Vertrag gemäß § 437 Nr. 2 BGB zurückzutreten, setzt bei einem behebbaren Mangel nach dem in § 323 I BGB zum Ausdruck kommenden Vorrang der Nacherfüllung grundsätzlich voraus, dass der Käufer dem Verkäufer zuvor erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung (§ 439 BGB) bestimmt hat.

Dabei kann der Käufer gemäß § 439 I BGB nach seiner Wahl Nacherfüllung durch Beseitigung des Mangels oder durch Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen.

Fehlt es an einem den Anforderungen der §§ 323 I, 439 I BGB entsprechenden Nacherfüllungsverlangen des Käufers, so sind die Voraussetzungen für ein Rücktrittsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB nicht erfüllt.

hemmer-Methode: Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Fristsetzung zur Nacherfüllung entbehrlich war, §§ 323 II, 440 BGB.

Eine ordnungsgemäße Fristsetzung setzt voraus, dass

  • der Käufer dem Verkäufer eine Frist zur Nacherfüllung setzt und
  • der Käufer dem Verkäufer die Gelegenheit zur Vornahme der tatsächlich geschuldeten Nacherfüllung einräumt.

K hat dem V eine Woche nach der Übergabe den Mangel angezeigt und diesem am 04.12.2013 eine Frist zur Beseitigung der gerügten Mängel bis zum 11.01.2014 von über fünf Wochen gesetzt.

Diese Frist war angesichts des Mangelbeseitigungsaufwands auf jeden Fall angemessen. Da nach Fristablauf von einem Sachverständigen festgestellt wurde, dass der Mangel immer noch vorhanden war, hat K dem V erfolglos eine angemessene Frist gesetzt.

Die Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB liegen somit vor.

3. Kein Ausschluss wegen Unerheblichkeit, § 323 V S. 2 BGB

Gem. § 323 V S. 2 BGB wäre ein Rücktritt gleichwohl ausgeschlossen, wenn die vorliegende Schlechtleistung nur unerheblich wäre.

Allein aus der Formulierung als Ausschlusstatbestand ergibt sich die Beweisfälligkeit des Verkäufers für das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen. V trägt insoweit zwar vor, die Beeinträchtigung sei unerheblich.

hemmer-Methode: Oft wird behauptet, der Rücktritt setze voraus, dass die Pflichtverletzung erheblich ist. Dies ist falsch, da § 323 V S. 2 BGB nicht als Rücktrittsvoraussetzung formuliert ist, sondern als Einwendung, was für die Beweislast entscheidend ist. Nicht der Käufer muss die Erheblichkeit der Pflichtverletzung beweisen, sondern der Verkäufer deren Unerheblichkeit einwenden.

Die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 V S. 2 BGB ist, erfordert nach Ansicht des BGH eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls.5

a) Keine subjektive Erheblichkeit der Pflichtverletzung

Hätte V die Funktionsfähigkeit der Einparkhilfe garantiert, so wäre bei Nichtvorliegen dieser Beschaffenheit stets von einer erheblichen Pflichtverletzung auszugehen.6

Gleiches gilt bei arglistigem Verschweigen eines Mangels.

Wäre die Soll-Beschaffenheit wenigstens vertraglich vereinbart gewesen, so würde diese im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung wenigstens indizieren.7

Da im vorliegenden Fall die Soll-Beschaffenheit aber weder garantiert noch vereinbart wurde, muss die Erheblichkeit der Pflichtverletzung anhand objektiver Kriterien ermittelt werden.

b) Evtl. aber objektive Erheblichkeit der Pflichtverletzung

In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur werden zu der Frage, bis zu welchem Prozentsatz des Kaufpreises bei einem behebbaren Mangel noch von einem geringfügigen Mangel und damit von einer unerheblichen Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB ausgegangen werden kann, unterschiedliche Auffassungen vertreten.

aa) Nach e.A. gelten die zu § 459 I S. 2 BGB a.F. entwickelten Prozentsätze weiter

Nach der einen Auffassung sind in Bezug auf die Frage der Erheblichkeit die zur Vorgängerregelung in § 459 I S. 2 BGB a.F. entwickelten Grundsätze auf § 323 V S. 2 BGB zu übertragen.8

Dem entsprechend setzt diese Ansicht die Erheblichkeitsgrenze des § 323 V S. 2 BGB im Bereich zwischen drei Prozent9 und - so insbesondere die Tendenz der Instanzgerichte - fünf Prozent an.10

In der Fünf-Prozent-Grenze wird ein verlässlicher Wert gesehen, an dem sich die Praxis orientieren könne, zumal die Rechtsprechung der Instanzgerichte unterhalb dieser Schwelle, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, regelmäßig von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgehe und dem Käufer die Rückabwicklung des Kaufvertrages versage.

bb) Nach a.A. müssen die zu § 459 I S. 2 BGB a.F. entwickelten Prozentsätze angehoben werden

Die Gegenauffassung, der sich das Berufungsgericht11 angeschlossen hat, lehnt eine Übertragung der von ihr als zu streng erachteten Grundsätze zu § 459 I S. 2 BGB a.F., der aufgrund enger Auslegung praktisch funktionslos gewesen sei, ab und spricht sich dafür aus, die Schwelle der Erheblichkeit bei § 323 V S. 2 BGB gegenüber der Vorgängerregelung in § 459 I S. 2 BGB a.F. deutlich zu erhöhen.12

Diese Erhöhung sei schon aus Gründen der Systematik geboten. Im Gegensatz zur früheren Rechtslage führt die Unerheblichkeit des Mangels nach heutiger Rechtslage nicht mehr zum Totalverlust der Mängelrechte, sondern nur noch zum Ausschluss des Rücktrittsrechts und des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung. Die Schwelle zur „Vertragsliquidation" müsse daher zwangsläufig höher liegen als die Schwelle des § 459 I S. 2 BGB a.F.

Zu der Frage, ab welchem Prozentsatz des Kaufpreises in der Regel nicht mehr von einer unerheblichen Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB auszugehen ist, werden innerhalb der vorgenannten Auffassung unterschiedliche Ansätze vertreten.

So wird die Erheblichkeitsschwelle teilweise bei fünf bis zehn Prozent, bei acht bis zehn Prozent, bei zehn Prozent, bei 15 Prozent oder sogar bei 20 bis 50 Prozent des Kaufpreises angesetzt.

cc) Ansicht des BGH: Erheblichkeitsschwelle liegt bei 5%

Der BGH entscheidet die umstrittene Frage nunmehr dahin, dass bei einem behebbaren Mangel im Rahmen der nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden Interessenabwägung von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB in der Regel dann nicht mehr auszugehen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand mehr als fünf Prozent des Kaufpreises beträgt.

Eine generelle Erhöhung der Erheblichkeitsschwelle über den vorstehend genannten Prozentsatz hinaus ist mit dem durch den Gesetzeswortlaut und durch die Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, dem Sinn und Zweck des § 323 V S. 2 BGB sowie der Systematik der Rechte des Käufers bei Sachmängeln, nicht zu vereinbaren.

(1) Gesetzesbegründung spricht für Beibehaltung der bisherigen Grundsätze

Einzelheiten dazu, wann von einer unerheblichen Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB auszugehen ist, lassen sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Jedoch spricht bereits die Verwendung des in § 459 I S. 2 BGB a.F. ebenfalls enthaltenen Begriffs der Unerheblichkeit dafür, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 323 V S. 2 BGB an diesen Maßstab anknüpfen wollte. Dies wird - wie die Befürworter einer eher niedrig bemessenen Erheblichkeitsschwelle hervorheben und von der Gegenauffassung grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen wird - durch die Gesetzesbegründung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes bestätigt.

Dort wird bzgl. § 323 V S. 2 BGB ausdrücklich auf die Vorgängernorm Bezug genommen.

Dies zeigt, dass der Gesetzgeber in § 323 V S. 2 BGB zwar aufgrund der Neugestaltung des Systems der Rechte des Käufers bei Sachmängeln den Anwendungsbereich des bis dahin in § 459 I S. 2 BGB a.F. enthaltenen Erheblichkeitserfordernisses sachlich auf das Rücktrittsrecht einengen wollte. Anhaltspunkte dafür, dass hiermit zugleich eine Erhöhung der Schwelle einhergehen sollte, ab der von der Erheblichkeit eines Sachmangels auszugehen ist, sind den Gesetzesmaterialien jedoch nicht zu entnehmen.

Anmerkung: Die Begründung des BGH ist an dieser Stelle sehr ausführlich. Für die Life & Law wurde die Begründung gekürzt, da man dies von Ihnen im Examen nicht verlangen kann.

(2) Sinn und Zweck bzw. Systematik der Mängelrechte

Diese Beurteilung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 323 V S. 2 BGB sowie der Systematik der Rechte des Käufers bei Sachmängeln.

Mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ist zwar durch die vorbezeichnete Einengung des Anwendungsbereichs des Erheblichkeitserfordernisses auf das Rücktrittsrecht die Rechtsposition des Käufers insoweit verbessert worden, als er nun auch bei einem unerheblichen Sachmangel die Nacherfüllung verlangen und bei Erfolglosigkeit dieses Verlangens den Kaufpreis mindern oder kleinen Schadensersatz beanspruchen kann.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Rücktritt den Verkäufer im Regelfall stärker berührt als die vorbezeichneten Rechtsbehelfe des Käufers und dass die Rechtsfolge einer Vertragsverletzung - und damit auch der Rücktritt - stets verhältnismäßig sein muss.

Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V S. 2 BGB gegenüber der vorherigen Rechtslage in einem Maße zu erhöhen, wie teilweise vertreten wird.

Denn Sinn und Zweck des § 323 V S. 2 BGB ist es, zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit namentlich bei geringfügigen Mängeln die für den Verkäufer in der Regel mit erheblichen Nachteilen verbundene Rechtsfolge der Rückabwicklung des Vertrages auszuschließen.

Von einem geringfügigen Mangel, der zwar den Rücktritt, nicht aber die übrigen Gewährleistungsrechte ausschließt, kann in der Regel noch gesprochen werden, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand einen Rahmen von fünf Prozent des Kaufpreises nicht übersteigt. Durch die vorbezeichnete nicht starre („in der Regel"), sondern - entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - flexible, in eine Interessenabwägung und eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls eingebettete Erheblichkeitsschwelle von fünf Prozent des Kaufpreises werden die Interessen der Kaufvertragsparteien zu einem sachgerechten Ausgleich gebracht.

Bei behebbaren Sachmängeln unterhalb der genannten Schwelle wird es dem Käufer in der Regel zuzumuten sein, am Vertrag festzuhalten und sich - nach erfolglosem Nachbesserungsverlangen - mit einer Minderung des Kaufpreises oder mit der Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes zu begnügen. Den Verkäufer wiederum vermag diese Lösung in ausreichendem Maße vor den für ihn wirtschaftlich meist nachteiligen Folgen eines Rücktritts des Käufers wegen geringfügiger Mängel zu schützen, zumal der Rücktritt - anders als dies nach altem Recht bei der Wandelung der Fall war - zusätzlich an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der Käufer vom Verkäufer wegen des Sachmangels zuvor erfolglos die Nacherfüllung verlangt hat.

(3) Verbrauchsgüterkaufrichtlinie

Die Erheblichkeitsschwelle von (nur) fünf Prozent des Kaufpreises steht auch im Einklang mit den Vorgaben der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.

Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sieht für den Fall einer Vertragswidrigkeit unter anderem das Recht des Verbrauchers auf Vertragsauflösung insbesondere für den Fall vor, dass der Verkäufer nicht innerhalb einer angemessenen Frist Abhilfe geschaffen hat. Gemäß Art. 3 VI der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie hat der Verbraucher jedoch bei einer geringfügigen Vertragswidrigkeit keinen Anspruch auf Vertragsauflösung.

§ 323 V S. 2 BGB, der durch Art. 3 VI der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie umgesetzt worden ist, ist demnach richtlinienkonform auszulegen.

Unter welchen Voraussetzungen eine Vertragswidrigkeit - wie hier die Lieferung eines mangelhaften Kraftfahrzeugs - geringfügig im Sinne des Art. 3 VI der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist, geht im einzelnen weder aus der Richtlinie selbst noch aus deren Materialien hervor. Jedoch spricht bereits die Verwendung des Wortes „geringfügig" in Art. 3 VI der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie für eine niedrig anzusetzende Schwelle.

Anmerkung: Auch hier sind die epischen Begründungen des BGH auf das Wesentliche zusammengefasst.

(4) 10 %-Grenze zum Kraftstoffmehrverbrauch oder zur Wohnflächenabweichung kann nicht übertragen werden

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ergibt sich weder aus der Rechtsprechung des Senats zum Kraftstoffmehrverbrauch beim Kauf eines Neufahrzeugs noch zur Wohnflächenabweichung bei einer gemieteten Wohnung, dass die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V S. 2 BGB bei zehn Prozent liegen müsste.

Nach der Rechtsprechung des BGH stellt es zwar nur eine unerhebliche Minderung des Fahrzeugwerts im Sinne des § 459 I S. 2 BGB a.F. und dementsprechend auch eine unerhebliche Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB dar, wenn der Kraftstoffverbrauch eines verkauften Neufahrzeugs um weniger als zehn Prozent von den Herstellerangaben abweicht.13

Entscheidend ist dabei indes, dass ein Kraftstoffmehrverbrauch in dieser Größenordnung nur zu einer geringen Minderung des Fahrzeugwertes führt und deshalb nur als unerhebliche Pflichtverletzung im Sinne von § 323 V S. 2 BGB anzusehen ist. Die für den Kraftstoffverbrauch angesetzte Prozentgrenze lässt sich deshalb nicht auf die Erheblichkeitsschwelle des § 323 V S. 2 BGB übertragen.

Nichts anderes gilt für die vom Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des BGH zur Wohnflächenabweichung.14

Diese Rechtsprechung betrifft eine spezielle Fallgestaltung im Mietrecht, die ebenfalls nicht auf die Auslegung des § 323 V S. 2 BGB übertragen werden kann.

Anmerkung: Lesen Sie zur Bewertung dieser Begründung auch den Kommentar zu dieser Entscheidung.

IV. Endergebnis

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der von K erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag nicht gemäß § 323 V S. 2 BGB ausgeschlossen ist. Der Mängelbeseitigungsaufwand hinsichtlich des falschen Einbaus und der Fehlfunktion der Einparkhilfe überschreitet mit 6,5 Prozent des Kaufpreises die oben genannte Schwelle von fünf Prozent.

Besondere Umstände, die Anlass gäben, die in dem vorstehend genannten Mangel liegende Pflichtverletzung entgegen der Regel ausnahmsweise gleichwohl als unerheblich anzusehen, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Der Umstand, dass die Einparkhilfe infolge des falschen Einbaus immer wieder akustische Warnsignale ohne erkennbares Hindernis abgibt, ist auch für die Fahrsicherheit von Bedeutung.15

Der Rücktritt war demnach wirksam, sodass K von V Zug-um-Zug (§§ 348, 320 I, 322 I BGB) gegen Rückübereignung und Rückgabe des Pkw die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen kann.

D) Kommentar

(mty). Die nicht nur für das Examen relevante Entscheidung des BGH wurde im Original noch viel ausführlicher mit Zitaten aus den Gesetzesmaterialien begründet.

Für die Life & Law wurde die ohnehin schon lange Besprechung daher abgekürzt.

Offen geblieben ist die Frage, ob bei einem unbehebbaren Mangel das gleiche gilt. Bei behebbaren Mängeln kann der Käufer ja notfalls auf Nacherfüllung klagen und hat so die Möglichkeit, den vertragsgemäßen Zustand herzustellen.

Unseres Erachtens wäre es daher vertretbar, bei unbehebbaren Mängeln die Schwelle noch niedriger anzusetzen, weil dort die Nacherfüllung gerade ausgeschlossen ist (§ 275 I BGB) und der Käufer daher schutzwürdiger ist.

Wenig überzeugend und sehr kurz sind die Ausführungen des BGH zur Unübertragbarkeit der Zehn-Prozent-Grenze zum Kraftstoffmehrverbrauch oder zur Wohnflächenabweichung.

Die Ausführungen sind im Ergebnis richtig, gehen aber am Kern des Problems vorbei. In der vorliegenden Entscheidung hat sich der BGH mit der Frage befasst, um wie viel Prozent vom Kaufpreis der Mangelbeseitigungsaufwand betragen muss, damit keine Unerheblichkeit im Sinne des § 323 V S. 2 BGB vorliegt.

In den beiden Urteilen zum Kraftstoffmehrverbrauch oder zur Wohnflächenabweichung ging es um die Frage, um wie viel Prozent die tatsächliche Ist-Beschaffenheit von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit abweicht. In diesen Urteilen ging es zwar ebenfalls um die Frage der Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Allerdings war der Bezugspunkt für die Errechnung des Prozentsatzes ein vollkommen anderer.

Auf gut Deutsch hat das Berufungsgericht hier Äpfel mit Birnen verglichen. Dies hätte der BGH deutlicher zum Ausdruck bringen müssen.

Es ist also davon auszugehen, dass diese Zehn-Prozent-Grenze künftig weiterhin Bestand hat.

Lernteil:

1. Betragen die Mängelbeseitigungskosten wenigstens 5 % des Kaufpreises, so ist in der Regel von der Erheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB auszugehen.

2. Weicht die Ist-Beschaffenheit von der vertraglich vereinbarten Soll-Beschaffenheit um wenigstens 10 % ab, so ist in der Regel von der Erheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 V S. 2 BGB auszugehen.

Diese Regel greift aber nur dann ein, wenn sich die Abweichung der Ist- von der Soll-Beschaffenheit mathematisch berechnen lässt.

Anmerkung: Der BGH zieht in dem Urteil auch noch einen Vergleich mit dem UN-Kaufrechts-übereinkommen (CSIG).

Gemäß Art. 49 Ia CISG kann der Käufer die Aufhebung des Vertrags erklären, wenn die Nichterfüllung einer dem Verkäufer nach dem Vertrag oder dem CISG obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt.

Nach der in Art. 25 CISG enthaltenen Definition ist eine von einer Partei begangene Vertragsverletzung wesentlich, wenn sie für die andere Partei einen solchen Nachteil zur Folge hat, dass ihr im Wesentlichen entgeht, was sie nach dem Vertrag hätte erwarten dürfen, es sei denn, die vertragsbrüchige Partei hat diese Folge nicht vorausgesehen und eine vernünftige Person der gleichen Art hätte diese Folge unter den gleichen Umständen auch nicht vorausgesehen.

Das CISG verfolgt damit die Tendenz, die Vertragsaufhebung zugunsten der anderen in Betracht kommenden Rechtsbehelfe, insbesondere der Minderung oder des Schadensersatzes, zurückzudrängen; die Rückabwicklung soll dem Käufer nur als letzte Möglichkeit (ultima ratio) zur Verfügung stehen, um auf eine Vertragsverletzung der anderen Partei zu reagieren, die so gewichtig ist, dass sie sein Erfüllungsinteresse im Wesentlichen entfallen lässt.16

Aus diesem das UN-Kaufrechtsübereinkommen kennzeichnenden Grundsatz des Vorrangs der Vertragserhaltung folgt zugleich, dass der Vertrag im Zweifel auch bei Störungen Bestand haben und die Vertragsaufhebung die Ausnahme bilden soll. Dahinter steht die Überlegung, dass die Rückabwicklung gerade eines internationalen Handelskaufs in der Regel unwirtschaftlich ist.

Diese Maßstäbe lassen sich nicht auf § 323 V S. 2 BGB übertragen. Eine solche Übertragung war, wie sowohl der unterschiedliche Wortlaut der Art. 49 Ia, 25 CISG sowie des Art. 3 VI der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie und des § 323 V S. 2 BGB zeigen, auch weder vom Gesetzgeber der Schuldrechtsreform noch vom Richtliniengeber der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie beabsichtigt.

E) Zur Vertiefung

  • Rücktritt nach §§ 437 Nr. 2, 323 BGB

Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT 1, Rn. 205 ff.

F) Wiederholungsfragen

  1. Ab wann ist eine Pflichtverletzung im Mängelrecht objektiv erheblich?
  2. Kann auch eine objektiv geringfügige Pflichtverletzung den Rücktritt rechtfertigen?

  1. BGH, Life & Law 12/2011, 853 ff. = NJW 2011, 3708 ff. BGH, NJW 2013, 1365 ff.

  2. Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.2001 (BGBl. I S. 3138).

  3. BGH, NJW 2005, 3490 ff.

  4. BGH, Life & Law 11/2011, 786 ff. = NJW 2011, 2878 ff.

  5. BGH, NJW-RR 2010, 1289 ff. BGH, NJW 2013, 1365 ff.

  6. Hemmer/Wüst, Schuldrecht BT 1, Rn. 227c.

  7. BGH, NJW-RR 2010, 1289 ff. BGH, NJW 2013, 1365 ff.

  8. OLG Köln, OLGR Köln 2008, 584 f. Prütting/Wegen/Weinreich, 9. Auflage, § 437 BGB, Rn. 21; Erman, 13. Auflage, § 437 BGB, Rn. 6; Ball, ZGS 2002, 49, 51; Haas, BB 2001, 1313, 1316; Gröschler, NJW 2005, 1601, 1604; Höpfner, NJW 2011, 3693, 3694.

  9. MüKo, 6. Auflage, § 437 BGB, Rn. 12; Erman, § 437 BGB, Rn. 6; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2004, 1060, 1061.

  10. OLG Köln, NJW 2007, 1694, 1696; Palandt, 73. Auflage, § 437 BGB, Rn. 23; LG Kiel, MDR 2005, 384

  11. OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2013, Az: 4 U 149/12.

  12. OLG Bamberg, OLGR 2006, 502, 504 OLG Brandenburg, NJW-RR 2007, 928, 929 OLG Düsseldorf, ZGS 2007, 157, 160 LG Ravensburg, NJW 2007, 2127, 2128 MüKo, 6. Auflage, § 323 BGB, Rn. 243a und 243e; Soergel, 13. Auflage, § 323 BGB, Rn. 213 f.; Bamberger/Roth/Grothe, 3. Aufl., § 323 BGB, Rn. 39; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Auflage, Rn. 1043; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Auflage, Rn. 488; Lorenz, NJW 2006, 1925, 1926; Staudinger, § 323 BGB, Rn. C 25.

  13. BGH, NJW 2007, 2111

  14. BGH, NJW 2011, 220

  15. BGH, NJW 2011, 1664

  16. BGHZ 132, 290, 298