Eintritt der Rechtshängigkeit

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Zivilrecht

von Life and Law am 01.12.2014

+++ Anhängigkeit +++ Rechtshängigkeit +++ Zustellung demnächst +++ § 167 ZPO +++

Sachverhalt: K hat gegen B eine Forderung auf Zahlung von 10.000,- €, die am 31.12. verjährt. Er lässt daher am 22.12. durch seinen Rechtsanwalt R eine Klageschrift (ordnungsgemäß mit Gerichtsmarken versehen) beim zuständigen Landgericht einreichen. Diese geht dort im Jahresendtrubel verloren und taucht erst im Februar des Folgejahres wieder auf. Daraufhin wird die Post unverzüglich mit der Zustellung beauftragt, die am 13.02. ordnungsgemäß erfolgt.

Bearbeitervermerk: Ist die Forderung des K verjährt?

A) Sound

Da sich die Erhebung der Klage in zwei Akten vollzieht -- Einreichung der Klageschrift und Zustellung --, kann der Kläger unverschuldet Probleme bezüglich der Verjährung seiner Forderung bekommen.

Zwar kann von ihm die Einreichung der Klageschrift terminlich gesteuert werden, auf den Zeitpunkt der Zustellung hat er aber keinerlei Einfluss mehr.

Diese Konstellation wurde vom Gesetzgeber gesehen und § 167 ZPO deshalb zur Abhilfe geschaffen.

B) Gliederung

1. Hemmung der Verjährung durch Einreichung der Klageschrift

  • Hemmung der Verjährung richtet sich hier nach § 204 I Nr. 1 BGB
  • Vorschrift stellt auf Rechtshängigkeit, nicht Anhängigkeit ab allein durch Einreichung der Klageschrift keine Hemmung 2. Hemmung der Verjährung durch Zustellung der Klage
  • mit Zustellung Klage wirksam erhoben, § 253 I ZPO
  • Zustellung zwar erst am 13.02., aber Rückwirkung auf Einreichung der Klage bei Zustellung demnächst, § 167 ZPO
  • (P): demnächst (+) bei nur geringfügiger Verzögerung oder fehlendem Verschulden des Klägers

C) Lösung

1. Hemmung der Verjährung durch Einreichung der Klageschrift

Durch die Einreichung der Klageschrift bei Gericht am 22.12. könnte die Hemmung der Verjährung gem. § 204 I Nr. 1 BGB eingetreten sein.

Nach dem Wortlaut knüpft diese Vorschrift an den Zeitpunkt der Erhebung der Klage an.

a) Anhängigkeit

Allein mit Einreichung der Klageschrift ist gem. § 253 I ZPO eine Klage noch nicht erhoben.

Es kommt vielmehr nur zur sog. Anhängigkeit des Streitgegenstandes.

Diese bewirkt vorerst lediglich, dass sich das Gericht mit der Klageschrift befasst, also ihre Zustellung veranlasst.

b) Rechtshängigkeit

Erst mit wirksamer Zustellung tritt die sog. Rechtshängigkeit ein, § 261 I ZPO.

An diese knüpfen sich zahlreiche materiell-rechtliche und prozessrechtliche Wirkungen, vgl. §§ 261, 262 ZPO.

hemmer-Methode: Notieren Sie sich - soweit dies die Prüfungsordnung ihres Bundeslandes zulässt - § 167 ZPO unbedingt an folgende Normen des BGB: §§ 204 I Nr. 1, 286 I S. 2, 291, 292, 818 IV, 864 I, 987, 989, 994 II, 996, 2023.

Auch § 204 I Nr. 1 BGB, der ausdrücklich von Erhebung der Klage spricht, stellt auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit ab.

Allein durch die Einreichung der Klageschrift am 22.12. wurde die Verjährung damit nicht gehemmt.

2. Hemmung der Verjährung durch Zustellung der Klage

Mit der Zustellung wurde die Klage wirksam erhoben, § 253 I ZPO. Jedoch erfolgte die Zustellung erst am 13.02. Zu diesem Zeitpunkt war die Forderung des K eigentlich schon verjährt.

a) § 167 ZPO

Da der Kläger den Zeitraum zwischen Einreichung der Klageschrift und deren Zustellung nicht beeinflussen kann, darf es auch nicht sein, dass hier auftretende Verzögerungen zu seinen Lasten gehen.

hemmer-Methode: Ein Kläger könnte sonst nie die Verjährungsfristen voll ausschöpfen. Er müsste unter Einkalkulierung möglicher Fehler bei Gericht und Post immer so zeitig wie nur irgend möglich Klage einreichen.

Daher existiert die Regelung des § 167 ZPO. Diese Vorschrift fingiert die Zustellung als an dem Tag vorgenommen, in dessen Verlauf ein Antrag bei Gericht einging.

So tritt nach § 167 Var. 3 ZPO die Hemmung der Verjährung gem. § 204 I Nr. 1 BGB bereits mit Anhängigkeit ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

Kommt § 167 ZPO zur Anwendung, hätte K durch die Einreichung der Klage am 22.12. die Verjährung erfolgreich gehemmt.

b) „demnächst"

Fraglich ist aber, wie der unbestimmte Rechtsbegriff demnächst zu verstehen ist.

Eine Zustellung liegt dann vor, wenn sie i.R.d. Gewöhnlichen stattfindet. Das sind grundsätzlich ca. zwei Wochen. Erst wenn es Verzögerungen gibt, ist danach zu fragen, aus wessen Sphäre der Grund für die Verzögerung stammt.

aa) Geringfügige Verzögerung

Ganz geringfügige Verzögerungen (ca. vierzehn Tage1) sind in jedem Fall unschädlich, selbst wenn sie auf Nachlässigkeit des Klägers beruhen, z.B. falsche Angabe der Adresse des Beklagten oder verspätete Zahlung der Gerichtsgebühren.

hemmer-Methode: Eine Verzögerung liegt dann vor, wenn die Zustellung länger dauert, als gewöhnlich. Zeiten der Verzögerung, die aus der Sphäre des Gerichts stammen, sind dem Kläger nicht anzulasten.

Vorliegend beträgt der Verzögerungszeitraum im Verhältnis zu einer normalen Zustellung aber weitaus mehr als nur zwei Wochen.

bb) Unverschuldete Verzögerung

Eine Zustellung erst nach mehreren Monaten kann aber dennoch demnächst sein, wenn den Kläger kein Verschulden trifft. Die Verzögerung lag hier allein im Einflussbereich des Gerichts, K trug in keiner Weise dazu bei.

Deswegen erfolgte die Zustellung noch demnächst.

hemmer-Methode: Aber Achtung: Auch in einem solchen Fall kann der Kläger gehalten sein, sich nach den Gründen der Verzögerung bei Gericht zu erkundigen. Er muss dies zwar generell von sich aus nicht tun. Wenn aber z.B. der Gerichtskostenvorschuss nicht angefordert wird, muss dies den Kläger stutzig machen, sodass man nach einer -- abhängig vom Einzelfall zu bestimmenden -- angemessenen Zeitspanne verlangen kann, dass sich der Kläger erkundigt, BGH, Life & Law 2006, 753 ff.

Da die Zustellung demnächst erfolgte, trat hier die Hemmung der Verjährung gem. § 204 I Nr. 1 BGB mit dem 22.12. ein.

Die Forderung des K ist noch nicht verjährt.

IV. Zusammenfassung

  • Mit Einreichung der Klageschrift tritt Anhängigkeit ein, mit Zustellung Rechtshängigkeit, §§ 253 I, 261 ZPO.
  • Die materiell-rechtlichen Wirkungen eines Prozessrechtsverhältnisses treten erst mit Rechtshängigkeit ein.
  • Erfolgt die Zustellung demnächst, § 167 ZPO, so wird deren Wirkung auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit vorverlegt.
  • Eine Zustellung ist noch demnächst erfolgt, wenn sie nur geringfügig verzögert wurde (ca. vierzehn Tage) oder den Kläger an einer längeren Verzögerung kein Verschulden trifft.

V. Zur Vertiefung

  • Hemmer/Wüst, ZPO I, Rn. 106 ff.
  • Rechtsprechung zu § 167 ZPO: BGH Life&Law 2006, 753 ff.; Life&Law 2011, 395 ff.

  1. BGH, NJW-RR 2006, 789