Die neue Widerrufssystematik beim Fernabsatzvertrag

Musterfall zum neuen Verbraucherschutzrecht

von Life and Law am 01.11.2014

+++ Fernabsatzverträge +++ Widerrufssystematik +++ Formale Anforderungen an die Ausübung +++ §§ 312, 312c, 312g, 355 ff. BGB +++

Sachverhalt: A ist Rechtsanwalt. Für seine Tochter möchte A eine Kinderspielecke erwerben. Zusätzlich denkt A dabei daran, diese Spielecke im Einzelfall auch in seine Kanzlei zu stellen, um die Kinder von Mandanten bei Besprechungen belustigen zu können. Da seine Mandanten überwiegend ledig und kinderlos sind, kommt dies aber nur sehr selten vor.

A entdeckt in der Fußgängerzone im Spielwarenladen des U ein „Megaknallerangebot". Eine komplette Spielecke wird hier zum Preis von 41,- € angeboten. A informiert sich bei U über das Angebot. Vor einem Kauf schreckt er allerdings zurück, weil er keine Transportmöglichkeit hat. U weist A daher darauf hin, dass man auch einen Online-Shop habe. Bei Bestellungen dort werde die Spielecke sogar für 39,- € angeboten und geliefert.

A ist begeistert. Um den Vorgang zu beschleunigen, bestellt er noch im Beisein des U über sein I-Phone im Onlineshop die Spielecke. Da er es kaum erwarten kann, seine Tochter zu überraschen, wählt er die Expressbestellung, welche 20,- € teurer ist als eine Normalbestellung (25,- € zu 5,- €).

Als die Ware drei Wochen nach Vertragsschluss immer noch nicht eingetroffen ist, ruft er bei U an. Dieser bemerkt das Versehen, bittet um Entschuldigung und schickt die Ware sofort an A heraus. Als diese dann bei A ankommt, muss dieser feststellen, dass seine Tochter das „Malstadium" verlassen hat, und mittlerweile phantasielose Spiele am Gameboy bevorzugt.

A ruft daher bei U an und widerruft den geschlossenen Vertrag.

Er verlangt den gezahlten Kaufpreis zurück. Zusätzlich begehrt er die Erstattung der 25,- €. U meint, A habe überhaupt kein Widerrufsrecht, schließlich habe der den Vertrag in seinem Laden abgeschlossen. Außerdem sei die Erklärung zu spät erfolgt. Und überhaupt: Bevor A die Ware nicht zurücksende, sehe er nicht ein, den Geldbetrag zu erstatten.

Hat A gegen U einen durchsetzbaren Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises sowie auf Ersatz der Lieferkosten? Von der Erfüllung etwaiger Informationspflichten ist auszugehen.

A) Problemaufriss

Der Gesetzgeber hat mit Wirkung zum 13.06.2014 umfassende Änderungen im Verbraucherschutzrecht vorgenommen.1

Dabei wurden insbesondere die verbraucherschützenden Widerrufsrechte völlig neu systematisiert. Dies betrifft die Ausübung und die Rechtsfolgen und beim Widerrufsrecht bei Fernabsatzverträgen und „Haustürgeschäften"2 auch den Tatbestand.

Bei der Ausübung des Widerrufs normiert § 355 BGB zentrale Vorgaben zu Form und Frist, welche durch §§ 356 bis 356c BGB für die unterschiedlichen Widerrufsrechte modifiziert werden. Auf der Rechtsfolgenseite ist das Rückgaberecht nach alter Rechtslage komplett entfallen. Auch erfolgt die Rückabwicklung nicht mehr über die Rücktrittsnormen (§ 357 I BGB a.F. i.V.m. §§ 346 ff. BGB), sondern durch ein eigenständiges Rückgewährrecht gem. §§ 355 III S. 1, 357 bis 357c BGB.

Im Hinblick auf die Tatbestände der Widerrufsrechte sollte man sich zunächst folgende Struktur klar machen:

Die §§ 312 ff. BGB sind unterteilt in eine Art „Verbraucherschutz AT" und „Verbraucherschutz BT". Im BT ist insbesondere das Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB geregelt, §§ 312b ff. BGB. Im AT geht es um die Anwendbarkeitsvoraussetzungen (positiv, § 312 I BGB, sowie Ausnahmeregelungen, § 312 II -- VI BGB), Informationspflichten (§ 312a I, II BGB, bei deren Verletzung eine Schadensersatzhaftung in Betracht kommt) sowie Aussagen über die Wirksamkeit verschiedener Klauseln in Verträgen, § 312a III - VI BGB. Nur wenn ein Vertrag die „Hürde des Verbraucherschutz AT nimmt", kommt man zum Widerrufsrecht des BT, wobei auch hier wiederum einzelne Ausnahmetatbestände greifen, § 312g II BGB.

Die Intention des Richtliniengebers war eine sog. Vollharmonisierung des Verbraucherschutzes auf europäischer Ebene. Die bisherige Grundüberlegung von verbraucherschützenden Richtlinien bestand darin, europaweit einen Mindeststandard an Verbraucherschutz zu erreichen. Einzelne nationale Gesetzgeber haben diese Regelungen überschießend umgesetzt, also ausgedehnteren Verbraucherschutz gewährt, was dazu führte, dass im binnenrechtlichen Rechtsverkehr keine Rechtssicherheit dahingehend bestand, ob auch in den betreffenden anderen Ländern vergleichbare Regelungen bestanden. Dies wurde als Hemmnis des Binnenmarktes erkannt, sodass in Zukunft die Möglichkeiten einer überschießenden Umsetzung von Richtlinien zwar nicht vollständig abgeschafft, aber stark durch zwingende Vorgaben eingeschränkt werden. Dieses Ziel führt dazu, dass in manchen Bereichen im Verhältnis zur alten Rechtslage auch Verschlechterungen des Verbraucherschutzes zu verzeichnen sind, worauf an den entsprechenden Stellen hingewiesen wird.

Bis der BGH in Fragen des neuen Rechts entscheiden wird, werden einige Jahre ins Land ziehen. Da die Klausurrelevanz jedoch unmittelbar einsetzt, haben wir uns entschieden, in den nächsten Ausgaben der Life & Law vereinzelt fiktive Musterfälle zu den Neuerungen zu besprechen, die Ihnen den Umgang mit der Gesetzessystematik erleichtern sollen. Unabdingbar erscheint es darüber hinaus, sich die Systematik durch intensive Lektüre des Gesetzestextes zu erschließen. In der vorliegenden Ausgabe wird ein Fall zum Fernabsatz besprochen, bei dem wir versucht haben, möglichst viele Probleme der neuen Rechtslage in den Sachverhalt einzubauen. Zudem tauchen in der Lösung gehäuft Anmerkungskästen auf. Diese dienen dem besseren Verständnis und dem Hinweis auf Probleme, die für die Falllösung unmittelbar keine Bedeutung haben.

B) Lösung

Zu prüfen ist, ob A einen durchsetzbaren Anspruch gegen U auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 39,- € sowie auf Erstattung der Versandkosten hat.

I. Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. § 355 III S. 1 BGB

A könnte gegen U einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. §§ 355 III S. 1, 357 I, 312g I BGB haben.

Dies setzt voraus, dass ein Vertrag geschlossen wurde, A ein Widerrufsrecht zusteht, dieses ordnungsgemäß ausgeübt wurde und der daraus resultierenden Rückzahlungspflicht keine Einreden des U entgegenstehen.

Anmerkung: Diese Dreiteilung („Voraussetzungen, Ausübung, Rechtsfolgen„) gab schon bislang die grobe Prüfungsabfolge vor. Folgendes Schema kann als Orientierungshilfe bei den einzelnen Prüfungsschritten benutzt werden.

Rückabwicklung nach erklärtem Widerruf bei Fernabsatz- oder AGV-Verträgen

1. Geschlossener Vertrag

2. Bestehen des Widerrufsrechts gem. § 312g I BGB

a) Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB („Verbraucherschutzrecht AT")

aa) Verbrauchervertrag, § 310 III BGB

bb) Entgeltliche Leistung, § 312 I BGB

cc) Kein Ausschlussgrund gem. §§ 312 II, IV S. 2, V S. 1, VI BGB

b) Tatbestand des Widerrufsrechts („Verbraucherschutzrecht BT")

aa) Kein Ausschluss gem. § 312g II BGB

bb) AGV-Vertrag, § 312b BGB

cc) Fernabsatzvertrag, § 312c BGB

c) Kein Erlöschen des Widerrufsrechts, § 356 IV, V BGB

3. Wirksame Erklärung des Widerrufs („Form und Frist": §§ 355 I, II, 356 BGB)

4. Kein Leistungsverweigerungsrecht, §§ 357 IV, 474 I BGB

1. Wirksamer Kaufvertrag

A und U haben in den Geschäftsräumen des U einen wirksamen Vertrag über den Kauf einer Spielecke abgeschlossen. Dabei liegt in der Online-Bestellung des A der Antrag, die Annahme erfolgt durch eine Bestätigungsmail über den Bestellvorgang.

Anmerkung: Hüten Sie sich davor, schon an dieser Stelle Ausführungen zu der Frage zu bringen, ob ein Verbrauchervertrag vorliegt. Das interessiert erst dann, wenn es um die Anwendbarkeit von Normen geht, die nach dieser Eigenschaft des Vertrags verlangen. Beliebte Fehlerquelle ist dies auch im Handelsrecht. Auch dort prüfen Sie die Frage, ob die Beteiligten Kaufleute sind, erst dann, wenn eine konkrete HGB-Norm relevant wird.

2. Bestehen eines Widerrufsrechts gem. § 312g I BGB

Fraglich ist, ob dem A auch ein Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB zustand.

Dann müsste die Vorschrift auf den vorliegenden Fall anwendbar sein. Dies setzt neben dem tatbestandlichen Eingreifen des § 312c BGB zunächst einmal voraus, dass das Verbraucherschutzrecht auf den vorliegenden Fall überhaupt Anwendung findet. Dies richtet sich nach den §§ 312, 312a BGB.

a) Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB

Gem. § 312 I BGB müsste der Vertrag zwischen A und U ein Verbrauchervertrag gem. § 310 III BGB sein, dieser müsste auf eine entgeltliche Leistung gerichtet sein und der Vertrag dürfte nicht gem. § 312 II BGB dem Anwendungsbereich des „Verbraucherschutzrecht BT" entzogen sein.

aa) Verbrauchervertrag, § 310 III BGB

Gem. § 310 III BGB müsste es sich bei dem zwischen A und U geschlossenen Vertrag um einen Verbrauchervertrag gem. § 310 III BGB handeln. Dies ist auf Seiten des A als Käufer deshalb problematisch, weil er Rechtsanwalt ist. Allerdings ist anerkannt, dass für den konkreten Vertrag objektiv zu bestimmen ist, ob A den Vertrag als Verbraucher oder als Unternehmer abgeschlossen hat.

Anmerkung: Sollte A Kaufmann sein, bestünde gem. § 344 I HGB eine Vermutung dafür, dass es sich um ein Handelsgeschäft handelt. Diese Norm ist aus europarechtlichen Gründen problematisch, weil sie der objektiven Beurteilung der Frage, ob jemand als Verbraucher oder Unternehmer agiert, zuwiderläuft.3 Da A als Freiberufler kein Kaufmann ist, kommt die Norm vorliegend nicht zur Anwendung (str.).

Auch bei objektiver Beurteilung ist vorliegend jedoch problematisch, dass A auch beabsichtigt, die Spielecke in der Kanzlei „einzusetzen".

Bislang war umstritten, wie in Fällen des sog. „dual use" zu bestimmen war, ob Verbraucherschutz Anwendung findet oder nicht. Nach h.M. musste auf den Schwerpunkt der Nutzung abgestellt werden. Diesem Ansatz entsprechend bestimmt § 13 BGB n.F., dass es darauf ankommt, ob die Sache überwiegend zu Zwecken genutzt wird, die nicht einer gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit zuzuordnen sind. Da vorliegend die Nutzung in der Kanzlei nur sporadisch, überwiegend also eine Nutzung durch die Tochter des A erfolgen soll, liegt ein Verbrauchervertrag vor.

bb) Entgeltliche Leistung

Der Vertrag ist zudem auf eine entgeltliche Leistung gerichtet, sodass § 312 I BGB verwirklicht ist.

Anmerkung: Wie bereits nach alter Rechtslage gem. § 312 BGB a.F., ist dieses Problem vor allem relevant bei Bürgschaftsverträgen. Soweit ersichtlich wird einhellig vertreten, dass die Bürgschaft nach wie vor dem Verbraucherschutz unterstellt werden kann, obwohl der Vertrag einseitig verpflichtend ist. Dies kann man mit einem „Erst-recht-Schluss" legitimieren. Problematisch ist einzig, dass in der Neufassung des § 312 I BGB von einer entgeltlichen Leistung „des Unternehmers" die Rede ist, sodass sich die Frage stellen könnte, worin diese bei einem Bürgschaftsvertrag liegen sollte. Denn der Bürgschaftsvertrag verpflichtet nur den Bürgen. Man könnte insoweit vertreten, dass die entgeltliche Leistung in der Ausschüttung des Kredits an den Hauptschuldner liegt.

cc) Kein Fall des § 312 II BGB

Der Vertrag dürfte nicht gem. § 312 II BGB von der Anwendbarkeit des Verbraucherschutz BT, also den Normen der §§ 312b ff. BGB des 2. Kapitels, ausgenommen sein.

Für die in § 312 II BGB geregelten Verträge soll nämlich nur § 312a BGB im dort genannten Umfang Anwendung finden. Der Verbraucherschutz beschränkt sich in diesen Fällen auf die Normierung von Informationspflichten gem. § 312a I BGB sowie die Beurteilung der Wirksamkeit bestimmter Klauseln in dem entsprechenden Verbrauchervertrag, § 312a III, IV BGB.

Anmerkung: Die Relevanz des Verbraucherschutzes beschränkt sich bei diesen Verträgen daher überwiegend auf eine theoretisch denkbare Schadensersatzhaftung gem. § 280 I BGB wegen Pflichtverletzung gem. § 312a I BGB. Der Tatbestand dürfte keine große Bedeutung haben. Wichtiger ist die Schadensersatzhaftung bei Verstoß gegen die Informationspflichten gem. § 312a II BGB (welcher aber eben für die in § 312 II BGB genannten Verträge sowie auch für Fernabsatz und AGV´s nicht gilt, vgl. § 312a II S. 3 BGB). Dabei ist insbesondere die Beweislastumkehr des § 312k II BGB zu beachten, sodass zugunsten des Verbrauchers nicht nur das Vertretenmüssen vermutet wird, § 280 I S. 2 BGB, sondern auch das Vorliegen der entsprechenden Pflichtverletzung.

Als Ausschlussgrund käme vorliegend allenfalls § 312 II Nr. 12 BGB in Betracht. Jedoch ist zu beachten, dass sich zwar das Entgelt auf nicht mehr als 40,- € beläuft, ausweislich des Wortlauts aber nur AGV´s von der Norm betroffen sind, sodass bei Fernabsatzverträgen auch ein Widerrufsrecht besteht, wenn der Zahlbetrag unterhalb von 40,- € liegt. Da vorliegend der Vertrag auch innerhalb und nicht außerhalb der Geschäftsräume des U geschlossen wurde, kommt von vorneherein nur ein Widerrufsrecht gem. §§ 312g I, 312c BGB in Betracht.

Anmerkung: Viele der in § 312 II BGB genannten Ausnahmefälle waren bereits nach alter Fassung Ausschlussgründe für ein Widerrufsrecht im Fernabsatz gem. § 312b BGB a.F. Allerdings gelten die Neuregelungen nun auch für AGV´s, sodass insoweit eine Verschlechterung des Verbraucherschutzes stattgefunden hat, bedingt durch die eingangs erwähnte Intention einer „Vollharmonisierung".

Bedenklich ist dies insbesondere für § 312 II Nr. 8 BGB. So nachvollziehbar der Ausschluss eines Widerrufsrechts im Fernabsatz in diesen Fällen sein mag: Soll die an der Haustür überrumpelte Oma für das „ABO-Essen auf Rädern" tatsächlich kein Widerrufsrecht haben? Antwort nach dem Gesetzestext: Sie hat keines!

Zwischenergebnis: Die Normen des 2. Kapitels, §§ 312b ff. BGB, sind anwendbar.

b) Tatbestand des § 312g I BGB

Fraglich ist, ob die weiteren Voraussetzungen für ein Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB gegeben sind. Dazu dürfte das Widerrufsrecht gem. § 312g II nicht ausgeschlossen sein. Außerdem müsste es sich entweder um einen AGV oder um einen Fernabsatzvertrag handeln.

aa) Kein Ausschluss gem. § 312g II BGB

Ein Ausschlusstatbestand gem. § 312g II BGB ist vorliegend nicht ersichtlich.

Anmerkung: Machen Sie sich noch einmal den Unterschied zwischen § 312 II BGB und § 312g II BGB klar. Während § 312g II BGB „nur" im Verbraucherschutzrecht BT das Widerrufsrecht ausschließt und der AT vollumfänglich (!) gilt, wird gem. § 312 II BGB nicht der BT-Teil komplett ausgeschlossen, sondern auch die Anwendung des AT auf § 312a I, III, IV und VI BGB beschränkt. Ist daher ein Vertrag gem. § 312g II BGB vom Widerrufsrecht ausgeschlossen, bestehen z.B. gleichwohl die Informationspflichten gem. § 312d BGB (§ 312a II BGB wird durch § 312d BGB verdrängt, vgl. § 312a II S. 3 BGB), bei deren Verletzung eine Schadensersatzhaftung in Betracht kommt, s.o.

bb) AGV (-)

Wie bereits erwähnt, liegt ein AGV i.S.d. § 312b BGB nicht vor, weil der Vertrag innerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgeschlossen wird. Selbst wenn A von zu Hause aus den Vertrag geschlossen hätte, und damit „außerhalb" der Geschäftsräume des U, würde sich nichts anderes ergeben, da § 312b I Nr. 1 BGB nach einer gleichzeitigen körperlichen Anwesenheit verlangt.

cc) Fernabsatzvertrag?

In Betracht kommt aber ein Fernabsatzvertrag gem. § 312c BGB.

Voraussetzung dafür ist zunächst, dass der Vertrag ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gebracht wurde, § 312c I, II BGB. Da A über das Internet bestellt hat, ist dies der Fall. Auch erfolgte die Bestellung im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems, § 312c I BGB a.E.

Fraglich ist allerdings, wie es sich auswirkt, dass A und U bei Vertragsschluss gleichzeitig körperlich anwesend waren. Der Verbraucher soll grundsätzlich ein Widerrufsrecht haben, weil er keine Möglichkeit hat, die Ware vor Ort zu prüfen. Gerade daran könnte es aber vorliegend fehlen, weil A die Ware ja im Laden in Augenschein nehmen konnte und auch genommen hat.

Nach alter Rechtslage war daher Tatbestandsvoraussetzung für ein Widerrufsrecht (§ 312b, d BGB a.F.), dass der Vertrag ohne gleichzeitige körperlichen Anwesenheit der Parteien zustande gebracht wurde. Dieses Kriterium findet sich in § 312c I BGB nicht mehr, sodass insoweit auch vorliegend ein Widerrufsrecht besteht.

Anmerkung: Daran ändert auch § 312c II BGB nichts, der ja nur definiert, was Fernkommunikationsmittel sind und selbst nicht zwingend vorgibt, dass der Vertrag ohne gleichzeitige Anwesenheit der Parteien zustande gebracht wird.

Unabhängig davon könnte das Widerrufsrecht aber deshalb ausgeschlossen sein, weil nicht sowohl die Verhandlungen als auch der Vertragsschluss ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zustande gebracht wurden. In Fällen, in denen der Vertrag im Geschäft des Unternehmers ausgehandelt wird und nur der formale Vertragsschluss über das Internet erfolgt, soll kein Widerrufsrecht bestehen.

Vom Begriff der „Verhandlungen" ist aber der Begriff der bloßen „Informationsbeschaffung" zu unterscheiden. Beschränkt sich der persönliche Kontakt darauf, Informationen über das Produkt im Laden einzuholen, finden aber über den konkreten Vertrag noch keine Verhandlungen statt, soll das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen sein.

Vorliegend hat A sich im Geschäft des U lediglich informiert, von Verhandlungen ist nicht die Rede.

Daher ist der Tatbestand des § 312c I BGB verwirklicht.

Anmerkung: An dieser Stelle ist Streit vorprogrammiert. Kann man die bloße Informationseinholung tatsächlich von dem Führen von Verhandlungen trennen? Wo hört das eine auf und fängt das andere an? Schon bei der Frage nach dem konkreten Preis? Die Differenzierung erscheint sinnfrei. Abgesehen davon dürfte die Problematik keine große praktische Bedeutung erlangen. Selbst wenn im Geschäft verhandelt wird und dann der Vertragsschluss später online erfolgt: Woher soll der Unternehmer dann noch wissen, ob der Besteller genau derjenige war, der zuvor im Laden persönlich beraten wurde? Man hinterlässt nach Verhandlungen ja nicht seine Kontaktdaten im Geschäft. Unternehmer könnten also ein Interesse daran haben, die Adressdaten der beratenen Kunden zu erhalten, um später abgleichen zu können, ob diese bei Online-Bestellungen ein Widerrufsrecht haben.

A steht daher ein Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB zu. Dieses ist auch nicht gem. § 356 IV, V BGB wieder erloschen, weil keiner der dort genannten Fälle einschlägig ist.

3. Wirksame Ausübung („Form und Frist")

A müsste das Widerrufsrecht auch form- und fristgerecht ausgeübt haben.

Problematisch ist, dass er seine Erklärung gegenüber U nur (fern-)mündlich abgegeben hat. Gem. § 355 I S. 2 BGB besteht aber -- anders als nach alter Rechtslage -- keine vorgeschriebene Form für die Ausübung des Widerrufs. Allein aus Beweiszwecken empfiehlt sich eine verkörperte Absendung, erforderlich ist sie aber nicht.

Anmerkung: Das erscheint vor dem Hintergrund des § 355 I S. 5 BGB etwas verwunderlich, wonach zur Fristwahrung (dazu gleich) die rechtzeitige Absendung genügt. Bei einer mündlichen Erklärung spricht man wohl kaum von „Absenden". Die Vorschrift hat daher nur bei verkörperter Übersendung eine Bedeutung.

Fraglich ist jedoch, ob die Ausübung innerhalb der Widerrufsfrist erfolgte. Gem. § 355 II S. 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist vierzehn Tage. Sie beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss, § 355 II S. 2 BGB.

Demnach wäre die Erklärung vorliegend nicht wirksam. Der Beginn gem. § 355 II S. 2 BGB besteht aber unter dem Vorbehalt, dass es nicht abweichende Regelungen gibt. Für das Widerrufsrecht gem. § 312g I BGB bestimmt § 356 II Nr. 1 BGB jedoch, dass die Frist nicht vor Erhalt der Ware beginnt, wenn es sich -- wie vorliegend -- um einen Verbrauchsgüterkauf handelt.

Da die Lieferung zunächst ausblieb, A aber unmittelbar nach Erhalt widerrufen hat, liegt eine fristgerechte Erklärung vor, sodass gem. § 355 III S. 1 BGB die unverzügliche Erstattung des Kaufpreises verlangt werden kann. Gem. § 355 III S. 2 BGB i.V.m. § 357 I BGB hat U dafür maximal vierzehn Tage Zeit. Sodann geriete er in Verzug.4

4. Durchsetzbarkeit des Anspruchs

Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist. Dies ist gem. § 357 IV BGB solange nicht der Fall, bis der Verbraucher die Ware zurückgesendet hat oder aber den Nachweis erbringt, die Ware abgesendet zu haben.

Da dies nicht stattgefunden hat, ist der Anspruch momentan nicht durchsetzbar.

II. Anspruch auf Rückzahlung der Hinsendekosten

Fraglich ist, ob A die Hinsendekosten ersetzt verlangen kann. Gem. § 357 II S. 1 BGB besteht insoweit ein Erstattungsanspruch. Allerdings ist zu beachten, dass A eine Expresslieferung gewählt hatte, sodass erhöhte Versandkosten angefallen sind. Gem. § 357 II S. 2 BGB sind diese, soweit sie die normalen Versandkosten übersteigen, also vorliegend im Umfang von 20,- €, nicht erstattungsfähig. Etwas anderes könnte sich aus § 280 I BGB ergeben, wenn man vorliegend davon ausgeht, dass die Versendung aufgrund eines Verschuldens des U nicht rechtzeitig erfolgte, die Expresslieferung daher für A keine Vorteile brachte.5

Anmerkung: Mit der Regelung des § 357 II S. 1 BGB setzt der Gesetzgeber die Rechtsprechung des EuGH und des BGH zur alten Rechtslage um. Davon zu trennen sind die Kosten der Rücksendung. Deren Erstattungsfähigkeit richtet sich nach § 357 VI BGB.

III. Endergebnis

A hat momentan zwar einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises. Dieser ist allerdings nicht durchsetzbar, solange A die Ware nicht zurückschickt bzw. den Nachweis der Absendung erbringt. Die Hinsendekosten müssen im Umfang von 5,- € gem. § 357 II BGB erstattet werden.

C) Kommentar

(cda). Der Fall soll die neue Gesetzessystematik verdeutlichen und erklären, wie sich diese auf den Prüfungsaufbau auswirkt. Bei der Nachbereitung sollte man sich die Zeit nehmen, auch die Normen zu lesen, die mit der Falllösung nicht unmittelbar in Zusammenhang stehen. Nur so erschließen sich die Neuregelungen umfassend.

Über die im Fall angesprochenen Probleme hinaus gibt es natürlich weitere Themenbereiche, die problematisch sind. Insoweit beansprucht die Darstellung nicht für sich, vollständig zu sein.

Die Darstellung wird fortgesetzt.

D) Zur Vertiefung

  • Zur Systematik der §§ 312 ff. BGB n.F. Hemmer/Wüst, Skript Verbraucherschutzrecht, Rn. 281 ff.

E) Wiederholungsfragen

1. Welche Struktur wohnt den §§ 312 ff. BGB inne?

2. Ist die Widerrufserklärung formbedürftig?


  1. Siehe dazu bereits Tyroller, Life & Law 04/2014, 296 ff. sowie 06/2014, 452 ff.

  2. Den Begriff „Haustürgeschäft" gibt es nach der Neufassung nicht mehr. Vielmehr besteht das Widerrufsrecht bei „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen". Sie sollten diese Wendung in der Klausur einmal bringen und sodann ein gängiges Kürzel wählen. Vorgeschlagen wird, von AGV-Verträgen zu sprechen (Außerhalb-Geschäftsraum-Vertrag). Das spart in der Klausur Zeit.

  3. Vgl. dazu vertiefend, Hemmer/Wüst, Verbraucherschutzrecht, Rn. 281 ff.

  4. Der Verzugseintritt würde hier ohne Mahnung erfolgen, weil es eine Bestimmung für die Leistungszeit gibt, § 286 II Nr. 1 BGB.

  5. Problematisch wäre dann nur das Vorliegen eines kausalen Schadens. Das Problem soll hier aber nicht weiter vertieft werden.