Der Nacherfüllungsanspruch des Bestellers, §§ 634 Nr. 1, 635 BGB

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Zivilrecht

von Life and Law am 01.11.2013

+++ Mängelhaftung im Werkvertragsrecht +++ Voraussetzungen +++

Sachverhalt: A beauftragt Klavierbauer B, die nicht mehr funktionierende Mechanik seines alten Konzertflügels gegen eine neue zu ersetzen. B nimmt den Auftrag an und tauscht die Mechanik aus. A, für den der Flügel eigentlich eher ein Möbelstück als ein Musikinstrument darstellt, setzt sich erst zweieinhalb Jahre nach der Reparatur wieder an das Instrument. Dabei bemerkt er, dass etliche Tasten nach wie vor nicht spielbar sind. Dies ist auf die schlampige Arbeit des B zurückzuführen. A verlangt von B, die komplette Mechanik erneut auszutauschen. B möchte dagegen -- wenn überhaupt -- lieber die bereits eingesetzte Mechanik reparieren. Er ist aber der Ansicht, dass A nach so langer Zeit keine Rechte mehr zustehen.

Frage: Kann A den erneuten Austausch der Mechanik verlangen?

A) Sounds

Das werkvertragliche Mängelgewährleistungsrecht wurde im Wege der Schuldrechtsreform - ebenso wie das kaufvertragliche - an das allgemeine Leistungsstörungsrecht angeglichen. Der Werkunternehmer ist gem. § 633 I BGB verpflichtet, dem Besteller das Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Ein mangelhaftes Werk (§ 633 II, III BGB) ist nicht erfüllungstauglich.

Der Besteller kann bei Lieferung eines mangelhaften Werkes zunächst gem. §§ 634 Nr. 1, 635 BGB Nacherfüllung verlangen. Kommt der Unternehmer dem Anspruch innerhalb einer zu setzenden angemessenen Frist nicht nach, so kann der Besteller die übrigen Rechte aus § 634 BGB unter den jeweiligen besonderen Voraussetzungen geltend machen.

Ausnahmsweise ist die Fristsetzung entbehrlich (§§ 281 II, 323 II, 636, 637 II BGB). Dann besteht kein Vorrang der Nacherfüllung. Die Abgrenzung zwischen dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht und den §§ 633 ff. BGB erfolgt wie beim Kaufvertrag i.d.R. über das Kriterium des Gefahrübergangs (§ 644 BGB).

Nach Übergang der Gefahr werden die allgemeinen Vorschriften durch die §§ 633 ff. BGB modifiziert.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Systematik der §§ 633 ff. BGB mit der der §§ 434 ff. BGB weitestgehend übereinstimmt. Wenn Sie die dortige Systematik verstanden haben, dürfte Ihnen dieses Kapitel keine besonderen Schwierigkeiten bereiten.

B) Gliederung

I. Anspruch des A auf Austausch der Mechanik aus § 631 I BGB

1. Wirksamer Werkvertrag (§ 631 BGB) (+); nach Parteiwillen Erfolg (Erneuerung der Mechanik) gegen Vergütung geschuldet.

2. Erlöschen des Anspruchs durch Erfüllung (§ 362 I BGB)?

Geschuldet ist von Sach- u. Rechtsmängeln freies Werk (§ 633 I BGB); hier evtl. Sachmangel (§ 633 II BGB), maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung ist Gefahrübergang (§ 644 BGB).

Werk wies bei Gefahrübergang (Abnahme, § 644 I S. 1 BGB) nicht die vereinbarte Beschaffenheit auf (§ 633 II S. 1 BGB), weil etliche Tasten nicht funktionierten und eine funktionsfähige Mechanik geschuldet war.

Daher: Werk nicht erfüllungstauglich; Anspruch nicht gem. § 362 I BGB erloschen.

3. Anspruch aus § 631 I BGB wird jedoch ab Gefahrübergang durch die §§ 633 ff. BGB verdrängt; Gefahr durch Abnahme des Werkes übergegangen (§ 644 I S. 1 BGB; s.o.); ursprünglicher Erfüllungsanspruch besteht nicht mehr.

II. Anspruch aus §§ 634 Nr. 1, 635 BGB

1. Wirksamer Werkvertrag (§ 631 BGB) (+); s.o.

2. Sachmangel bei Gefahrübergang
(§ 633 II BGB) (+); s.o.

3. Aber: gem. § 635 I BGB Wahlrecht des Unternehmers, ob Neuherstellung des Werkes oder Nachbesserung;

A kann somit, wenn überhaupt, nur Nacherfüllung, nicht aber konkret den erneuten Austausch der Mechanik fordern.

4. Zudem: Verjährung des Anspruchs gem. § 634a I Nr. 1, II BGB in zwei Jahren ab Abnahme; Frist verstrichen; Anspruch nicht durchsetzbar (§ 214 I BGB).

III. Ergebnis A hat keinen Anspruch auf eine konkrete Art der Nacherfüllung. Außerdem ist der Nacherfüllungsanspruch verjährt und daher nicht durchsetzbar (§ 214 I BGB).

C) Lösung

I. Anspruch des A auf Austausch der Mechanik aus § 631 I BGB

1. Der Anspruch setzt zunächst einen wirksamen Werkvertrag voraus (§ 631 BGB). A und B vereinbarten den entgeltlichen Austausch der Mechanik des Flügels des A. Nach dem Parteiwillen sollte ein in der Herstellung des Werkes bestehender Erfolg und nicht eine bloße Tätigkeit geschuldet sein.

Ein wirksamer Werkvertrag kam damit zustande. Folglich ist ein Anspruch des A auf Herstellung des versprochenen Werkes aus § 631 I BGB entstanden.

2. Der Anspruch könnte aber durch Erfüllung erloschen sein (§ 362 I BGB). Dann müsste die geschuldete Leistung bewirkt worden sein.

B schuldet gem. § 633 I BGB die Verschaffung des Werkes frei von Sach- und Rechtsmängeln. Das Werk könnte hier jedoch gem. § 633 II BGB sachmangelhaft sein.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der des Gefahrübergangs (§ 644 BGB). Die Gefahr ging hier mit der Abnahme des Werkes durch A über (§ 644 I S. 1 BGB). Zu dieser Zeit wies das Werk nicht die vereinbarte Beschaffenheit auf. Vereinbart war, die defekte Mechanik durch eine funktionsfähige zu ersetzen. Die neue Mechanik funktionierte jedoch nicht vollständig, da einige Tasten nicht spielbar waren. Das Werk war somit mangelhaft nach § 633 II S. 1 BGB. Folglich wurde nicht die geschuldete Leistung bewirkt. Der Anspruch des A aus § 631 I BGB ist nicht gem. § 362 I BGB erloschen.

Anmerkung: Wie im Kaufrecht kommt es auch im Werkvertragsrecht bei der Beurteilung der Sachmangelhaftigkeit in erster Linie auf die vereinbarte Beschaffenheit an (§ 633 II S. 1 BGB). Ist keine Beschaffenheitsvereinbarung gegeben, so ist die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung ausschlaggebend (§ 633 II S. 2 Nr. 1 BGB). Nur wenn auch keine bestimmte Verwendung vertraglich vorausgesetzt wurde, ist die Eignung für die gewöhnliche Verwendung relevant (§ 633 II S. 2 Nr. 2 BGB).

3. Allerdings wird der originäre Erfüllungsanspruch aus § 631 I BGB ab Gefahrübergang (§ 644 BGB) durch die spezielleren §§ 633 ff. BGB verdrängt. Die Gefahr ging hier durch die Abnahme des Werkes über (§ 644 I S. 1 BGB; s.o.). Der ursprüngliche Erfüllungsanspruch besteht damit nicht mehr.

II. Anspruch aus §§ 634 Nr. 1, 635 BGB

Haben die Parteien einen Werkvertrag geschlossen und ist das Werk mangelhaft, so kann der Besteller gem. §§ 634 Nr. 1, 635 BGB Nacherfüllung verlangen.

1. Zwischen A und B kam ein wirksamer Werkvertrag über den Austausch der Mechanik des Flügels des A zu Stande (§ 631 BGB, s.o.).

2. Ein Sachmangel bei Gefahrübergang liegt vor (§ 633 II S. 1 BGB, s.o.).

3. Somit kann A gem. § 635 BGB Nacherfüllung verlangen.

Es kommt nach § 635 I Alt. 1 BGB die Beseitigung des Mangels (Reparatur der eingesetzten Mechanik) oder nach § 635 I Alt. 2 BGB die Herstellung eines neuen Werkes (erneuter Austausch der Mechanik) in Betracht. Zu beachten ist, dass dem Werkunternehmer und nicht dem Besteller das Recht zusteht, zwischen den beiden Alternativen der Nacherfüllung zu wählen (§ 635 I BGB). A kann demnach nicht konkret den Austausch der Mechanik, sondern nur allgemein Nacherfüllung verlangen. Ein Anspruch auf die von A bezeichnete Art der Nacherfüllung besteht also nicht.

4. Darüber hinaus könnte der Anspruch des A aus §§ 634 Nr. 1, 635 BGB verjährt sein. Der Nacherfüllungsanspruch verjährt hier nach § 634a I Nr. 1, II BGB in zwei Jahren ab Abnahme des Werkes. Zweieinhalb Jahre sind vorliegend bereits vergangen, sodass die Frist verstrichen ist. Folglich ist der Nacherfüllungsanspruch des A nicht durchsetzbar (§ 214 I BGB).

III. Ergebnis

A hat keinen Anspruch auf eine konkrete Art der Nacherfüllung. Außerdem ist der Nacherfüllungsanspruch verjährt und daher nicht durchsetzbar (§ 214 I BGB).

D) Zusammenfassung

Sound: I.R.d. werkvertraglichen Nacherfüllung ist der Werkunternehmer berechtigt, zwischen der Neuherstellung des Werkes und Beseitigung des Mangels zu wählen (§ 635 I BGB). Beim Kaufvertrag dagegen hat der Käufer die Wahl zwischen den beiden Alternativen der Nacherfüllung (Nachbesserung und Nachlieferung, § 439 I BGB).

Grund für die Unterscheidung ist, dass der Werkunternehmer im Gegensatz zum Verkäufer das Werk selbst herstellt und daher am ehesten entscheiden kann, welche Art der Nacherfüllung die meist geeignete bzw. die kostengünstigste ist.

hemmer-Methode: Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht ergeben sich auch im Hinblick auf das Erlöschen des Wahlrechts. Die Ausübung der Wahl erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Vertragspartner (§ 263 I BGB analog). Beim Kaufvertrag endet das Wahlrecht nach der h.M. mit der Erklärung. Denn es wäre unbillig, dem Verkäufer das Risiko eines späteren Sinneswandels des Käufers aufzuerlegen. Der Werkunternehmer kann seine Wahl dagegen auch noch nach der Erklärung gegenüber dem anderen Teil ändern. Dies folgt daraus, dass der Besteller -- anders als der Verkäufer -- keine Dispositionen im Vertrauen auf die Wahl zu treffen hat. Außerdem kann es durchaus sein, dass sich erst später herausstellt, welche Alternative am kostengünstigsten ist. Schließlich muss der Werkunternehmer die Mehrkosten tragen (§ 635 II BGB). Zur Unverhältnismäßigkeit der Kosten gem. § 635 III BGB vgl. BGH, Life & Law 2008, 441 ff.

E) Zur Vertiefung

Hemmer/Wüst, SchuldR II, Rn. 509 ff.

Hemmer/Wüst, SchuldR BT I, Karteikarte 90.