Ausgleichsansprüche im Nachbarrecht

von RA Michael Tyroller

von Life and Law am 01.02.2014

Im folgenden Problembeitrag werden finanzielle Ausgleichsansprüche im Nachbarrecht untersucht. Zu differenzieren ist dabei zwischen verschuldensabhängigen Schadensersatzansprüchen und den verschuldensunabhängigen Aufopferungsansprüchen.

Gleichzeitig wird eine aktuelle Entscheidung des BGH zum Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB zur rechtswidrigen Beeinträchtigung des Sondereigentums in einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die von einer im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Wohnung ausgeht, besprochen.1

Der Anspruch aus § 906 II S. 2 BGB - und erst recht die analoge Anwendung dieser Vorschrift -- ist vielen Studenten und Referendaren völlig unbekannt. Die Vorschrift hat aber in der Praxis eine herausragende Bedeutung und wird daher in Examensklausuren regelmäßig geprüft.

A) Ansprüche auf Schadensersatz

Erleidet ein Nachbar durch schuldhaftes Verhalten eines anderen Nachbarn einen Schaden, so kommen Ansprüche auf Schadensersatz in Betracht.

I. Anspruch aus § 280 I BGB i.V.m. dem nachbarschaftlichen GemeinschaftsV

Ein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280 I BGB setzt zunächst das Vorliegen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Schuldverhältnisses voraus.

Da zwischen Nachbarn kein Vertragsverhältnis besteht, kommt nur das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis als Schuldverhältnis in Betracht. Aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis entsteht aus dem notwendigen Zusammenleben von Grundstücksnachbarn die aus § 242 BGB folgende Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme.2

Welche Rechte und Pflichten sich im Einzelnen hieraus ergeben, ist bislang nicht endgültig geklärt.

1. Mindermeinung in der Literatur

Nach teilweise vertretener Ansicht in der Literatur ist das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis eine dem Schuldverhältnis gleichende Beziehung.

Das nachbarliche Nebeneinander der Grundstückseigentümer begründet daher eine Sphäre gesteigerten sozialen Kontakts. Jedenfalls bei solchen Maßnahmen eines Grundstückseigentümers, die diese im Interesse der Nachbarn bestehenden Pflichten berühren, soll das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis eine dem Schuldverhältnis zumindest ähnliche Beziehung begründen.3

2. BGH/h.L. lehnen Schuldverhältnis ab

Der BGH hingegen lehnt mit der h.L. das Vorliegen eines Schuldverhältnisses ab. Die Rechte und Pflichten der Grundstücksnachbarn haben durch das Gesetz (z.B. §§ 906 ff. BGB) eine detaillierte Sonderregelung erfahren.

Im Verhältnis von Grundstücksnachbarn fehlt das für ein gesetzliches Schuldverhältnis typische Geflecht wechselseitiger Leistungspflichten. Zwischen ihnen gelten die besonderen Vorschriften der §§ 905 ff. BGB. Ebenso wie die nachbarrechtlichen Vorschriften der Länder konkretisieren sie im Wesentlichen die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme und haben hauptsächlich eine einschränkende und ausgleichende Bedeutung. Sie bilden aber keine selbstständige Grundlage für Rechte und Pflichten, wie es für ein gesetzliches Schuldverhältnis kennzeichnend ist.4

Zwischen Nachbarn besteht außerdem auch kein rechtsgeschäftlicher Kontakt. Ein (evtl. auch) gesteigerter sozialer (bzw. asozialer) Kontakt genügt für die Annahme eines Schuldverhältnisses aber nicht. Als Beleg hierfür kann § 311 II Nr. 3 BGB herangezogen werden, der bewusst von einem „geschäftlichen" Kontakt spricht.5

Die aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis resultierenden Rechte und Pflichten beinhalten daher eine bloße „Schranke der Rechtsausübung".

Merksatz: Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis begründet über § 906 BGB hinausgehende Duldungspflichten insbesondere hinsichtlich Immissionen, die nicht unter § 906 BGB fallen.6 Sie erzeugen aber kein selbstständiges Schuldverhältnis.7

II. Deliktischer Anspruch aus § 823 I BGB bzw. aus § 823 II BGB

In Betracht kommen aber Ansprüche aus Deliktsrecht gem. § 823 I, II BGB.

Voraussetzung hierfür ist die Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes oder sonstigen Rechts bzw. eines Schutzgesetzes.

1. In Betracht kommende Rechtsgüter

In Betracht kommt zunächst die Verletzung des Eigentumsrechts bzw. des Rechts zum Besitz, wenn der „gestörte" Nachbar lediglich Mieter ist.

Außerdem ist bei Beleidigungen an die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu denken, das in der Rechtsprechung des BGH als ein durch Art. 1 I, 2 I GG verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht und zugleich zivilrechtlich nach § 823 I BGB geschütztes „sonstiges Recht" anerkannt ist.

Anmerkung: Amüsant hierzu ist die „Frustzwerge-Entscheidung" des AG Grünstadt:8

Sog. „Frustzwerge", die verschiedene für Gartenzwerge untypische Posen und Gesten einnehmen,9 sind werkstoffgewordene Stellvertreter der menschlichen Phantasie.

Ihrer Gestik oder Körperhaltung oder ihrer konkreten Verwendungsweise oder ihrer Gestaltungsweise kann ehrverletzende oder beleidigende Wirkung zukommen.

Wenn der Grundstücksnachbar solche „Frustzwerge" in der offensichtlichen Absicht in seinem Garten aufstellt, den Nachbarfrieden (nachhaltig) zu stören, ist ihm der ehrverletzende Charakter seiner - selbstgeschaffenen - Zwerge in persona zurechenbar, denn insoweit besteht kein Unterschied zwischen einer Äußerung der Person des Nachbarn als Werkschöpfer und der Wirkung seines Werkes auf den betroffenen Nachbarn.

Der Schöpfer dieser „Frustzwerge" kann sich gegenüber dem Unterlassungsanspruch des betroffenen und beleidigten Nachbarn nicht auf die Freiheit der Kunst berufen, denn ein Kunstobjekt, das ersichtlich gezielt als Mittel der Ehrverletzung eingesetzt wird, unterliegt nicht dem Schutz des Grundgesetzes, da die absolute Grenze der in Art. 1 I GG garantierten Menschenwürde überschritten ist.

Handelt es sich beim Nachbargrundstück um einen Gewerbetrieb, so kann bei betriebsbezogenen Eingriffen (z.B. Kappen der Stromzufuhr) eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegen.

Anmerkung: Wegen der Eigenart des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sog. Rahmenrechte liegt deren Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden (sog. „offene Tatbestände"). Daher muss die Rechtswidrigkeit des Eingriffs positiv festgestellt werden.

2. In Betracht kommende Schutzgesetze

Als Schutzgesetzverletzung muss neben speziellen landesrechtlichen Nachbarschutzgesetzen10 an § 858 BGB gedacht werden.

3. Problem der deliktischen Ansprüche

Das eigentliche Problem der deliktischen Ansprüche besteht darin, dass der Geschädigte dem Schädiger ein Verschulden nachweisen muss.

An diesem Nachweis wird es nicht selten fehlen, sodass ein Anspruch auf Schadensersatz dann entfällt.

B) Verschuldensunabhängige Ausgleichsansprüche

Um eine Rechtlosstellung eines durch rechtswidrige, aber schuldlose Beeinträchtigungen geschädigten Nachbarn zu verhindern, sieht das Nachbarrecht des BGB auch verschuldensunabhängige Ausgleichsansprüche (sog. „Aufopferungsansprüche") vor.

I. Ausgleichsanspruch gem. § 906 II S. 2 BGB

Hat der Eigentümer eine wesentliche Einwirkung i.S.d. § 906 I BGB nach § 906 II S. 1 BGB zu dulden, so entfällt sein Anspruch auf Störungsbeseitigung und Unterlassung, vgl. § 1004 II BGB.

Als Kompensation hierfür kann er nach § 906 II S. 2 BGB von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen verschuldensunabhängigen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt.

Da der Ausgleichsanspruch gem. § 906 II S. 2 BGB im Grunde als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche (§ 1004 BGB) dient und ein solcher auch dem Besitzer gem. § 862 I BGB zusteht, gewährt der BGH auch dem Besitzer im Fall einer nicht abwehrbaren verbotenen Eigenmacht einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch.11

Anmerkung: § 906 BGB regelt a maiore ad minus für den Besitzer eine Duldungspflicht. Das Gesetz „gestattet" damit die Besitzstörung, sodass keine verbotene Eigenmacht vorliegt (vgl. § 858 I BGB a.E.) und damit der Störungsbeseitigungsanspruch gem. § 862 BGB entfällt.

Dies rechtfertigt die analoge Anwendung des § 906 II S. 2 BGB auf den Besitzer.

1. Einwirkung i.S.v. § 906 I BGB

Die in § 906 I BGB beispielhaft aufgezählten Immissionen werden „unwägbare Einwirkungen" bzw. auch „Imponderabilien" genannt.

Daneben werden von § 906 BGB auch „ähnliche Einwirkungen" erfasst. Wie der Vergleich mit den im Gesetz gemachten Beispielen zeigt, muss es sich dabei immer um Grenzüberschreitungen mit gesundheits- oder sachschädigender Wirkung handeln.12 Die Vorschrift greift zudem nur bei unwägbaren Einwirkungen, wobei aber auch bei „Ponderabilien", insbesondere bei Kleinstkörpern, ausnahmsweise der Anwendungsbereich des § 906 BGB eröffnet sein kann.

Zu den „ähnlichen Einwirkungen" zählen daher u.a. Laub, Nadeln, Blüten, Pflanzensamen, Kleinsttiere (Insekten, Tauben), Licht sowie alle Arten von Strahlungen.13

hemmer-Methode: Die von § 906 BGB erfassten Einwirkungen stimmen darin überein, dass sie in ihrer Ausbreitung weithin unkontrollierbar und unbeherrschbar, also „unwägbar" sind, in ihrer Intensität schwanken und damit andere Grundstücke beeinträchtigen können.14

Nicht zu den „ähnlichen Einwirkungen" zählen hingegen Grobimmissionen, wie etwa Gesteinsbrocken bei Sprengungen15 oder größere Tiere (etwa Hunde, Katzen, Ratten).

Anmerkung: Eine Duldungspflicht kann sich für den Eigentümer - und damit erst Recht für den Besitzer - aber aus dem bereits erläuterten nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis ergeben.16

§ 906 BGB umfasst nur die „Zuführung" von Einwirkungen, § 906 I S. 1 BGB, und verlangt damit immer eine Grenzüberschreitung. Hieraus ergibt sich, dass sog. negative Einwirkungen, die im Entzug von Licht oder Luft liegen können, ebenso wie sogenannte ideelle Einwirkungen durch Handlungen auf dem benachbarten Grundstück (Bordellbetrieb, Schrottlagerung) nicht dem § 906 BGB unterfallen.17

Handlungen, die auf dem eigenen Grundstück dazu führen, dass natürliche Vorteile von Nachbargrundstücken abgehalten werden oder Ableitungen von diesen verhindern (negative Einwirkungen), oder Handlungen auf dem eigenen Grundstück, die das Empfinden des Nachbarn verletzen oder den Wert seines Grundstücks mindern (ideelle Einwirkungen), sind zudem schon keine nach § 1004 I BGB abwehrbaren Eigentumsbeeinträchtigungen.18

Das ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu den speziellen Vorschriften der §§ 907 - 909 BGB, nach denen lediglich ganz bestimmte Handlungen, die auf Nachbargrundstücken vorgenommen werden und sich gegenständlich in deren Grenzen halten, abgewehrt werden können.19

2. Wesentliche Beeinträchtigung

Der Ausgleichsanspruch aus § 906 II S. 2 BGB setzt zudem das Vorliegen einer wesentlichen Beeinträchtigung voraus.

Maßstab der „Wesentlichkeit" einer Beeinträchtigung ist allgemein das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit.

Unerheblich ist ein bloß subjektives Empfinden des „Gestörten".20 Ein verständiger Durchschnittsbenutzer berücksichtigt auch ein gewandeltes Umweltbewusstsein.21

Bei der konkreten Beschaffenheit sind zudem die Lage in einem Wohn- oder Gewerbegebiet bzw. im Außenbereich sowie besondere immissionsschützende Ausstattungen (Doppelfenster) zu beachten. In diesem Rahmen sind dann die Umstände des Einzelfalls einzuordnen und zu werten.

hemmer-Methode: Beachten Sie, dass es sich hier um ein „Einfallstor" für die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten handelt. Nach Ansicht des OLG Köln22 ist bspw. erhöhte Toleranz geboten bei einem benachbarten Behindertenheim. Allerdings geht Art. 3 II S. 2 GG nicht so weit, dass den Interessen der Behinderten schlechthin der Vorrang einzuräumen ist.

Wesentlich beeinträchtigt ist die Grundstücksbenutzung insbesondere bei einer im Sinne der Legaldefinition in § 3 I BImSchG „schädlichen Umwelteinwirkung", i.d.R. bei Sach- oder Gesundheitsbeschädigungen sowie bei Geräuschen und Gerüchen, es sei denn, dass sie ein durchschnittlicher Mensch kaum noch empfindet. Unwesentlich beeinträchtigt ist die Grundstücksbenutzung hingegen oftmals durch solche Einwirkungen, die einmalig bleiben.

Das Gesetz gibt in den Sätzen 2 und 3 des § 906 I BGB einen gesetzlichen Maßstab zur Unwesentlichkeit einer Beeinträchtigung. Eine Beeinträchtigung, die Grenz- oder Richtwerte aus Gesetzen oder Rechtsverordnungen (§ 906 I S. 2 BGB) oder bestimmten Verwaltungsvorschriften (§ 906 I S. 3 BGB) einhält, sind daher i.d.R. unwesentlich.

Die Formulierung „in der Regel" führt dazu, dass im Einzelfall auch grenzwertbeinhaltende Beeinträchtigungen wesentlich sein können. Umgekehrt kann eine grenzwertüberschreitende Beeinträchtigung ausnahmsweise unwesentlich sein.23

Anmerkung: Wenn z.B. von einem Rockkonzert ausgehende Lärmimmissionen die Richtwerte überschreiten, können diese unwesentlich sein, wenn es sich um eine Veranstaltung handelt, die an nur einem Tag des Jahres stattfindet.

Es muss daher auch eine Abwägung an Hand der kommunalen Bedeutung erfolgen. Die Richtwerte geben lediglich eine Orientierung. Daher kann eine über die Richtwerte hinausgehende Geräuschimmission zu dulden sein. Allerdings in der Regel nur bis Mitternacht, um eine ausreichende Nachtruhe zu ermöglichen.24

Das Überschreiten von gesetzlichen Grenzwerten ist jedoch ein deutlicher Hinweis auf die Wesentlichkeit.25

Gesetze und Rechtsverordnungen i.S.v. § 906 I S. 2 BGB sind nur Parlamentsgesetze und förmliche Rechtsverordnungen, nicht aber Satzungen und private Normen (DIN, VDE, VDI). Zu nennen sind vor allem die zahlreichen BImSchV,26 der LAI (= Länderausschuss für Immissionsschutz) und die Freizeitlärmrichtlinie. Allgemeine Verwaltungsvorschriften i.S.v. § 906 I S. 3 BGB sind solche, die unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften nach § 48 BImSchG erlassen worden sind. Zu nennen sind insbesondere die TA-Luft/Lärm.

Nach § 906 I S. 3 BGB muss die fragliche Verwaltungsvorschrift aber zusätzlich den Stand der Technik wiedergeben.

Legt der Störer dar, dass sich die Beeinträchtigungen i.R.d. Grenzwerte der Verwaltungsvorschriften bewegen, trifft die andere Seite die Beweislast dafür, dass die Beeinträchtigung gleichwohl wesentlich ist.27

3. Duldungspflicht nach § 906 II S. 1 BGB

Weitere Voraussetzung des Ausgleichsanspruches ist das Vorliegen einer Duldungspflicht nach § 906 II S. 1 BGB.

Anmerkung: Ausgeschlossen ist die Duldungspflicht in den Fällen des § 906 I S. 1, II S. 1 BGB jedenfalls, wenn die an sich zu duldende Einwirkung durch eine besondere Leitung (etwa durch ein Auspuffrohr auf der Grenze)28 zugeführt wird. Die Zuführung durch eine besondere Leitung ist also niemals zu dulden, vgl. § 906 III BGB.

Die durch die ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführte wesentliche Beeinträchtigung darf nicht durch eine für den Störer wirtschaftlich zumutbare Maßnahme verhindert werden können. Maßgeblich ist dabei - neben der technischen Machbarkeit - die Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen (nicht des konkreten) Benutzers, vgl. § 906 II S. 1 BGB („ ... Benutzern dieser Art ... ").

a) Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung

Die wesentliche Beeinträchtigung muss zunächst durch eine ortsübliche Benutzung des Nachbargrundstücks herbeigeführt worden sein.

Ortsüblich ist eine Benutzung, wenn in dem maßgeblichen Vergleichsbezirk eine Mehrzahl von Grundstücken mit annähernd gleich beeinträchtigender Wirkung für andere Grundstücke tatsächlich genutzt wird.29

Die in den Vergleich einbezogenen Einwirkungen müssen gleichartig sein.30 Maßgeblicher Vergleichsbezirk ist regelmäßig das ganze Gemeindegebiet, wobei bei besonderer, einheitlicher Prägung auch auf ein größeres oder kleineres Gebiet abgestellt werden kann.31 Soweit eine Benutzung durch eine Anlage ortsüblich ist, ist auch die - u.U. zeitweise stärker beeinträchtigende - Errichtung oder Erhaltung der Anlage ortsüblich.32

Unterscheide: Die Ortsüblichkeit bezieht sich bei § 906 II S. 1 BGB nicht auf die zu duldende Beeinträchtigung, sondern auf die Benutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht! Demgegenüber kommt es beim Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB darauf an, ob die ortsübliche Benutzung des beeinträchtigten Grundstücks selbst beeinträchtigt ist.

b) Unzumutbarkeit der Verhinderung

Außerdem darf die wesentliche Beeinträchtigung nicht durch eine wirtschaftlich zumutbare Maßnahme verhindert werden können.

Maßgeblich ist neben der technischen Machbarkeit auch die finanzielle Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen (nicht des konkreten) Benutzers („ ... Benutzern dieser Art ... ").33

4. Ausgleichspflicht, wenn Beeinträchtigung unzumutbar ist

Als letzte Voraussetzung des Ausgleichsanspruches muss die zu duldende Einwirkung die ortsübliche Benutzung oder den Ertrag des Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigen.

Für diese Voraussetzung gilt grundsätzlich derselbe Maßstab wie für die Beurteilung, ob diese Einwirkungen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung führen, § 906 I S. 1 BGB.34

hemmer-Methode: Damit ist klar, dass § 906 II S. 2 BGB bei der Duldungspflicht nach § 906 I BGB nicht einschlägig ist, da es hier lediglich um unwesentliche Beeinträchtigungen geht.

Auch für die Ortsüblichkeit gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

Hinsichtlich des zumutbaren Maßes ist wiederum auf einen durchschnittlichen Benutzer abzustellen.35 Anhaltspunkte können sich aus Immissionsschutzvorschriften ergeben.

5. Umfang der Ausgleichspflicht

Der Ausgleichsanspruch gem. § 906 II S. 2 BGB dient als Kompensation für die nach § 906 II S. 1 BGB zu duldende Grundstücksbeeinträchtigung dem Interessenausgleich unter Nachbarn und beruht auf dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis.

Von einem Schadensersatzanspruch unterscheidet sich der Ausgleichsanspruch darin, dass die Entschädigung die durch die zu duldende Einwirkung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen soll, während der Schadensersatz der Wiederherstellung des Zustands dient, der bestünde, wenn die Einwirkung nicht zu der unzumutbaren Beeinträchtigung geführt hätte.

a) Kosten für Beseitigung der unzumutbaren Störungsfolgen

Auszugleichen ist nach § 906 II S. 2 BGB zunächst die Vermögenseinbuße, die durch das Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze entsteht. Ausgeglichen wird also nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung.36

Auszugleichen sind auch die Aufwendungen für die spurenlose Beseitigung des unzumutbaren Teils.

hemmer-Methode: Ausgleichspflichtig ist auch der Schaden, der durch die Beseitigung der unzumutbaren Beeinträchtigung entsteht.

Diese Kosten dienen zwar nicht der unmittelbaren Störungsbeseitigung. Andererseits wären diese Kosten ohne die Störung auch nicht entstanden.

Da die spurenlose Herstellung des Zustandes vor der Störung geschuldet ist, müssen Kosten für die Beseitigung von Schäden, die in diesem Zusammenhang entstanden sind, ebenfalls ausgeglichen werden.37

b) Kein Schmerzensgeld (§ 253 II BGB) und kein entgangener Gewinn (§ 252 BGB)

Nicht vom Umfang der Ausgleichspflicht erfasst ist nach Ansicht des BGH ein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. § 253 II BGB.38 Der BGH begründet dies (sehr formalistisch) damit, dass es sich bei dem Ausgleichsanspruch eben nicht um einen Schadensersatzanspruch handele.39

Ebenfalls ausgenommen von der Ersatzpflicht ist der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns, § 252 BGB. Auch hier argumentiert der BGH damit, dass es sich um eine Position handelt, die lediglich unter dem Gesichtspunkt einer schadensersatzrechtlichen Haftung zu ersetzen ist.40

II. Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB bei faktischem Duldungszwang

Liegen die Voraussetzungen des § 906 II S. 2 BGB nicht vor, besteht nach ständiger Rechtsprechung des BGH unter den folgenden Voraussetzungen analog § 906 II S. 2 BGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch.

§ 906 II S. 2 BGB analog

  1. Vorliegen einer Regelungslücke
  2. Rechtswidrige unzumutbare Einwirkungen auf ein anderes Grundstück
  3. Faktischer Ausschluss eines bestehenden Unterlassungsanspruches gem. § 1004 I S. 2 bzw. § 862 I S. 2 BGB
  4. Störung muss gewissen Bezug zur typischen **Benutzung des Grundstücks** aufweisen

Beispiel: K und B sind Eigentümer angrenzender Grundstücke. Die darauf befindlichen Gebäude stoßen traufseitig unmittelbar aneinander an. Dabei liegt das niedrigere Haus des B mit Dach und Regenrinne an der benachbarten Außenwand des K an. Nach starken Regenfällen kommt es aufgrund des mangelhaften Abschlussblechs am Haus des B zu einem massiven Wassereintritt in das Haus des K.

Da es sich bei dem Wassereintritt nicht um eine feinstoffliche Einwirkung i.S.d. § 906 I BGB handelt, scheidet ein Anspruch aus § 906 II S. 2 BGB in direkter Anwendung aus.

1. Anwendbarkeit des § 906 II S. 2 BGB analog: Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke

a) Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB setzt zunächst das Vorliegen einer Regelungslücke voraus.

Eine Heranziehung des subsidiären nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs analog § 906 II S. 2 BGB scheidet demnach aus, soweit eine andere in sich geschlossene Regelung besteht.41

Für das Staatsexamen relevante Sondervorschriften existieren jedoch nicht.

Insbesondere wäre § 906 II S. 2 BGB bei Eingreifen einer deliktischen Haftung nach §§ 823 ff. BGB nicht subsidiär. Die für eine Analogie vorausgesetzte Regelungslücke42 ist darin zu sehen, dass es im BGB keinen anderen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch gibt. Die Vorschriften der §§ 823 ff. BGB, die eine Verschuldenshaftung regeln, stehen der analogen Anwendung des § 906 II S. 2 BGB daher nicht entgegen. § 906 II S. 2 BGB zeigt gerade, dass im Nachbarrecht das Bedürfnis verschuldensunabhängiger Ausgleichsansprüche besteht.

Eine an landesrechtliche Nachbarvorschriften anknüpfende deliktsrechtliche Verschuldenshaftung nach § 823 II BGB stellt damit ebenfalls keine den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB ausschließende Sonderregelung dar.43

b) Die Vergleichbarkeit der Interessenlage ergibt sich aus dem Zweck des § 906 II S. 2 BGB. Dieser dient der Schaffung eines billigen Ausgleichs auf der Grundlage des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses.

Tragende Gesichtspunkte für die Gewährung einer Entschädigung sind dabei die Gefahrbeherrschung, die Veranlassung und die Vorteilsziehung durch den Emittenten. Auch bei faktischem Duldungszwang hat der Betroffene letztlich die Immission zu dulden, obwohl der Emittent die Ursachen gesetzt hat, die Vorteile zieht und die Gefahr besser beherrschen kann.

hemmer-Methode: Ähnlich ist die Problematik zur analogen Anwendung des § 1004 I BGB. Nach h.M. besteht nicht nur bei der Verletzung des Eigentums, sondern jedes deliktisch geschützten Interesses ein „quasinegatorischer Unterlassungsanspruch" in Analogie zu § 1004 I BGB.

Für die Verletzungen des Namensrechts ist in § 12 S. 2 BGB bzw. § 37 II S. 1 HGB ein negatorischer Abwehranspruch ausdrücklich geregelt.

Da die anderen absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 I BGB den gleichen Schutz verdienen, wurde im Wege einer Gesamtanalogie zu den §§ 12, 862, 1004 BGB der sog. quasinegatorische Anspruch als „deliktischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch" entwickelt.

Zitiert wird für den quasinegatorischen Unterlassungsanspruch heute i.d.R. nur noch § 1004 I S. 2 BGB analog.

Die Analogie rechtfertigt sich wie die analoge Anwendung des § 906 II S. 2 BGB damit, dass es im BGB keinen anderen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Störungsbeseitigung und/oder Unterlassung gibt.

2. Rechtswidrige unzumutbare Einwirkung auf ein anderes Grundstück

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB setzt zunächst voraus, dass vom Grundstück des Störers im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Benutzung eine rechtswidrige Einwirkung auf das Grundstück des Nachbarn ausgeht, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigt.

a) Keine Beschränkung auf Imponderabilien

Der Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB verlangt - anders als der unmittelbar auf § 906 II S. 2 BGB gestützte Anspruch -- keine feinstofflichen unwägbaren Einwirkungen (sog. Imponderabilien), sondern erfasst auch Grobimmissionen wie zum Beispiel Wasser.44

b) Aber: Zuführung von Stoffen erfordert Eingriff von Außen

§ 906 BGB umfasst nur die „Zuführung" von Einwirkungen, § 906 I S. 1 BGB, und verlangt damit immer eine Grenzüberschreitung.

Nach Ansicht des BGH ist ein Anspruch aus § 906 II S. 2 BGB nur dann zu bejahen, wenn es um Einwirkungen von einem Grundstück auf ein anderes Grundstück geht.

aa) Unanwendbarkeit auf das Verhältnis von Mietern eines Grundstücks-eigentümers untereinander

Für das Verhältnis zwischen mehreren Mietern innerhalb desselben Gebäudes gilt § 906 BGB nach h.M. nicht.45

Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung innerhalb desselben Grundstückseigentums auf eine andere Mietwohnung einwirken, berechtigen den Mieter der von den Beeinträchtigungen betroffenen Wohnung nicht zu einem verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB gegen den Mieter der anderen Wohnung.

Beispiel: Dr. A betreibt eine Arztpraxis. Die Arztpraxis befindet sich in einem Haus, das dem Vermieter V gehört. In dieser Praxis riss über das Wochenende ein Schlauch, der zu einer Überschwemmung führte und in der darunter gelegenen von V an B vermieteten Wohnung einen Schaden verursachte.

Die Grenzen der Nutzungsrechte des Mieters ergeben sich aus seinem Vertrag mit dem Vermieter und der Hausordnung. Nur soweit es um die Einhaltung der Grenzen des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mieter auf der Grundlage einer für alle Mieter verbindlichen Hausordnung geht, bejaht die Rechtsprechung die Anwendung des § 328 I BGB, sodass jeder Mieter von den Mitmietern direkt die Einhaltung der Hausordnung verlangen kann.

Für das Verhältnis von Mietern bei Beeinträchtigungen, die von einer Mietwohnung innerhalb desselben (ungeteilten) Grundstückseigentums auf eine andere Mietwohnung einwirken, lehnt der BGH damit die analoge Anwendung des § 906 II S. 2 BGB ab.

hemmer-Methode: Der BGH hat eine analoge Anwendung des § 906 II S. 2 BGB auch für das Verhältnis von sondernutzungsberechtigten Miteigentümern verneint.46

Ebenfalls verneint wurde der Anspruch für das Verhältnis von Wohnungseigentümern, wenn die Nutzung des Sondereigentums durch einen Mangel am Gemeinschaftseigentum beeinträchtigt wird.47

Unter Sondereigentum nach dem WEG versteht man das Eigentum an einer Wohnung in einem Gebäude.

Das Gebäude und der Grund und Boden stehen dagegen im Gemeinschaftseigentum aller Wohnungseigentümer.

bb) Aber: Anwendbarkeit auf Verhältnis von Wohnungseigentümern untereinander (BGH-Urteil vom 25.10.2013)48

Bei der rechtswidrigen Beeinträchtigung des Sondereigentums in einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die vom Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers ausgehen, hat der BGH mit Urteil vom 25.10.2013 einen Anspruch analog § 906 II S. 2 BGB nun erstmals bejaht.

Beispiel: Dr. A betreibt ein ambulantes Operationszentrum. In dem darunter gelegenen Stockwerk betreibt Dr. B eine Arztpraxis.

Das Grundstück ist nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Die Operationspraxis des Dr. A steht im Sondereigentum des Vermieters X, die Arztpraxis des Dr. B steht im Sondereigentum des Vermieters Y.

In der Operationspraxis des Dr. A riss über das Wochenende ein Schlauch, der zu einer Überschwemmung führte und in der darunter gelegenen Praxis des Dr. B erhebliche Schäden verursachte.

Steht Dr. B gegen Dr. A ein Ausgleichsanspruch analog § 906 II S. 2 BGB zu?

Anmerkung: Sie müssen genau aufpassen. Genau wie in dem Arztpraxis-Beispiel unter B. II. 2. b) aa) waren Dr. A und Dr. B Mieter. Im Unterschied zum obigen Beispiel gehörte das Haus aber nicht einem Vermieter allein, sondern die Vermieter waren jeweils Sondereigentümer der „Wohnungen" nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG).49

Ob § 906 II S. 2 BGB analog anzuwenden ist, wenn Sondereigentum durch Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von einem anderen Sondereigentum ausgehen, wird nicht einheitlich beurteilt.

(1) Während die h.M. die Voraussetzungen für einen Analogieschluss bejaht,50 wenden die Vertreter der Gegenauffassung ein, mit Rücksicht auf den aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer resultierenden speziellen Schutz könne das Bestehen einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht angenommen werden.51

(2) Der BGH entscheidet die Streitfrage nunmehr im Sinne der h.M.

„§ 906 II S. 2 BGB setzt in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich voraus, dass die Störung von einem anderen Grundstück herrührt, es sich also um einen grenzüberschreitenden „Eingriff von außen" handelt.

Abzustellen ist im vorliegenden Fall auf das Verhältnis der Sondereigentümer und nicht auf das der Mieter, weil es bei der Frage, ob ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch zu bejahen ist, um den Ausgleich gleichrangiger Eigentümerbefugnisse geht, an denen berechtigte Besitzer lediglich partizipieren.

(a) Anders als bei Beeinträchtigungen des Sondereigentums, die von dem Gemeinschaftseigentum der Wohnungseigentümer ausgehen, geht es bei von Sondereigentum herrührenden Beeinträchtigungen um eine Beeinträchtigung „von außen"; insoweit stehen sich strukturell keine gleichgerichteten Interessen gegenüber.

Mit Blick auf das Sondereigentum verwirklicht sich in herausgehobenem Maße, dass es sich bei dem grundstücksgleichen Recht des Wohnungseigentums um „echtes Eigentum" im Sinne von § 903 Satz 1 BGB52 handelt. Insoweit besteht kein Bruchteilseigentum mit ideellen Anteilen sämtlicher Wohnungseigentümer, sondern „Alleineigentum" an bestimmten dinglichgegenständlich abgegrenzten Gebäudeteilen,53 mit denen der Wohnungseigentümer grundsätzlich nach Belieben verfahren und jeden anderen von Einwirkungen hierauf ausschließen kann (§ 13 I WEG).

Sondereigentum fungiert auch in der Wahrnehmung des Rechtsverkehrs als eine Art Ersatzgrundstück. Anders als bei Beeinträchtigungen, die von dem Gemeinschaftseigentum ausgehen, besteht daher weder formal noch teleologisch Identität zwischen dem Grundstückseigentum, von dem die Störung ausgeht, und dem beeinträchtigten Grundstückseigentum mit der Folge, dass sich dieselben Miteigentümer gleichzeitig sowohl auf Störerseite als auch auf Seiten des beeinträchtigten Eigentums befinden.

Vielmehr stehen sich die Sondereigentümer ebenso mit gegensätzlichen Interessen gegenüber wie Grundstückseigentümer in den idealtypischen - unmittelbar von § 906 II S. 2 BGB erfassten - Fällen.

(b) Auch der Aspekt der Schutzbedürftigkeit spricht für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke.

Grundlage des Anspruches nach § 906 II S. 2 BGB ist ein billiger Ausgleich der gegenläufigen Interessen bei der Nutzung benachbarter Grundstücke auf der Grundlage eines zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses.54

3. Faktischer Ausschluss eines an sich bestehenden Unterlassungsanspruchs des K gegen B gem. § 1004 I S. 2 BGB

a) Zunächst muss der Tatbestand des § 1004 I BGB (bzw. des § 862 I BGB) aber verwirklicht sein. Insbesondere setzt der Anspruch aus § 906 II S. 2 BGB analog voraus, dass der Anspruchsgegner als Störer zu qualifizieren ist.

hemmer-Methode: Im Rahmen des Ausgleichsanspruchs analog § 906 II S. 2 BGB muss also inzident das grundsätzliche Bestehen eines Unterlassungsanspruchs aus § 1004 I BGB bzw. § 862 I BGB geprüft und bejaht werden.

b) Ferner muss der beeinträchtigte Nachbar daran gehindert gewesen sein, diesen Anspruch geltend zu machen.

Solche besonderen Gründe können rechtlicher oder tatsächlicher Art sein (sog. „faktischer Duldungszwang"), zum Beispiel die fehlende Erkennbarkeit schädlicher Auswirkungen oder die wegen der komplizierten Rechtslage fehlende Möglichkeit, wirksamen Rechtsschutz zu erlangen.

Dahinter steht der Gedanke, dass jede grds. nicht zu duldende Einwirkung dennoch zu dulden ist, wenn es nicht möglich ist, diese abzuwehren.

hemmer-Methode: Dem Nachbarn, der von dem Eigentümer von Bäumen, die den landesrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstand nicht einhalten, deren Zurückschneiden wegen des Ablaufs der dafür in dem Landesnachbarrecht vorgesehenen Ausschlussfrist („faktischer Duldungszwang") nicht mehr verlangen kann, kann für den erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abfallens von Nadeln und Blättern dieser Bäume ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB analog zustehen, wenn es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung handelt.55

4. Störung muss gewissen Bezug zur typischen Benutzung des Grundstücks aufweisen

Beim nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 II S. 2 BGB (analog) handelt es sich um einen aus dem Grundstückseigentum abgeleiteten Anspruch.

Daher setzt die Gewährung einer Entschädigung nach ganz h.M. voraus, dass die Störung des Eigentums oder Besitzes des Anspruchstellers in einem sachlichen Zusammenhang mit der Nutzung des Grundstücks steht, von dem die Störung ausgeht.

Für einen Ausgleichsanspruch muss daher noch hinzukommen, dass eine grundstücksspezifische Einwirkung gegeben ist.

Dieser Grundstücksbezug gilt nicht nur für das beeinträchtigte Grundstück. Auch muss die Beeinträchtigung einen gewissen Bezug zu dem Grundstück aufweisen, von dem aus die Einwirkung erfolgt.

Das hat der BGH verneint in einem Fall, in dem von einem Nachbargrundstück aus ein Feuerwerkskörper in eine Scheune eindrang und einen Brand verursacht hat. Das Abschießen des Feuerwerkskörpers am Neujahrstag weist nach Ansicht des BGH keinen sachlichen Bezug zu dem Grundstück auf, von welchem die Rakete aus abgeschossen wurde, weil Silvesterfeuerwerkskörper vielfach nicht auf dem eigenen Grund und Boden, sondern im öffentlichen Raum - etwa auf Bürgersteigen, Straßen oder Plätzen - entzündet werden.56

Durch das Abschießen einer Feuerwerksrakete auf dem eigenen genutzten Grundstück ist somit nicht der nachbarschaftliche Nutzungskonflikt betroffen, der durch § 906 BGB einer sinnvollen Lösung zugeführt werden soll.

Schuldlos verursachte Schäden durch Feuerwerkskörper sind daher nicht analog § 906 II S. 2 BGB ausgleichspflichtig.

Sound: Ein Feuerwerk ist örtlich ungebunden.

III. Ausgleichsanspruch gem. § 867 S. 2 BGB

Ist eine Sache aus der Gewalt des Besitzers auf ein im Besitz eines anderen befindliches Grundstück gelangt, so hat ihm der Besitzer des Grundstücks gem. § 867 S. 1 BGB die Aufsuchung und die Wegschaffung zu gestatten, sofern nicht die Sache inzwischen in Besitz genommen worden ist.

Nach der Besitzergreifung ist der bisherige Besitzer auf Herausgabeansprüche, z.B. §§ 985, 1007 BGB, beschränkt.

Beispiel: Beim Fußballspielen im Garten schießt A den Ball auf das Grundstück des B.

Entsteht durch das Zurückholen des Balles durch A auf dem Grundstück des B ein Schaden, so kann B gem. § 867 S. 2 BGB Ersatz des durch die Aufsuchung und die Wegschaffung entstehenden Schadens verlangen.

Die Ersatzpflicht setzt kein Verschulden voraus, greift also auch dann ein, wenn es an einem deliktischem Anspruch fehlt.

hemmer-Methode: Wenn der Eigentümer gegen den Störer einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 I S. 1 BGB geltend macht und durch die Störungsbeseitigung dem Eigentümer ein Schaden zugefügt wird,57 bejaht die zutreffende Ansicht in der Literatur einen Ausgleichsanspruch analog §§ 867 S. 2, 1005 BGB.58

Der BGH hingegen bejaht eine Wiederherstellungspflicht mit einer extensiven Ausdehnung des Beseitigungsbegriffes in § 1004 I BGB, was dogmatisch zweifelhaft ist. Nach Ansicht des BGH, der die anderslautende Literaturmeinung zitiert, spiele das keine Rolle, da das Ergebnis ohnehin das gleiche sei.59

Mit Dogmatik hat diese ergebnisorientierte Rechtsprechung freilich nichts zu tun.


  1. BGH, Urteil vom 25.10.2013, Az. V ZR 230/12 = WuM 2013, 760 ff.

  2. MüKo, § 242 BGB, Rn 194.

  3. MüKo, § 912 BGB, Rn. 20; so auch LG Limburg, Urteil vom 26.11.2010, Az: 3 S 44/10.

  4. Palandt, § 903 BGB, Rn. 22; BGH, NJW 2011, 3294 ff.

  5. Vgl. Palandt, § 311 BGB, Rn. 24 a.E.; aus diesem Grund ist auch das bloße Gefälligkeitsverhältnis als rein sozialer Kontakt kein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 I BGB.

  6. BGHZ 113, 384 (389)

  7. BGH, NJW 1965, 389 ff.

  8. AG Grünstadt, NJW 1995, 889 f.

  9. Zwerg mit herausgestreckter Zunge und erhobenem Mittelfinger; Zwerg, der einen „Vogel" bzw. sein entblößtes Hinterteil zeigt; Zwerg, der einen Scharfrichter verkörpert; Zwerg, mit einem Schild mit der Aufschrift: „Zieht endlich aus, wir wollen Frieden im Hof!"

  10. Vgl. z.B. für Bayern die Art. 43 ff. AGBGB.

  11. BGHZ 92, 143 (145); vgl. Sie auch BGH in Life & Law 2001, 469 ff. = ZIP 2001, 655 = JuS 2001, 816 f.

  12. Palandt, § 906 BGB, Rn. 5 m.w.N.

  13. BGH in NJW 2004, 1037 ff. weitere Beispiele bei Palandt, § 906 BGB, Rn. 11.

  14. BGHZ 117, 110 (112)

  15. BGHZ 28, 225

  16. Palandt, § 906 BGB, Rn. 5.

  17. BGH, NJW 1984, 729

  18. Palandt, § 903 BGB, Rn. 9 f. m.w.N.

  19. Palandt, § 903 BGB, Rn. 7/8.

  20. BGHZ 120, 239 (259)

  21. Palandt, § 906 BGB, Rn. 17 f. m.w.N.

  22. OLG Köln, NJW 1998, 763

  23. Palandt, § 906 BGB, Rn. 20.

  24. Vgl. dazu die „Rockkonzert-Entscheidung" des BGH in Life & Law 2004, 159 ff. = NJW 2003, 3699 ff.

  25. BGH, DVBl. 1990, 771 OLG Oldenburg, NJW-RR 1991, 635

  26. Palandt, § 906 BGB, Rn. 18.

  27. Hinweis für Referendare: Diese Beweiserleichterung steht dem Störer aber nur dann zu, wenn die ermittelten Werte sich ohne Abschlag i.R.d. Grenzen bewegen. Zwar sieht z.B. die TA-Lärm für Überwachungsmessungen bestimmte Abschläge vor. Nach Ansicht des BGH sind diese Abschläge aber nicht relevant, soweit es um die Beurteilung der Wesentlichkeit i.R.d. § 906 I S. 3 BGB geht, BGH, MDR 2005, 328 f.

  28. OLG München, OLGZ 26, 125.

  29. BGHZ 120, 239 (260)

  30. Palandt, § 906 BGB, Rn. 21 m.w.N.

  31. BGHZ 30, 273; BGH, LM Nr. 11 zu § 906 BGB

  32. Palandt, § 906 BGB, Rn. 23 m.w.N.

  33. Vgl. Palandt, § 906 BGB, Rn. 23, 26.

  34. BGH, NJW-RR 2007, 168 ff.

  35. BGHZ 49, 148

  36. BGH, NJW-RR 1988, 1291; Palandt, § 906 BGB, Rn. 27

  37. Palandt, § 906 BGB, Rn. 29.

  38. BGH, Life & Law 2010, 804 ff. = NJW 2010, 3160 f.

  39. A.A. Bamberger/Roth/Spindler, § 253 BGB, Rn. 10.

  40. BGHZ 62, 361 ff.

  41. BGHZ 178, 90, 98

  42. Palandt, Einleitung, Rn. 48.

  43. BGH, Life & Law 2012, 1 ff. = NJW 2011, 3294 ff.

  44. BGHZ 157, 188, 190 160, 232 (236)

  45. BGH, NJW 2004, 775 ff. (besprochen von Emmerich in JuS 2004, 440 ff.).

  46. BGH, WM 2013, 231, 232

  47. BGHZ 185, 371, 375 ff.

  48. BGH, Urteil vom 25.10.2013, Az. V ZR 230/12 = WuM 2013, 760 ff.

  49. Schönfelder, Ordnungsnummer 37.

  50. OLG Stuttgart, NJW 2006, 1744 LG Bochum, VersR 2004, 1454; Bamberger / Roth / Fritzsche, § 906 BGB, Rn. 89; MüKo, § 906 BGB, Rn. 1; Wenzel, NJW 2005, 241, 244.

  51. Schmidt, ZMR 2005, 669, 677; BayObLG, NJW-RR 1994, 718 BayOblG, NJW-RR 2001, 156 LG Konstanz, NJW-RR 2009, 1670, 1671

  52. vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Dezember 1991 V ZB 27/90, BGHZ 116, 392, 394; Urteil vom 1. Oktober 2004 V ZR 210/03, NJW-RR 2005, 10 f.

  53. BGHZ 49, 250, 251 f.

  54. BGHZ 185, 371, 376

  55. BGH, NJW 2004, 1037 ff.

  56. BGH, Life & Law 2010, 1 ff. = NJW 2009, 3787 ff.

  57. Zur Beseitigung von Baumwurzeln muss ein auf dem beeinträchtigten Grundstück befindlicher Tennisplatzbelag (BGH, NJW 1997, 2234 ff.) oder ein Plattenweg (BGH, NJW 2004, 603, 604) entfernt werden.

  58. Vollkommer, NJW 1999, 3539 f.; Staudinger, § 1004 BGB, Rn. 156.

  59. Vgl. zuletzt BGH, NJW 2005, 1366 ff.