Anti--Blitz--Folie

Grundfall (nicht nur) für Anfangssemester, Strafrecht

von Life and Law am 01.09.2014

+++ Urkundenfälschung, § 267 StGB +++ Urkundenunterdrückung, § 274 StGB +++

Sachverhalt: Der Hobbyautobahnraser Michael Macher, Spitzname Turbo-Michi, überklebt das Kennzeichen seines Fahrzeugs mit einer sogenannten Anti-Blitz-Folie, um seine Spritztouren unbehelligt von polizeilichen Radarkontrollen durchführen zu können. Es handelt sich dabei um eine reflektierende Klarsichtfolie, die nach Anbringung auf dem Nummernschild dazu führt, dass bei polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen eine Identifizierung des fotografierten Fahrzeugs wesentlich erschwert wird, weil das amtliche Kennzeichen durch die Folie nur noch unzureichend auf der Fotografie erkennbar ist.

Frage: Wie hat sich Michael Macher (M) nach dem StGB strafbar gemacht?

Es wird auf folgenden Auszug aus der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) hingewiesen: „§ 10 Ausgestaltung und Anbringung der Kennzeichen
(2) Kennzeichenschilder dürfen nicht spiegeln, verdeckt oder verschmutzt sein; (...)"

A) Sound

Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine verkörperte Gedankenerklärung (oder eine Urkunde) mit einem Bezugsobjekt (Kfz), auf das sich der Erklärungsinhalt bezieht, räumlich fest (Untrennbarkeit ist jedoch nicht erforderlich) verbunden ist, sodass sich gerade aus dieser Verbindung die Erfüllung der Urkundenmerkmale ergibt.

Eine Verfälschung liegt hier nur dann vor, wenn der Erklärungsinhalt der verkörperten Gedankenklärung verändert wird. Manipulationen am Bezugsobjekt genügen nicht.

Der Erklärungsinhalt einer Stempelplakette bezieht sich allein darauf, dass das Kennzeichen zum Zeitpunkt der Zulassung den Anforderungen des § 10 FZV entspricht.

B) Lösung

Zu prüfen ist die Strafbarkeit von M nach dem StGB.

Strafbarkeit des M

M könnte sich aufgrund seines Verhaltens wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht haben.

I. Urkundenfälschung, § 267 I Var. 2 StGB

Durch die Anbringung der Anti--Blitz--Folie könnte M eine echte Urkunde verfälscht haben.

1. Vorliegen einer echten Urkunde

Das amtliche Nummernschild könnte für sich genommen eine Urkunde sein.

Unerheblich ist dabei, dass dem Nummernschild die Schriftstückqualität fehlt.

Denn nach der h.M. muss die Gedankenerklärung nicht in Textform verkörpert werden. Soweit die übrigen Voraussetzungen einer Urkunde gegeben sind, kann eine Gedankenerklärung auch in Zeichen und Symbolen verkörpert werden.

In diesem Fall spricht man von einem sogenannten Beweiszeichen.

Das amtliche Nummernschild müsste eine beweiserhebliche (geeignet und bestimmt zur Beweiserbringung) Gedankenerklärung darstellen, die ihren Aussteller erkennen lässt.

Das amtliche Nummernschild besteht aus dem Kennzeichen, welches mit dem Stempel der Zulassungsstelle versehen ist. Es ist dazu geeignet und bestimmt, Beweis zu erbringen, da es der Sinn des Nummernschildes ist, mittels des Zulassungsstempels zu beweisen, dass ein bestimmter unter dieser Nummer registrierter Pkw ordnungsgemäß zugelassen ist (z.B. dass eine Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters besteht).

Daneben könnte das amtliche Nummernschild mit dem Fahrzeug eine sogenannte zusammengesetzte Urkunde bilden.

Eine zusammengesetzte Urkunde liegt vor, wenn eine verkörperte Gedankenerklärung (oder eine Urkunde) mit einem Bezugsobjekt, auf das sich der Erklärungsinhalt bezieht, räumlich fest (Untrennbarkeit ist jedoch nicht erforderlich) verbunden ist, sodass sich gerade aus dieser Verbindung die Erfüllung der Urkundenmerkmale ergibt.

Vorliegend besteht durch das Verschrauben des Nummernschildes mit dem Pkw eine solche hinreichend feste Verbindung.

Der Pkw ist dabei das Bezugsobjekt, auf das sich der Erklärungsinhalt des Nummernschildes bezieht.

Durch diese Verbindung ergibt sich auch gerade die dem Nummernschild als solchem fehlende Beweiseignung und -bestimmung, da hierdurch der Erklärungsinhalt („ordnungsgemäße Zulassung") konkret auf einen bestimmten Pkw bezogen wird.

Zudem ist auch (zumindest konkludent) die Zulassungsstelle als Ausstellerin erkennbar. Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass das amtliche Nummernschild (Kennzeichen + Stempelplakette) für sich betrachtet sowie in Verbindung mit dem Fahrzeug eine zusammengesetzte Urkunde darstellt.

hemmer-Methode: Ein weiteres klausurrelevantes Beispiel für eine zusammengesetzte Urkunde ist der Kaufgegenstand mit dem darauf befindlichen Preisschild (Hemmer/Wüst, StrafR BT II, Rn. 255).

Eine echte Urkunde i.S.v. § 267 I Var. 2 StGB liegt damit vor.

2. Verfälschen

Verfälscht wird eine echte Urkunde, wenn sie durch unbefugte nachträgliche Änderungen etwas anderes aussagt, als der Aussteller erklärt hat. Auf den ersten Blick sorgt die Anti-Blitz-Folie aber nicht für einen anderen Erklärungsinhalt, sondern nur dafür, dass das Kennzeichen in bestimmten Fällen nicht bzw. schlecht lesbar ist. Allerdings könnte der Beweisinhalt noch über die Buchstaben-/Zahlenkombination hinausgehen.

Es ist daher zunächst zu ermitteln, was der ursprüngliche Beweisinhalt der zusammengesetzten Urkunde war.

Die Kfz-Kennzeichen haben eine genaue, bis ins einzelne gehende Regelung gefunden, vgl. Auszüge aus der StVZO.

Bestandteil der Zuteilung eines Kfz-Kennzeichens ist auch die amtliche Abstempelung des Kennzeichens, die durch Anbringung einer Stempelplakette erfolgen kann, vgl. § 10 II FZV.

Bei dieser Abstempelung muss die Zulassungsstelle prüfen, ob das Kennzeichen, insbesondere seine Ausgestaltung und Anbringung, ordnungsgemäß sind. Die Stempelplakette erbringt dabei unter anderem auch Beweis darüber, dass die Anforderungen an das Kennzeichen erfüllt sind. Hiernach dürfen Kennzeichen nicht spiegeln und nicht mit Folien versehen sein.

Die Beweisrichtung der Stempelplakette bezieht sich jedoch nur darauf, dass das Kennzeichen zum Zeitpunkt der Zulassung den Anforderungen der FZV entspricht.

Schon aus diesem Grund muss ein Verfälschen der Urkunde durch das nachträgliche Aufbringen der Folie abgelehnt werden, da auf den genannten gedanklichen Inhalt der Urkunde durch eine nachträgliche Manipulation gar nicht mehr eingewirkt werden kann.

Darüber hinaus nimmt der BGH an, dass, selbst wenn die Stempelplakette Aussagen über den gegenwärtigen Zustand des Kennzeichens treffen würde, kein Verfälschen i.S.v. § 267 I Var. 2 StGB vorliegt.

Denn die Manipulationen (Überziehen des Kennzeichens mit Folie) ändern nichts an der Gedankenerklärung der Stempelplakette, vielmehr wirken sie sich nur auf das Kennzeichen aus, welches durch die Manipulationen schwerer ablesbar wird.

hemmer-Methode: Die Manipulation am Bezugs­objekt reicht nicht für die Tathandlung des Verfälschens aus. Dagegen liegt ein Verfälschen vor, wenn das Bezugsobjekt ganz ausgetauscht wird (Kennzeichen wird an einem anderen Kfz angebracht).

Somit wurde die zusammengesetzte Urkunde nicht i.S.v. § 267 I Var. 2 StGB verfälscht. Der objektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

II. Urkundenunterdrückung, § 274 I Nr. 1 StGB

M könnte sich aufgrund seines Verhaltens wegen § 274 StGB strafbar gemacht haben.

1. Objektiver Tatbestand

a) Eine Urkunde liegt vor, siehe oben.

b) An der zusammengesetzten Urkunde hat M auch kein ausschließliches Beweisführungsrecht. Dieses steht auch Dritten, insbesondere der Polizei, zu. Die Urkunde gehört dem M damit nicht i.S.v. § 274 I Nr. 1 StGB.

c) M könnte die Urkunde beschädigt haben. Ein Beschädigen i.S.v. § 274 I Nr. 1 StGB liegt vor, wenn an Substanz oder Inhalt der Urkunde Veränderungen vorgenommen werden, die sie in ihrem Wert als Beweismittel beeinträchtigen.

Die Anti-Blitz-Folie ist durchsichtig. Die Beweiseignung der Gesamturkunde wird also eigentlich nicht beeinträchtigt, zumal die Urkunde nach wie vor ablesbar ist.

Allerdings führt die Anti-Blitz-Folie gerade für den wichtigen Fall der Erkennbarkeit bei polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen zu einer wesentlichen Einschränkung der Ablesbarkeit des amtlichen Kennzeichens. Die Beweiseignung der Urkunde ist folglich in dieser Hinsicht beeinträchtigt.

Damit ist die Urkunde i.S.v. § 274 I Nr. 1 StGB beschädigt.

d) Eine „Vernichtung" der Urkunde kann dagegen nicht angenommen werden, da dies die vollkommene Beseitigung des Beweiswertes der Urkunde erfordern würde, was hier nicht der Fall war.

e) Weiterhin kommt ein Unterdrücken in Betracht.

Unterdrücken ist jede auch nur vorübergehende Verhinderung der Benutzung der Urkunde als ein Beweismittel durch den Berechtigten.

Durch das Überkleben wurde das Nummernschild der Beweisnutzung durch die Polizei bei Geschwindigkeitskontrollen entzogen. Eine Unterdrückung einer Urkunde liegt somit vor.

2. Subjektiver Tatbestand

a) M hat vorsätzlich gehandelt.

b) Weiterhin müsste M mit Nachteilszufügungsabsicht gehandelt haben.

Hier wollte M jedoch „nur" staatlichen Sanktionen im Straf- und Bußgeldverfahren entgehen. Dies genügt jedoch nach allgemeiner Ansicht noch nicht für die Annahme einer Nachteilszufügungsabsicht.

Der subjektive Tatbestand ist damit nicht erfüllt. M hat sich nicht gem. § 274 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

III. Gesamtergebnis

M hat sich nicht nach dem StGB strafbar gemacht.

Allerdings liegt eine Strafbarkeit gemäß § 22 I Nr. 3 StVG vor.

hemmer-Methode: Allein die Existenz von § 22 StVG zeigt, dass insoweit Strafbarkeitslücken bestehen. Sonst hätte der Gesetzgeber nicht im „Nebenstrafrecht" reagieren müssen.

C) Zur Vertiefung

  • Zur zusammengesetzten Urkunde

Hemmer/Wüst, StrafR BT II, Rn. 255 und 271.

Hemmer/Wüst, Karteikarten StrafR BT II, Karte 97.